Anticholinerge Effekte im Verdacht

Welche Antipsychotika das Pneumonie-Risiko erhöhen

06.08.2024, 17:50 Uhr

Hohe Dosen von Antipsychotika erhöhten in einer Studie das Pneumonie-Risiko. (Foto: agenturfotografin / AdobeStock)

Hohe Dosen von Antipsychotika erhöhten in einer Studie das Pneumonie-Risiko. (Foto: agenturfotografin / AdobeStock)


Was haben Quetiapin, Olanzapin und Clozapin mit Pneumonie zu tun? Das rätselhafte Bindeglied scheinen anticholinerge Nebenwirkungen zu sein. Das legt nun eine Untersuchung von fast 62.000 Patienten nahe, bei denen insbesondere Wirkstoffe mit hohem anticholinergem Potenzial dosisabhängig das Risiko für Pneumonie erhöhen.

Schon in der Vergangenheit konnte in Beobachtungsstudien ein Zusammenhang zwischen Antipsychotika – insbesondere Clozapin – und Pneumonien festgestellt werden. Ob und bei welchen Wirkstoffen eine Assoziation besteht, ob diese dosisabhängig ist, von der Rezeptorbindung abhängt und Polymedikation das Risiko beeinflusst, das haben nun Forscher in einer Kohortenstudie mit 61.889 Patientinnen und Patienten untersucht [1]. 

Primärer Outcome war die Hospitalisierung aufgrund von Pneumonie. Eingeschlossen wurden finnische Patienten ab 16 Jahren mit Schizophrenie oder schizoaffektiven Störungen. Sie waren durchschnittlich 46,2 Jahre alt. Das Follow-up der Studie dauerte von 1996 bis 2017, und die Daten für die Studie entnahmen die Wissenschaftler verschiedenen Registern, unter anderem dem Krankenhaus-Entlassregister.

Insgesamt kein erhöhtes Risiko feststellbar ...

Im Verlauf der 22 Jahre wurden 8917 Patienten (14,4%) mindestens einmal wegen Lungenentzündung stationär behandelt, 12,8% von ihnen verstarben innerhalb von 30 Tagen. Grundsätzlich nahm die Inzidenz für eine Pneumonie mit steigendem Alter zu, insbesondere ab mittlerem Alter (50 bis 54 Jahre). Im Vergleich zu Frauen erkrankten Männer ab 40 Jahren häufiger an einer Pneumonie. Bei dem Zusammenhang mit Antipsychotika werden die Studienergebnisse dann allerdings kompliziert: Ohne Differenzierung konnten die Forscher kein erhöhtes Pneumonie-Risiko aufgrund von Antipsychotika feststellen (adjusted hazard ratio [aHR] = 1,12, 95%-Konfidenzintervall [KI] = 0,99 bis 1,26), also wenn sie Patienten mit irgendeiner antipsychotischen Medikation und Patienten ohne eine solche verglichen.

... außer in hoher Dosis oder bei anticholinerger Last

Allerdings erhöhten hohe Dosen von Antipsychotika in der Gesamtaus­wertung das Pneumonie-Risiko um 20% (aHR = 1,20, 95%-KI = 1,06 bis 1,37, p = 0,005). Gegenüber keiner Einnahme war auch eine Monotherapie mit einem Anti­psychotikum dosisabhängig mit einer Pneumonie assoziiert – nicht jedoch eine Polymedikation. Offensichtlich muss differenziert werden: Antipsychotika der ersten Generation, wie beispielsweise Haloperidol, sind starke Dopamin-2-Rezeptor-Ant­agonisten. Interessanterweise stellten die Autoren entgegen ihrer Vermutung bei diesen Arzneistoffen keine Assoziation mit einer Pneumonie fest.

Auffällig waren hingegen atypische Neuroleptika, die zusätzlich zur Dopaminblockade unter anderem an muskarinergen Rezeptoren antagonistisch wirken: In der Studie erhöhte die Hochdosis-Therapie mit Quetiapin (≥ 440 mg/d) das Pneumonie-Risiko mit 78% am stärksten, gefolgt von 43 bis 44% bei hoch- oder mitteldosierter Therapie mit Clopazin (≥ 180 mg/d) sowie 29% unter hochdosiertem Olanzapin (≥ 11 mg/d). Die Forscher vermuten, dass die Risikoerhöhung mit der anticholinergen Last zusammenhängt.

Quetiapin, Clozapin und Olanzapin am riskantesten

Die Hemmung des muskarinergen Acetylcholin-Rezeptors führt insbesondere bei mittel- oder hochpotenter anticholinerger Potenz zu zentralnervösen und peripheren Nebenwirkungen (siehe Kasten „antcholinerge Nebenwirkungen“). Die Wissenschaftler erläutern einen möglichen Zusammenhang dieser mit einer Pneumonie. Unter anderem können aufgrund der anticholinergen Wirkung eine reduzierte Mucussekretion und mangelnde Speichelproduktion auftreten. Möglicherweise liegen infolge antimikrobielle Peptide und Substanzen in reduzierter Konzentration vor, die Teil der natürlichen Infektabwehr gegenüber aerogenen Pathogenen im menschlichen Körper sind. Außerdem hemmen anticholinerge Antipsychotika die mukoziliäre Clearance und reduzieren den Druck des unteren ösophagealen Sphinkters. Vor dem Hintergrund, dass Pneumonie und kognitive Funktionen ebenfalls bekanntermaßen zusammengehören, könnte das Pneumonie-Risiko auch mit den zentralnervösen Nebeneffekten zusammenhängen.

Anticholinerge Nebenwirkungen

Bei Hemmung der zentralen und peripheren muskarinergen Acetylcholin-Rezeptoren treten vielfältige Effekte auf, die klinisch von Mundtrockenheit bis hin zu Delir reichen können. Typische anticholinerge (= antimuskarinerge) Nebenwirkungen können unterteilt werden in:

periphere anticholinerge Wirkungen:

  • Obstipation
  • Mundtrockenheit
  • Miktionsstörung
  • Akkomodationsstörungen

zentrale anticholinerge Wirkungen:

  • Konzentrationsstörungen
  • Verwirrtheit (bis hin zu Delir)
  • Demenzrisiko

Tatsächlich konnten die Autoren der Studie eine Assoziation zwischen erhöhtem Pneumonie-Risiko nur bei jenen Wirkstoffen feststellen, die ein hohes anticholinerges Potenzial aufweisen (aHR = 1,26, 95%-KI = 1,10 bis 1,45, p < 0,001). Antipsychotika mit mittlerem anticholinergem Effekt erhöhten das Pneumonie-Risiko nur dann, wenn sie in hohen Dosierungen eingesetzt wurden. Die Erklärung dahinter könnte sein, dass bei steigender Dosierung in der Monotherapie das Risiko aufgrund der Rezeptorsättigung ansteigt.

Vor diesem Hintergrund erscheint nachvollziehbar, wieso die Forscher weder bei einer Monotherapie im niedrigen und mittleren Dosisbereich noch bei Polymedikation eine Assoziation zu Pneumonie feststellen konnten. Schließlich kommen bei Polymedikation in der Regel niedrigere Dosierungen zum Einsatz, um eine Hochdosis-Monotherapie zu vermeiden. 

Die Autoren fassen zusammen, dass die Polymedikation im Vergleich zu einer hochdosierten Monotherapie mit einem niedrigeren Pneumonie-Risiko verbunden ist. Grundsätzlich verursachen atypische Neuroleptika weniger extrapyramidal-motorische Bewegungsstörungen und Dyskinesien. Umgekehrt weisen Wirkstoffe wie Haloperidol mit niedrigem anticholinergem Risiko dafür höhere extrapyramidal-motorische Störungen u. a. auf.

Prävention bei Hochdosis-Therapie

Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass präventive Maßnahmen für Patienten nötig sind, die eine Hochdosis-Therapie benötigen. Die Autoren der Studie mahnen dazu, bei Patienten mit mittel- und hochpotent anticholinergen (s. Kasten „anticholinerges Potenzial“) Nebenwirkungen Patienten hinsichtlich ihrer Essgewohnheiten und Schluckfähigkeit zu beobachten, um insbesondere bei Schwierigkeiten das Aspirationsrisiko senken zu können. Patienten sollten Tipps zu gesunden Essgewohnheiten erhalten. 

Anticholinerges Potenzial

Übersicht über das anticholinerge Potenzial verschiedener Neuroleptika (nach [4]):

hoch

  • Chlorpromazin
  • Levomepromazin
  • Chlorprothixen
  • Clozapin

mittel

  • Promazin
  • Olanzapin
  • Quetiapin

niedrig

  • Haloperidol
  • Melperon
  • Risperidon
  • Aripiprazol

Als Schwäche der Studie räumen die Autoren ein, dass das Register nicht genügend Daten umfasste, um andere Risikofaktoren für eine Pneumonie korrekt einzubeziehen, wie beispielsweise den Raucherstatus und weitere Lebensstilfaktoren. Insgesamt unterstreicht die Studie damit die Bedeutung, dass die Indikation von Neuroleptika regelmäßig überprüft und der Einsatz zurückhaltend erfolgen sollte. 

In einer jüngst veröffentlichten Kohortenstudie mit fast 174.000 Demenz-Patienten konnte ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Pneumonie sowie Schlaganfall, Myokardinfarkt und Herzinsuffizienz festgestellt werden, wie in DAZ 2024, Nr. 20, S. 26 berichtet [3].

Literatur

[1] Luykx JJ et al. Pneumonia Risk, Antipsychotic Dosing, and Anticholinergic Burden in Schizophrenia, JAMA Psychiatrie, Juni 2024, doi:10.1001/jamapsychiatry.2024.1441

[2] Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage 2020, Wissen-schaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

[3] Mok PLH et al. Multiple adverse outcomes associated with antipsychotic use in people with dementia: population based matched cohort study BMJ 2024; 385 :e076268 doi:10.1136/bmj-2023-076268.

[4] Luykx JJ et al. Antipsychotic dose, anticholinergic burden, and incident pneumonia in patients with schizophrenia. Online verfügbare Supplemente, JAMA Psychiatry 2024: doi:10.1001/jamapsychiatry.2024.1441


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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