Allergische Rhinitis konsequent therapieren

Etagenwechsel bei Allergie – wie kann man ihn verhindern?

19.08.2024, 07:00 Uhr

Unter dem Etagenwechsel bei einer Allergie versteht man das Übergreifen der Symptome von den oberen Atemwegen (Nase) auf die unteren Atemwege (Lunge). (Foto: Jürgen Kottmann / AdobeStock)

Unter dem Etagenwechsel bei einer Allergie versteht man das Übergreifen der Symptome von den oberen Atemwegen (Nase) auf die unteren Atemwege (Lunge). (Foto: Jürgen Kottmann / AdobeStock)


Die Nase juckt und läuft, die Augen brennen – für Allergiker meist ein Zeichen, dass die Pollensaison in vollem Gange ist. Bei einigen von ihnen bleibt es nicht nur bei Symptomen der oberen Atemwege, sondern die Allergie breitet sich aus – es kommt zum sogenannten Etagenwechsel mit den typischen asthmatischen Beschwerden. Doch wie hoch ist das Risiko und wie lässt sich dem vorbeugen?

Weltweit sind mehr als 500 Millionen Menschen von einer Allergie betroffen – Tendenz steigend. Auch in Deutschland ist die Häufigkeit von Allergien seit 1970 stark gestiegen. In der vom Robert-Koch-Institut beauftragten Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA 2014/2015-EHIS) gaben mehr als 28% der Befragten an, in den letzten zwölf Monaten von einer allergischen Erkrankung außer Asthma betroffen zu sein. Im Rahmen der Erhebung berichteten besonders Frauen und Erwachsene im jungen und mittleren Alter über allergische Symptome [1 – 5].

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Die allergische Rhinitis bzw. allergische Rhinokonjunktivitis zählt zu den häufigsten Formen einer Allergie. Es handelt sich hierbei um eine Typ-I-Allergie (Sofort-Typ), die durch die Produktion allergenspezifischer Immunglobulin-E-Antikörper (sIgE) charakterisiert ist. Durch eine überschießende Reaktion des körpereigenen Immunsystems gegenüber eigentlich harmlosen Stoffen aus der Umwelt kommt es unmittelbar nach Exposition durch die IgE-vermittelte Immunreaktion zu den typischen Beschwerden. Diese betreffen insbesondere Nase und Augen – so sind Niesattacken, laufende oder verstopfte Nase, Rötung und Schwellung der Konjunktiva oder Juckreiz die am häufigsten auftretenden Symptome. Je nach Schwere der Symptomatik berichten Betroffene auch über Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schlafstörungen. Dabei können die Beschwerden je nach betreffendem Allergen sowohl saisonal (z. B. Gräser-, Birkenpollen) als auch ganzjährig (z. B. Hausstaubmilben) auftreten. Wobei durch den Klimawandel viele Allergiker über früher einsetzende und länger anhaltende Beschwerden klagen [1, 5, 6].

Genetik und geringerer Keimkontakt ursächlich?

Die Ursachen für die Entstehung einer allergischen Rhinitis sind vielfältig. Besonders genetische Faktoren sind entscheidend – wenn beide Elternteile Atopiker sind, steigt die Wahrscheinlichkeit beim Kind selbst zu erkranken, auf über 50%. Auch nicht-genetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. Sowohl ein geringerer Kontakt mit Mikroorganismen, Umweltverschmutzungen als auch Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten mit einhergehender Veränderung der Darmflora stehen im Fokus der Ursachenforschung. Auch Frühgeburten und Passivrauchen werden als Risikofaktoren diskutiert [5, 7 – 10].

Verharmlosung der Symptome – adäquate Therapie Fehlanzeige

Wichtig ist, dass die Symptome rechtzeitig erkannt und therapiert werden. Eine allergische Rhinitis ist nicht nur ein harmloser „Heuschnupfen“, sondern eine ernst zu nehmende Erkrankung. Sowohl von den Betroffenen als auch von den Ärzten werden die Beschwerden häufig verharmlost und als Bagatelle abgetan. Es gibt so viele Allergiker wie nie zuvor, dennoch erhalten hierzulande nur 5 bis 10% der Betroffenen eine adäquate Therapie. Die Zahl ist erschreckend gering, denn wenn nicht frühzeitig und konsequent die Beschwerden behandelt werden, droht eine Ausweitung der Erkrankung bis hin zum Etagenwechsel [1, 2, 7, 10].

Etagenwechsel – auf erste Anzeichen achten

Unter dem Etagenwechsel bei einer Allergie versteht man das Übergreifen der Symptome von den oberen Atemwegen (Nase) auf die unteren Atemwege (Lunge). Der Mechanismus, der dem Etagenwechsel zu Grunde liegt, ist bisher nicht exakt belegt. Man weiß, dass entzündliche Prozesse eine Rolle spielen, die sich auf die unteren Atemwege ausbreiten. Wenn die allergisch entzündete Nasenschleimhaut nicht mehr ihren Aufgaben nachkommt, gelangt vermehrt ungefilterte Atemluft in die unteren Atemwege und löst dort eine Hyperreagibilität des Bronchialsystems aus. Bei Kontakt mit dem Allergen bleibt es dann nicht mehr bei einer juckenden und laufenden Nase, sondern die Bronchien ziehen sich krampfartig zusammen – es kommt zu den typischen asthmatischen Beschwerden. Zu den ersten Anzeichen eines beginnenden Etagenwechsels zählen unter anderem trockener Husten und Räuspern. Hat sich ein allergisches Asthma manifestiert, treten insbesondere anfallartige Atemnot, Hustenanfälle, Kurzatmigkeit und giemende Atemgeräusche auf. Bei Kindern und Jugendlichen gilt als erstes Warnzeichen eine abnehmende Belastbarkeit bei sportlichen Aktivitäten [2, 7, 11 – 14].

Risiko dreifach erhöht

Im Vergleich zur Normalbevölkerung haben Erwachsene mit allergischer Rhinitis ein dreifach erhöhtes relatives Risiko, in weniger als zehn Jahren an einem allergischen Asthma zu erkranken. Bei Kindern scheint besonders eine früh aufgetretene allergische Rhinitis das Risiko für einen Etagenwechsel zu erhöhen – so steigt bei Jungen das Risiko um das 3,6–fache und bei Mädchen um das 2,3–fache. Dabei ist der Schweregrad der allergischen Rhinitis kein Merkmal für die Entwicklung eines allergischen Asthmas – so können auch leichte Beschwerden einen Etagenwechsel nach sich ziehen [2, 5, 6, 15].

Nicht warten – sondern handeln

Der Etagenwechsel ist demnach die gefürchtetste Folge einer unzureichend behandelten allergischen Rhinitis. Um dem vorzubeugen ist ein frühzeitiges Handeln das A und O. Bei entsprechendem Beschwerdebild sollte daher zunächst ein Allergologe aufgesucht und eine ausführliche Diagnostik mit entsprechenden Allergietestungen (z. B. Prick-Test) durchgeführt werden. Hat sich die Diagnose bestätigt und konnten die entsprechenden Allergene, auf die der Patient reagiert, identifiziert werden, sollte ein multimodales Therapiekonzept eingeleitet werden. Dieses basiert sowohl auf einer ausführlichen Beratung und Aufklärung der Patienten, als auch auf dem Anstreben einer möglichen Allergenkarenz. Hinzu kommt eine ausreichende medikamentöse Therapie zur Symptomkontrolle und die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) [1, 6, 16].

Symptome unter Kontrolle

Nach ARIA-Leitlinie 2019 (ARIA, Allergic rhinitis and its impact on asthma) zählen systemisch wirksame H1-Antihist­aminika (z.B. Cetirizin, Loratadin, Levocetirizin, Desloratadin) oder lokal wirksame H1-Antihistaminika in Form von Nasensprays und Augentropfen (z. B. Azelastin, Levo­cabastin), Leukotrienrezeptorantagonisten (z. B. Montelukast) und intranasale Kortikosteroide (z. B. Mometason­furoat, Fluticasonpropionat) zu den Mitteln der ersten Wahl. Dabei richtet sich die Auswahl der medikamentösen Therapiemöglichkeiten u. a. nach den Präferenzen des Patienten, den Symptomen und deren Schweregrad und vorhandener Komorbiditäten (s. Abb. 1) [1, 6, 12, 17].

Abb.: Einschätzung der Symptomkontrolle bei unbehandelten symptomatischen Patienten: Auf der Basis von visuellen Analogskalen (VAS) können bei Jugendlichen ab zwölf Jahren und Erwachsenen bedarfsabhängig schrittweise und unter Berücksichtigung individueller Präferenzen des Patienten die pharmakologische Therapie intensiviert bzw. reduziert werden. Die visuellen Analogskalen erlauben eine reproduzierbare Kategorisierung der Symptomschwere in Stufen als Basis für die medikamentöse Therapie (nach [6]).

Die oben genannten Medikamente zählen nicht zur kausalen Therapie der allergischen Rhinitis, sondern dienen allein der Kontrolle der Erkrankung. Dennoch konnte gezeigt werden, dass bei frühzeitiger und erfolgreicher Therapie das Risiko für die Entwicklung eines Etagenwechsels reduziert werden kann. Die antientzündliche Wirkung scheint hier eine Rolle zu spielen – so richten sich die Substanzen gegen die Mastzell- und T-Zellgesteuerten Entzündungs­prozesse [16 – 18].

Hyposensibilisierung als kausaler Ansatz

Die allergenspezifische Immuntherapie, auch spezifische Immuntherapie (SIT) oder kurz Hyposensibilisierung genannt, ist als einzige kausale Therapie anerkannt. Hiermit lässt sich nicht nur der individuelle Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, sondern auch dem Entstehen weiterer Allergien kann entgegengewirkt werden. Nach aktueller Datenlage scheint die spezifische Immuntherapie auch in der Lage zu sein, einen Etagenwechsel zu verhindern. Wichtig ist jedoch ein frühzeitiger Beginn – je kürzer der Krankheitsverlauf und je schmaler das Allergenspektrum, desto erfolgreicher ist die Hyposensibilisierung. Reagiert der Patient hingegen auf zahlreiche Allergene oder ist bereits ein allergisches Asthma eingetreten, sind die Erfolgs­aussichten geringer. Deshalb sollte der frühzeitige Zugang zu einer allergenspezifischen Immuntherapie angestrebt werden [2, 3, 6, 7, 19 – 23].

Ziel: Toleranzentwicklung

Das Ziel einer spezifischen Immuntherapie ist die Toleranzentwicklung gegenüber dem betreffenden Allergen. Diese wird durch eine mehrphasige Immunmodulation erzielt, die sowohl das angeborene als auch das adaptive Immunsystem beeinflusst. Dieser Prozess dauert natürlich – daher muss die Hyposensibilisierung in der Regel über drei bis vier Jahre durchgeführt werden. Dabei wird dem Patienten das entsprechende Allergen entweder subkutan (SCIT) oder sublingual (SLIT) verabreicht. Die SCIT erfolgt in der Arztpraxis und schließt eine darauffolgende 30-minütige Beobachtungszeit ein, um bei möglichen Komplikationen eine rasche Behandlung zu gewährleisten. Die SLIT ist mit etwas weniger Aufwand verbunden – die erste Einnahme erfolgt in der Praxis unter Beobachtung, bei guter Verträglichkeit erfolgt sie im weiteren Verlauf zu Hause. Aber nicht jede allergenspezifische Immuntherapie ist sowohl in Tablettenform als auch als Spritze erhältlich und gleich effektiv. Welche Applikationsform in Betracht gezogen wird, ist individuell und muss gemeinsam mit dem Patienten besprochen werden. Außerdem ist zu beachten, dass die Therapie nicht für jedes Allergen gleichermaßen geeignet ist und sich auch die Wirksamkeit einzelner Präparate nicht auf alle eins zu eins übertragen lässt. Eine entsprechende Übersichtstabelle der in Deutschland vertriebenen Präparate ist über die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) verfügbar [2, 7, 10, 19, 24].

Fazit: Ausweitung vermeidbar

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Etagenwechsel durch eine frühzeitige und konsequente Therapie in vielen Fällen vermeidbar ist. Voraussetzung ist, dass die Symptome der allergischen Rhinitis sowohl aus Patienten- als auch aus ärztlicher Sicht nicht als harmlos abgetan werden, sondern eine rechtzeitige Diagnostik eingeleitet wird. Noch erhalten zu wenige Allergiker eine adäquate Therapie. Mehr Anstrengungen sind notwendig, um in Zukunft jedem Betroffenen eine angemessene Versorgung zu ermöglichen und Folgeschäden zu vermeiden.

Literatur

 [1] Pollenallergie. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com/de/Pollenallergie

 [2] Meinrenken S. Allergie-Etagenwechsel: Anzeichen, Verlauf, Gegenmaßnahmen. Informationen der MeinAllergiePortal GbR, www.mein-allergie-portal.com/pollenallergie-heu­schnupfen/126-etagenwechsel-anzeichen-verlauf-und-gegenmassnahmen.html

 [3] Dikken B. AIT kann Etagenwechsel bei Atemwegsallergien frühzeitig vorbeugen. Allergo J 2023;32:50, doi.org/10.1007/s15007-023-5780-1

 [4] Genuneit J et al. Epidemiologische Forschung zu allergischen Erkrankungen in Deutschland: eine Chronologie. Allergologie 2012;35(1):3-10

 [5] Schmitz R et al. 12-Monats-Prävalenz von Allergien in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017;2(1), doi 10.17886/RKI-GBE-2017-011.2

 [6] Klimek L et al. ARIA-Leitlinie 2019: Behandlung der allergischen Rhinitis im deutschen Gesundheitssystem. Allergo J Int 2019;28:255-76

 [7] Jossé S. Etagenwechsel von Heuschnupfen zu Pollenasthma. Informationen der MeinAllergiePortal GbR; www.mein-allergie-portal.com/pollenallergie-heuschnupfen/30-heuschnupfen.html

 [8] Arrieta MC et al. Early infancy microbial and metabolic alterations affect risk of childhood asthma. Sci Transl Med 2015; 7(307):307ra152

 [9] Graham-Rowe D. Lifestyle: When allergies go west. Nature 2011;479:2-4

[10] Klimek L et al. Weißbuch Allergie in Deutschland. 4. Auflage, Springer Medizin Verlag GmbH 2018

[11] Etagenwechsel. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com/de/Etagenwechsel

[12] Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen. 11. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020

[13] Unbehandelt droht jedem dritten Heuschnupfenpatienten Asthma. Informationen der Lungenärzte im Netz, www.lungenaerzte-im-netz.de/ratgeber-archiv/meldung/unbehandelt-droht-jedem-dritten-heuschnupfenpatienten-asthma-6/

[14] Allergien: Folgekrankheiten vermeiden. DAZ 2002;8:44, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2002/daz-8-2002/uid-5542

[15] Shaaban R et al. Rhinitis and onset of asthma: a longitudinal population-based study. Lancet 2008;372:1049-1057

[16] Ayazpoor U. Allergische Rhinitis: Rechtzeitige Therapie beugt Etagenwechsel vor. HNO Nachrichten 2014; 44:63, doi.org/10.1007/s00060-014-0432-4

[17] Rausch R. Die Allergie bekämpfen mit Cortison. DAZ 2019;18:26, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-18-2019/die-allergie-bekaempfen-mit-cortison

[18] Seidman MD et al. Clinical Practice Guideline: Allergic Rhinitis. Otolaryngology- Head and Neck Surgery 2015;152(1S):1-43

[19] Pfaar O et al. Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen. S2k-Leitlinie, AWMF-Registriernummer: 061-004, Stand: Juni 2022; https://register.awmf.org/assets/guide­lines/061-004l_S2k_Allergen-Immuntherapie-bei-IgE-vermittelten-allergischen_Erkrankungen_2022-10.pdf

[20] Möller C et al. Pollen immunotherapy reduces the development of asthma in children with seasonal rhinoconjunctivitis (the PAT-study). J Allergy Clin Immunol 2002; 109:251-256

[21] Zielen S et al. Sublingual immunotherapy provides long-term relief in allergic rhinitis and reduces the risk of asthma: A retrospective, real-world database analysis. Allergy 2018; 73:165-177

[22] Wahn U et al. Real-world benefits of allergen immunotherapy for birch pollen-associated allergic rhinitis and asthma. Allergy 2019;74:594-604

[23] Fritzsching B et al. Long-term real-world effectiveness of allergy immunotherapy in patients with allergic rhinitis and asthma: Results from the REACT study, a retrospective cohort study. Lancet Reg Health Eur 2021; doi:10.1016/j.lanepe.2021.100275

[24] Allergen-Immuntherapie. Präambel - Online-Tabellen zur AIT-S2k-Leitlinie 2022 der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI), www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-ait


Dr. Martina Wegener, Apothekerin
redaktion@daz.online


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