Prävention rezidivierender Harnwegsinfektionen

Nicht schon wieder eine Blasenentzündung!

24.07.2024, 07:00 Uhr

Blasenentzündungen sind schmerzhaft und belastend – vor allem, wenn sie immer wieder auftreten. (Foto: Racle Fotodesign / AdobeStock)

Blasenentzündungen sind schmerzhaft und belastend – vor allem, wenn sie immer wieder auftreten. (Foto: Racle Fotodesign / AdobeStock)


Erkranken Patienten innerhalb von sechs Monaten an mindestens zwei Harnwegsinfektionen (HWI) oder im Zeitraum von einem Jahr an mindestens drei Harnwegsinfektionen, leiden sie an einer re­zi­di­vierenden Harnwegsinfektion. Lästig und schmerzhaft – was tun? Beugt „viel trinken“ wirklich rezidivierenden Harnwegsinfektionen vor? Und welche prä­ventiven Maßnahmen helfen, wiederkehrende Blasenentzündungen zu verhindern? 

Mit diesen Fragen haben sich auch die Autoren der jüngst aktualisierten „S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen (HWI)“ beschäftigt. Aktuell liegt noch die Konsultationsfassung vor, im August 2024 soll die Leitlinie final erscheinen [1]. Welche vorbeugenden Maßnahmen kommen infrage?

2,5 Liter pro Tag auf sechs bis acht Portionen

Menschen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen, die wenig trinken – und zwar höchstens 1,1 Liter am Tag – könnten davon profitieren, wenn sie täglich 1,5 Liter mehr trinken. In einer randomisierten Studie litten die Patienten durch die erhöhte Trinkmenge an durchschnittlich 1,5  Harnwegs­infektionen weniger im Jahr, zudem verlängerte sich ihre beschwerdefreie Zeit, und sie konnten den Einsatz von Antibiotika reduzieren [2]. Angesichts des „minimalen Schadenspotenzials“ sei Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten in der Vorgeschichte (und ohne indizierte Flüs­sigkeitsrestriktion) eine Flüssigkeitszufuhr von etwa 2,5 Litern pro Tag zu empfehlen, wovon mindestens 1,5 Liter Wasser sein sollen, empfehlen deswegen die Leitlinienautoren. Am besten teilten die Patientinnen diese Gesamttrinkmenge auf sechs bis acht Becher à 350 ml auf, um sich über den gesamten Tag ausreichend mit Flüssigkeit zu versorgen.

Beerensäfte, Übergewicht reduzieren und Bewegung

Positiv könnte sich auch das regelmäßige Trinken von Beeren-Fruchtsäften und der Verzehr (mindestens dreimal pro Woche) von fermentierten Milchprodukten auswirken. In einer kleinen Studie mit prämenopausalen Frauen ließ sich durch diese Ernährungsgewohnheiten das Risiko für eine erneute Blasenentzündung verringern [3].

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Gut ist auch, kein starkes Übergewicht zu haben, denn: Menschen mit einem BMI > 30 kg/m2 haben ein 2,5- bis 5-fach höheres Risiko für Harnwegsinfektionen [4]. Auch chronische Verstopfung erhöhte in einer Studie mit post­menopausalen Frauen das Risiko für eine Harnwegsinfek­tion, ebenso wie das Abwischen nach dem Stuhlgang von hinten nach vorne [5]. Das Risiko für eine Blasenentzündung erhöhte zudem, wer mehr als zwei Stunden täglich einer sitzenden Tätigkeit nachging [5].

Kalte Füße – Blasenentzündung?

Stimmt es eigentlich, dass kalte Füße eine Blasenentzündung forcieren? Laut einer offenen Studie: ja. Nach 55 Stunden gezielter Abkühlung zeigten Frauen mit wiederkehrender Blasenentzündung typische Symptome – ohne kalte Füße jedoch nicht [6]. Keinen Einfluss scheinen die Art der Menstruationshygiene, Strumpfhosen, Fahrradfahren oder die Partnerhygiene zu haben (Fall-Kontroll-Studien). Hingegen erhöhen sowohl die Rate an Genitalkontakten wie auch die Nutzung von mit Spermiziden beschichteten Kondomen und Diaphragmen die Gefahr für eine Blasenentzündung um das Zwei- bis 14-Fache [1].

Ein Versuch ist Uro-Vaxom®

Neben diesen Verhaltensmaßnahmen – die Leitlinienautoren sprechen lediglich die erhöhte Trinkmenge als Empfehlung aus – raten die Experten noch zu einem Immunprophylaktikum: Frauen mit häufigen Harnwegsinfektionen sollten zunächst das verschreibungspflichtige OM-89 (Uro-Vaxom®) – 6 mg lysierte immunaktive Fraktionen aus ausgewählten Escherichia-coli-Stämmen, die die lokale Immunantwort im Bereich der Harnwege stimulieren – oral anwenden, bevor sie eine antibiotische Langzeitprophylaxe durchführen. In placebokontrollierten Studien hatten unter Uro-Vaxom® 52,6 bis 87,5% der Frauen Harnwegsinfektions-freie Raten und ließ sich bei 81,3 bis 96,3% der Patientinnen sechs Monate nach Behandlung keine Bakteriurie feststellen. Unter Placebo war die Harnwegsinfektions-freie Rate hingegen geringer, bei lediglich 50%, und keine Bakteriurie hatten ebenfalls weniger Frauen, nämlich nur 61,3 – 88,6% [1].

In der Pipeline: Uromune

Derzeit laufen Phase-II / III-Studien zu einem weiteren Immunprophylaktikum: MV140 beziehungsweise Uromune. Das polybakterielle Präparat, das der Hersteller als sublinguales Spray konzipiert hat, enthält jeweils gleiche Teile der vier Bakterienstämme:

  • Escherichia coli,
  • Klebsiella pneumoniae,
  • Enterococcus faecalis und
  • Proteus vulgaris.

Positive Daten gibt es bereits aus einer multizentrischen, randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studie (Parallelgruppendesign) [16]: Verglichen mit Placebo verhinderte Uromune über neun Monate eine Harnwegsinfektion, während Frauen unter Placebotherapie im Median in diesem Zeitraum drei Harnwegsinfektionen durchlitten. Auch waren Frauen nach dreimonatiger Uromune-Therapie über 275 Tage frei von HWI, unter Placebo kam es bereits nach 48 Tagen (Median) erneut zu einer Harnwegsinfektion. Die jüngsten Daten zu Uromune veröffentlichten Urologen diesen April bei der Royal Berkshire NHS Foundation, dem größten Urologie-Kongress Europas (Congress of The European Association of Urology). Es ging um die Frage, wie lange der protektive Effekt von Uromune anhält. Das Ergebnis: Auch neun Jahre nach einer dreimonatigen Therapie war etwa die Hälfte der Patienten (54%) frei von Harnwegsinfektionen. Im Durchschnitt trat die erste Harnwegsinfektion nach etwa viereinhalb Jahren (54,7 Monate) auf. Die Patienten berichteten auch über keine schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen des Präparats [17]. Uromune ist in Deutschland derzeit nicht zugelassen.

Hilft Mannose?

Die Datenlage zu Mannose ist kontrovers, daher sprechen die Leitlinienautoren eine Kann-Empfehlung für Mannose aus: Man könne D-Mannose bei wiederkehrenden Blasenentzündungen anbieten, „um eine antibiotische Langzeittherapie möglicherweise zu vermeiden“. So existiert ein Review (390 Patienten), in dem Mannose vergleichbar wirksam war wie das Antibiotikum Nitroxolin, und Mannose konnte zudem, verglichen mit Placebo, wiederkehrende Harnwegsinfektionen wirksam verhindern, und das bei guter Verträglichkeit [8]. Ein weiterer Review aus dem Jahr 2021 (695  Patienten) fiel ebenfalls zugunsten der Mannose aus, da D-Mannose die Lebensqualität der Patienten verbesserte, die Anzahl der rezidivierenden Harnwegsinfektionen signifikant verringerte sowie die beschwerdefreie Zeit verlängerte, und zwar sowohl bei Patienten mit als auch ohne Katheter [9].

Anders ein Cochrane-Review von 2022 (719 Patienten). Hier schlussfolgerten die Autoren, dass es nicht genügend Belege dafür gebe, dass Mannose einer Harnwegsinfektion wirksam vorbeugt [10]. Und: „Mannose sollte nicht zur Vorbeugung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen empfohlen werden“, erklärten auch die Autoren einer im April 2024 veröffentlichten Studie mit 598 Frauen, da die tägliche Einnahme von 2 g Mannose die Rate an Harnwegsinfektionen hier nicht besser reduziert hatte als Placebo [11].

Cranberry: Hinweis für einen Nutzen

Auch zu Cranberries gibt es Pro- und Contra-Daten. Vor allem scheint es eine Rolle zu spielen, wer mit den pflanz­lichen Produkten eine Harnwegsinfektion vermeiden will: Schwangere, Bewohner von Heimen und Patienten mit neurogener Blasenfunktionsstörung scheinen „womöglich“ nur gering oder nicht zu profitieren, „wohingegen Cranberry-Produkte wahrscheinlich bei Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen, bei Kindern und bei Personen mit einer Anfälligkeit für Harnwegsinfektionen aufgrund einer Intervention das Harnwegsinfektionsrisiko verringerten“, schreiben die Leitlinienautoren [12]. Und weiter: „Aufgrund des günstigen Nutzen-Schaden-Verhältnisses sind Cranberries nach entsprechender Aufklärung der Patienten über noch ausstehende eindeutige klinische Belege durchaus zu empfehlen“. Allerdings fehlen derzeit Empfehlungen zu Behandlungsdauer, Dosierung und Darreichungsform [1].

Wie steht es um Angocin®?

In einer etwa 100 Personen starken Studie konnte Angocin® Anti Infekt N verglichen mit Placebo punkten: Nach drei Monaten Behandlung (je zwei Tabletten morgens und abends) sank die Rate an Harnwegsinfektionen in der Verumgruppe auf 0,43, in der Placebogruppe lediglich auf 0,77 [13]. Positiv schnitten in einzelnen Studien auch Präparate ab, die Bärentraubenblätter und Birke oder Bären­trau­ben­blätter und Löwenzahn oder Liebstöckelwurzel, Ros­marin­blätter und Tausendgüldenkraut (Zusatznutzen im Kombination mit Antibiotika) kombinieren [14]. Die Leit­linienautoren weisen jedoch darauf hin, dass nur wenige Daten zu den Endpunkten gesundheitsbezogene Lebens­qualität, Entwicklung komplizierter Infekte, spezifische Symptome und Mor­talität vorlägen und sich pflanzliche Harnwegsdesinfizienzien mit Bärentraubenblättern nicht für eine längere Prophylaxe (> 1 Monat) eigneten.

Blasenwandschutzschicht „reparieren“, 
mit GAG-Substituenten

Die Blasenwandschutzschicht baut sich aus Glykosaminoglykanen (GAG-Schicht), vor allem Chondroitinsulfat, sowie aus Heparin und Hyaluronsäure auf. Die GAG-Schicht verhindert, dass Bakterien sich anheften können und aktiviert zudem das Immunsystem. Und in der Tat konnte die intravesikale Substitution von Bestandteilen der GAG-Schicht positive Ergebnisse, was die Rezidivrate bei HWI angeht, erzielen: 48% Rezidivrate in der Gruppe, die wöchentlich eine intravesikale Installation mit 1,6% Hyaluronsäure und 2,0% Chondroitinsulfat erhalten hatte, verglichen mit 100% Rezidivrate in der Placebogruppe [15]. Nicht zu vernachlässigen sei jedoch das Infektionsrisiko durch das Katheterisieren, ebenso mögliche Störungen der natürlichen Blasenwandschicht durch den Eingriff. Auch bemerken die Leitlinienautoren, dass „bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen kein GAG-Mangel nachgewiesen wurde“.

Abschließend dürften vor allem vier Präparate – mit dem potenziell bald zugelassenen MV-140 auch fünf – übrig bleiben, wenn es um die antibiotikafreie Rezidivprophylaxe von Harnwegsinfektionen geht: Cranberries, Uro-Vaxom® und eventuell bald Uromune, sowie D-Mannose und GAG-Schicht-Substituenten – Letztere mit potenziellem Infek­tionsrisiko. Die Leitlinie erwähnt zudem das chemische Harnwegsdesinfiziens Methenaminhippurat, das ist jedoch in Deutschland gegenwärtig nicht verfügbar.

Literatur

[1] „S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen (HWI)“
[2] Hooton TM et al.: Effect of Increased Daily Water Intake in Premenopausal Women With Recurrent Urinary Tract Infections: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2018;178(11):1509-1515.
[3] Kontiokari T et al.: Dietary factors protecting women from urinary tract infection. Am J Clin Nutr 2003;77(3):600-604.
[4] Barber J: Obesity is associated with urinary tract infection. Urology 2012;79:266-269.
[5] Zhu M et al.: Behavioral and dietary risk factors of recurrent urinary tract infection in Chinese postmenopausal women: a case-control study. J Int Med Res 2020;48(3): 300060519889448.
[6] Baerheim A, Laerum E: Symptomatic lower urinary tract infection induced by cooling of the feet. A controlled experimental trial. Scand J Prim Health Care 1992;10(2):157-160.
[7] Aziminia N et al.: Vaccines for the prevention of recurrent urinary tract infections: a systematic review. BJU Int, 2019. 123(5):753-768.
[8] Lenger SM et al.: D-mannose vs other agents for recurrent urinary tract infection prevention in adult women: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2020;223(2):265.e1-265.e13
[9] Kyriakides R, Jones P, Somani BK: Role of D-Mannose in the Prevention of Recurrent Urinary Tract Infections: Evidence from a Systematic Review of the Literature. Eur Urol 
Focus 2021;7(5):1166-1169.
[10] Cooper TE et al.: D-mannose for preventing and treating urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev 2022;8(8):Cd013608.
[11] Hayward G et al.: D-Mannose for prevention of recurrent urinary tract infection among women. A randomized clinical trial. JAMA Intern Med 2024;184(6):619-628.
[12] Williams G et al.: Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev 2023;4(4):Cd001321.
[13] Albrecht U, Goos KH, Schneider, B.: A randomised, double-blind, placebo-controlled trial of a herbal medicinal product containing Tropaeoli majoris herba (Nasturtium) and Armoraciae rusticanae radix (Horseradish) for the prophylactic treatment of patients with chronically recurrent lower urinary tract infections. Curr Med Res Opin 2007; 23(10):2415-2422.
[14] IQWiG, Blasenentzündung: Helfen pflanzliche Mittel bei wiederkehrender Blasenentzündung? Health Technology Assessment im Auftrag des IQWiG. HTA-Nummer: HT20-01, Version; 1.0, Stand: 24.02.2022. IQWiG-Berichte – Nr. 1300 https://www.iqwig.de/download/ht20-01_pflanzliche-mittel-bei-blasenentzuendung_hta-bericht_v1-0.pdf. 2022b.
[15] Damiano R et al.: Prevention of recurrent urinary tract infections by intravesical administration of hyaluronic acid and chondroitin sulphate: a placebo-controlled randomised trial. Eur Urol [Internet] 2011;59(4):645-651.
[16] NEJM Evidence: „Sublingual MV140 for Prevention of Recurrent Urinary Tract Infections"
[17] European Association of Urology: Oral vaccine for UTI is potential alternative to antibiotics, finds 9-year study https://www.eurekalert.org/news-releases/1039942


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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