Stellenwert der Kombinationsanalgetika

Neue Empfehlungen bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp

03.06.2024, 17:50 Uhr

Naproxen und Metamizol sind bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp als nachrangige Therapieoption anzusehen. (Foto: megaflopp / AdobeStock)

Naproxen und Metamizol sind bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp als nachrangige Therapieoption anzusehen. (Foto: megaflopp / AdobeStock)


Zur Diagnostik und Therapie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp ist eine aktuelle S1-Leitlinie erschienen. Im Vergleich zur alten Version hat sich vor allem der Stellenwert der Kombinationsanalgetika verändert. Zudem wurden neue Empfehlungen zur nicht-medikamentösen Prophylaxe aufgenommen.

Der Kopfschmerz vom Spannungstyp (KST) zeichnet sich aus durch milde bis mittelschwere, dumpf-drückende, nicht pulsierende, beidseitige Schmerzen. Patienten empfinden ihn beengend wie einen „zu engen Hut“ oder beschreiben das Gefühl „vom Kopf im Schraubstock“. Nach wie vor ist der Kopfschmerz vom Spannungstyp die häufigste primäre Kopfschmerzart. Nach Anwendung der International Classification of Headache Disorders (ICHD)-3-Kriterien ist die Ein-Jahres-Prävalenz allerdings gegenüber früheren Studien deutlich gesunken. Sie liegt in Deutschland bei 10,3 % bei Frauen und 6,5 % bei Männern. 

Neue Leitlinie

Im Gegensatz zur vorherigen S1-Leitlinie befasst sich die neue Leitlinie ausschließlich mit dem Kopfschmerz vom Spannungstyp. Herausgeber sind die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG). Die zuvor mitauf­geführten, anderen Kopfschmerzarten werden jetzt in separaten Leitlinien behandelt, darunter die chronische Migräne, die Hemicrania continua, der Münzkopfschmerz und der neu aufgetretene tägliche anhaltende Kopfschmerz.

Die Dauer des Kopfschmerzes vom Spannungstyp variiert stark und kann von 30 Minuten bis zu einer Woche reichen. Studiendaten lassen einen Zusammenhang mit Fatigue, Unfähigkeit zur Entspannung nach der Arbeit und Schlafmangel vermuten. Normale körperliche Aktivität, etwa Gehen oder Treppensteigen, verstärkt den Kopfschmerz vom Spannungstyp nicht, und vegetative Begleitbeschwerden wie Licht- und Lärmempfindlichkeit oder Übelkeit fehlen meist. Das sind zwei zentrale Kriterien zur Abgrenzung gegenüber der Migräne.

Akuttherapie der Kopfschmerzattacken

Die medikamentöse Akuttherapie soll die Kopfschmerzen während der einzelnen Attacken lindern. Als Mittel der ersten Wahl empfehlen die Leitlinienautoren 

  • Acetylsalicylsäure (500 bis 1000 mg), 
  • Ibuprofen (400 bis 800 mg) und 
  • Paracetamol (1000 mg) – für niedrigere Dosierungen ist die Wirksamkeit von Paracetamol nicht gesichert. 

Insgesamt ist die Wirksamkeit dieser drei Substanzen zur Akuttherapie von Kopfschmerzen vom Spannungstyp am besten belegt, es liegen mehrere systematische Cochrane-Reviews vor. Doch wie sieht es mit dem Effekt der Kombinationsanalgetika mit Coffein aus? 

Kombinationsanalgetika mit Coffein nur Zweitlinien-Empfehlung

Diese zeigen in Studien eine erhöhte Wirksamkeit im Vergleich zu den Monopräparaten – gemessen als Schmerzreduktion nach zwei Stunden. Allerdings soll es gleichzeitig zu mehr Nebenwirkungen wie Benommenheit und Nervosität kommen. Daher wird die fixe Wirkstoffkombina­tion bei Kopfschmerz vom Spannungstyp jetzt nur noch als Zweitlinien-Empfehlung eingestuft für den Fall, dass die Einzelsubstanzen die Schmerzen nicht ausreichend lindern. Auch 

  • Naproxen und 
  • Metamizol 

sind neuerdings als nachrangige Therapieoption anzusehen. Nach wie vor gilt hingegen: Ein Medikamentenübergebrauch ist in jedem Fall zu vermeiden. Somit ist die Häufigkeit der Einnahme auf maximal 10 (Kombinationspräparate) bzw. 15 (einfache Analgetika) Tage pro Monat begrenzt. Diese Regel sollte der Patient kennen und strikt einhalten. 

Kopfschmerzursachen bei Jugendlichen

60 % der Jugendlichen kennen das Leiden unter rezidivierenden Kopfschmerzen. Dabei stehen Kopfschmerzen vom Spannungstyp mit 41 % an erster Stelle der primären Kopfschmerzen. In einer aktuellen bevölkerungsbasierten Studie aus Kanada untersuchte man, was die Auslöser der Schmerzen bei Kindern und Jugend­lichen im Alter von 5 bis 12 Jahren sein können (n = 4.978.370; Durchschnittsalter 10,9 Jahre; 48,8 % weiblich). Die Ergebnisse zeigten, dass 6,1 % der Jugendlichen häufiger als einmal pro Woche unter Kopfschmerzen litten. Die Wahrscheinlichkeit für diese häufig auftretenden Kopfschmerzen stieg mit dem Alter an und war beim weiblichen Geschlecht höher. Das Risiko stieg auch mit einem späten Chronotyp (adjusted odds ratio [aOR] = 1,1) und langen Bildschirmzeiten (≥ 21 Stunden gegenüber 0,0 in der letzten Woche, aOR = 2,97). Bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren spielte auch Substanzkonsum eine Rolle: So stieg das Risiko bei Jugendlichen, die wöchentlich Alkohol konsumierten (aOR = 3,50), mehr als fünfmal im Monat „binge-drinking“ betrieben (aOR = 5,52), täglich Zigaretten rauchten (aOR = 3,81), täglich E-Zigaretten rauchten (aOR = 3,1) oder täglich Cannabis konsumierten (aOR = 3,59), im Vergleich zu Jugendlichen, die das nie machten.

Ergänzend oder alternativ zu den Analgetika wirkt topisches, 10%iges Pfefferminzöl schmerzlindernd – es sollte am besten dreimal im Abstand von je 15 Minuten großflächig auf Stirn und Schläfen aufgetragen werden. Darüber hinaus ist es wichtig, die Kopfschmerzpatienten zu einer gesunden Lebensführung anzuleiten, die genügend Schlaf und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr umfasst.

Multimodale Prophylaxe

Zur Prophylaxe von Kopfschmerz­attacken vom Spannungstyp bieten sich verschiedene nicht-medikamentöse Strategien an. Beispielsweise kann regelmäßiger Sport sowohl die Schmerzintensität und -dauer als auch die Kopfschmerzfrequenz reduzieren. Hier punktet ein mindestens sechswöchiges Krafttraining für die Schulter-Nacken-Muskulatur vor hochintensivem und moderatem Ausdauertraining. Auch Physiotherapie ist effektiv. In der Leitlinie neu empfohlen werden gezielte Übungen für den Nacken­bereich, Weichteiltechniken wie die Triggerpunkt-Massage und die manuelle Therapie. Vor allem bei Patienten mit einem hohen Stresslevel und mit psychischer Komorbidität (Depression oder Angststörung) sind zudem psychologische Verfahren anzuraten: Entspannungstechniken (z. B. progressive Muskelrelaxation, autogenes Training), Biofeedback, Achtsamkeitstraining oder kognitive Verhaltens­therapie inklusive Stressbewältigung. Generell zeigen Kombinationen von unterschiedlichen nicht-medikamentösen Verfahren einen größeren Effekt als Einzelinterventionen. 

Von einer zusätzlichen medikamentösen Prophylaxe profitieren besonders Patienten mit hoher Kopfschmerzfrequenz – einem chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (mindestens 15 Kopfschmerztage/Monat seit mindestens drei Monaten) oder einem häufigen episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp. Durch die Kombination von nicht-medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen lässt sich die Lebensqualität der Betroffenen verbessern und die Gefahr einer zu häufigen Einnahme von Akutmedikation mit drohendem Medikamentenübergebrauch abwenden. 

Medikamentöse Prophylaxe

Rang 1 unter den medikamentösen Prophylaktika bei chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp nimmt Amitriptylin (25 bis 150 mg pro Tag) ein, als Mittel der zweiten Wahl bewertet wird Mirtazapin. Die Studienlage zu anderen Verfahren ist uneinheitlich oder sehr begrenzt, etwa der Akupunktur, dem Dry Needling, bei dem eine sterile Akupunkturnadel gezielt in die schmerzauslösende Stelle gestochen wird, damit sich die verkrampfte Muskulatur entspannt, oder der Triggerpunkt-Injektion (z. B. mit Procain). Diese Verfahren sind einen Therapieversuch wert, wenn medikamentöse Therapien unerwünscht oder unwirksam sind.

Literatur

Haag G et al. Self-medication of migraine and tension-type headache: summary of the evidence-based recommendations of the Deutsche Migrane und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), the Deutsche Gesellschaft fur Neurologie (DGN), the Osterreichische Kopfschmerzgesellschaft (OKSG) and the Schweizerische Kopfwehgesellschaft (SKG). J Headache Pain 2011;12(2):201-17; doi: 10.1007/s10194-010-0266-4

Neeb L et al. S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp, AWMF-Registernummer 030-077, Stand: Dezember 2023, https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-077l_S1_Diagnostik-Therapie-Kopfschmerz-Spannungstyp_2024-03.pdf

Kopfschmerzursachen bei Jugendlichen: Lange Bildschirmzeiten, unregelmäßige Mahlzeiten, spätes Zubettgehen, Cannabis. Pressemitteilung der DGN vom 9. April 2024

Nilles C et al. Lifestyle Factors Associated With Frequent Recurrent Headaches in Children and Adolescents: A Canadian Population-Based Study. Neurology 2024: 26;102(6):e209160, doi: 10.1212/WNL.0000000000209160. Epub 2024 Feb 28. PMID: 38417103

Straube A et al. S1-Leitlinie Therapie des episodischen und chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp und anderer chronischer täglicher Kopfschmerzen, Stand: 2025, http://www.neurochirurgie-baden.de/wp-content/themes/neuro/images/pdf/Leitlinie_chronischer_taeglicher_Kopfschmerz.pdf


Dr. Ines Winterhagen, Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Neue Empfehlungen bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp

Mehr als verspannt

Was Pfefferminzöl, Analgetika und Antidepressiva bei Spannungskopfschmerzen leisten können

Mit Arzneimitteln gegen den „zu engen Hut“

Neue Leitlinie zum Medikamenten-Übergebrauch beschreibt Auswege aus dem Teufelskreis

Kopfschmerzen durch zu viele Kopfschmerzmittel

Leitlinie zu Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch veröffentlicht

Ausweg aus dem Teufelskreis

Wie es um die wissenschaftliche Evidenz von Kombinationsanalgetika bei Kopfschmerzen steht

Besser mit Coffein?

Durch Achtsamkeitsübungen Frequenz von Migräneattacken senken

Im Hier und Jetzt gegen den Schmerz

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.