Vermeidbares, aber wenig beachtetes Lungenkrebsrisiko

Radon: Gefahr aus dem Keller

Stuttgart - 26.06.2024, 17:50 Uhr

Vor allem aus alten, unzureichend abgedichteten Kellern, in denen der Untergrund stark mit Radon belastet ist, steigt das Gas in Wohnhäuser auf. (Foto: fottoo/AdobeStock)

Vor allem aus alten, unzureichend abgedichteten Kellern, in denen der Untergrund stark mit Radon belastet ist, steigt das Gas in Wohnhäuser auf. (Foto: fottoo/AdobeStock)


Das natürlich vorkommende radioaktive Edelgas Radon stellt durch seine Zerfallsprodukte eine nicht zu unterschätzende Ursache für Lungenkrebs dar. Bis zu 14 Prozent aller Bronchialkarzinome könnten Schätzungen zufolge darauf zurückgehen.

„Das Strahlende“, so lässt sich „Radon“, der Name des einzigen natür­lichen radioaktiven Edelgases übersetzen. Farb-, geruch- und geschmacklos findet es sich in Spuren natürlicherweise in der Erdatmosphäre. Ein Radon­atom kommt dabei im Schnitt auf 1021 (eine Trilliarde) Moleküle in der Luft. Tatsächlich sorgt Radon mit rund 1,1 Millisievert pro Jahr pro Person für den höchsten Anteil der natürlichen Strahlenbelastung, noch vor der kosmischen und terrestrischen Strahlung.

Das radioaktive Edelgas mit der Ordnungszahl 86 entsteht kontinuierlich in der Natur durch den langsamen Zerfall von Uran und Thorium – deren Isotope U238 und Th232 sich mit Halbwertszeiten von rund 4,4 Milliarden Jahren und rund 14 Milliarden Jahren dabei viel Zeit lassen. Radon mit dem hauptsächlich entstehenden Isotop Rn222 zerfällt dann deutlich schneller und energiereicher durch Alpha-Zerfall mit einer Halbwertszeit von nur 3,824 Tagen.

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Lichtblicke beim Lungenkarzinom

Unter normalen Umständen ist die Strahlenbelastung durch Radon für den Organismus kein Problem. Der geringe Anteil des Gases in der normalen Atem- und Umgebungsluft wird entweder wieder ausgeatmet oder entstandene Schäden durch die natürlichen Reparaturmechanismen ausgeglichen – schließlich existiert das Leben auf der Erde seit Anbeginn mit dieser natürlichen Strahlenquelle.

Radon in deutschen Gebirgsregionen 

Es gibt aber Umstände, welche die Gefahr durch Radon in ganz erheblichem Maße erhöhen können. So ist das Vorkommen des Edelgases regional ganz unterschiedlich verteilt. Erdgeschichtlich alte Gesteine wie Granit, Gneis oder Schiefer enthalten vergleichsweise mehr Uran und Thorium und sorgen daher dort, wo sie vermehrt vorkommen, auch für eine höhere Radon-Belastung. Das trifft insbesondere auf die Mittelgebirge wie etwa den Schwarzwald, den Bayerischen Wald, das Fichtel- oder das Erzgebirge zu, aber auch auf die Alpenregion. Da das Gas sich auch in Wasser gut löst, haben Grundwasserquellen aus diesen Gesteinen ebenfalls einen höheren Radongehalt, was jedoch pathologisch keine besondere Rolle spielt.

Vermehrtes Auftreten nicht-kleinzelliger Lungenkarzinome durch Radon-Belastung

Eine höhere Konzentration des strahlenden Gases in der Atemluft hat schädigende Wirkung auf den Organismus. So kannte man historisch seit dem späten Mittelalter im erzgebirgischen Schneeberg unter Bergleuten die „Schneeberger Krankheit“ [2], von der man heute weiß, dass es sich um Lungenkrebs gehandelt hat. 1567 beschrieb etwa Paracelsus diese auch als „Bergsucht“ bekannte Erkrankung. Ursache war die hohe Konzentration von Radon in den Bergwerken der Region, was aber erst seit dem 20. Jahrhundert bekannt ist. So dauerte es bis 1987, bis Radon in geschlossenen Räumen von der Weltgesundheits­organisation (WHO) als Karzinogen eingestuft wurde.

Problematisch an einer höheren Radonkonzentration ist nicht die unmittelbare Strahlung des Gases, sondern die seiner Zerfallsprodukte, verschiedener Isotope des Poloniums und des Bismuts. Diese lagern sich zum Teil an Staubteilchen an, können aber auch frei in die Lunge gelangen. Ihr recht kurzlebiger (Halbwertszeiten von Minuten bis Millisekunden) und sehr energiereicher weiterer Zerfall unter Aussendung von Alpha- und Beta-Strahlung sorgt dann für ein karzinogenes Vernichtungswerk im Gewebe. Zwischen 3% und 14% aller Bronchialkarzinome (je nach Land) sollen Schätzungen der Weltgesundheitsorgani­sation (WHO) zufolge auf das Konto von Radon und seinen Zerfallsprodukten gehen [2]. Der Zusammenhang scheint mit steigender Radon-Dosis nicht linear, sondern sogar exponenziell zu sein. Auffällig ist, dass nichtrauchende Patienten mit einer hohen Radon-Exposition in der Vergangenheit im Vergleich zu Rauchern eher nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome (NSCLC) und hier vermehrt Adeno­karzinome entwickeln [5].

Radon-Heilkuren

Anfang des 20. Jahrhunderts galt mit Radon angereichertes Wasser als „Wundertrank“, die Empfehlung lautete, zweimal täglich nach den Hauptmahlzeiten einen Becher zu trinken (s. Foto). Noch heute werden Radon-Heilkuren in Form von Heilbädern, Luft­bädern, Dunstbädern, Trinkkuren oder dem Aufenthalt in Radon-Heilstollen durchgeführt. Sie können bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen Schmerzen für mehrere Monate lindern. Die Therapie ist umstritten, Befürworter führen an, dass das kurzzeitige Ein­wirken der Radon-Strahlung das Lungenkrebsrisiko nur marginal erhöht, dem Patienten dagegen Analgetika-Nebenwirkungen erspart werden. Die Studienlage ist begrenzt [7, 8].

Radon-Wasser Mit diesen Patronen wurde in den 1900er-Jahren Wasser vor dem Trinken radioaktiv angereichert. Foto: Science Photo Library/Public Health England

Genetische und epigenetische Veränderungen durch Radon

Verantwortlich für die Karzinogenese wird vor allem die Alpha-Strahlung gemacht. Sie kann Strangbrüche, Punktmutationen, Gendeletionen, Chromosomentranslokation und an­dere DNA-Schäden verursachen. In-vitro-Daten aus Kulturen bron­chialer Epithelzellen zeigen als Folge von Radon-Exposition Mutationen im Tumorsuppressorgen TP53 und dem HPRT1 (Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyl-Transferase 1)-Gen, das eine zentrale Rolle im Purin-Stoffwechsel spielt. Im Rattenmodell schädigte Radon ebenfalls verschiedene Tumorsuppressor- und Protoonko­gene. Auch epigenetische Veränderungen können durch Radon verursacht werden, beispielsweise eine verän­derte DNA-Methylierung oder eine Dysfunktion von MicroRNA. Weiteren Schaden richtet Radon im Immun­system an, indem z. B. proinflamma­torische natürliche Killerzellen stimuliert werden [6]. Einen Schwellenwert, um das Lungenkrebsrisiko durch Radon in Innen­räumen auszuschließen, gibt es allerdings nicht, auch niedrige Dosen können langfristig schädigen. Die WHO empfiehlt einen Langzeitgrenzwert von nicht mehr als 100 Becquerel (also 100 radioaktive Zerfälle pro Sekunde) in der Raumluft. In Deutschland gilt ein Referenzwert von 300 Becquerel. Die Wahrscheinlichkeit, ein Bronchialkarzinom zu entwickeln, steigt laut Studien pro 100 Becquerel um bis zu 16% [2, 5].

Aus dem Keller in die Wohnung

Das vergleichsweise schwere Gas reichert sich bevorzugt in Senken, Höhlen, Bergwerken, aber auch Kellern – insbesondere in den Fels gegrabenen – an. Einige Arten von Bergwerken wie Uran-Bergwerke und Lagerstätten von Flussspat (Calciumflourit) oder Blei verfügen ebenfalls über höhere Radon-Konzentrationen.

Aber nicht nur Bergwerke, Keller und Höhlen können Orte höherer Radon-Konzentration sein, auch Bauten, in denen etwa ungebrannter Lehm verwendet wird – ein wieder beliebter werdender ökologischer Baustoff – können diese aufweisen. Messungen in neueren dieser „Lehmhäuser“ zeigten hohe Konzentrationen des Gases auch in den oberen Stockwerken, da es aus den Wänden ausgast [3].

Wichtigste Maßnahme bei Radon-Belastung: Lüften

Es gibt allerdings Abhilfe: Regelmäßiges Lüften hilft bereits, kritische Konzentrationen zu senken. Daneben gibt es Möglichkeiten, z. B. Rohrleitungen oder Kabelschächte, durch die das Gas diffundieren kann, abzudichten. In den sogenannten Radonvorsorge­gebieten, die aufgrund des Strahlenschutzgesetzes seit 2020 in Deutschland in Abhängigkeit vom natürlichem Vorkommen des Gases ausgewiesen werden müssen, gelten daher beson­dere Bauvorschriften, um Radon-Konzentrationen in der Raumluft zu minimieren. Das betrifft dann etwa das Abdichten von Öffnungen und die Lüftung [4]. Auch bei der energe­tischen Sanierung bestehender Gebäude muss die Radon-Belastung bedacht werden: Je besser isoliert die Wände und je besser abgedichtet die Fenster sind, desto schlechter kann aus dem Boden aufgestiegenes Radon das Haus wieder verlassen. Der Keller und andere Eintrittspforten für das Gas müssen daher ebenfalls entsprechend abgedichtet werden [5].

Literatur

[1] Stoklasa J. Die Bedeutung der Luftradioaktivität für die Entstehung der Joachimsthaler und Schneeberger Bergkrankheit. Dtsch Med Wochenschr 1933;59(31):1199-1200, doi: 10.1055/s-0028-1141516

[2] Radon. Informationen der World Health Organization (WHO). Stand 25. Januar 2023, www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/radon-and-health

[3] Meisenberg O et al. Radon and thoron inhalation doses in dwellings with earthen architecture: Comparison of measurement methods. Sci Total Environ 2017;579:1855-1862, doi: 10.1016/j.scitotenv.2016.11.170

[4] Radon. Informationen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). Stand 23. Juni 2023, www.bmuv.de/themen/strahlenschutz/ionisierende-strahlung/radon

[5] Radon und energetische Maßnahmen an Gebäuden. Informationen des Schweizer Bundesamts für Gesundheit. Stand 5. März 2024, www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/umwelt-und-gesundheit/strahlung-radioaktivitaet-schall/radon/radonenergie.html

[6] Riudavets M et al. Radon and Lung Cancer: Current Trends and Future Perspectives. Cancers 2022;14(13):3142, doi: 10.3390/cancers14133142

[7] Maier A et al. Radon Exposure-Therapeutic Effect and Cancer Risk. Int J Mol Sci 2020;22(1):316. doi: 10.3390/ijms22010316.

[8] Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Beurteilung von Studien zu Kuren mit Radonbehandlung. Stand 26. Juli 2019, www.lgl.bayern.de/gesundheit/umweltbezogener_gesundheitsschutz/physikalische_umweltfaktoren/radonbehandlung_kuren.html


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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