NAION-Risiko

Bleibende Augenschäden unter Semaglutid?

04.07.2024, 14:15 Uhr

Semaglutid kann das Risiko für eine arterielle anteriore ischämische Optikusneuropathie erhöhen. (Foto: IMAGO /NurPhoto)

Semaglutid kann das Risiko für eine arterielle anteriore ischämische Optikusneuropathie erhöhen. (Foto: IMAGO /NurPhoto)


Semaglutid in Ozempic und Wegovy erhöht einer Studie zufolge das Risiko für eine arterielle anteriore ischämische Optikusneuropathie (NAION) bei Typ-2-Diabetikern und übergewichtigen Menschen. Wie ist dieser Zusammenhang des GLP-1-Rezeptoragonisten mit der Augenerkrankung einzuordnen? 

Semaglutid senkt den Blutglukosespiegel und hemmt den Appetit. Das Diabetes- und Abnehmarzneimittel – mit den jeweiligen Handelsnamen Ozempic® und Wegovy® – könnte jedoch neben den sehr häufigen und bereits bekannten Nebenwirkungen Hypoglykämie (bei Kombination mit zum Beispiel Insulin), Übelkeit und Erbrechen auch zu einer Degeneration des Sehnervs mit bleibender Sehverschlechterung führen. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern aus Boston stieß auf eine Assoziation zwischen Semaglutid und einer nicht arteriellen anterioren ischämischen Optikusneuropathie (NAION). Ihre Arbeit veröffentlichten sie im Fachjournal „JAMA Ophtalmology“ [1].

Häufiger eine NAION unter Semaglutid

Die Forschenden um Erstautorin Jimena Tatiane Hathaway hatten retrospektiv 16.827 Patientendaten einer neuroophtalmologischen Einrichtung ausgewertet und untersucht, ob die Verordnung von Semaglutid bei Typ-2-Diabetikern oder übergewichtig bis fettleibigen Patienten mit einem höheren Risiko für eine NAION assoziiert war. Von den 719 Menschen mit Typ-2-Diabetes in dieser Kohorte hatten 194 Semaglutid verschrieben bekommen, 516 ein anderes antidiabetisches Arzneimittel – es kam zu 17 NAION-Ereignissen unter Semaglutid verglichen mit sechs in der Vergleichsgruppe. Somit lag das Risiko für eine NAION für Diabetiker mit Semaglutid während der dreijährigen Beobachtungszeit bei 8,9 Prozent (95 % KI 4,5 %-13,1 %). Wendeten die Patienten hingegen ein anderes Antidiabetikum an, hatten sie mit 1,8 Prozent (95 % KI 0 %-3,5 %) ein deutlich geringeres Risiko für eine nicht arterielle anteriore ischämische Optikusneuropathie.

Was ist eine NAION?

Die nicht arterielle anteriore ischämische Optikusneuropathie (NAION) äußert sich regelhaft in einer akuten plötzlichen Sehverschlechterung auf einem Auge. Eine Papillenschwellung ist obligat, diese bildet sich nach ein bis zwei Monaten zurück, wobei sich das Sehvermögen meist nicht wieder bessert. Die Ursache ist unklar, vermutet wird eine vaskuläre Minderversorgung, die den Blutfluss zum Sehnerv unterbricht. Mit einer Inzidenz von 1:10.000 zählt die NAION zu den seltenen Erkrankungen. Diabetes mellitus gehört zu den Risikofaktoren für die Augenerkrankung [3].

Übergewichtig oder gar adipös waren 979 Patienten in der Gesamtkohorte, von diesen hatten 361 Semaglutid verordnet bekommen, 618 hingegen ein anderes Präparat zur Gewichtsreduktion. Auch hier zeigte sich ein Nachteil für Semaglutidpatienten beim Endpunkt NAION: Das Risiko für eine NAION lag unter Semaglutid bei 6,7 Prozent (95 % KI 3,6 %-9,7 %) – insgesamt 20 Fälle –, unter anderen Antiadiposita gab es lediglich drei Fälle und das NAION-Risiko belief sich auf 0,8 Prozent (95 % KI 0%-1,8 %).

Assoziation ist keine Kausalität 

Wichtig ist: Die Studie zeigt lediglich einen Zusammenhang zwischen der sehkraftbedrohenden Optikusneuropathie und der Anwendung von Semaglutid – eine Kausalität lässt sich aufgrund des Studiendesigns nicht ableiten, weswegen den Studienautoren zufolge weitere Untersuchungen folgen sollten. Diese Ansicht vertritt auch Professor Graham McGeown, Honorarprofessor für Physiologie, Queen's University Belfast (QUB), Vereinigtes Königreich, der sich gegenüber dem Science Media Center (SMC, UK) äußert: „Angesichts des raschen Anstiegs der Verwendung von Semaglutid und seiner möglichen Zulassung für eine Reihe anderer Probleme als Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes verdient diese Frage weitere Untersuchungen“, da mögliche Nebenwirkungen des Medikaments immer gegen den wahrscheinlichen Nutzen abgewogen werden müssten. [2]

Welche Rolle spielt die Schwere der Grunderkrankung? 

Wie jede Studie hat auch diese Studie Schwächen. McGeown erklärt, dass trotz des Versuches der Studienautoren Störfaktoren zu minimieren, dies schwierig sei. So könne zum Beispiel auch die Schwere des zugrundeliegenden Diabetes beziehungsweise der Fettleibigkeit das Risiko für eine NAION beeinflusst haben, meint Professor Graham McGeown.

Bekommen Semaglutid vor allem schwerer erkrankte Menschen? 

Auch Professor Margret Morris, Professorin für Pharmakologie an der School of Biomedical Sciences, University of New South Wales, Sydney, Australien, kommt beim SMC zu Wort. [2] Sie betont ebenfalls die – auch von den Studienautoren beschriebenen – möglichen Verzerrungen: Die Gruppe, die Semaglutid erhalten habe, sei älter gewesen als die andere Gruppe, wobei die Studienautoren bei diesem Punkt vermuteten, dass dieser Altersunterschied das verschiedene NAION-Risiko nicht erkläre. Auch könnte Semaglutid mit größerer Wahrscheinlichkeit bei Personen mit schwereren Erkrankungen eingesetzt worden sein, überlegt Morris. Insgesamt stuft sie die Studie als „interessant“ ein.

Klar wird: Sowohl die Studienautoren als auch die Experten des SMC halten es für sinnvoll, die Ergebnisse der Assoziationsstudie nun in weiteren größeren Untersuchungen – mit vielleicht besser beschriebenen Diagnosekriterien – weiterzuverfolgen, um festzustellen, ob ein ursächlicher oder lediglich zufälliger Zusammenhang zwischen Semaglutid und einer NAION besteht.

Literatur

[1] Hathaway JT et al. (2024): Risk of Nonarteritic Anterior Ischemic Optic Neuropathy in Patients Prescribed Semaglutide. Jama Ophthalmology. DOI: 10.1001/jamaophthalmol.2024.2296

[2] Science Media Center: Semaglutid könnte Risiko für Augenerkrankung erhöhen. Statement vom 3. Juli 2024

[3] Deutsches Ärzteblatt: Sehnervenerkrankung: Risikofaktoren für nichtarteriitische Optikusneuropathie identifiziert. Dtsch Arztebl 2017; 114(40): A-1811 / B-1540 / C-1508


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Bleibende Verschlechterung des Sehvermögens wird beobachtet

Schadet Semaglutid den Augen?

GLP-1-Agonist senkt Risiko für schwere Ereignisse einer diabetischen Nephropathie

Semaglutid wird zum Organschützer

PDE-5-Hemmer müssen bei akuter Sehverschlechterung umgehend abgesetzt werden

Wenn Viagra und Co. ins Auge gehen

Verbesserte Funktionsparameter und weniger Symptome bei Diabetikern

Semaglutid punktet bei Herzinsuffizienz

Verbesserte Funktionsparameter und weniger Symptome bei Diabetikern

Semaglutid punktet bei Herzinsuffizienz

Womit kann ein größerer Gewichtsverlust erreicht werden?

Tirzepatid und Semaglutid im direkten Vergleich

Subgruppe mit erhöhtem Suizidrisiko

Besser kein Semaglutid bei bestehender Depression?

Risiken auch in der Indikation Gewichtsreduktion relevant

Gastrointestinale Nebenwirkungen von GLP-1-Agonisten im Fokus

GLP-1-Rezeptoragonisten, DPP-4- und SGLT-2-Inhibitoren punkten unterschiedlich

Drei Antidiabetika-Klassen im Vergleich

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.