Lixisenatid

Antidiabetikum verlangsamt das Fortschreiten motorischer Symptome bei Parkinson

17.05.2024, 15:14 Uhr

Parkinson-Patient:innen werden im Alltag durch motorische Symptome beeinträchtigt. (Foto: weyo / AdobeStock)

Parkinson-Patient:innen werden im Alltag durch motorische Symptome beeinträchtigt. (Foto: weyo / AdobeStock)


Inkretinmimetika entwickeln sich zu Multitalenten. Ursprünglich als Antidiabetika entwickelt, werden sie derzeit in einer Vielzahl an weiteren Indikationen untersucht. Eine französische Phase-II-Studie mit Lixisenatid meldet nun positive Ergebnisse auf den Krankheitsverlauf der Parkinson-Erkrankung. Die Motorik-Scores blieben unter der Einnahme konstant, während die Krankheit in der Kontrollgruppe voranschritt.

Bei Morbus Parkinson hinterlässt die Zerstörung Dopamin-produzierender Neurone im Gehirn ein Neurotransmitter-Defizit, das vor allem zu motorischen Symptomen wie Rigor, Tremor und Akinese führt. Dopaminerge Wirkstoffe wie Levodopa können die Beschwerden zwar lindern, aber die Erkrankung nicht heilen. Auf der Suche nach krankheitsmodifizierenden Therapien werden innovative Ansätze wie beispielsweise Antikörper gegen α-Synuclein verfolgt.

Drug Repurposing als schneller Weg zum Ziel

Ein schnellerer Weg zu wirksamen Therapien führt über Drug Repurposing, das Einführen bereits bekannter Wirkstoffe in neue Indikationsgebiete. Deshalb wird auch das derzeitige Wirkstoffarsenal auf mögliche wirksame Mittel gegen die Parkinson-Erkrankung untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Antidiabetika, aus gutem Grund: Typ-2-Diabetes stellt einen Risikofaktor für die Entstehung von Parkinson dar. Eine Diabetes-­Therapie dürfte sich also günstig auswirken [1]. Dabei schlagen sich die verschiedenen Antidiabetika-Klassen unterschiedlich gut: Einer Kohortenstudie zufolge war die Anwendung von Glucagon-like-Peptid-1(GLP-1)-Agonisten mit der niedrigsten Parkinson-Prävalenz in der durchschnittlichen Follow-up-Zeit von 3,3 Jahren verbunden [2]. Womöglich liegt das nicht allein an der antidiabetischen Wirkung. Man nimmt an, dass die GLP-1-Agonisten über GLP-1-Rezeptoren im Gehirn antiapoptotisch wirken und die Bildung neuer Nervenzellen fördern [3, 4]. Eine erste randomisierte kontrollierte Studie mit dem First-in-Class-Vertreter Exenatid (Byetta®) zeigte, dass die Motorik-Scores der Probanden mit dem Inkretinmimetikum in der Off-Phase der Parkinson-Therapie – der Abflachung der Wirkung des Parkinson-Therapeutikums am Ende des Einnahmeintervalls – signifikant besser ausfielen, aber nicht in der On-Phase [5]. Sein Abkömmling Lixisenatid (Suliqua®) schützte Mäuse vor Motoriksymptomen und dem Verlust dopaminerger Neurone [6]. Jetzt veröffentlichten französische Wissenschaftler Ergebnisse der Phase-II-Studie LIXIPARK mit dem GLP-1-Agonisten im New England Journal of Medicine [7]. 

Motorikverschlechterung bleibt aus

Für die Studie wurden nur Probanden mit einer Parkinson-Erkrankung im Frühstadium ausgewählt, ihre Dia­gnose durfte nicht mehr als drei Jahre zurückliegen. An Diabetes litten die Teilnehmer allerdings nicht. Die Personen mussten auf eine stabile dopaminerge Therapie eingestellt sein, also Levodopa, Dopaminagonisten, MAO-Inhibitoren beziehungsweise eine Kombination dieser. Zwölf Monate lang erhielt die eine Hälfte der Probanden täglich zusätzlich subkutane Lixisenatid-Injektionen, die andere Hälfte Placebo. Am Ende wurden ihre motorischen Fähigkeiten anhand einer Untersuchung nach dem Unified Parkinson‘s Disease Rating Scale der Movement-Disorder-Society (MDS-UPDRS) beurteilt. Während sich die motorischen Fähigkeiten der Probanden unter Placebo um 3,04 Punkte verschlechterten, verbesserten sich die Werte unter Lixisenatid sogar leicht um -0,04 Punkte (p < 0,007).

Die sekundären Endpunkte unterstützen die Ergebnisse allerdings nicht. Beispielsweise fielen die anderen Bestandteile des MDS-UPDRS, Aspekte des täglichen Lebens wie Essen, Sprechen oder Gehen, unverändert aus. Dosisanpassungen in der Levodopa­-Therapie über die Studienzeit erfolgten in beiden Gruppen in gleichem Maße. Nach einer zweimonatigen Washout-Periode unterschieden sich die Motorik-Scores der Lixisenatid- und Placebogruppe zwar weiterhin um drei Punkte, von diesem Wert allein kann den Studienautoren zufolge aber keine Relevanz abgeleitet werden.

Neuroprotektion durch Inkretine

Prof. Tom Foltynie vom University College London hat die Ergebnisse zusammen mit anderen Wissenschaftlern für das britische Science Media Centre eingeordnet [8]. Er spricht von einer wichtigen Publikation, die im Wesentlichen die Exenatid-Ergebnisse repliziert. „Die kumulativen klinischen Daten unterstützen daher eindeutig die früheren Labor- und epidemiologischen Daten, wonach die Stimulation des GLP-1-Rezeptors im Gehirn neuroprotektive Effekte hat, die für die neurodegenerativen Prozesse der Parkinson-Krankheit relevant sind.“ Ihm zufolge seien die Effekte jedoch auf Exenatid und Lixisenatid beschränkt, da Liraglutid und Semaglutid nicht ins zentrale Nervensystem aufgenommen würden. Wie die Studienautoren ist auch er vorsichtig, was den genauen Mechanismus angeht: „Es wird weiter spekuliert, ob die GLP-1-Agonisten nur die dopaminerge Signalübertragung verbessern oder ob sie die schädliche Neuroinflammation reduzieren und den Neuronen damit wieder ihre normale Funktion ermöglichen.“

Kein Wundermittel

Prof. Masud Husain von der University of Oxford betont: „Wir müssen auch die Nebenwirkungen im Auge behalten.“ Knapp die Hälfte der Teilnehmer klagte unter Lixisenatid über Übelkeit, 13% litten an Erbrechen und 8% an Reflux. Weitere 8% berichteten von einem Gewichtsverlust [8]. Ein Drittel der Teilnehmer musste die Dosis aufgrund der Nebenwirkungen reduzieren [7].

Die Frage bleibt, wie relevant der beobachtete Effekt für den einzelnen Patienten ist. Die Studienautoren geben an, dass die Ergebnisse knapp unter der Schwelle blieben, ab der man sie als klinisch relevant bezeichnen würde. Auch der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen Prof. Dr. Joseph Claßen erklärt: „Das Ergebnis ist aufgrund des Studiendesigns interessant. Man muss aber berücksichtigen, dass drei Punkte in der Bewertung wenig sind. Es müssen weitere Studien folgen, unter anderem um zu klären, wie sich die Wirkung über mehrere Jahre hinweg entwickelt“ [9]. Erste Einblicke werden die Daten der zweijährigen Phase-III-Studie geben, die Prof. Foltynie zufolge in der zweiten Jahreshälfte veröffentlicht werden sollen. 

Literatur

[1] Cullinane PW et al. Type 2 Diabetes and Parkinson‘s Disease: A Focused Review of Current Concepts. Mov Disord 2023;38(2):162-177, doi: 10.1002/mds.29298

[2] Brauer R et al. Diabetes medications and risk of Parkinson‘s disease: a cohort study of patients with diabetes. Brain 2020;143(10):3067-3076, doi: 10.1093/brain/awaa262

[3] Bassil F et al. Insulin, IGF-1 and GLP-1 signaling in neurodegenerative disorders: targets for disease modification? Prog Neurobiol 2014;118:1-18, doi: 10.1016/j.pneurobio.2014.02.005

[4] Yun SP et al. Block of A1 astrocyte conversion by microglia is neuroprotective in models of Parkinson‘s disease. Nat Med 2018;24(7):931-938, doi: 10.1038/s41591-018-0051-5

[5] Athauda D et al. Exenatide once weekly versus placebo in Parkinson‘s disease: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2017;390(10103):1664-1675, doi: 10.1016/S0140-6736(17)31585-4

[6] Liu W et al. Neuroprotective effects of lixisenatide and liraglutide in the 1-methyl-4-phenyl-1,2,3,6-tetrahydropyridine mouse model of Parkinson‘s disease. Neuroscience 2015;303:42-50, doi: 10.1016/j.neuroscience.2015.06.054

[7] Meissner WG et al. Trial of Lixisenatide in Early Parkinson‘s Disease. N Engl J Med 2024;390(13):1176-1185, doi: 10.1056/NEJMoa2312323

[8] Expert reaction to phase II trial of Lixisenatide in Early Parkinson’s Disease. Meldung des britisches Science Media Centre vom 03. April 2024. www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-phase-ii-trial-of-lixisenatide-in-early-parkinsons-disease/

[9] Neue Studie: Diabetes-Medikament könnte das Fortschreiten der Parkinson-Erkrankung bremsen. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen vom 15. April 2024. parkinson-gesellschaft.de/die-dpg/presseservice/pressemeldungen/217-neue-studie-diabetes-medikament-koennte-das-fortschreiten-der-parkinson-erkrankung-bremsen


Dr. Tony Daubitz, Apotheker
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Antidiabetikum verlangsamt das Fortschreiten motorischer Symptome

Lixisenatid bremst Parkinson

Grundlagen für das Medikationsmanagement

Pharmakotherapie beim Parkinson-Syndrom

Ultraschall hilft bei Parkinson

Mit Hochfrequenz gegen das Zittern

PRAC gibt Entwarnung für GLP-1-Agonisten

Risiko für Schild­drüsenkrebs erhöht?

Frühzeitiger Therapiebeginn bringt keinen Vorteil, schadet aber auch nicht

Wann mit L-Dopa starten?

Verträglichkeit der GLP-1-Agonisten auf dem Prüfstand

Sicher abnehmen?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.