Schulungsmaterial der Blauen Hand

Wie werden Adrenalin-Autoinjektoren angewendet?

Stuttgart - 02.08.2024, 07:00 Uhr

Allergiker müssen im Notfall wissen, wie der Adrenalin-Autoinjktor zu bedienen ist. (Foto: Rob Byron / AdobeStock)

Allergiker müssen im Notfall wissen, wie der Adrenalin-Autoinjktor zu bedienen ist. (Foto: Rob Byron / AdobeStock)


Sommerzeit ist Bienen- und Wespenzeit! Ein Problem können dabei allergische Reaktionen auf Insektenstiche werden, weshalb ein Epinephrin-Pen stets in die Hand­tasche eines Allergikers gehört.  Damit im Akutfall jeder Handgriff sitzt, müssen Patienten eingewiesen werden. Offizielles Schulungs­material wie die Blaue-Hand kann dabei unterstützen.

Für viele Kinder und Erwachsene gehören Autoinjektoren mit Epinephrin (= Adrenalin) zum Schutz vor schweren allergischen Reaktion, wie die anaphylaktische Reaktion (Anaphylaxie), zur Grundausrüstung im Sommer. Während bei Kindern für 60% dieser Reaktionen Nahrungsmittel verantwortlich sind, stecken bei Erwachsenen mit 52% am häufigsten Insektengifte als Auslöser dahinter [1, 2]. Unter den durch Insekten ausgelösten allergischen Reaktionen sind Stiche durch Honigbienen oder bestimmte Wespen am kritischsten. Diese können bei Allergikern unter Umständen bis zum Tode führen. Um eine weitere Giftabsonderung zu unterbrechen, muss ein verbleibender Stachel sofort vorsichtig mit einer Pinzette oder dem Fingernagel entfernt werden. Die betroffene Stelle sollte weder gedrückt noch gequetscht werden, um eine Verteilung des Gifts zu vermeiden [3, 4].

Die Blaue Hand

Seit 2016 unterstützt die sogenannte Blaue Hand als offizielles und behördlich genehmigtes Schulungsmaterial die Sicherheit und Anwendung besonders beratungsintensiver Arzneimittel. Das auffällige Symbol der blauen Hand wurde an das Design des Rote-Hand-Briefs angelehnt und soll damit optisch von Werbematerialien abgrenzen. Die Inhalte werden vom Hersteller zur Verfügung gestellt und von der zuständigen Behörde geprüft. Anschließend werden die Blaue-Hand-Materialien auf den Homepages des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zum Download zur Verfügung gestellt. Teilweise erreichen die Materialien die Apotheke auch per Post, E-Mail oder über den pharmazeutischen Großhandel. Darüber hinaus können Apothekenmitarbeiter das Schulungsmaterial direkt über die ABDADatenbank² der Apotheken-Software herunterladen [1].

Schulungsmaterial zur Adrenalin-Autoinjektion gezielt nutzen

Sollte es dennoch zu einem anaphylaktischen Schock kommen, ist Epinephrin die erste Wahl. Doch worauf kommt es bei der Anwendung der Epinephrin-Autoinjektoren an und welche Stärke sollte vom Arzt verordnet werden? Das wird u. a. durch die Blaue-Hand als behördlich genehmigtes Schulungsmaterial der verschiedenen Hersteller geklärt und richtet sich sowohl an Patienten als auch Fachkreise. Ärzte können anhand einer Checkliste verschiedene Punkte prüfen, um Arzneimittel- und Anwendungsrisiken zu minimieren. Enthaltene Fragen sollen sicherstellen, dass der Patient über alle relevanten Inhalte (u. a. korrekte Anwendung, Umgang mit Allergenkontakt, Zeitpunkt der Applikation, Aufbewahrung) aufgeklärt wird, und dem Arzt bei der Auswahl der korrekten Stärke helfen.

Auf dem deutschen Markt gibt es vier verschiedene Autoinjektoren mit Epinephrin [5]:

  • Anapen® 150 µg; 300 µg; 500 µg
  • Emerade® 150 µg; 300 µg; 500 µg
  • Fastjekt® 300 µg/Fastjekt® Junior 150 µg (Importpräparat: Epipen®)
  • Jext® 150 µg; 300 µg

Hersteller stellen neben Checklisten und Informationsmaterialien auch Anwendungsvideos zu den genannten Präparaten zur Verfügung, welche die korrekte Anwendung detailliert beschreiben. Ein Video dauert wenige Minuten und kann Apotheken-Mitarbeiter bei der Beratung unterstützen. Steht in der Offizin ein Tablet zur Verfügung, könnte das passende Video dem Patienten im Handverkauf beispielsweise direkt gezeigt und erklärt werden.

Hilfreich für Allergiker sind Patientenkarten, in denen die sichere Anwendung von Anapen® und Jext® im kompakten Format beschrieben wird. Im Gegensatz dazu wird von den Herstellern des Fastjekt® und Emerade® für Patienten und Ange­hörige ein mehrseitiger Leitfaden zur Verfügung gestellt, der als Service in der Apotheke ausgedruckt und dem Patienten ausgehändigt werden kann.

Richtig dosieren und anwenden

Der verschreibende Arzt kann zwischen verschiedenen Dosierungen der Autoinjektoren wählen. Hierbei entscheidet das Körpergewicht über die Auswahl. Zwischen 15 und 30 kg Körpergewicht (KG) wird üblicher­weise die niedrigere Dosis mit 150 µg empfohlen, ab 30 kg KG mit 300 µg die doppelte Dosis. Für Patienten mit mehr als 60 kg Körpergewicht sind Emerade® 500 sowie Anapen® 500 zugelassen, wobei laut Fachinformation von Anapen® die empfohlene Dosis 300 µg oder 500 µg beträgt und von der klinischen Bewertung abhängt [6]. Bei Fastjekt® (bzw. dem Import Epipen®) ist die Junior-Variante laut Hersteller zwischen 7,5 und 25 kg Körpergewicht die richtige Wahl, ab 25 kg Körpergewicht sollen 300 µg gewählt werden [3].

Alle Fertigpens haben gemeinsam, dass sie an der Außenseite des Oberschenkels im rechten Winkel (90°) appliziert werden.

Je nach Autoinjektor kann das einzelne Vorgehen abweichen, weshalb eine gezielte Schulung des Patienten erforderlich ist.

  • Sicherheitskappe entfernen: Anapen® grau, Emerade® weiß, Jext® gelb, Fastjekt® blau
  • Die Systeme Jext®, Emerade® und Fastjekt® lösen automatisch aus, wenn sie fest mit Schwung an den Oberschenkel gedrückt werden. Dies ist durch ein „Klicken“ hörbar.
  • Der Injektor soll anschließend je nach Herstellerangaben noch mehrere Sekunden (zwischen 3 s und 10 s) fest in der Position gehalten werden, ehe er entfernt wird.
  • Eine leichte Massage der Injektionsstelle unterstützt die Resorption.
  • Die Applikation darf explizit durch dünnen Stoff (z. B. Jeans) erfolgen.

Beim Anapen® muss der Patient zunächst eine schwarze Nadelkappe und eine graue Sicherheitskappe vom roten Auslöseknopf entfernen. Dann sollte das offene (Nadel-)Ende des Pens an der Außenseite des Oberschenkels platziert werden. Erst bei Drücken des roten Auslöseknopfs beginnt die Autoinjektion (ebenfalls hörbar). Der Pen ist noch zehn Se­kunden in der Position zu halten. Achtung! Die Nadel ragt nach dem Entfernen aus dem Pen heraus und muss mit der Nadelkappe versehen werden [6].

Steckbrief Adrenalin-Pen

Die intramuskuläre (Selbst-)Injektion führt zu einem Zeitvorteil, und im Gegensatz zur intravenösen Applikation ist das Risiko für schwere kardiale Nebenwirkungen geringer. Epinephrin wirkt vasokonstriktorisch und reduziert die erhöhte Gefäßpermeabilität. Durch Stimulierung des sympathischen Nervensystems steigen Herzfrequenz und Herzschlagvolumen, und der Kreislauf wird stabilisiert. Gleichzeitig bewirkt die Aktivierung der Beta-Rezeptoren an der glatten Bronchialmuskulatur eine Bronchodilatation und lindert Atemnot [2].

Fehlinjektion vermeiden

Damit die Injektion nicht versehentlich in den Finger erfolgt, sollten Daumen und Finger den Pen wie bei einer Faust umschließen. Eine ver­sehentliche Injektion in Hände oder Füße bewirkt in den angrenzenden Arealen durch Vasokonstriktion eine periphere Ischämie und kann im schlimmsten Fall zu einer Nekrose (Absterben von Hautgewebe) führen [6]. 

In der Fachinformation wird die Therapie wie folgt beschrieben: „Eine Behandlung durch den Arzt könnte notwendig sein.“ [3]. Im Gegensatz dazu ruft die offizielle Patienten­information auf der Internetseite des Anapen® dazu auf, dass sich Betroffene bei einer versehentlichen Injektion in Hände oder Finger umgehend in das nächstgelegene Krankenhaus zur ärztlichen Behandlung begeben sollen [7]. Wie ein Fallbericht publizierte, kann dort beispielsweise eine notfallmäßige Behandlung mit einer Cayennepfeffer-haltigen Wärmecreme, einem Nitroglycerin-Spray und/oder einer lokalen Anwendung von Wärme erfolgen. Ob eine Therapie bei akzidentieller Anwendung überhaupt nötig oder hilfreich ist, sei laut Autoren nach aktueller Datenlage jedoch unklar. In 99% der dokumentierten Fälle käme es nicht zu einer gefürchteten Nekrose [8].

Zeit ist Trumpf

Hysterie scheint nicht angebracht. Das gilt auch für unsichere Patienten, die eine unnötige Injektion scheuen. Zur Erinnerung: Einer Anaphylaxie liegt am häufigsten eine IgE-vermittelte Allergie zugrunde. Zur Klassifizierung anaphylaktischer Reaktionen werden in der Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie vier Schweregrade unterschieden. Bei Stufe I treten Haut- und Allgemeinsymptome wie Juckreiz, Flush, Urtikaria und Angioödem auf. Treten weitere Beschwerden auf, wird je nach Inten­sität von Stufe II bis IV differenziert. Die Beschwerden betreffen Abdomen (Übelkeit, Krämpfe, Erbrechen bis hin zu Defäkation), Respirationstrakt (Rhinorrhö, Dyspnoe, Zyanose, Bronchospasmus bis Atemstillstand) und/oder Herz-Kreislauf-System (Tachy­kardie, Schock bis Kreislaufstillstand). Nach heutigem Kenntnisstand ist sowohl die Einnahme von Beta-Adrenozeptorenantagonisten als auch aller­gisches Asthma bronchiale mit einem erhöhten Risiko für schwere Anaphylaxie assoziiert [1].

Das Tückische: Zu Beginn weiß niemand, wohin die Reise geht, warnt die S2k-Leitlinie zur Akutbehandlung der Anaphylaxie: „Anaphylaktische Reaktionen können auf jeder Stufe der Symptomatik spontan zum Stillstand gelangen, aber auch trotz adäquater Therapie fortschreiten.“ Ebenso können Kreislaufbeschwerden beispiels-weise ohne vorherige Hautsymptome auftreten. Die Applikation sollte also im Zweifel lieber einmal zu früh als zu spät erfolgen.

Lieber zwei Adrenalin-Autoinjektoren?

Manche Patienten tragen zwei Auto­injektoren bei sich. Aber wann ist das wirklich nötig? In der S2k-Leitlinie „Akuttherapie und Management der Anaphylaxie“ werden verschiedene Indikationen für die Verordnung genannt:

  • besonders schwere Anaphylaxie in der Vergangenheit
  • hohes Körpergewicht: > 100 kg KG
  • unkontrolliertes Asthma bronchiale
  • schlechte Erreichbarkeit der nächsten notfallmedizinischen Versorgung
  • besonders hohes Risiko für schwere Anaphylaxie (z. B. Erwachsene mit Mastozytose)
  • organisatorisch: für verschiedene Orte z. B. Kinderbetreuungsstätte/Schule sowie gemäß familiärer Situation (getrennt lebende Eltern) [2]

Apotheker sollten darauf achten, dass bei Folgeverordnungen Autoinjektoren der gleichen Applikationstechnik bestellt werden.

Nach der Injektion: Notruf nicht vergessen!

In jedem Fall müssen Patienten nach der Applikation den Notarzt unter 112 mit dem Stichwort „Anaphylaxie“ alarmieren – selbst bei Besserung! „Bekannt ist, dass Betroffene nach erfolgreich behandelter Anaphylaxie infolge eines Insektenstiches nur unzureichend nachbetreut werden“, klagt die aktuelle S2k-Leitlinie. Zwischen fünf und 20 Prozent der Patienten entwickeln nach erfolgreicher Therapie einen protrahierten oder biphasischen Verlauf mit erneuten Symptomen nach sechs bis 24 Stunden. Apotheker sollten bei der Abgabe unbedingt darauf hinweisen. Bis der Rettungsdienst eintrifft, sollte der Betroffene – sofern ansprechbar – sich hinlegen und die Beine hochlagern. Bei erschwerter Atmung ist hingegen eine sitzende Position günstiger [6].

Regelmäßig überprüfen

Patienten sollten ihren Notfallpen in regelmäßigen Abständen auf Schwebeteilchen oder Trübung überprüfen. Die Wirkstofflösung soll farblos und klar sein: Während bei dem Autoinjektor Anapen® durch Drehen ein Sichtfenster freigelegt werden kann, muss hierfür bei Emerade® ein Aufkleber angehoben werden. Bei Fastjekt® kann der Inhalt durch ein Sichtfenster überprüft werden. 

Literatur

[1] Pressemitteilungen des BfArM 12/16. „Blaue Hand“: Neues Logo kennzeichnet Schulungsmaterial, Stand: 01.12.2016, https://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/pm12-2016.html

[2] Ring J, Beyer K, Biedermann T et al. Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie, S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klini-sche Immunologie, Stand 2021, Allergo J Int 2021;30:1-25

[3] Fachinformation Fastjekt® Junior, 150 Mikrogramm, Injektionslösung im Fertigpen, Viatris, Meda Pharma GmbH & Co. KG, Stand: Dezember 2022, www.fachinfo.de

[4] Przybilla B, Rueff, F. Insektenstiche. Klinisches Bild und Management. Dtsch Arztebl Int 2012;109(13):238-48; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0238

[5] Schulungsmaterial. Genehmigtes Schulungsmaterial zu Wirkstoffen bzw. Arznei-mitteln. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Stand: 2024 https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Schulungsmaterial/_functions/Schulungsmaterial_Formular.html?wirkstoffPrefix=listWirkstoffE

[6] Fachinformation Anapen® Junior, Bioprojet Pharma, Stand: Juli 2023, www.rote-liste.de

[7] Anwendung. Anapen2. Informationen der Firma Bioprojet Deutschland GmbH. https://anapen2.de/anwendung

[8] Fritz T, Pohlemann T, Klein M. Accidental thumb injection with an epinephrine autoinjector. Dtsch Arztebl int 2017;114:804, DOI: 10.3238/arztebl.2017.0804

Antwort zu der Quizfrage in der Bildunterschrift: Auf dem Fastjekt®-Pen befindet sich noch die blaue Sicherheitskappe. Diese muss im Notfall vor der Anwendung abgezogen werden. Außerdem sollte der Anwender seinen Daumen nicht oben platzieren. Richtig wäre die Fausthaltung. So kann eine versehentliche Injektion in den Daumen verhindern werden, falls der Pen falsch herum gehalten wird. 


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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