Aufgaben und Versorgung

Fußball-EM: Was darf der Arzt am Spielfeldrand?

Stuttgart - 21.06.2024, 09:15 Uhr

Mannschaftsärzte dürfen im Fußball nur in zwei Situationen unaufgefordert auf das Spielfeld laufen: bei Verdacht auf einen plötzlichen Herzstillstand oder bei einer Kopfverletzung. Foto IMAGO / Abacapress

Mannschaftsärzte dürfen im Fußball nur in zwei Situationen unaufgefordert auf das Spielfeld laufen: bei Verdacht auf einen plötzlichen Herzstillstand oder bei einer Kopfverletzung. Foto IMAGO / Abacapress


Die Fußball-EM ist im vollen Gange. Auch zahlreiche Mannschaftsärzte begleiten die Teams während des Turniers. Welche Arzneimittel dürfen sie verabreichen, und was ist im Sportarztkoffer?

Wenn Ärzte Profifußballer auf dem Spielfeld untersuchen und behandeln müssen, stehen sie oft vor der Herausforderung, in kürzester Zeit zu entscheiden, ob eine Verletzung schwerwiegend ist und ob ein Spieler ausgewechselt werden muss oder weiterspielen kann. Diese Aufgabe hat in der deutschen Nationalmannschaft Prof. Dr. Tim Meyer, der das DFB-Team bereits bei sechs Welt- und fünf Europameisterschaften als Teamarzt begleitet. Auch bei der gerade laufenden EM 2024 ist er der betreuende Mediziner für die DFB-Auswahl.

Sein Kollege Dr. med. Marcus Schweizer, Mannschaftsarzt beim Bundesliga-Zweitligisten Karlsruher SC, erläutert, wie Ärzte auf und neben dem Spielfeld agieren und welche Arzneimittel in welcher Form eine Rolle spielen – sei es in der Liga oder bei Turnieren.

Mehr zum Thema

Kooperation mit Haleon-Marken 

„Kicker“-Sonderheft zur EM in Apotheken

Informationen der Apothekenkammer Berlin auch über ausländische Rezepte

Notdienste während der Fußball-EM

Was sind die Aufgaben eines Mannschaftsarztes bei einem großen Fußballturnier und im Liga-Alltag?

Der Mannschaftsarzt im Fußball übernimmt eine wichtige Rolle bei der medizinischen Betreuung der Spieler. Dies gilt nicht nur während der Spiele, sondern auch im Alltag. Während eines Turniers wie der Fußball-Europameisterschaft ist das medizinische Team rund um die Uhr für die Mannschaft da. Unter der Woche kommen die Spieler in die Praxis des Mannschaftsarztes, und an den Wochenenden sind Team und Ärzte meist einen Tag vor dem Spiel (auswärts) oder am Mittag vor dem Spiel (bei Heimspielen) zusammen. Generell sind Mannschaftsärzte rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, als Ratgeber für alle medizinischen Belange erreichbar. 

Die besondere Herausforderung für den Mannschaftsarzt besteht darin, die Interessen des Trainers und der Spieler im Sinne des Teamerfolgs auszubalancieren. „Im Profibereich sollte der Arzt bei akuten Diagnosen auf dem Spielfeld zurückhaltend sein, um Falschmeldungen in Medien vorzubeugen“, erläutert Marcus Schweizer.

Wann darf der Mannschaftsarzt zu einem verletzten Spieler auf das Spielfeld? 

In der Regel betreten die Mannschaftsärzte das Spielfeld auf Anweisung des Schiedsrichters. Dieser kann gemäß den Spielregeln zwei Ärzten erlauben, auf das Spielfeld zu kommen, um einen verletzten Spieler zu behandeln. Es gibt im Fußball nur zwei Situationen, in denen der Teamarzt unaufgefordert auf das Spielfeld laufen darf: bei Verdacht auf einen plötzlichen Herzstillstand oder bei einer Kopfverletzung, wie zum Beispiel einer Gehirnerschütterung nach einem Zusammenprall von Spielern im Strafraum. Handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche Situation, entscheidet der Sportler nach der Erstversorgung auf dem Spielfeld selbst, ob er weiter am Spiel teilnimmt. Der Mannschaftsarzt kann ihn bei der Entscheidungsfindung beraten. 

Eine Ausnahme stellen Kopfverletzungen mit Bewusstseinstrübung dar: Hier entscheidet der Arzt, ob der Sportler vom Platz geholt wird. Bei Verdacht auf eine Gehirnerschütterung kann der Schiedsrichter das Spiel für drei Minuten unterbrechen, damit der Teamarzt den Spieler auf dem Feld untersuchen und feststellen kann, ob eine Gehirnerschütterung vorliegt. Anschließend darf der verletzte Spieler nur mit der Einwilligung des Teamarztes weiterspielen, der die endgültige Entscheidung trifft.

Dr. Marcus Schweizer: Der 61-jährige Orthopäde hat eine Praxis in der Karlsruher Innenstadt und betreut außerdem seit mehr als 
20 Jahren das Profi-Team des KSC. Die zeitliche Belastung Schweizers ist enorm. „Ich bin bei jedem Trainingslager dabei. Die Wochenenden sind alle weg. Ist das Auswärtsspiel weiter als 400 Kilometer entfernt, fahre ich am Tag vor der Partie mit dem Bus mit, sind es weniger, komme ich auch mal am Spieltag nach. Ohne Herzblut kann man diesen Job nicht machen.“ 

Was gehört in den Koffer des Mannschaftsarztes?

Jeder Fußballfan hat es schon häufiger gesehen: Nach einem Foulspiel liegt ein Spieler am Boden und kann nicht mehr aufstehen. Der Mannschaftsarzt und die Physiotherapeuten eilen auf den Platz, um den verletzten Spieler sofort zu behandeln. Dabei tragen sie meist einen Koffer mit verschiedenen Utensilien bei sich. Doch was gehört eigentlich in diesen Arztkoffer?

Bei einem Turnier wie der Fußball-EM gibt es nicht nur einen Koffer, sondern mehrere. Der Sportarztkoffer unterscheidet sich von den Betreuungskoffern für die Sportphysiotherapeuten oder andere Betreuer. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten. 

Der wesentliche Unterschied beim Gebrauch eines Sportarztkoffers besteht darin, dass die Ausgabe und Verordnung von Arzneimitteln ausschließlich dem Arzt obliegt. Im Gegensatz dazu besteht ein Großteil der auf dem Spielfeld benötigten Utensilien aus nichtmedikamentösen Materialien. Dazu gehören verschiedene Verbandsmaterialien, Tapes, Salben und vor allem Eis oder Eisspray. Ob Spray oder Eis verwendet wird, hängt oft von der persönlichen Präferenz des Mannschaftsarztes und des Betreuerstabs ab. Der Nutzen ist jedoch derselbe: Man möchte Schwellungen verhindern, damit die Spieler möglichst schnell wieder ins Spiel zurückkehren können.

Packliste Arztkoffer - Beispiel:

Box mit Eiswasser und Schwämmen – Kühlbox mit Eiswasser/Crushed-Eis, Kältespray, Chloräthyl-Spray, Schwämme, ggf. Kompressionssystem, Fieberthermometer, Blutzuckermessgerät, Blutdruckmessgerät, Taschenlampe, Rettungsdecke, Zahnbox (z. B. Dento-Safe®), Set zur Wundversorgung inkl. Abdeckung (ggf. als steriles Einmalset, SUSI®), Wundnahtstreifen (z. B. SteriStrips®), Hautklammergerät, Gewebekleber (z. B. Histoacryl®), Beatmungsmaske/-beutel und Guedel-Tubus, Immobilisationssysteme für die Extremitäten in verschiedenen Größen und für verschiedene Gelenke (z. B. SAM Splint®, Delta-Cast®), Halswirbelsäulenimmobilisationskragen (z. B. Stifneck®), unterschiedliche Injektionsnadeln und Spritzengrößen, Lokalanästhetika, NaCl-Ampullen, Entsorgungsbehälter für Injektionsnadeln etc., ggf. Minimalset mit Notfallmedikamenten (z. B. für anaphylaktische Reaktionen, Epilepsie), Arzneimittel gegen Übelkeit und Erbrechen (z. B. Ondansetron, Dimenhydrinat), Arzneimittel gegen Diarrhö (z. B. Loperamid), Ausgleich von Salz- und Wasserverlusten (z. B. Elotrans®), Arzneimittel gegen Magenbeschwerden und Sodbrennen (z. B. Magaldrat, Pantoprazol), abschwellende Nasentropfen (z. B. Xylometazolin) und NaCl-Lösung/-Spülung, Erkältungspräparate (z. B. Halspastillen, Inhalationslösung/-tropfen, Vitamin-C-Brausetabletten), Arzneimittel bei Asthma (z. B. Salbutamol Dosieraerosol), fiebersenkende Mittel und Schmerzmittel (z. B. Paracetamol, NSAR), entzündungshemmendes Gel (z. B. Diclofenac), Heparinsalbe, Wärmesalbe, Arzneimittel gegen Sonnenbrand, Allergie  (z. B. Soventol®-/Fenistil®-Gel), Augen- und Nasensalbe bei Läsionen der  Augenbindehaut oder Nasenschleimhaut, Fettcreme, Massageöl, Desinfektionsmittel (zugelassen für Injektion/Wundversorgung, Schleimhaut, Händedesinfektion), Pflaster, Blasenpflaster, Pflastersprühverband, Kompressen steril, Tupfer, Wattestäbchen, elastische Binden, antiadhäsive Wundauflagen für nässende Wunden (z. B. UrgoTül®, Allevyn®), Schere, Pinzette, Fremdkörperpinzette, Einmalskalpell, Einmalhandschuhe (steril und unsteril), Dextrosetäfelchen (bei Hypoglykämie), Tape in unterschiedlichen Breiten, Sicherheitsnadeln

Werden Schmerzmittel auf dem Sportplatz eingesetzt?

Fußball ist eine Kontaktsportart, bei der man unweigerlich in zum Teil harte Zweikämpfe verwickelt wird. In jedem Training und bei jedem Spiel – vor allem bei einem Turnier – zeigen die Sportler vollen Einsatz: Jeder Profi will spielen und dann auch seine beste Leistung bringen. So ist es unvermeidlich, dass man im Kampf um den Ball einen Schlag auf den Fuß oder auf ein anderes Körperteil bekommt, was oft sehr schmerzhaft sein kann. Im Spiel, erklärt Mannschaftsarzt Schweizer, stehen die Spieler meist so unter Adrenalin, dass sie keinen großartigen Schmerz verspüren – es sei denn, es handelt sich um eine ernsthafte Verletzung. „Da fragt keiner nach einem Schmerzmittel.“ 

Schmerzmittel spielen eher bei bestehenden Verletzungen eine Rolle, die während der Belastung des Spiels wieder aufflammen. Dann könne ein Analgetikum am Spielfeldrand oder beispielsweise in der Halbzeitpause gegeben werden, so Schweizer. In der Regel werden die Arzneimittel oral eingenommen. Zu den gängigen Schmerzmitteln gehören Diclofenac, Ibuprofen, ASS, Paracetamol und Etericoxib.

Doping oder nicht? Hilfestellung durch die NADA App

Um sicherzustellen, dass verabreichte Arzneimittel den aktuellen Vorgaben in Sachen Doping entsprechen, nutzen die Mannschaftsärzte im Profisport die „NADA App“. Die Stiftung Nationale Anti Doping Agentur Deutschland ist die maßgebliche Instanz für sauberen Sport in Deutschland. Im Juli 2002 wurde die NADA gegründet und anerkannt. Seither setzt sie sich für Fairness und Chancengleichheit im Sport ein. Die App der NADA und die dieser zugrundeliegende Datenbank NADAmed zeigen bei Wirkstoffeingabe an, ob der entsprechende Stoff im Spiel, im Training oder im Spiel und im Training erlaubt ist. Bei bestimmten Substanzen ist eine mehrtägige Pause erforderlich, ehe der Sportler wieder spielen darf.  


Cornelia Neth, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Verräterischer Müll

Entzündungshemmer im EM-Quartier

Warum die prophylaktische Anwendung von Analgetika keine gute Idee ist

Gefährliche Kombi Schmerzmittel und Sport

Profi-Tipps für den Sport-Verbandskasten

Hilfe für die erste Hilfe

Vor Fußball wird gewarnt

Die Folgen von Blutgrätsche und Co.

Sportverletzungen vorbeugen und behandeln

Autsch!

Interview Dr. Ulrich Schleicher (Mannschaftsarzt Hertha BSC)

Nehmen Profifußballer exzessiv Schmerzmittel ein?

0 Kommentare

Kommentar abgeben

 

Ich akzeptiere die allgemeinen Verhaltensregeln (Netiquette).

Ich möchte über Antworten auf diesen Kommentar per E-Mail benachrichtigt werden.

Sie müssen alle Felder ausfüllen und die allgemeinen Verhaltensregeln akzeptieren, um fortfahren zu können.