Rote-Hand-Brief zu Ocaliva

Obeticholsäure gegen Gallengangsentzündung vor der Marktrücknahme

01.08.2024, 15:15 Uhr

Die primär biliäre Cholangitis (PBC) ist eine seltene Autoimmunerkrankung der Leber, in deren Verlauf zunächst die intrahepatischen kleinen Gallengänge zerstört werden. (Foto: Peakstock / AdobeStock)

Die primär biliäre Cholangitis (PBC) ist eine seltene Autoimmunerkrankung der Leber, in deren Verlauf zunächst die intrahepatischen kleinen Gallengänge zerstört werden. (Foto: Peakstock / AdobeStock)


Im Jahr 2017 wurde der Farnesoid-X-Rezeptor-Agonist Obeticholsäure (Ocaliva) für Erwachsene mit primärer biliärer Cholangitis auf dem deutschen Markt eingeführt. Die Substanz hemmt die De-novo-Synthese von Gallensäuren und begünstigt deren Abbau bzw. den Auswärtstransport aus den Hepatozyten. Ein aktueller Rote-Hand-Brief weist nun darauf hin, dass eine Phase-IV-Studie ein nicht mehr positives Nutzen-Risiko-Verhältnis von Ocaliva ergeben hat.  

Die vorläufige Zulassung von Obeticholsäure (Ocaliva®) für die Behandlung der primären biliären Cholangitis (PBC) wurde im Jahr 2016 bereits unter der Auflage erteilt, dass weitere Unterlagen zur Bestätigung des therapeutischen Nutzens nachgereicht werden müssen. Nach aktuellen Berichten der Arzneimittelbehörden ist die Erbringung entsprechender Nachweise im Rahmen der Phase-IV-Studie COBALT nun fehlgeschlagen.

Primär biliäre Cholangitis (PBC)

Die primär biliäre Cholangitis (PBC) ist eine seltene Autoimmunerkrankung der Leber, in deren Verlauf zunächst die intrahepatischen kleinen Gallengänge und schließlich das gesamte Lebergewebe durch eine Entzündung zerstört wird. Die chronische cholestatische Erkrankung tritt in etwa 90% der Fälle bei Frauen auf. In Deutschland gehört sie zu den häufigsten Gründen für eine Lebertransplantation. 

Erste Symptome sind meist 

  • Müdigkeit, 
  • Erschöpfung und 
  • Juckreiz. 

Im Blut sind neben erhöhten Leberenzymwerten bereits im Frühstadium antimitochondriale Antikörper nachweisbar. Im Endstadium der Erkrankung kommt es zu einer schweren Leberzirrhose, die ohne Behandlung innerhalb von etwa 10 bis 15 Jahren letztendlich zum Tod durch Leberversagen führt. 

In dieser randomisierten, placebokontrollierten Langzeitstudie war keine signifikante Verbesserung der Lebenserwartung und auch keine Vermeidung von Lebertransplantationen durch den Farnesoid-X-Rezeptor-Agonisten feststellbar. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass sich der erkrankungsassoziierte Juckreiz unter Obeticholsäure-Therapie eher verschlimmert oder wieder neu auftaucht.

In Abstimmung mit der EMA und dem BfArM informiert nun ein Rote-Hand-Brief darüber, dass die bedingte Genehmigung für das Inverkehrbringen von Ocaliva® aufgrund des nicht mehr positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses in der EU widerrufen werden sollte. Die endgültige Entscheidung der Europäischen Kommission bleibt zwar noch abzuwarten, mit hoher Wahrscheinlichkeit stellt sich jedoch für aktuell auf Obeticholsäure eingestellte Patienten in Kürze die Frage nach einer alternativen Therapieoption.

Alternative Therapieoptionen

Auf Arzneistoffe, die für die biliäre Cholangitis-(PBC)-Therapie eine offizielle Zulassung besitzen, muss offenbar noch einige Zeit gewartet werden. Einstweilen könnte möglicherweise auf eine Off-Label-Behandlung mit Fibraten wie Bezafibrat als Reservetherapeutika zurückgegriffen werden. 

Vor der vorläufigen Zulassung von Obeticholsäure stand als einzige offizielle Option die Behandlung mit Ursodesoxycholsäure (UDCA) zur Verfügung. Diese bewirkt eine verstärkte Ausscheidung der körpereigenen, hydrophoben Gallensäuren. Jedoch spricht mehr als die Hälfte der Patienten nicht ausreichend auf die Ursodesoxycholsäure-Therapie an oder verträgt den Wirkstoff nicht. Daher wurde die Markteinführung der Obeticholsäure, einem synthetischen Derivat der physiologischen Gallensäure Chenodesoxycholsäure, durchaus begrüßt.

Wirkmechanismus der Obeticholsäure

Der damals als innovativ geltende Wirkmechanismus beruht auf einem selektiven Agonismus am Farnesoid-X-Rezeptor (FXR). Dieser wird in hohen Konzentrationen in Leber und Darm exprimiert und ist ein wichtiger Regulator für verschiedene Stoffwechsel-Wege wie die Gallensäure-Synthese, den Triglycerid-, Cholesterol- und den Insulinstoffwechsel. Über die FXR-Aktivierung durch Obeticholsäure wird der Abbau von Gallensäuren beschleunigt und die De-novo-Synthese aus Cholesterol gehemmt. Zusätzlich ist der Auswärtstransport von Gallensäuren aus den Hepatozyten erhöht, sodass die Menge an diesen in hoher Konzentration gewebezerstörend wirkenden Säuren insgesamt reduziert ist. Weiterhin kommt es durch Obeticholsäure zu einer Reduktion der Hepatotoxizitäts-Marker alkalische Phosphatase (ALP) und Bilirubin, die mit dem Risiko für das Erfordernis einer Lebertransplantation oder dem Tod von PBC-Patienten korrelieren sollen. 

POISE, die ursprüngliche Zulassungsstudie

Sicherheit und Wirksamkeit von Obeticholsäure wurden in einer doppelblinden placebokontrollierten Phase-III-Studie an 217 Erwachsenen mit primärer biliärer Cholangitis geprüft. Die Teilnehmer waren zuvor über mindestens ein Jahr mit unzureichendem Erfolg mit Ursodesoxycholsäure behandelt worden oder konnten dieses Standardtherapeutikum aus Verträglichkeitsgründen nicht weiter einnehmen. Die Behandlung erfolgte alternativ mit Obeticholsäure oder Placebo, 93% der Patienten erhielten zusätzlich Ursodesoxycholsäure. Primärer Wirksamkeits-Endpunkt war die Anzahl von Patienten, deren Hepatotoxizitäts-Marker Bilirubin und alkalische Phosphatase (ALP) sich nach einem Behandlungsjahr unter Obeticholsäure normalisierten. Der ALP-Wert sollte unterhalb des 1,67-Fachen des oberen Grenzwerts liegen, wobei ein Rückgang von mindestens 15% gefordert wurde.

Obeticholsäure erwies sich bezüglich dieser Surrogat-Parameter als signifikant besser wirksam als Placebo (p < 0,001). Die Verbesserungen zeigten sich bereits im ersten Behandlungsmonat und blieben während der gesamten Beobachtungszeit konstant. In der Gruppe mit 10 mg Obeticholsäure erreichten 47% den kombinierten Endpunkt, in der Gruppe mit 5 bis 10 mg waren es 46%, in der Placebo-Gruppe 10%. Die ALP-Spiegel sanken in den Verum-Gruppen um 130 bzw. 113 U/l, im Placebo-Arm lediglich um 14 U/l (p < 0,001 für beide Vergleiche). Die Bilirubinspiegel waren unter 10 bzw. 5 bis 10 mg Obeticholsäure um 0,05 bzw. 0,02 mg/dl reduziert, während sie in der Placebo-Gruppe um 0,12 mg/dl anstiegen (p < 0,001 für beide Vergleiche). 

Bezüglich der nicht-invasiven Ermittlung des Fibrose-Status konnte dagegen kein Unterschied zwischen Verum und Placebo festgestellt werden. Bei 68 bzw. 56% der mit 10 bzw. 5 bis 10 mg Obeticholsäure Behandelten kam es zu einem Pruritus, der entsprechende Wert für die Placebo-Gruppe lag bei 38%.

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Literatur 

BfArM; Rote-Hand-Brief zu Ocaliva (Obeticholsäure): Widerruf der Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Union aufgrund eines nicht bestätigten klinischen Nutzens (31. Juli 2024)

EPAR summary for the public. Ocaliva® Obeticholic acid. EMA/693503/2016; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu

Fachinformation zu Ocaliva®, Stand Dezember 2023

Nevens F, Andreone P, Mazzella G, Strasser SI. A placebo-controlled trial of obeticholic acid in primary biliary cholangitis. N Engl J Med 2016;375:631-643.

Schrodt I. EMA recommends the withdrawal of Ocaliva for the treatment of primary biliary cholangitis: Statement from ERN RARE-LIVER. Informationsdienst Wissenschaft (28.06.2024)


Apothekerin Dr. Monika Neubeck


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