Europawahl

Was plant Europa im Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen?

Berlin - 04.06.2024, 17:50 Uhr

Die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen ist für die EU ein wichtiges Thema. (Foto: Alessandro Grandini /'AdobeStock)

Die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen ist für die EU ein wichtiges Thema. (Foto: Alessandro Grandini /'AdobeStock)


In der EU hat man sich den Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen auf die Fahnen geschrieben. Beim ersten Aufschlag fürs Pharmapaket fürchteten einige schon, die Kommission schieße übers Ziel hinaus. Wie ist der Stand der Dinge? Was erwartet die Apotheken? Und welche Rolle spielt das Thema bei der anstehenden Wahl des Europa-Parlaments?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft antimikrobielle Resistenzen als eine der zehn größten globalen Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit ein. Die Europäische Kommission sieht sie gar als eine der drei größten Gesundheitsgefahren. Allein in der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum gehen laut Kommission jedes Jahr mehr als 35.000 Todesfälle auf das Konto antimikrobieller Resistenzen. Daneben verursachen sie auch erhebliche Kosten, vor allem für die Gesundheitssysteme.

Auch im Pharmapaket, das derzeit auf europäischer Ebene geschnürt wird, spielt die Bekämpfung dieser Resistenzen eine wichtige Rolle. Es geht dabei zum einen darum, die Entwicklung neuer Antibiotika bzw. antimikrobieller Mittel zu fördern. Ziel ist aber auch, dass die wichtigen und zugleich problematischen Mittel umsichtig verwendet werden. Die EU-Kommission sah in ihrem Richtlinien-Vorschlag für die Revision des europäischen Arzneimittelrechts unter anderem vor, Arzneimittel mit einem antimikrobiellen Wirkstoff künftig der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Zugleich definierte sie „antimikrobielles Mittel“ als „jedes zur Therapie oder Abwehr von Infektionen oder Infektionskrankheiten eingesetzte Arzneimittel mit unmittelbarer Wirkung auf Mikroorganismen, einschließlich Antibiotika, Virostatika und Antimykotika“.

Bei allem Verständnis dafür, dass Antibiotikaresistenzen bekämpft werden müssen, sorgte dieses weitgehende Vorhaben vor allem bei OTC-Herstellern, aber auch unter Apotheker*innen für Unruhe. Denn das würde bedeuten, dass auch bewährte rezeptfreie Produkte wie beispielsweise Canesten, Neo-Angin oder Octenisept verschreibungspflichtig würden. Manch einer dachte zunächst an einen Schreibfehler und dass eigentlich nur „antibiotische“ Mittel gemeint sein sollten. Doch so war es nicht.

Sogar der Bundesrat lehnte im vergangenen November in seiner Stellungnahme zum EU-Pharmapaket ab, „dass Arzneimittel nur deshalb der ärztlichen Verschreibungspflicht unterstellt werden sollen, weil diese einen antimikrobiell wirksamen Wirkstoff enthalten“.

Im vergangenen April hat sich dann das Europäische Parlament zu den Vorlagen der Kommission positioniert. Auch hier hat man eine einschränkende Änderung im Sinn. Demnach soll die Verschreibungspflicht nicht für jeden mikrobiellen Wirkstoff gelten, sondern wenn „es sich um ein Antibiotikum oder einen anderen antimikrobiellen Wirkstoff handelt, bei dem das Risiko einer antimikrobiellen Resistenz festgestellt wurde“.

Apotheker sollen zur umsichtigen Verwendung beraten

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer vom Parlament beschlossener Positionen, die den sorgsamen Umgang mit den fraglichen Produkten im Auge haben. So soll in den Erwägungsgründen zur neuen Richtlinie beispielsweise festgehalten werden, dass Apotheker und andere Angehörige der Gesundheitsberufe „einen Beitrag zum verantwortungsvollen Umgang mit antimikrobiellen Mitteln leisten [sollten], unter anderem durch Beratung hinsichtlich der umsichtigen Verwendung von Antibiotika und anderen antimikrobiellen Mitteln sowie ihrer ordnungsgemäßen Entsorgung“. Zudem sollten die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten „die Verfügbarkeit rascher Diagnosetests in den Mitgliedstaaten fördern“.

Noch ist Bewegung im Pharmapaket, es wird voraussichtlich noch eine gute Weile dauern, bis es in trockenen Tüchern ist. Insbesondere steht noch ein Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Mitgliedsstaaten an – und vorher findet noch die Europawahl statt.

Ein Blick in die Wahlprogramme einiger Parteien

Die DAZ hat in die Wahlprogramme der größeren Parteien geschaut, ob sich dort Aussagen zu Antibiotika- beziehungsweise antimikrobiellen Resistenzen finden.

Während in den Programmen der Union, der FDP und der AfD das Thema keine besondere Erwähnung findet, sieht es bei SPD und Grünen anders aus.

SPD strebt globales Abkommen an

So ist im Gesundheitskapitel des SPD-Europawahlprogramms folgendes zu lesen: „Wir wollen neue Anreize für die Forschung und die Entwicklung dringend benötigter neuartiger Antibiotika schaffen. Zugleich wollen wir eine stärkere Beaufsichtigung der Antibiotikanutzung, um auf die zunehmend grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohung der wachsenden Resistenz zu antworten. In diesem Sinne werden wir uns für eine vollständige Umsetzung des europäischen One-Health-Aktionsplans gegen antimikrobielle Resistenzen und verstärkter Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern einsetzen, mit dem Ziel ein globales Abkommen über die Verwendung und den Zugang zu antimikrobiellen Mitteln herbeizuführen“.

Grüne setzen auf schnelle Diagnosetests

Die Grünen konstatieren in ihrem Programm: „Antibiotika können Menschenleben retten“. Damit dies auch in Zukunft gewährleistet sei, müssten Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Wirksamkeit dauerhaft zu garantieren. „Durch einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika wollen wir die Entstehung und Verbreitung multiresistenter Keime verhindern“. Angesicht der vielen Todesfälle weltweit sei es „wichtig, dass Antibiotika und hochpotente Desinfektionsmittel nur dort eingesetzt werden, wo es sie wirklich braucht bzw. wo sie jeweils geeignet sind“. Schnelle Diagnosetests, die vor einer Verschreibung überprüfen, ob die Behandlung mit Antibiotika geboten ist, müssten in ausreichender Menge verfügbar sein, heißt es.

 

Zudem wollen die Grünen die EU-Liste für Reserveantibiotika, die für die Humanmedizin vorbehalten bleiben und nicht in der industriellen Tierhaltung eingesetzt werden dürfen, an den entsprechenden Kriterien der WHO ausrichten. Nicht zuletzt müssten neue Anreize für die Entwicklung medizinischer Innovationen geschaffen werden – das schließe insbesondere neue Finanzierungsmodelle wie angepasste Vergütungsmodelle für Reserveantibiotika ein.

Klar ist: Um antimikrobiellen Resistenzen nachhaltig beizukommen, ist noch einiges zu tun. Ein europaweiter oder gar globaler Ansatz ist dabei unerlässlich.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

langer Hebel - kurzer Hebel

von Holger am 05.06.2024 um 9:00 Uhr

Über 90% der Antibiotika werden in der (industriellen) Tierhaltung eingesetzt - und ich mutmaße mal: wohl selten indikationsgerecht! Also ich wüsste, wo ich da politisch anzusetzen hätte ... und bitte NICHT nur in Bezug auf Reserveantibiotika, wie die Forderung der Grünen im letzten Absatz ja zitiert wird!!

Progrediente Resistenzproblematiken bei Dermatophyten sind mir hingegen nicht bekannt. Clotrimazol et. al. also der Verschreibungspflicht zu unterstellen, wäre der Versuch der Bekämpfung eines Problems, das überhaupt nicht exisistiert.

Mit allem Verlaub, aber wenn die EU so weitermacht, dürfen wir uns über immer weiter steigende Anteile "der Rechten" Wählerstimmen bzw. Abgeordneten nicht wundern.

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