Studie mit modifiziertem Capsaicin

Capsaicin-Prodrug gegen postoperative Schmerzen eingesetzt

Berlin - 16.09.2024, 17:50 Uhr

Capsaicin ist in Chilis enthalten. In der Studie wurde modifiziertes, wasserlösliches Capsaicin topisch verwendet. (Foto: Chouk/AdobeStock)

Capsaicin ist in Chilis enthalten. In der Studie wurde modifiziertes, wasserlösliches Capsaicin topisch verwendet. (Foto: Chouk/AdobeStock)


Chili ist mit Vorsicht zu genießen: In falscher Dosierung verursacht der Inhaltsstoff Capsaicin schmerzhafte Qualen im Mund. Richtig dosiert hat er jedoch den gegenteiligen Effekt und lindert Schmerzen.

Capsaicin aktiviert Schmerzrezeptoren, die den Ionenkanal TRPV1 (Transient Receptor Potential Cation Channel Subfamily V, Member 1, auch Vanilloidrezeptor Typ 1) exprimieren. Sie reagieren auch auf Hitze, Säure oder physikalische Reize wie Kratzen oder Stechen. Öffnet sich TRPV1, erweitern sich die umliegenden Gefäße und es entsteht ein brennendes, heißes Gefühl. Außerdem tritt eine Refraktärphase ein – die Nervenzellen lassen sich für längere Zeit auch durch andere Schmerzreize nicht reaktivieren.

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Die Firma Concentric Analgesics hat mit Vocacapsaicin ein Prodrug des Chili-Inhaltsstoffs entwickelt. Im Gegensatz zu Capsaicin ist Vocacapsaicin wasserlöslich, kann in das Gewebe eindringen und wird dort zu Capsaicin umgewandelt. In einer im August 2024 veröffentlichten Phase-II-Studie untersuchten die Forscher des Unternehmens die schmerzstillende Wirkung ihres Kandidaten bei der Behandlung von postoperativen Schmerzen [1].

147 Probanden unterzogen sich einer Operation zur Korrektur der Groß­zehe. Alle wurden während der Operation örtlich betäubt und anschließend mit Paracetamol und Ketorolac, einem nichtsteroidalen Antiphlogistikum, behandelt. Zusätzlich verabreichten die Ärzte den Probanden unmittelbar nach der Operation 14 ml einer Lösung auf und um das operierte Gewebe. Diese Lösung enthielt entweder 0,05 mg/ml (n = 36), 0,15 mg/ml (n = 36) oder 0,3 mg/ml (n = 38) Vocacapsaicin in physiologischer Kochsalzlösung. 37 Probanden erhielten die Lösung ohne Wirkstoff.

In den folgenden 96 Stunden durften die Probanden nur bei Bedarf zusätzlich Oxycodon zur Schmerzlinderung einnehmen. Über einen Zeitraum von zwei Wochen wurden die Schmerzen der Probanden auf einer eindimensionalen Skala erfasst, wobei 0 für keine Schmerzen und 10 für die stärksten vorstellbaren Schmerzen stand.

Dosisabhängige Analgesie durch Vocacapsaicin

Vocacapsaicin linderte die Schmerzen im Vergleich zu Placebo signifikant. Die Stärke der Wirkung war dosisabhängig. Die höchste Konzentration von 0,3 mg/ml reduzierte den Ruheschmerz in den ersten vier Tagen um 33% im Vergleich zu Placebo (95%-Konfidenzintervall [KI] = 10 bis 52). In absoluten Zahlen ausgedrückt: Zwei Tage nach der Operation reduzierte das Prodrug den Schmerz um 1,8 Punkte, nach vier Tagen um 1,5 Punkte und nach sieben Tagen um 1,1 Punkte.

Aber ist diese Reduktion auch klinisch relevant? Die Autoren der Studie geben an, dass eine Veränderung um einen Punkt auf der numerischen Schmerzskala von 0 bis 10 klinisch bedeutsam ist. Andere Studien sehen eine Differenz von 1,74 bzw. bei postoperativen Schmerzen eine Differenz von 2 Punkten als klinisch relevanten Mindesteffekt [2, 3]. Es ist aber auch klar, dass der Schwellenwert je nach Art des Schmerzes variieren kann.

Opioid-Bedarf reduziert

In der Studie setzten die Probanden, die mit der hoch konzentrierten Wirkstofflösung behandelt wurden, zusätzliche Opioide durchschnittlich 23 Stunden früher ab als die Probanden der Placebogruppe (95%-KI = -4 bis 52 Stunden; p = 0,074). Nach fünf Tagen waren alle Patienten, die die höchste Vocacapsaicin-Dosis erhalten hatten, Opioid-frei, während in der Placebogruppe 16% der Patienten noch Opio­ide einnahmen (95%-KI = 5 bis 30; p = 0,001). Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Auflockerung des Wundgewebes traten in allen vier Studienarmen gleich häufig auf.

US-Gesetz erleichtert Kostenübernahme

Die Möglichkeit, den Opioid-Konsum zu reduzieren, ist insbesondere für den amerikanischen Markt von Inte­resse. Der US-Kongress hat bereits 2021 den „Non-Opioids Prevent Addiction in the Nation Act“ verabschiedet, der im Januar 2025 in Kraft treten wird. Das Gesetz wird die Erstattung von nicht-opioiden Schmerzmitteln durch die US-Krankenversicherung Medicare erleichtern [4]. Die Hersteller haben also ein Interesse daran, Vocacapsaicin schnell auf den Markt zu bringen. Das dürfte auch gelingen, denn die US-Arzneimittelbehörde FDA hat dem Wirkstoff 2018 den Status einer „Breakthrough Therapy“ zuerkannt. Damit wird die FDA eng mit Concentric Analgesics zusammenarbeiten, um die abschließende Phase-III-Zulassungsstudie auf den Weg zu bringen. 

Literatur

[1] Shafer SL et al. Safety and Efficacy of Vocacapsaicin for Management of Postsurgical Pain: A Randomized Clinical Trial. Anesthesiology 2024;141(2):250-261, doi: 10.1097/ALN.0000000000005027

[2] Farrar JT et al. Clinical importance of changes in chronic pain intensity measured on an 11-point numerical pain rating scale. Pain 2001;94(2):149-158, doi: 10.1016/S0304-3959(01)00349-9

[3] Danoff JR et al. How Much Pain Is Significant? Defining the Minimal Clinically Important Difference for the Visual Analog Scale for Pain After Total Joint Arthroplasty. J Arthroplasty 2018;33(7S):S71-S75.e2, doi: 10.1016/j.arth.2018.02.029

[4] Concentric Analgesics Announces Data Highlighting Two Weeks of Durable Pain Relief and Earlier Cessation of Opioids in Two Surgical Procedures. Businesswire 2024, Pressemitteilung von Concentric Analgesics, 6. August 2024


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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