Intensive Diskussion nach BMG-Vortrag in Nordhessen

Apothekenreform ohne Apotheker? Berufsstand kämpft um Mitsprache!

Gudensberg - 24.05.2024, 16:15 Uhr

Wo geht es hin mit den Apotheken? Die Apothekerschaft fühlt sich bei der Reform übergangen. (Foto: IMAGO / Horst Galuschka)

Wo geht es hin mit den Apotheken? Die Apothekerschaft fühlt sich bei der Reform übergangen. (Foto: IMAGO / Horst Galuschka)


„Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum – Herausforderungen und Lösungen zur Versorgung mit Landarztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern“ lautete der Titel einer Bürgerveranstaltung, die diese Woche in Nordhessen stattfand. Der zuständige Abteilungsleiter aus dem Bundesgesundheitsministerium Thomas Müller gab Einblicke in die geplante Apothekenreform und diskutierte im Anschluss mit den Anwesenden. 

Bei der Bürgerveranstaltung „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum –Herausforderungen und Lösungen zur Versorgung mit Landarztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern“ stellte der zuständige Abteilungsleiter aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), Thomas Müller, in Gudensberg am vergangenen Dienstagabend die Eckpunkte der Apothekenreform vor. Ein ehrlicher, direkter Vortrag, wie die meisten der über 100 Anwesenden fanden – doch der Inhalt alarmierte viele. 

Aus einer anschließenden Diskussion über die Versorgung im Land wurde dadurch so viel mehr als das: ein Blick in die Sorgen und Ängste der Apotheken.

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In Gudensberg / Nordhessen

Preview für die Apothekenreform 

„Wir sind nicht vergleichbar mit dem normalen Einzelhandel, (…) wir sind Heilberufler!“ Mit diesem empörten Ausruf trifft die Hessische Kammerpräsidentin Ursula Funke genau den Nerv der an diesem Abend versammelten Apothekerschaft. Medikamente seien eine besondere Ware. Einen vorher gemachten Vergleich mit Schuhen, Kleidung und Büchern könne man so nicht hinnehmen.

Arzneimitteltherapiesicherheit geht vor!

Durch fehlende Regulation der ausländischen Versandapotheken, genauer ihrer Beratung, ihrer Verantwortlichkeit und weiterer Aspekte wie der Lagerung der Arzneimittel im Versand, werde das Wohl des Patienten gefährdet, darin waren sich in der Diskussion alle einig. Eine solch lasche Kontrolle der Versorgung mit Arzneimitteln könne man als Apotheker nicht unterstützen.

Auch der Aspekt des demografischen Wandels trifft die Apotheke nicht nur in den Personalstrukturen, sondern durch die Versorgung der älter werdenden Bevölkerung doppelt so hart: Eine multimorbide, immer älter werdende Gesellschaft braucht eine persönliche Betreuung. Das kann eine ausländische Versandapotheke nicht leisten und wird sie nach Meinung der Apothekerschaft auch nicht leisten können.

pDL, zusätzliche Telepharmazie – wer soll das alles stemmen?

Große Sorgen bereitet auch der zunehmende Personalmangel. Neben fehlenden Apothekern gibt es auch einen großen Mangel an PTA. Ursachen liegen dabei nicht nur im demografischen Wandel, sondern auch in der Abwerbung des Personals durch andere Branchen wie die gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese könnten dem Personal bis zu 30 Prozent mehr zahlen und verstärkten somit den ohnehin schon großen Mangel zusätzlich.

Eine weitere Ursache sieht Holger Seyfarth, Apotheker aus Frankfurt und Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes, in der fehlenden Attraktivität der öffentlichen Apotheke als Arbeitsplatz. Der daraus resultierende Nachwuchsmangel ergebe sich zudem aus der starken Differenz zwischen dem erlernten Wissen des Studiums und dem aktuellen Apothekenalltag. „Dafür haben wir nicht studiert!“, äußern sich seine Pharmazeuten im Praktikum in Bezug auf den Verbleib in der öffentlichen Apotheke. Die im Eckpunktpapier erwähnten Aufgaben wie Screening, Prävention und Therapiebegleitung müssten daher mehr in den Vordergrund rücken – die Umsetzung benötige jedoch die entsprechende Finanzierung.

Die Utopien der „Apotheke light“

Die Politik sieht in der „Apotheke light“ eine potenzielle Antwort auf den anhaltenden Personalmangel. Doch bleibt die Frage: Ist dies tatsächlich eine wirksame Lösung? Im Publikum herrscht Einigkeit: Nein. Ursula Funke verweist hierzu auf zwei Probleme: Einerseits auf den zunehmenden Mangel an PTA – PTA-Schulen schließen und die Schulklassen werden kleiner – und andererseits auf die fehlende wirtschaftliche Entlastung, da die PTA die Leitung einer Apotheke light nicht für gleichbleibendes Gehalt übernehmen werden. Man solle das Geld lieber an anderer Stelle suchen, wie zum Beispiel bei den Krankenkassen, die immer noch Verwaltungsausgaben von über 4 Prozent der GKV-Gesamtausgaben haben. Zum Vergleich: Die Apotheken kommen nur auf 2 Prozent.

Einer „Beratung light“ steht die Apothekerschaft ohnehin kritisch gegenüber. Die Apotheken wollen neue Technologien flächendeckend für sich nutzen – die Beratung durch einen Online-Avatar, unterstützt durch künstliche Intelligenz, sieht Funke allerdings nicht als Zukunft: „Wir können nicht durch KI ersetzt werden – ergänzend ja – aber nicht ersetzt.“

Krisenmanager Apotheke

„Wir sind den ganzen Tag nur am Austauschen: Kleinpackung, Großpackung – Hauptsache der Patient ist irgendwie versorgt.“ Mit diesen Worten beschreibt Christian Fehske aus Hagen (Westfalen-Lippe) den Alltag vieler Apotheker. Denn die Lage bei den Lieferengpässen ist trotz Inkrafttreten des ALBVVG im Juli letzten Jahres kritisch. Es besteht Unverständnis darüber, dass Arzneimittel im innereuropäischen Ausland verfügbar sind, in Deutschland jedoch nicht. Die Kommunikation mit dem Patienten bezüglich der fehlenden Arzneimittel sei zermürbend und koste Zeit. Die Politik stehe in der Verantwortung, dieses Problem endlich zu lösen und dahingehend auch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen zu stärken.

Rezepturherstellung rettet Menschenleben

In seinem Vortrag forderte Thomas Müller den Wandel der Apotheken von „Herstellen, Lagern, Abgeben“ hinzu „Versorgen, Informieren und Abrechnen“. Aber wie soll dieser Wandel gelingen? Die Notwendigkeit der Herstellung ergibt sich schließlich aus den fortwährenden Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln. Denn wer, wenn nicht die Apotheker, hätte die Versorgung der Bevölkerung mit Paracetamol-Zäpfchen, Fiebersäften oder auch Metronidazol-Kapseln aufrechterhalten können?

Und nun?

In vielen Punkten stimmen die Diskussionsteilnehmer Thomas Müller zu: Sie sehen die Notwendigkeit eines Wandels und wollen konstruktiv daran mitarbeiten. Denn die Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln, das ist die Aufgabe der Apotheken! Jedoch nimmt das Vertrauen in das Ministerium ab. Es gibt entscheidende Punkte der Apothekenreform, bei denen sich die Apotheker und Apothekerinnen übergangen fühlen. Mit ihnen zu reden, konstruktive Kommunikation auf Augenhöhe – wie es bei dem Termin in Nordhessen der Fall war – noch ein Einzelfall. So ist der abschließende Appell eines Apothekers an Thomas Müller: „Wenn sie uns mitnehmen wollen, wenn sie uns unseren guten Willen und unseren Einsatz, unser tägliches Engagement erhalten wollen, eine große Bitte (…), ändern sie das!“


Maria Dietrich und Paula Schagerl, Pharmazeutinnen im Praktikum
redaktion@daz.online


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