Wie Erwartung den Schmerz lindert

Verhalten von Mäusen erklärt Placebo-Effekt

13.08.2024, 10:45 Uhr

Forscher hoffen, einen Schlüssel für die Medizin gefunden zu haben. (Foto: filin174 / AdobeStock)

Forscher hoffen, einen Schlüssel für die Medizin gefunden zu haben. (Foto: filin174 / AdobeStock)


Die Wissenschaft weiß wenig darüber, wie der Placebo-Effekt genau entsteht und warum er bei manchen Menschen weniger stark ausgeprägt ist. Immerhin haben Neurowissenschaftler jetzt herausgefunden, welche Nervenzellen ihn vermitteln ‒ zumindest bei Mäusen.

Kaum ein Phänomen der Pharmazie ist so schwer zu fassen wie der Placebo-Effekt. Er kann Schmerzen lindern oder Menschen nach wochenlanger Schlaflosigkeit endlich einschlummern lassen. Verantwortlich dafür ist nicht ein Wirkstoff, sondern allein die Erwartung: Ärzte oder Forschende verabreichen uns eine Pille oder Spritze, also „muss“ es besser werden.

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Die Wissenschaft weiß wenig darüber, wie der Placebo-Effekt genau entsteht und warum er bei manchen Menschen weniger stark ausgeprägt ist. Immerhin haben Neurowissenschaftler jetzt herausgefunden, welche Nervenzellen ihn vermitteln ‒ zumindest bei Mäusen. Die Forscher ließen die Tiere in zwei Kammern laufen. In Kammer Nummer eins war der Boden drei Tage lang unangenehm heiß, in der zweiten Kammer herrschten angenehme 30 °C. Dann heizten die Forscher beide Kammern auf schmerzhafte 48 °C auf. Obwohl beide Kammern gleich heiß waren, bevorzugten die Mäuse die zuvor kühlere Kammer. Und im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die nicht auf das Szenario trainiert worden war, hielten sie den Schmerz länger aus ‒ der Placebo-Effekt war am Werk.

Hinweis, dass Endorphine die Placebo-Schmerzlinderung steuern

Besonders aktiv waren Neuronen in den Kerngebieten der Pons, einem Teil des Hirnstamms der Mäuse. Diese Areale waren zuvor eher mit Bewegung, nicht aber mit Schmerz in Verbindung gebracht worden. Die Forscher untersuchten die Nerven­zellen genauer. 65% von ihnen waren mit Opioid-Rezeptoren ausgestattet ‒ ein Hinweis darauf, dass Endorphine die Placebo-Schmerzlinderung steuern müssen. Die Wissenschaftler blockierten die Aktivität dieser Nervenzellen, und siehe da: Die Lernphase der Mäuse linderte den Schmerz nicht mehr. 

Die Forscher hoffen, mit dieser Erkenntnis einen Schlüssel für die Medizin gefunden zu haben: Statt den Placebo-Effekt eher zufällig als Teil der Wirkung von Schmerzmitteln zu nutzen, könnte er gezielt gesteuert werden ‒ etwa durch kognitive Verhaltenstherapie oder neuartige Schmerzmittel.

Literatur

Chen C et al. Neural circuit basis of placebo pain relief. Nature 2024, https://doi.org/10.1038/s41586-024-07816-z 

Nadaff M. How do placebos ease pain? Mouse brain study offers clues. Nature 2024, News vom 24. Juli 2024


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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