Rauschmittel aus der Apotheke

Wiesbaden will Modellregion für Cannabis-Verkauf werden

Berlin - 23.08.2024, 07:00 Uhr

Die Stadt Wiesbaden will in einem Modellversuch Cannabis in Apotheken ohne Rezept verkaufen. (Foto: IMAGO / Jan Huebner)

Die Stadt Wiesbaden will in einem Modellversuch Cannabis in Apotheken ohne Rezept verkaufen. (Foto: IMAGO / Jan Huebner)


Bei den Anbauvereinigungen für Cannabis hakt es in der Umsetzung. Für Club-Gründer*innen gibt es hohe administrative Hürden. In Wiesbaden möchte man deshalb alternative Versorgungswege für Genusskonsument*innen erproben und in einem Modellversuch Cannabis ohne Rezept in Apotheken verkaufen.

Die Stadt Wiesbaden will neue Wege für die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken erproben. Am 15. August hatte die Gesundheitsdezernentin Milena Löbcke (Linke) eine Absichtserklärung unterzeichnet, die vorsieht, in der hessischen Landeshauptstadt einen Modellversuch für die Abgabe von Cannabis in Apotheken zu initiieren. Darüber informierte die Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung auf ihrer Internetseite.

In dem Projekt soll die geregelte Abgabe von Cannabis in Apotheken an Genuss-Konsument*innen erprobt werden. Löbcke sieht darin einen notwendigen Schritt im Rahmen der Teillegalisierung: „Der Aufbau einer zweiten Säule neben dem privaten Anbau und den Anbauvereinigungen ist essentiell, um den Schwarzmarkt zu marginalisieren und die Zielstellungen eines erfolgreichen Kinder-, Jugend- und Gesundheitsschutzes zu erreichen.“ Man stütze sich dafür auf erfolgreiche Modellversuche in der Schweiz. Über die Bewilligung des Antrags muss das Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft entscheiden.

Geht es nach den Antragsstellern, könnte das Projekt im kommenden Jahr starten. Die potenziellen Käufer*innen müssten volljährig sein, in der Region wohnen und sich für das Projekt registrieren. So soll ein Konsumtourismus verhindert werden.

Apotheken als bevorzugte Abgabestellen

Wiesbaden will sich einem bundesweiten Forschungsprojekt des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung Hamburg (ZIS) in Kooperation mit dem Verein „Cannabis Forschung Deutschland“ anschließen. Bundesweit wollen sich 25 Städte beteiligen. Dabei soll die regionale Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften oder Apotheken erprobt und die Auswirkungen auf die Konsument*innenzahl, Konsummengen, sowie unerwünschte Nebeneffekte wie Suchterkrankungen und Kriminalität untersucht werden.

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In der aktuellen Absichtserklärung wird für Wiesbaden die Abgabe in Apotheken angestrebt: „Mit der Abgabe über Apotheken werden wir dafür Sorge tragen, dass die hohen pharmazeutischen Standards auch für die Abgabe von Cannabis greifen. Schon heute liegt bei vielen Apotheken ein hoher Erfahrungsschatz durch die Abgabe von Medizinalcannabis vor“, so Löbcke.

Anbauvereine mit Anlaufschwierigkeiten

Bisher können Konsument*innen Cannabis legal nur über die im Konsumcannabisgesetz (KCanG) beschlossenen Anbau-Vereinigungen beziehen – oder selbst anbauen. Seit dem 1. Juli können Anbauvereinigungen bei den zuständigen Behörden beantragt werden. Allerdings gelten hier hohe bürokratische Einstiegshürden. Hinzu kommt, dass in vielen Regionen – wie beispielsweise in Berlin – Unklarheiten und Kompetenzgerangel über die behördlichen Zuständigkeiten bestehen, die den Anmeldeprozess bisher behindern. 

Mitte August waren deutschlandweit etwa 230 Anträge für die Gründung eine Anbau-Vereinigung bei den Behörden eingegangen, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Bisher wurden jedoch nur in Niedersachsen Anträge bewilligt – Mitte August waren es acht.

Medizinalcannabis für Genusskonsument*innen

Deshalb weichen bisher offenbar viele Genusskonsument*innen nach der Teillegalisierung auf Medizinalcannabis aus, wofür viele Nutzer*innen Rezepte über fragwürdige Online-Portale erhalten. Der Markt dafür boomt, die Nachfrage nach Medizinalcannabis ist seit dem 1. April stark gestiegen. Gegenüber dem ersten Quartal 2024 stiegen deshalb die Importe von medizinischen Cannabisblüten um 40 Prozent. Unter anderem die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft warnte vor einem zunehmenden Missbrauch von Medizinalcannabis.

EU-rechtliche Hürden für Modellregionen

Mit den Modellregionen hatte die Ampelkoalition zunächst eine „2. Säule“ für die Versorgung mit legalem Cannabis zu Genusszwecken entworfen. In einem Eckpunkte-Papier des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vom 12. April 2023 ist von wissenschaftlich betreuten Modellvorhaben die Rede worin „die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden“ sollten. Allerdings war die „2. Säule“ schon im Kabinettsbeschluss zum KCanG nicht mehr vorgesehen.

Auf Anfrage der DAZ teilte das BMG mit, dass es derzeit „Vorbereitungsarbeiten“ für die „2. Säule“ mit den beteiligten Ressorts gebe. Über deren Entwicklungsstand und die voraussichtliche Dauer konnte das Ministerium noch keine Angaben machen. Allerdings gehe man davon aus, dass die Umsetzung der Modellregionen von der Europäischen Kommission notifiziert werden muss. Offenbar wurde das Vorhaben im Zuge der Teillegalisierung deshalb erstmal auf die lange Bank geschoben.

Wiesbadens Gesundheitsdezernentin Löbcke ist jedoch zuversichtlich, den Antrag zeitnah bewilligt zu bekommen. Der Vorsitzende ihrer Linken-Fraktion Ingo von Seemen teilte der DAZ mit, dass man davon ausgehe, das Vorhaben im Rahmen der bestehenden deutschen Gesetze, ohne Intervention der EU-Kommission umsetzen zu können. Er teilte auch mit, dass es bereits jetzt einen Ansturm interessierter Apotheken gegeben habe. Eigentlich seien nur 10 bis 15 Musterapotheken für den Raum Wiesbaden vorgesehen, jedoch hätten sich schon deutlich mehr Interessierte gemeldet.

Keine Absprache mit Apothekenvertretung

Die Präsidentin der hessischen Landesapothekerkammer Ursula Funke wurde von der Veröffentlichung der Pläne überrascht, wie sie der DAZ mitteilte. Sie betreibt selbst eine Apotheke in Wiesbaden und ist eher skeptisch, wenn es um die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken geht. Funke kann sich schwer vorstellen einerseits schwer kranke Menschen zu versorgen und parallel dazu Menschen als Kunden zu betreuen, die sich einfach berauschen wollen. 

Vor allem aber bemängelt sie, dass die verantwortliche Gesundheitsdezernentin bisher offenbar nicht den Kontakt zur Landesapothekenkammer gesucht habe. Eine enge Abstimmung mit den Apotheker*innen – auch denen die sich nicht am Projekt beteiligen wollen oder können – sei dringend nötig, betont Funke.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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