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DocMorris und AKNR vor dem EuGH
Riskante Fehlanreize oder harmlose Apothekenwerbung?
DocMorris will Zugang zum deutschen Markt und meint, das gehe nur über einen Preiswettbewerb, also mit Rabatten und Gutscheinen. Doch bei der Apothekerkammer Nordrhein ist man überzeugt: Die plakative Boni-Werbung des Versenders setzt riskante Anreize für Verbraucher – auch im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel – und muss unterbunden werden. Am Donnerstag fand vor dem EuGH in Luxemburg ein Schlagabtausch der Argumente statt.
Die mündliche Verhandlung im Rechtsstreit der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) gegen DocMorris vor der 5. Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an diesem Donnerstag war gut besucht. Ob die vielen Zuschauerinnen und Zuschauer im Grande Salle Palais, die wohl eher zufällig anlässlich eines Besuchs der Luxemburger Institution in diese Verhandlung geraten waren, inhaltlich immer folgen konnten, mag fraglich sein. Eindrucksvoll ist der große Saal allemal.
Bei den Parteien, ihren Rechtsvertretern und anderen bewusst Anwesenden wurden Erinnerungen an eine Verhandlung im Jahr 2016 wach: Im Verfahren „Deutsche Parkinson Vereinigung“, angestoßen von der Wettbewerbszentrale, bei dem es ebenfalls um die Zulässigkeit von DocMorris‘ Rx-Boni – allerdings aus arzneimittelrechtlicher Sicht – ging, war der jetzige Vorsitzende der 5. Kammer, der Ire Eugene Regan, Berichterstatter. Und auch der Generalanwalt ist derselbe: Marciej Szpunar. Berichterstatter ist jetzt allerdings kein Geringerer als der Präsident des EuGH, Koen Lenaerts aus Belgien.
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Doch die bekannten Gesichter sollten nicht zu voreiligen Schlüssen führen. Wie die Kammer die ihr vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen rund um die Vereinbarkeit des deutschen heilmittelwerberechtlichen Zugabeverbots mit dem Europarecht beantworten wird, ist noch nicht ausgemacht. Nach der Verhandlung bestand jedenfalls aus Sicht der AKNR kein Grund, das Schlimmste zu erwarten. Und für sie steht viel auf dem Spiel – schließlich will DocMorris Schadenersatz in Millionenhöhe, nachdem der EuGH 2016 die Rx-Preisbindung im grenzüberschreitenden Versand gekippt hatte. Nun ist die große Frage: Waren beziehungsweise sind die an die Rezepteinlösung gekoppelten Rabatte dann nicht wegen Verstoßes gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot unzulässig?
Viele Detailfragen
Eineinhalb Stunden wurde verhandelt. Es ging vor allem um Abgrenzungsfragen und die Absichten der werbenden Versender. Wird für Arzneimittel geworben oder nur für die Apotheke an sich? Werden potenzielle Kunden animiert, sich Arzneimittel verordnen zu lassen, wenn ihnen die Werbung Boni auf Rezept in Aussicht stellt? Oder werden sie erst angesprochen, da sie bereits ein Rezept zur Einlösung vorliegen haben? Macht es einen Unterschied, ob der Rabatt sofort beim Arzneimittelerwerb angerechnet wird oder aber ein Gutschein ausgegeben wird, der später für Artikel des gesamten nicht-rezeptpflichtigen Sortiments eingelöst werden kann? Und gibt es mildere Mittel als das Verbot der Rabatte, um für Gesundheitsschutz zu sorgen?
Wecken von Verschreibungswünschen?
Zunächst hatte Rechtsanwalt Morton Douglas für die AKNR das Wort. Er betonte in seinem Plädoyer, dass Arzneimittel eben keine Ware wie jede andere seien. Deshalb suchten auch Fachkreise – Ärzte und Apotheker – das richtige für Patienten aus. Doch es sei durchaus denkbar, dass eine Gutschein-Werbung wie die von DocMorris Verschreibungswünsche wecken könnte. Selbst kleine Vergünstigungen könnten Patienten dazu bewegen, Ärzte zu beeinflussen, um Rezepte und damit Rabatte zu bekommen, sagte er. Gelinge dies, liege es auf der Hand, dass einer unzweckmäßigen Verwendung des Arzneimittels Vorschub geleistet werde. Dass sich die Risiken erst verwirklichen, müsse man nicht abwarten. Hinzu komme, dass in Deutschland die Arzneimittelkosten in der Regel vom Solidarsystem der GKV getragen werden. Doch „Geldverdienen auf Rezept“ sei das Gegenteil von Solidarität – und auch dies wolle der Humanarzneimittelkodex gerade verhindern, indem er vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die Werbung für erstattungsfähige Arzneimittel verbieten können.
Undankbare Beschenkte
Mildere Mittel, die den Gesundheitsschutz ebenso wie den Marktzugang der EU-Versender gewährleisten, gibt es aus Douglas‘ Sicht nicht – er verwies vielmehr darauf, dass sogar der Rx-Versand verboten werden könne und dies in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten auch der Fall sei. Insofern sei es ein „Geschenk“, dass DocMorris der Versand auch verschreibungspflichtiger Arzneimittel erlaubt sei. Doch Schenker wüssten um die „Undankbarkeit von Beschenkten“ – sie wollten immer mehr.
Nicht zuletzt verwies Douglas darauf, dass sich seit 2016 vieles zugunsten der Versender geändert habe: Das E-Rezept ist eingeführt und mit CardLink hätten sie auch keinen Nachteil mehr gegenüber Vor-Ort-Apotheken. So gebe es auch jetzt schon das Werbeversprechen einer Wettbewerberin, wer bis 18 Uhr ein Rezept übermittle, bekomme das Arzneimittel am nächsten Tag.
DocMorris pocht auf Preiswettbewerb
Für DocMorris sprach Rechtsanwältin Anne Robert von der internationalen Großkanzlei Sidley. Sie erklärte, es gehe hier nur um Werbung für die Dienstleistungen einer Apotheke, nicht für Arzneimittel – und zwar egal, ob es sich um einen Sofortrabatt handelt oder einen Gutschein, der bei einem weiteren Kauf eingelöst werden kann. Die Vorgaben der europäischen Arzneimittel-Richtlinie seien damit gar nicht anwendbar. Zudem wiederholte sie die Argumente aus dem EuGH-Urteil vom Oktober 2016: EU-Versender hätten überhaupt nur den Preiswettbewerb, um Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Doch seit Jahren versuchten deutsche Gerichte und der Gesetzgeber ihnen diesen Zugang zu erschweren – obwohl die Versender nie einen Marktanteil von viel mehr als ein Prozent erreicht hätten. Selbst an besagtes Urteil von 2016 halte man sich in Deutschland nicht, klagte Robert. Vielmehr sei eine neue im Sozialgesetzbuch V verankerte Preisbindung geschaffen worden – und das mit einem Gesetz, das schon seinem Namen nach die Vor-Ort-Apotheken stärken soll. DocMorris sieht sich also nach wie vor ungerechtfertigterweise im Nachteil gegenüber den stationären Apotheken.
Seife oder Aspirin
Robert erklärte weiter, dass mit den Gutscheinen kein Anreiz zum Kauf von Arzneimitteln gesetzt werde: „Der Kunde kann frei entscheiden, ob er Seife oder Aspirin kauft“. Es bestehe Auswahl in einem großen Warensortiment von Beauty-Produkten über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Artikeln wie Fieberthermometern. Zudem brauche jeder einmal rezeptfreie Arzneimittel – auch dann sei davon auszugehen, dass die Gutscheine sinnvoll eingesetzt werden. Dass hierdurch die abstrakte Gefahr einer unkritischen Selbstmedikation und eines Zuviel- und Fehlgebrauch von Arzneimittel geschaffen werde, müsse erst einmal mit Beweisen unterlegt werden, so die Anwältin.
Gutscheine für Nicht-Arzneimittel unerwünscht
Robert sieht auch die Möglichkeit für weniger restriktive Maßnahmen: So könnte man Höchstwerte für Gutscheine festlegen oder es verbieten, dass Gutscheine „nur für OTC“ oder „mindestens ein Arzneimittel“ eingesetzt werden. Wie sie später in ihrer Replik noch anmerkte, hält sie es hingegen für kein probates milderes Mittel, wenn Gutscheine ausschließlich für apothekenübliche Waren angeboten werden dürfen – schließlich sei DocMorris noch immer eine Apotheke. Für „absolut abwegig“ hält sie es überdies, dass ein Arzt von einem Patienten dazu gedrängt werden könne, etwas zu verordnen, was dieser gar nicht braucht.
Indizien und klare Kriterien
Sodann hatte ein Bevollmächtigter der EU-Kommission das Wort, Magnus Noll-Ehlers. Er führte aus, dass für die Frage, ob bei der Werbung einer Apotheke eine Arzneimittelwerbung im Sinne der Richtlinie 2003/83 vorliegt, das Ziel entscheidend sei. Gehe es darum, den Kunden zu erreichen, der bereits ein Rezept hat und diesen nur dafür gewinnen will, das Arzneimittel in einer bestimmten Apotheke zu beziehen, so sei die Richtlinie nicht betroffen. Dann komme man in die Prüfung der Grundfreiheiten – und ob ein Eingriff in diese verhältnismäßig ist. Dies kennen wir bereits aus dem Urteil von 2016. Weiterhin erklärte Noll-Ehrlers, dass sich auch nicht pauschal sagen lasse, dass ein sofortiger Preisnachlass immer als Werbung für ein Arzneimittel zu sehen sei, ein künftiger jedoch als Werbung für die Apotheke. Hier sei immer eine Gesamtwürdigung vorzunehmen.
Anschließend löcherte der Berichterstatter und EuGH-Präsident Lenaerts den Kommissionsvertreter. Er wollte von ihm klare Abgrenzungskriterien für die Arzneimittel- und die Apothekenwerbung wissen, die er dem Bundesgerichtshof an die Hand geben kann. Doch damit tat dieser sich schwer.
Generalanwalt Szpunar richtete wiederum einige Fragen an Douglas: Beispielsweise, wie EU-Versender aus seiner Sicht denn überhaupt um Kunden in Deutschland werben könnten? Dazu fiel dem Anwalt durchaus etwas ein: In Ordnung sei etwa die bereits angesprochene Werbung, die verspreche: bis 18 Uhr bestellt, am nächsten Tag geliefert. Ebenso könne man für ein breites Sortiment werben – gerade auch mit Blick auf die immer wieder virulenten Lieferengpässe. Besondere Leistungen für Chroniker, bei denen der Patient im Mittelpunkt stehe, seien ebenfalls als zulässige Anreize denkbar.
Schlussanträge am 17. Oktober 2024
Abschließend bat Douglas das Gericht, in seiner Entscheidung eine „klare Kante“ zu zeigen und nicht jeden Einzelfall auszudifferenzieren. Doch bis das Urteil fällt, wird es noch dauern. Für den 17. Oktober kündigte der Generalanwalt erst einmal seine Schlussanträge an. Diese sind ein wichtiger Wegweiser für die Entscheidung der 5. Kammer – aber nicht zwingend bindend. Es bleibt also spannend.
1 Kommentar
Preisnachlässe auf RX-Arzneimittel an die Krankenkassen?
von Elisabeth Thesing-Bleck am 30.06.2024 um 18:32 Uhr
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