Parteiprogramme zur Europawahl

Arzneimittelversorgung ist ein zentrales Thema im EU-Wahlkampf

Berlin - 22.05.2024, 13:45 Uhr

Auch für die Arzneimittelversorgung in Europa zählt jede Stimme bei der Wahl zum EU-Parlament. (Foto: IMAGO / Winfried Rothermel)

Auch für die Arzneimittelversorgung in Europa zählt jede Stimme bei der Wahl zum EU-Parlament. (Foto: IMAGO / Winfried Rothermel)


Zwischen dem 6. und 9. Juni wird in der Europäischen Union ein neues Parlament gewählt. Die Programme der deutschen Parteien für die Europawahl setzen verstärkt das Thema Arzneimittelversorgung und Sicherung der pharmazeutischen Lieferketten auf die politische Agenda.

In Deutschland findet am 9. Juni die Wahl zum Europaparlament statt. Nach den aktuellen Wahlprognosen werden zumindest neun Parteien ihre Mitglieder als Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel entsenden dürfen. Die DAZ beleuchtet ihre Zielsetzungen zum Thema Arzneimittelversorgung und Lieferketten. 

CDU/CSU

Die Unionsparteien fordern wiederholt, so auch in ihrem gemeinsamen Programm zur Europawahl, dass Europa wieder zur „Apotheke der Welt“ werden müsse: „Wir wollen investitionsfreundliche Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie schaffen, damit wieder mehr Medikamente wie z. B. Antibiotika und Kindermedikamente in Produktionsstätten in Europa hergestellt werden.“ Die Union setzt sich für umfassenden Patentschutz und eine Diversifizierung der Lieferketten ein. Darüber hinaus finden sich im Wahlprogramm von CDU und CSU keine weiteren relevanten Aussagen zum Thema Arzneimittelversorgung und Lieferengpässe. 

SPD

Mit dem Titel „Verlässliche Rahmenbedingungen für eine starke Gesundheitswirtschaft und Pharmaindustrie“ überschreibt die SPD ihre gesundheitspolitische Agenda im Europawahlkampf. Sie will präventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln auf europäischer Ebene in Gang bringen. Vor allem „kritische Wirkstoffe und Vakzine“ sollen nachhaltig vor Engpässen geschützt werden. Die SPD fordert ein europäisches Instrumentarium zur Überwachung und Erkennung von Produktions- und Lieferproblemen: „Zu diesem Zweck setzen wir uns im Zuge der EU-Pharmagesetzgebung dafür ein, auch präventive Mechanismen wie Monitoring, Engpassmanagementpläne und Meldepflichten weiterzuentwickeln.“

Durch eine gemeinsame Beschaffungsstrategie der EU verspricht sich die SPD ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis bei Arzneimitteln. Zudem fordern die Sozialdemokraten ein „faires System der Arzneimittelpreisgestaltung und Nutzenbewertung.“ Sie plädieren für ein „solidarisches System, das sich an den politischen, markt- und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Kaufkraft der europäischen Partnerländer und ggf. weiterer Abnehmerländer orientiert.“

Bündnis 90/Die Grünen

Die Corona-Pandemie habe verdeutlicht, dass die EU-Länder bei der Versorgung mit Arzneimitteln und Wirkstoffen in zu starkem Maße von Ländern abhängig sind, die unter schlechten Arbeitsbedingungen und Umweltstandards produzieren, heißt es bei den Grünen. Sie begrüßen die Zielsetzungen des angestoßenen EU-Pharmapakets, insbesondere die Pläne zur Diversifizierung der Lieferketten. Pharmaproduzenten wollen die Grünen verpflichten, Arzneimittelengpässen gezielt vorzubeugen und diese frühzeitig zu melden. Kritische Arzneimittel, beispielsweise Antibiotika, müssten in „krisenfesten Lieferketten“ verfügbar sein – dabei könne auch die „teilweise“ Rückverlagerung der Pharmaproduktion nach Europa einen wichtigen Beitrag leisten. Um Innovationen im Bereich der Pharmaproduktion zu ermöglichen, brauche es „Anreize und weniger bürokratische Verfahren“. Allerdings dürfe nicht nur die Produzentenseite im Fokus stehen: „Die Anreize für Forschung und Entwicklung sowie der Schutz von geistigem Eigentum dürfen nicht die Bezahlbarkeit von essenziellen Arzneimitteln gefährden und den Markteintritt von Generika unverhältnismäßig verzögern.“

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Die Grünen kritisieren in ihrem Wahlprogramm, dass die Festsetzung der Arzneimittelpreise „viel zu undurchsichtig“ sei. Durch den konstatierten „Mangel an Transparenz“ entstünden immense Preisanstiege: „Gerade wenn öffentliche Mittel für die Arzneimittelentwicklung eingesetzt werden, muss das in der Regel mit Transparenz über die Kosten für Forschung und Entwicklung sowie der Preisgestaltung einhergehen.“ Zudem wollen die Grünen sich dafür einsetzen, die Arzneimittelversorgung in Ländern des „globalen Südens“ zu verbessern.

AfD

Die AfD betont in ihrem Wahlprogramm, dass zur Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung „nach wie vor ein landesweites Netz an inhabergeführten Apotheken unabdingbar“ sei. Dies gelte insbesondere für die strukturschwachen Regionen, „da die Apotheke vor Ort zu den wesentlichen Voraussetzungen für eine regionale Strukturpolitik gehört“. Der Versandhandel mit Rx-Arzneimitteln bedrohe zunehmend dieses „regional verankerte Versorgungsmodell“. Die AfD fordert vor diesem Hintergrund ein Verbot des Rx-Versandhandels.

Die Linke

„Medizintechnik- und Pharmaindustrie müssen am Gemeinwohl ausgerichtet werden.“ Das fordert die Partei Die Linke in ihrem Programm zur EU-Wahl. Konzerne und Lobbyisten sollen strengeren Regeln unterworfen werden. Die Partei setzt sich für eine umfassende Freigabe von patentgeschützten Arzneimitteln ein: „Patente können tödlich sein. Wir wollen eine öffentlich finanzierte Impfstoff-Forschung mit geistigen Eigentumsrechten (zum Beispiel Patenten) in öffentlicher Hand […]. Die Produktion und Verteilung lebensrettender Impfstoffe darf nicht den Profitinteressen einzelner Pharmaunternehmen untergeordnet werden.“ Um die Pharmaproduktion wieder zurück in die EU zu verlagern, will die Linke „regionale Wirtschaftskreisläufe stärken“. Importe aus „Niedrigpreisländern“ gefährdeten dort die Arzneimittelversorgung. Auch deshalb befürwortet die Linke eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa.

FDP und Sonstige

Die Freien Demokraten wollen auf europäischer Ebene im Rahmen ihrer gesundheitspolitischen Agenda insbesondere bürokratische Hürden abbauen – damit soll beispielsweise der „Zugang zu Arzneimitteln für seltene Erkrankungen“ sichergestellt werden. Die Lieferketten will die FDP durch eine Stärkung des europäischen Binnenmarktes sicherstellen.

In den Europawahlprogrammen des Bündnisses Sarah Wagenknecht (BSW) und der Freien Wähler (BVB) – beide werden auch mit hoher Wahrscheinlichkeit den Einzug ins EU-Parlament schaffen – finden sich keine relevanten Statements zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung.

Politische Bedeutung der Lieferkettensicherung stark gestiegen

Die Sicherstellung der Arzneimittellieferketten ist seit einigen Jahren ein Thema mit wachsender politischer Brisanz. Dafür sind vor allem die Erfahrungen der Corona-Pandemie verantwortlich. Aber auch andere Ereignisse und Entwicklungen haben die Verletzlichkeit der Arzneimittellieferketten offen gelegt. So blockierte im März 2021 das Frachtschiff „Ever Given“ für knapp eine Woche den Suez-Kanal – die Hauptschlagader des internationalen Warenverkehrs. Massive Lieferengpässe in diversen Bereichen der Wirtschaft waren die Folge. Auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine, ein gespanntes Verhältnis zum Wirtschaftskrisen China, sowie der wieder voll entbrannte Nahostkonflikt gefährden den internationalen Warenverkehr. Im Roten Meer greifen die jemenitischen Huthi vermehrt westliche Frachtschiffe an, um ihre Frontstellung gegenüber den Verbündeten Israels zu unterstreichen – mittlerweile sichern dort deutsche Kriegsschiffe mit Waffengewalt die Lieferketten. Hinzu kommt ein erneuter Anstieg der Piraterie. Im Jahr 2023 wurden weltweit 120 Piratenüberfälle bekannt – in erster Linie an der afrikanischen Westküste und der Straße von Singapur.

All das erklärt den deutlichen Bedeutungsgewinn des Themas in den aktuellen Wahlprogrammen. 


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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