Von nützlichen und schädlichen Bakterien

Wie das Hautmikrobiom die Wundheilung beeinflusst

Stuttgart - 21.06.2024, 07:00 Uhr

Manche dermalen Bakterien unterstützen die Wundheilung, andere sind eher hinderlich oder gar schädlich. (aam460/AdobeStock)

Manche dermalen Bakterien unterstützen die Wundheilung, andere sind eher hinderlich oder gar schädlich. (aam460/AdobeStock)


Die Wundheilung ist ein komplexer Prozess, der von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Auch das Hautmikrobiom spielt eine entscheidende Rolle. Das bietet mögliche neue Behandlungsansätze für ein effektiveres Wundmanagement ‒ besonders im Bereich chronischer Wunden.

Die menschliche Haut ist eine wichtige Schnittstelle zwischen dem Körper und der Umwelt. Auf der Hautoberfläche finden sich pro Quadratzentimeter schätzungsweise eine Milliarde Mikroben. Diese vielfältige Gemeinschaft kommensaler Bakterien, Pilze und Viren ist ein wesentlicher Bestandteil der Hautbarriere und nimmt auf mehreren Ebenen Einfluss. Zum einen bietet das gesunde Hautmikrobiom eine Kolonisationsresistenz, verhindert also, dass sich pathogene Organismen ansiedeln und schützt damit den Körper vor Krankheitserregern. 

Zudem sind die Mikroben an der Differenzierung und Epithelbildung der physischen Hautbarriere beteiligt. Sie stärken auch die chemische Barriere der Haut, indem sie Lipasen produzieren. Diese bauen die Talg-Triglyceride zu freien Fettsäuren ab, die den Säuregrad der Haut erhöhen und so wiederum die Besiedelung durch pathogene Keime einschränken. Schließlich stimulieren die Mikroben die angeborene und adaptive Immun­abwehr, indem sie antimikrobielle Peptide freisetzen, eine neonatale Toleranz induzieren und eine schützende Immunität entwickeln. Aus diesen vielfältigen Aufgaben wird deutlich: Nach einer Schädigung der Hautbarriere ist der Körper für die Wundheilung auf die verschiedenen Mikroben angewiesen [1].

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Das wichtigste in Kürze

  • Das Hautmikrobiom spielt eine entscheidende Rolle bei der Wundheilung.
  • Die gutartigen Bakterien fördern die Abwehr von Krankheitserregern sowie Reepithelisierung und Wundverschluss.
  • Pathogene Keime verzögern die Wundheilung. Sie bilden oft Biofilme und entziehen sich dadurch der Immunabwehr oder Antibiotika.
  • Biofilme kommen in 60-80% der chronischen Wunden vor, etwa bei Verbrennungen, Druck­geschwüren und diabetischen Fußgeschwüren.
  • Topische und orale Probiotika zeigen positive Wirkungen auf Wunden.

Vier Phasen der Wundheilung

Die Wundheilung ist sehr komplex. Zahlreiche verschiedene Haut-, Immun- und Gefäßzellen sowie Wachstumsfaktoren und Zytokine sind daran beteiligt. Der Prozess läuft in vier Phasen ab: 1. Hämostase, 2. Entzündung, 3. Proliferation und 4. Remodellierung. Kurz nach einer Verletzung ziehen sich die Gefäße zusammen, um die Blutung zu stoppen. Immunzellen – wie epidermale Keratinozyten, neutrophile Granulozyten und Makrophagen ‒ werden angelockt und Bakterien sowie Zelltrümmer aus der Wunde entfernt. In der proliferativen Phase wachsen neue Blutgefäße und Fibroblasten lagern Kollagen ein. In der abschließenden Remodellierungsphase wird das Granulationsgewebe nach und nach durch zellarmes Narbengewebe ersetzt und die Hautbarriere wiederhergestellt.

Bei chronischen Wunden ist die Hautheilung jedoch oft beeinträchtigt. Im Gegensatz zu akuten Wunden regeneriert sich die Haut hier nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen, sondern der Heilungsprozess zieht sich mitunter über Jahre hin. Der Grund: Chronische Wunden bleiben in der Entzündungsphase stecken. Diese anhaltende und kontinuierliche Entzündung kann Komplikationen wie Nekrosen, anhaltende Superinfektionen sowie die Bildung arzneimittelresistenter mikrobieller Biofilme hervorrufen [2].

Multifaktorielle mikrobielle Wirkmechanismen

Bei Biofilmen auf chronischen Wunden lässt sich in Zukunft möglicherweise mit einer Mikrobiom-Behandlung ansetzen. Denn die Mikroben der Haut wirken sich vielfältig auf die Wundheilung aus. Jüngste Studien haben sowohl die Wechselwirkungen der zahlreichen mikrobiellen Spezies untereinander als auch die Interaktionen mit dem Wirtsimmunsystem aufgezeigt [3].

Je nach Art der Bakterien sind verschiedene Mechanismen bekannt. Grundsätzlich verzögern pathogene Keime den Wundverschluss. Sie sind verantwortlich für die antimikrobielle Resistenz, führen zur Biofilmbildung und können damit einer effektiven Immunantwort entkommen (s. Abb. 1).

Abb. 1: Die Guten und die Bösen: Mikrobielle Mechanismen, die die Wundheilung beeinflussen Pathogene Bakterien haben verschiedene Virulenzfaktoren, die zu einer verzögerten Wundheilung führen (links). Im Gegensatz dazu können nützliche Mikroorganismen den Wundverschluss beschleunigen, indem sie mehrere Phasen der Heilung beeinflussen (rechts). Die gutartigen Bakterien stimulieren die angeborene und erworbene Immunantwort und fördern die antimikrobielle Abwehr sowie die Wiederherstellung einer funktionalen epidermalen Barriere [3]. AHR: Aryl-Kohlenwasserstoff-Rezeptor der Keratinozyten

Nützliche Mikroorganismen

Nach einer Verletzung tragen Kommensalen der Haut zur Wundheilung bei. Hierzu aktivieren und rekrutieren sie Immunzellen, die für einen erfolgreichen Wundverschluss erforderlich sind.

Vor allem der Bakterienstamm Staphylococcus epidermidis kann die Immunantwort des Wirts stärken. Insbesondere werden bakterienspezifische T-Zellen induziert. Sie weisen unterschiedliche Gensignaturen auf, die für Gewebeumbau und Angiogenese sorgen und letztlich für eine Re­epithelisierung. Das Hautmikrobiom fördert auch die Entwicklung einer anderen, angeborenen Untergruppe von T-Zellen, der mukosaassoziierten invarianten T-Zellen (MAIT). Diese erkennen Stoffwechselprodukte von Bakterien und schütten bestimmte Zytokine aus, welche die antimikrobielle Immunantwort steuern.

Das geschieht auch über sogenannte antimikrobielle Peptide (AMP), welche das Wachstum von Krankheitserregern hemmen. Entweder bilden die gutartigen Bakterien diese AMPs selbst (z. B. S. epidermidis, Propionibakterien, Koagulase-negative Staphylokokken (CoNS) wie Staphylococcus lugdunensis) oder die Mikroben regen die AMP-Expression in Immunzellen und Keratinozyten des Wirts an.

Neben der Immunantwort beeinflussen die Kommensalen der Haut auch die Wiederherstellung einer funktionalen epidermalen Barriere, indem sie den Aryl-Kohlenwasserstoff-Rezeptor (AHR) der Keratinozyten aktivieren. Bestimmte Bakterienstämme können zudem die Bildung von Biofilmen hemmen, Lactobacillus plantarum etwa behindert die Entwicklung eines Biofilms von Pseudomonas aeruginosa,S. epidermidis die Biofilmbildung von S. aureus [3].

Der Biofilm in chronischen Wunden

Der beschriebene Dialog zwischen den Wirtszellen und dem Mikrobiom ist bei chronischen Wunden gestört. Hier gelingt es der Immunreaktion des Wirtes oft nicht, die bakterielle Infektion zu beseitigen, was zu anhaltender Entzündung und unvollständiger Wundheilung führt. Zudem bilden pathogene Mikroben in chronischen Wunden oft Biofilme, das heißt komplexe mikrobielle Gemeinschaften, die von einer polymeren Matrix aus Polysacchariden, Lipiden, Proteinen und Nukleinsäuren umgeben sind. Biofilme kommen in 60 bis 80% der chronischen Wunden vor und fördern das bakterielle Überleben [4]. Sie schützen pathogene Keime gegen die Abtötung durch Immunzellen und Antibiotika, wodurch die Wundheilung verzögert wird. Zu den mit Biofilmen assoziierten Hauterkrankungen gehören Verbrennungen, Druckgeschwüre, Infektionen an der Operationsstelle und diabetische Fußgeschwüre. Topische und orale Antibiotika sind dann oft unwirksam und können die Infektion sogar verschlimmern, da sie den Biofilm nicht angreifen können und die nativen, schützenden Bakterien stören. [2]

Bereits im Einsatz: Mikrobiom-Hautpflege

Anwendungen, die auf das Hautmikrobiom abzielen, werden bereits bei Patienten mit atopischer Dermatitis (AD) genutzt. Untersuchungen haben einen Mangel an antimikrobiellen Peptiden in der Haut dieser Patienten gezeigt. Der Mangel beeinträchtigt die Fähigkeit, die übermäßige Besiedlung der Haut mit Staphylococcus aureus und nachfolgende Infektionen zu stoppen. 

Um das Hautmikrobiom bei atopischer Dermatitis im Gleichgewicht zu halten, werden bereits einige Pflegepräparate mit mikrobiellen Zusätzen eingesetzt, etwa mit gewissen Lactobacillus-Stämmen oder mit Lysaten von Vitreoscilla filiformis (z. B. La Roche-Posay Lipikar Baume AP+M, Avène XeraCalm A.D. Rückfettender Balsam, Symbio® Dermal Emulsion). Sie verbessern Ekzem und Juckreiz sowie das Hautmikrobiom, indem sie die Bildung von S. aureus und Biofilmen verringern und die Diversität, also die Vielfalt des Mikrobioms, wiederherstellen [10]. 

Auch für die Hautpflege von Rosazea und Akne stehen bereits probiotische Produkte zur Verfügung. Zur Heilung kleinerer Wunden auf dem Markt ist das Produkt Cicaplast Baume B5+ von La Roche-Posay. Es enthält neben Dexpanthenol, Zink-Mangan und Madecassosiden den präbiotischen Wirkstoff Tribioma aus Zuckern, Pflanzenextrakten und Fermenten. Dieser sollt laut Firmenangaben das Mikrobiom wieder ins Gleichgewicht bringen, indem pathogene Keime gehemmt und gute Bakterien gefördert werden.

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Perforine durchlöchern die Zellmembran

Neben Biofilmen sind auch andere Faktoren an chronischen Wundinfektionen beteiligt. Beispielsweise können pathogene Keime, allen voran der weit verbreitete Haut- und Wunderreger S. aureus, eine intrazelluläre Nische in der Epidermis schaffen. Bei einer Wunde kommt es normalerweise zu einer erhöhten Expression von Perforin-2 (P2), einem antimikrobiellen Peptid. Diese Perforine durchlöchern die Zellmembran, durch die sogenannte Granzyme – das sind Enzyme aus der Gruppe der Serinproteasen in den intrazellulären Granula von Natürlichen-Killer-Zellen (NK-Zellen) und zytotoxischen T-Zellen – in die Zellen eindringen und Apop­tose einleiten.

Kommensale Bakterien induzieren die Perforin-2-Produktion durch Keratinozyten und fördern die Wundheilung. Hingegen bewirken pathogene Bakterien (z. B. S. aureus) genau das Gegenteil, nämlich eine unterdrückte Perforin-2-Produktion und einen verlangsamten Wundverschluss [5, 6].

Mikrobiom bei verschiedenen Wundtypen

Studien zu verschiedenen Wundtypen haben Gemeinsamkeiten des Wundmikrobioms gezeigt. Zwei der häufigsten Bakterienarten, die sowohl in akuten als auch in chronischen Wunden unterschiedlicher Ätiologie nachgewiesen wurden, sind Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa. Beim diabetischen Fußgeschwür spielen neben S. aureus Streptokokken eine Rolle und Pilze. Bei Ulzera durch Sichelzellanämie sind es Staphylokokken und Corynebakterien, beim Dekubitus anaerobe Bakterien und bei den Verbrennungswunden gramnegative Bakterien wie P. aeruginosa [3, 7] (Abb. 2 [3]). 

Generell ist es wichtig, anaerobe Spezies in der Wundumgebung zu identifizieren, da sie mit schlechteren Heilungsergebnissen in Verbindung gebracht wurden. Mit den herkömmlichen kulturbasierten Methoden (Abstrich des Wundgewebes oder Entnahme von Débride­mentgewebe und anschließende quantitative Bakterienkultur) wurden die Anerobier und biofilmbildenden Bakterien jedoch häufig nicht ausreichend erfasst. Die Folge: Die bakterielle Belastung von Wunden wurde oftmals unterschätzt. Das hat sich nun dank kulturunabhängiger Mikrobiomanalysen wie der Sequenzierung des 16S-rRNA-Gens verbessert [8].

Abb. 2: Vergleich der Mikrobiota bei verschiedenen Wundtypen. In Studien zu verschiedenen Wundtypen - darunter diabe­tische Fußgeschwüre, Verbrennungen, Geschwüre bei Sichelzellkrankheit und Druckgeschwüre - wurden gemeinsame Vertreter der Wundmikrobiota identifiziert (mittlerer Kreis). Die unterschiedlichen mikrobiellen Signaturen der einzelnen Wundtypen sind ebenfalls hervorgehoben [3].

Probiotika in der Wundheilung: Studienlage

Mehrere In-vitro-Studien und einige In-vivo-Studien haben gezeigt, dass topische, aber auch orale Probiotika verschiedene positive Wirkungen auf Wunden haben können: Sie hemmen Pathogene und die Bildung von Biofilmen, verringern das Infektionsrisiko und beschleunigen die Wundheilung. Beobachtet wurde vor allem eine verbesserte Heilung diabetischer Fußgeschwüre, eine verringerte bakterielle Belastung bei Verbrennungswunden sowie eine günstigere Entzündungsreaktion bei Patienten mit chronischen venösen Ulzera. 

Eine vielversprechende Option für eine nicht-antibiotische Mikrobiombehandlung scheint auch die Verwendung von Bakteriophagen zu sein. Das sind Viren, die Bakterien infizieren und sich in ihnen, aber nicht in eukaryotischen Zellen vermehren und daher für den Menschen ungefährlich sind [2, 3]. Zudem laufen derzeit Forschungen zu einem Wundverband mit Laktobazillen. Erste Ergebnisse klingen vielversprechend [9].

Ausgewogenes Mikrobiom für die Wundheilung

Ein ausgewogenes Mikrobiom ist für eine optimale Wundheilung wichtig, da es die Vermehrung von Krankheitserregern einschränkt und das Risiko einer Infektion, einer anhaltenden Entzündung und einer Chronifizierung der Wunde senkt. Vielversprechende Ergebnisse aus In-vitro- und In-vivo-Studien sowie die wenigen klinischen Anwendungen weisen auf das große Potenzial des Hautmikrobioms für die Wundheilung hin und ebnen den Weg für neue therapeutische Strategien. Es sind jedoch weitere Forschungs­arbeiten erforderlich, um die Wechselwirkungen zwischen dem Hautmikrobiom und dem Wirt während der Wund­heilung besser zu verstehen. In Studien sollten ergänzende Ansätze, einschließlich metagenomischer Analysen, einbezogen werden, da sie zusätzlich nichtbakterielle Mikroorganismen (z. B. Pilze und Viren) identifizieren können, die ebenfalls Bestandteil des Hautmikrobioms sind und die Wund­heilungsergebnisse beeinflussen können.

Literatur

 [1] Harris-Tyron TA, Grice EA. Microbiota and maintenance of skin barrier function. Science 2022;376(6596):940-945; doi: 10.1126/science.abo0693

 [2] Canchy L et al. Wound healing and microbiome, an unexpected relationship. J Eur Acad Dermatol Venereol 2023;37 Suppl 3:7-15; doi: 10.1111/jdv.18854

 [3] White EK, Grice EA. The wound microbiome. Cold Spring Harb Perspect Biol 2023;15(6): a041218; doi: 10.1101/cshperspect.a041218

 [4] Malone M et al. The prevalence of biofilms in chronic wounds: a systematic review and meta-analysis of published data. J Wound Care 2017;26(1):20-25; doi: 10.12968/jowc.2017.26.1.20

 [5] Strbo N et al. Single cell analyses reveal specific distribution of anti-bacterial molecule Perforin-2 in human skin and its modulation by wounding and Staphylococcus aureus infection. Exp Dermatol 2019;28(3):225-232; doi: 10.1111/exd.13870

 [6] Tomic-Canic M et al. Skin microbiota and its interplay with wound healing. Am J Clin Dermatol 2020;21(Suppl 1):36-43; doi: 10.1007/s40257-020-00536-w

 [7] Misic AM et al. The wound microbiome: modern approaches to examining the role of microorganisms in impaired chronic wound healing. Adv Wound Care (New Rochelle) 2014;3(7):502–510; doi: 10.1089/wound.2012.0397

 [8] Wolcott RD et al. Analysis of the chronic wound microbiota of 2963 patients by 16S rDNA pyrosequencing. Wound Repair Regen 2016;24(1):163-74; doi: 10.1111/wrr.12370

 [9] Z Li et al. Successful eradication of biofilms in chronic wounds through probiotics-incorporated wound dressings. Microbes and Infection 2023, doi: https://doi.org/10.1016/j.micinf.2023.105176

[10] Luger T. Wundheilung. Das Mikrobiom der Haut als natürlicher Schutzfaktor (Expertentalk; Veranstalter: Fa. La Roche-Posay); www.springermedizin.de/das-mikrobiom-der-haut-als-natuerlicher-schutzfaktor/26545260; Abruf: 8. Mai 2024 


Dr. Ines Winterhagen, Apothekerin
redaktion@daz.online


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