Demonstration in Frankfurt

Hessen stellt sich gegen Lauterbachs Reformpläne

Frankfurt - 27.06.2024, 17:50 Uhr

Auch auf ihrer Demonstration standen die Apotheker im Regen. (Foto: Julia Borsch)

Auch auf ihrer Demonstration standen die Apotheker im Regen. (Foto: Julia Borsch)


Zahlreiche Apothekenteams waren trotz sengender Hitze der Einladung des Hessischen Apothekerverbandes (HAV) nach Frankfurt gefolgt, um dort auf dem Opernplatz gegen die Reformpläne von Minister Karl Lauterbach zu protestieren. Unterstützung gab aus der Landespolitik. Am Schluss standen die Apothekenteams trotzdem im Regen, im ganz wörtlichen Sinne.  

Entgegen der ABDA-Linie, auf Dialog zu setzen, stehen beim Hessischen Apothekerverband die Zeichen auf Protest. So sind die Apotheken im Land aufgerufen, heute und morgen ihre Türen geschlossen zu lassen. Zudem fand am heutigen Donnerstag eine Protestveranstaltung auf dem Frankfurter Opernplatz statt. Apothekenteams aus ganz Hessen waren dem Aufruf zur Beteiligung gefolgt, darunter auch die Kammerpräsidentin Ursula Funke. Erster Redner war der Verbandsvorsitzende Holger Seyfarth, dessen Apotheke im Frankfurter Hauptbahnhof übrigens nicht geschlossen war. Er begründete dies mit Betreiberpflichten, während der Fußball-EM habe sein Vermieter, die Deutsche Bahn, einer Schließung nicht zugestimmt. Eine weitere seiner insgesamt vier Apotheken habe überdies Notdienst. 

Mehr zum Thema

Am Donnerstag und Freitag sollen die Apotheken im Land geschlossen bleiben

Hessen protestiert im Alleingang

Ihm sei unklar, was durch Apotheken ohne Apotheker, ohne Notdienst und ohne Rezeptur denn nun besser werden solle, sagte Seyfarth, dessen Rede immer wieder von Applaus und Rufen unterbrochen wurde. Zudem gibt es in seinen Augen noch viele Fragen. Zum Beispiel auf welcher Rechengrundlage das BMG auf die im Entwurf genannten 100 Zweigapotheken kommt, wo die sein sollen und wer die betreiben soll. Eine Antwort habe man darauf noch nicht erhalten. „Das zeigt,“ so Seyfarth, „dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.“  
Der HAV-Vorsitzende machte dann einen „Schwenk“ ins Jahr 2019. Damals habe die große Koalition unter anderem für Fliesenleger und Rolladenbauer die Meisterpflicht eingeführt – aus Sicherheitsgründen. Dass es jetzt Apotheken ohne Apotheker geben soll, passt in seinen Augen nicht dazu. „Dagegen werden wir uns drastisch wehren“, so Seyfarth. Heut mache man in Frankfurt den Anfang. Er verwies auf die Bedeutung der Apotheker als letzte Kontrollinstanz. Diese letzte Sicherheitsstufe solle leichtfertig abgeschafft werden. 

Auch die CDU-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Ines Claus, sicherte der Apothekerschaft in Frankfurt ihre Unterstützung zu.

Auch der Ansatz am Personal zu sparen, gleichzeitig, aber neue Leistungen zu erbringen, ist für Seyfarth nicht schlüssig. Die geplanten Umverteilungen führten nämlich dazu, dass massenhaft qualifiziertes Personal freigesetzt werden müsste. „Das rechnet sich nicht mehr, mit der Absenkung des Fixums von zwei auf drei Prozent“, so der HAV-Vorsitzende. Es sei immer die Rede von einer Senkung um ein Prozent, in Wahrheit seien es aber 33 Prozent, die wegfallen, und das werde sich bemerkbar machen. „Hier muss der Minister nachbessern.“ Eine Antwort auf welcher Datengrundlage die Entscheidung für die Umverteilung getroffen wurde, sei das Ministerium noch schuldig. „Das ist ein sozialistischer Gedanke der Umverteilung, der Qualität und Arbeitsplätze kostet.“ 

Grundsätzlich könnten Apotheken die von Lauterbach vorgeschlagenen zusätzlichen Leistungen erbringen, dafür brauche es aber qualifiziertes Personal und das müsse man vernünftig bezahlen. Er ist sich sicher, dass alle Chefs oder Chefinnen die Teams an einer Honorarerhöhung, wenn es sie denn gibt, teilhaben lassen werden. „Die Mitarbeiter haben lange genug gewartet“, sagte er. Dabei verwies er auf Vorschläge, eine entsprechende Regelung ins Gesetz zu schreiben – unter anderem Schleswig-Holsteins Kammer-Präsident Christiansen und die Adexa hatten dies ins Spiel gebracht. Das könne man machen, man müsse es nur wollen. Angesichts der Steuereinnahmen von fast einer Billion Euro könne niemand erzählen, dass nicht ein paar 100 Millionen fürs Gesundheitssystem übrig seien, so Seyfarth weiter. Zudem könne er sich nicht vorstellen, dass alle Minister für das Gehalt von 2004 arbeiten.

Nicht nur das Team der Apotheke an der Mathildenhöhe Darmstadt sieht schwarz für die Zukunft.

„Der Minister muss nochmal gründlich über seinen Entwurf nachdenken“, schloss Seyfarth, „wir werden unseren Teil dazu beitragen und weiterkämpfen.“ Der „Kristallisationskeim“ sei gesetzt, sagte er, „um im pharmazeutischen Sprachgebrauch" zu bleiben. 

Auf der Rednerliste standen dann Politiker*innen aus der Landespolitik, unter anderem die Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion im hessischen Landtag, Ines Claus, die die uneingeschränkte Unterstützung des Ministerpräsidenten und der Gesundheitsministerin zusagte. Sie berichtete zudem von einem Brief, an Lauterbach. Darin habe sie erläutert, dass die 1400 Apotheken in Hessen ein unersetzbarer Bestandteil des Gesundheitssystems seien.  Sie rief dazu auf, gemeinsam dafür so sorgen, dass das Gesetz in Berlin gestoppt werde. Aber auch Politiker*innen von den Grünen, FDP und der SPD stellten sich hinter die Apothekerschaft. 

So sagte beispielsweise der gesundheitspolitische Sprecher der Freien Demokraten im Hessischen Landtag, Yanki Pürsün: „Eine Apotheke ohne anwesenden Apotheker, also eine ‚Apotheke light‘, darf es nicht geben. Wir Freie Demokraten lehnen die Apothekenreform in der aktuell diskutierten Form ab, denn das Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums sichert weder die pharmazeutische Versorgung, noch stärkt es die Freien Berufe. Die vorgelegte Reform würde diese sogar schwächen und den Apotheker-Beruf entwerten. Dem Apothekermangel muss mit nachhaltigen und sinnvollen Lösungen begegnet werden, mit der jetzt diskutierten Form macht das Bundesgesundheitsministerium es sich zu leicht. Eine Absenkung der Versorgungsqualität darf nicht die Antwort auf das Problem sein.“

Nach etwas mehr als einer Stunde, als Matthias Körner, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, die Bühne betrat, brach ein Gewitter los. So standen die Apothekenteams im wörtlichen Sinne im Regen, obwohl auch er ihnen Unterstützung zusagte. 


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Protest gegen Apothekenreform

Hessens Apotheken demonstrieren in Frankfurt

FDP-Bundesparteitag

Liberale auf Kuschelkurs

In Hessen leben mehr als 16.000 ältere Menschen ohne Apotheke in der Gemeinde

Rezeptsammelstellen sichern Versorgung

Hessischer Apothekerverband: Hauptversammlung – Gesundheitspolitisches Forum – Sommerfest

Boni begrenzen oder verbieten?

Am Donnerstag und Freitag sollen die Apotheken im Land geschlossen bleiben

Hessen protestiert im Alleingang

2 Kommentare

Protest

von Gregor Nelles am 29.06.2024 um 22:41 Uhr

Es ist sehr ärgerlich und bedauerlich, dass Rheinland Pfalz sich nicht an den Protesten beteiligt hat… der schmusen Kurs in RLP ist kaum erträglich und ich verstehe es nicht, dass niemand in RLP den Mut und den schneit hat dem SPD Minister Hoch alle Posten und Ämter vor die Füße zu werfen und zu sagen : jetzt ist Schluss…, wir haben fertig!!!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Apothekenschließungen in Hessen aus Protest

von Joachim Schulz am 28.06.2024 um 12:52 Uhr

Lieber Herr Kollege Seyfarth!
Eben muss ich lesen, dass Sie Ihre Apotheke(n) NICHT geschlossen halten. Das finde ich sehr bedauerlich! So, wie ich Sie in meiner Zeit als Delegierter kennen gelernt habe, hätte ich Ihnen mehr Mumm zugetraut. Jetzt wirkt es so, wie: "Wasser predigen und Wein trinken" ...
Mit besten Grüßen aus den geschlossenen Innenstadt-Apotheken in Kassel (Stern-Apotheke am Hauptbahnhof und Schwanen Apotheke)

Joachim Schulz

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Kommentar abgeben

 

Ich akzeptiere die allgemeinen Verhaltensregeln (Netiquette).

Ich möchte über Antworten auf diesen Kommentar per E-Mail benachrichtigt werden.

Sie müssen alle Felder ausfüllen und die allgemeinen Verhaltensregeln akzeptieren, um fortfahren zu können.