Hochansteckend und keineswegs harmlos

Ein Fadenpilz verbreitet sich über Barbershops

17.07.2024, 16:45 Uhr

In Barber- oder Friseursalons sind Infektionen mit Trichophyton tonsurans meist auf mangelnde Hygiene zurückzuführen (Foto: romaset / AdobeStock

In Barber- oder Friseursalons sind Infektionen mit Trichophyton tonsurans meist auf mangelnde Hygiene zurückzuführen (Foto: romaset / AdobeStock


Rote, schuppende Flecken, eitrige Entzündungen und Juckreiz an Kopf, Bart oder Nacken: Aktuell mehren sich die Fälle von Pilzinfektionen – vor allem bei jungen Männern nach einer Haarrasur. Der Dermatophyt Trichophyton tonsurans breitet sich rasant aus. Experten sprechen sogar von einer europaweiten Epidemie. Dahinter stecken kontaminierte Friseurwerkzeuge in Barbershops. Laut Leitlinie sollte die Therapie topisch und systemisch erfolgen. Zudem hat Hygiene größte Priorität.

Die Tinea capitis ist eine Pilzerkrankung der behaarten Kopfhaut. Bisher waren hauptsächlich Kinder betroffen. Während der Coronapandemie hat in der häuslichen Isolation der innige Kontakt zu durchseuchten Haustieren zu einem enormen Anstieg an Mykosen geführt. Neben Microsporum canis verbreitete sich hier der Pilz Trichophyton (T.) benhamiae verstärkt [1, 2]. Doch derzeit steht ein anderer Erreger im Fokus: Trichophyton tonsurans. Der anthropophile, also von Mensch zu Mensch übertragene Dermatophyt ist seit 2019 in Deutschland auf dem Vormarsch. Auch momentan häufen sich Haut- und Kopfhautinfektionen durch T. tonsurans nach einem Besuch im Barbershop. Betroffen sind vor allem Jungen und junge Männer. Sie entwickeln einige Tage bis maximal drei Wochen nach einem Haarschnitt in einem Friseursalon eine Tinea – und zwar in den rasierten oder gekämmten Bereichen der Kopfhaut, des Halses und des Bartes [3, 4].

Laut Studiendaten der dermatologischen Abteilung des Uniklinikums München stieg der Prozentsatz der betroffenen Patienten mit T.-tonsurans-Infektion von 2,1% im Jahr 2019 auf 20,7% im Jahr 2022 um das Zehnfache an [5]. Andere Schätzungen gehen von einer drei- bis fünffachen Zunahme im Vergleich zu den Vorjahren aus [3]. Wegen der fehlenden Meldepflicht für Dermatophyten ist jedoch mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Der Dermatologe Martin Schaller von der Universität Tübingen spricht sogar von einer „europaweiten Epidemie“ [6].

Verschiedene Übertragungswege

Bisher war bekannt, dass sich T. tonsurans vor allem unter Kampfsportlern verbreitet – durch Körperkontakt zu infizierten Personen oder über kontaminierte Böden und Sportmatten (Tinea gladiatorum). Als weitere relevante Infektionsquellen gelten Kitas, Kindergärten, Familienmitglieder und Sexualpartner. Hinter dem neuen Infektionsweg über Barber- oder Friseursalons steckt mangelnde Hygiene und unzureichende Desinfektion. So wird der Pilz durch kontaminierte Friseurwerkzeuge (Bürsten, Kämme, Scheren, Rasierer etc.), aber auch über die Kopfstützen von Friseurstühlen übertragen. Der Erreger überlebt mehrere Wochen auf Gegenständen. Das macht ihn zum Problem: Auch asymptomatische Träger können ihn unbemerkt verbreiten [7].

Hygienemaßnahmen

Sporen von T. tonsurans können in der Umwelt lange infektionsfähig bleiben. Daher gilt für infizierte (auch symptomlose) Personen [8]:

  • engen Kontakt zu Mitmenschen vermeiden
  • Freunde, Familie und Barbershop informieren, aus dem der Pilz mutmaßlich stammt
  • Screening enger Kontaktpersonen; evtl. Meldung an das Gesundheitsamt, um Infektionsketten zu unterbrechen
  • Therapie nicht zu früh beenden, auch wenn die Symptome bereits abgeklungen sind
  • Kleidung, Bettwäsche, Kopfkissen täglich wechseln, mit einem Hygienereiniger bei mindestens 60 °C waschen
  • Hygienemaßnahmen zur Infektionsprophylaxe (u. a. Desinfek­tion von häufig benutzten Bürsten, Rasierapparat); nur eigene Hygieneartikel verwenden

Symptome, Anamnese und Diagnostik

Trichophyton tonsurans befällt neben Haut und Nägeln vor allem das Haar, bildet Sporen im Haarschaft und löst daher meist nur eine eher geringe Entzündungsreaktion in der Haut aus. Zunächst zeigen sich auf der Kopfhaut und im Bartbereich wenig gerötete, fein schuppende Plaques. Mikrotraumata bei einer Rasur bieten jedoch eine willkommene Eintrittspforte für die Dermatophyten. Dringen diese in tiefere Haarfollikelbereiche vor, führt das zu follikulären Pusteln, eitrigen Abszessen und auch zu verkrusteten, hyperkeratotischen Läsionen, mitunter begleitet von Allgemeinsymptomen wie Fieber, Kopfschmerzen und Lymphadenopathie [8].

In einem ausführlichen Anamnesegespräch können Kontakte abfragt werden, um so den Übertragungsweg nachzuvollziehen. Geben Patienten mit einem entsprechenden Haarschnitt und Hautveränderungen am Nacken, am Kopf oder im Bartbereich einen kürzlichen Barber- oder Friseurbesuch an, reicht oft eine reine Blickdiagnose aus. Ansonsten erfolgt die Diagnostik mikroskopisch, anhand einer Pilz­kultur oder eines molekularen Nachweises der Dermatophyten-DNA [8].

Topische und systemische Therapie

Die abgelaufene S1-Leitlinie „Tinea capitis“ empfiehlt immer eine kombinierte topische und systemische Therapie über Wochen bis Monate, bis der Pilz nicht mehr nachweisbar ist. Die initiale Behandlungsdauer beträgt vier Wochen. Ob die Therapie darüber hinaus fortgesetzt werden muss, richtet sich nach dem Ergebnis zweiwöchiger mykologischer Kontrollen. Topische Präparate (Lösungen und Shampoos mit Selendisulfid, Ciclopirox, Ketoconazol oder Clotrimazol) können die Infektiosität sowie die weitere Verbreitung von Sporen reduzieren und die Dauer einer systemischen Therapie verkürzen. Sie eignen sich auch zur Behandlung von asymptomatischen Überträgern mit geringer Sporenlast. Erkrankte Personen werden zusätzlich systemisch therapiert. Zur Wahl stehen drei Wirkstoffe: Fluconazol, Itraconazol und Terbinafin [8].

Tab.: Lokale und orale Therapie der Tinea capitis bei Erwachsenen nach [8]. 

lokale Therapie
antimykotische Shampoos zweimal pro Woche, für zwei bis vier Wochen, über 5 Minuten applizieren, zusätzlich antimykotische Lösung einmal täglich für eine Woche; Behandlung des gesamten Kopfhaars in voller Länge (nicht nur befallener Herd)
orale Therapie
WirkstoffDosierung
Fluconazol50 mg einmal täglich, alternativ 150 mg einmal pro Woche, unabhängig vom Essen
Itraconazol100 bis 200 mg einmal täglich, direkt nach einer Hauptmahlzeit
Terbinafin250 mg einmal täglich, unabhängig vom Essen

Gemäß der Daten zweier großer Reviews [9, 10] ist Terbinafin bei Trichophyton-Infektionen zu bevorzugen. Allerdings ist auf mögliche Resistenzen dieses Wirkstoffes zu achten. Anders als bei M. canis, T. mentagrophytes und T. rubrum scheint Terbinafin bisher nicht resistent gegenüber T. tonsurans zu sein. Dennoch wenden einige Experten die Substanz kaum noch oder gar nicht mehr an, weil sie neben dem möglicherweise schlechteren Ansprechen der Patienten auch Nebenwirkungen wie Lupus erythematodes, psoriatische Hautveränderungen und Lichen ruber begünstigen kann [11, 12]. Unterschiedliche Empfehlungen gibt es darüber hinaus bezüglich der Therapieregime: Während die Leitlinie primär die tägliche Einnahme anrät, setzen moderne Konzepte bei einer Tinea capitis – nach einer kurzen Anflutphase mit täglicher Einnahme über eine Woche – auf eine gering dosierte, kontinuierliche Therapie mit einer Dosis Fluconazol oder Itracon­azol pro Woche [1, 8].

Für Dermatophyteninfektionen bei Kindern und Jugendlichen sind die drei genannten oralen Antimykotika in Deutschland nicht zugelassen, können aber im Off-Label-Use gewichtsadaptiert eingesetzt werden – nach entsprechender Aufklärung der Eltern. Betroffene Kinder können nach einer Woche Therapie wieder in Gemeinschafts­einrichtungen wie Kita oder Schule gehen. Unter systemischer antimykotischer Therapie ist eine Kontrolle der Laborwerte (ASAT, ALAT, gGT) besonders wichtig bei Patienten mit bekannten Einschränkungen der Leberfunktion oder hepatotoxischer Komedikation. Bei Patienten ohne Risikofaktoren ist abzuwägen, ob auf die Laborkontrollen verzichtet werden kann. Auf jeden Fall sollten die Patienten die Symptome einer möglichen akuten Leberschädigung kennen (vor allem Ikterus, Übelkeit und Erbrechen, dunkel verfärbter Urin) und beim Auftreten derartiger Beschwerden unverzüglich den Arzt aufsuchen [8].

Fazit

Trichophyton tonsurans ist aufgrund des zunehmenden Auftretens in Europa als „emerging pathogen“ einzustufen [13]. Die Sensibilisierung von Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Öffentlichkeit für diesen Erreger ist daher von entscheidender Bedeutung, um die Ausbreitung dieses neuen anthropophilen Pilzes zu verhindern. Patienten sind zur Compliance anzuhalten, besonders bei langen Behandlungszeiten, ebenso sollte ein konsequentes Hygienemanagement erfolgen.

Literatur

[1]   Tietz H-J, Gunkel U. Pilzinfektionen in Zeiten von Corona – Mykosen der Kopfhaut nehmen bei Kindern zu. DAZ 2021;41:56, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2021/daz-41-2021/pilzinfektionen-in-zeiten-von-corona

 [2] Drerup KA, Brasch J. Tinea capitis bei Kindern – ein buntes Krankheitsbild. www.springermedizin.de/alopezie/itraconazol/tinea-capitis-bei-kindern-ein-buntes-krankheitsbild/20399324

 [3] NN. Dermatophyt verbreitet sich über Friseurgeschäfte.  9. Juli 2024, www.aerzteblatt.de/nachrichten/152797/Dermatophyt-verbreitet-sich-ueber-Friseurgeschaefte?rt=f36614fe4ee0ce562012f3a8f31e98c4

 [4]          NN. Dermatophytosen durch Trichophyton tonsurans sind keineswegs harmlos. 9. Juli 2024, www.aerzteblatt.de/nachrichten/152775/Dermatophytosen-durch-Trichophyton-tonsurans-sind-keineswegs-harmlos

 [5]          Pilz JF et al. Increasing incidence of Trichophyton tonsurans in Munich – A single-centre observation. Mycoses 2023;66(5):441-447; doi: 10.1111/myc.13563

 [6]          Bonnen C. High Fade, Undercut, juckende Kopfhaut – Hautpilz verbreitet sich durch Trendfrisuren. Der Spiegel vom 6. Juli 2024, www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/barbershop-low-fade-high-fade-undercut-hautpilz-verbreitet-sich-durch-trendfrisuren-a-d013f574-4f6e-4d20-8af3-a654e97fc195

 [7] Müller VL et al. Tinea capitis et barbae caused by Trichophyton tonsurans: A retrospective cohort study of an infection chain after shavings in barber shops. Mycoses. 2021 Apr;64(4):428-436; doi: 10.1111/myc.13231

 [8] Mayser P et al. S1-Leitlinie Tinea capitis. J Dtsch Dermatol Ges 2020;18(2):161-180; doi: 10.1111/ddg.14026_g

 [9] Gupta AK et al. Tinea capitis in children: a systematic review of management. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2018 Dec;32(12):2264-2274; doi: 10.1111/jdv.15088

[10] Chen X et al. Systemic antifungal therapy for tinea capitis in children: An abridged Cochrane Review. J Am Acad Dermatol. 2017 Feb;76(2):368-374; doi: 10.1016/j.jaad.2016.08.061

[11] Tietz H-J. Spielt kaum noch eine Rolle! Gastkommentar zur Problematik der Terbinafin-Resistenz. DAZ 2021;7:37, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2021/daz-7-2021/spielt-kaum-noch-eine-rolle

[12] Saunte DML et al. Emerging antifungal treatment failure of dermatophytosis in Europe: take care or it may become endemic. J Eur Acad Dermatol Venereol 2021;35(7):1582-1586; doi: 10.1111/jdv.17241

[13] Schießl J et al. Trichophyton tonsurans –an emerging pathogen in wrestling in Germany. Hautarzt 2021;72(10):878-891; doi: 10.1007/s00105-021-04803-7


Dr. Ines Winterhagen, Apothekerin
redaktion@daz.online


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