„Störenfriede und Brückenbauer“

Strategien und Wegmarken der E-Rezept-Enthusiasten

Berlin - 08.10.2024, 12:15 Uhr

Von der Digitalisierung im Gesundheitssystem können alle profitieren, sagt der Verein der E-Rezept-Enthusiasten. (Foto: IMAGO / Bihlmayerfotografie)

Von der Digitalisierung im Gesundheitssystem können alle profitieren, sagt der Verein der E-Rezept-Enthusiasten. (Foto: IMAGO / Bihlmayerfotografie)


Die E-Rezept-Enthusiasten wollen weiterhin einiges bewegen. Nachdem mit der flächendeckenden Einführung des E-Rezeptes ein wichtiges Etappenziel erreicht ist, stehen neue Herausforderungen bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen bevor. Gegenüber der DAZ erläuterten die Vorstandsmitglieder Ralf König und Christian Klose die aktuellen Ziele des Vereins.

Der Verein der E-Rezept-Enthusiasten hatte sich während der Corona-Pandemie im Jahr 2022 gegründet. Der Name ist Programm: Seine Mitglieder sind überzeugt vom Nutzen des E-Rezepts und setzten daher alle Hebel in Bewegung, damit es nach zahlreichen Rückschlägen endlich flächendeckend zum Einsatz kommt.

Dass dies für apothekenpflichtige Arzneimittel in diesem Jahr geschehen ist, sehen die Enthusiasten als Erfolg auch für ihren Verein. Dennoch gebe es noch Verbesserungsbedarf, stellte Vorstand Ralf König gegenüber der DAZ klar: Das Versprechen, dass E-Rezepte formal korrekt die Apotheke erreichen, um für die Leistungserbringer Retaxationen auszuschließen, konnte bisher nicht eingelöst werden.

Zudem seien die Vorteile der technologischen Erneuerung nicht überall gleichermaßen spürbar, sagt König. Er könne bei Gesprächspartnern aus Praxen oder Apotheken meist schnell heraushören, welche Systeme sie benutzen. Es gebe „extreme“ Qualitätsunterschiede in der Bedienerfreundlichkeit bei den Primärsystemen, so König.

Digitalisierung rettet Leben

Darüber hinaus stehen neue Etappen bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems bevor. Mit der elektronischen Patientenakte (ePA) für alle und insbesondere mit der elektronischen Medikationsliste könnten Arztpraxen, Apotheken und vor allem die Patientinnen und Patienten enorm profitieren, machen die Enthusiasten deutlich. Allein die Notaufnahmen würden durch den Zugriff auf die automatisch digital dokumentierte Medikation enorm entlastet werden. Zudem könnte man 25.000 bis 30.000 Todesfälle durch falsche Medikation im Jahr deutlich reduzieren, erklärt Vereinsvorstand Christian Klose. Er hat im Bundgesundheitsministerium (BMG) an der Digitalisierung des Gesundheitswesens mitgewirkt.

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Auch König ist überzeugt: „Wir retten mit der elektronischen Medikationsliste vom ersten Tag an Leben.“ Trotz dessen, und obwohl die ePA auch in puncto Wettbewerb mit den Versendern den stationären Apotheken einen Vorteil bringen könnte, hat König den Eindruck, diese Vorzüge, vor allem auch für die optimale Umsetzung von pharmazeutischen Dienstleistungen, seien bei den Apothekern weitgehend unbekannt. In diesem Punkt sehen die E-Rezept-Enthusiasten Aufklärungsbedarf.

Digitaler Enthusiasmus ungebrochen

Für die bevorstehenden Schritte der Digitalisierung des Gesundheitssystems sei die „Technik hinreichend stabil“, sagt Klose. Gerade mit Blick auf die zukünftige Sicherung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung müsse die Digitalisierung konsequent vorangetrieben werden: „Gesundheit darf nicht davon abhängig sein, ob man neben der Charité wohnt“. Digitalisierung sei „ortsunabhängig“.

Was sind die weiteren Wegmarken der Enthusiasten? Die Einführung des E-Rezepts für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), Hilfs- und Heilmittel will der Verein vorantreiben, genauso wie das elektronische BtM-Rezept. Aber auch die Heimversorgung spielt eine zentrale Rolle. Hier setzt sich der Verein für die patientenindividuelle Verblisterung ein. Zudem müsse über die vereinbarte Übergangzeit bis zum kommenden Sommer hinaus das Problem der Chargenübermittlung geregelt werden, erläutert König. Dafür mache sich der Verein stark.

Gesundheitsdaten für Patienten und Leistungserbringer nutzbar machen

Die Chancen technologischer Erweiterungen sollen für die Gesundheitsversorgung der Patienten nutzbar gemacht werden, sagt Klose. Einen der nächsten Schritte dafür sieht er in der digitalen Gesundheits-Identität, die perspektivisch die elektronische Gesundheitskarte ablösen soll. Die digitale Identität sei der „sichere Schlüssel“ des Patienten zu digitalen Anwendungen wie der ePA, der E-Rezept-App der Gematik, DiGAs usw. Die Apotheken werden auch Zugriff auf die ePA-Daten der Patienten bekommen, um beispielsweise Medikationspläne zu erstellen – die Versender hätten demgegenüber keinen Zugriff auf die ePA-Daten, betont Klose und macht damit deutlich: Die Vor-Ort-Apotheken könnten mit ihren Möglichkeiten in vielen Bereichen von der Digitalisierung profitieren.

Gegen die Furcht vorm gläsernen Patienten

Nicht wenige Menschen, gerade in Deutschland, fürchten sich vor dem digitalen Fortschritt und großangelegten Datensammlungen. Wie können diese Vorbehalte mit Blick auf die digitale Gesundheits-ID oder die ePA für alle entkräftet werden?

Dafür müsse man nur in die Nachbarländer schauen, um zu sehen, welche Erfolge durch die digitale Neuausrichtung des Gesundheitssystems erreicht worden sind, sagt Klose. In Österreich und Dänemark habe sich die elektronische Patientenakte bereits bewährt. Für den geplanten Start der ePA für alle in Deutschland im kommenden Jahr erwartet Klose eine Beteiligung von 90 bis 95 Prozent – in erster Linie wegen der beschlossenen Opt-Out-Lösung.

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Dennoch gibt es ePA-kritische Äußerungen – wie etwa vom Bündnis Sahra Wagenknecht –, das vor einem „gläsernen Patienten“ warnt, dessen Daten von Krankenkassen und Pharmaunternehmen für deren Nutzen ausgebeutet werden könnten. Klose hält dem entgegen, dass dieser nächste Schritt der Digitalisierung gerade der Nutzung der Daten durch die Patienten zugutekomme. Krankenkassen verfügten ohnehin über ein breites Spektrum an Gesundheitsdaten. Er betont zudem den besonderen Stellenwert von Datenschutz und Datensicherheit in Deutschland.

Unterschiedliche Interessengruppen ziehen an einem Strang

Zu den E-Rezept-Enthusiasten gehören insgesamt 17 Privatpersonen aus dem Gesundheitswesen und 20 Organisationen. Darunter sind Anbieter für Apothekentechnik wie BD Rowa, der Versicherer HUK-Coburg, der Wort&Bild-Verlag, WEPA, die Unternehmensberatung Konzept A und der Telemedizinanbieter ZAVA, ebenso wie der Direktabrechnungsanbieter Scanacs und Anbieter von Praxis- und Apothekensoftware wie Pharmatechnik, CompuGroup Medical (CGM), Worldline und eHealth Experts. Auch die Plattformen gesund.de und ihreapotheken.de, der Online-Arzneimittel-Versender Shop Apotheke, aber auch der Bundesinnungsverband für Orthopädie Technik sind Mitglieder bei den E-Rezept-Enthusiasten.

Im Mai dieses Jahres hat der Verein einen neuen Vorstand gewählt. Den Platz des 1. Vorsitzenden nimmt Uwe Strehlow ein, der mehrere Sanitätshäuser, einen Pflegedienst und eine Physiotherapie-Praxis betreibt, 2. Vorsitzende ist Ruth Philipp von gesund.de. Hinzu kommen Bernhard Calmer von CGM, der Apotheker und Gesundheitsunternehmer Ralf König und Christian Klose, der in führenden Positionen bei der AOK und beim BMG tätig war und heute Gesellschafter und Geschäftsführer der HeptaSphere GmbH ist, einem IT-Dienstleistungs- und Softwareentwicklungsunternehmen zur digitalen Transformation des Gesundheitswesens.

Wie lassen sich all diese Interessengruppen unter einen Hut bringen, wollte die DAZ von den Vorständen wissen. Ralf König macht deutlich: „Es geht um die Sache.“ Digitalisierung werde von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen meist zu kleinteilig gedacht. Jedoch müssten hier eigentlich „alle an einem Strang ziehen.“ Gerade mit Blick auf die Konflikte zwischen Vor-Ort-Apotheken und den Arzneimittel-Versendern stellt König klar: Schuldzuweisungen der stationären Apotheken an die Versender für ihre missliche Lage führten keineswegs zur Verbesserung. „Ich kann den Frust der Kolleginnen zur aktuellen Situation verstehen“, sagt König, aber: „Wem Du die Schuld gibst, dem gibst Du die Macht“. Es liege in der Verantwortung der Apotheken, sich auf die technologischen und demografischen Änderungen in der Gesundheitsversorgung einzustellen – und dabei könne man von den Versendern durchaus etwas lernen.

Die Blockadehaltung ist Teil des Problems

Auch in Bezug auf den Umgang der ABDA mit den Plänen des BMG für eine Apothekenreform fordern die Enthusiasten mehr Bereitschaft zum offenen Diskurs: Darin sieht König einen wesentlichen Teil des Problems um die Apothekenreform.

Beim Antritt von Gabriele Regina Overwiening als ABDA-Präsidentin hatte er das Gefühl, dass sich in diesem Punkt etwas tut. Leider sei diese neue konstruktive Kommunikation versiegt, auch weil das BMG seit der neuen Legislatur zu lange für die Anliegen der Apotheken kein offenes Ohr gehabt hätte – hier fehle es an Wertschätzung für den Berufsstand.

Der Agenda-Punkt „Apotheke ohne Apotheker“ könnte auch ein taktisches Manöver des BMG sein, vermutet König: Ein maximal konfrontativer Punkt, den man später zur allgemeinen Beruhigung wieder herausnimmt, aber dafür andere Forderungen, wie eine Honorarerhöhung, abbügelt. Andere Punkte – wie die Wiederzulassung der Skonti oder reduzierte Öffnungszeiten seien durchaus im Sinne der Apotheken. Man dürfe sich nicht täuschen lassen und müsse einen offenen Dialog pflegen: „Wenn ich ein Positionspapier bekomme und stimme mit einem Punkt nicht überein, dann zu sagen, wir sind dagegen, ist zu wenig.“

Die aktuelle Blockadehaltung der ABDA sei ein Problem bei der Weiterverhandlung der Apothekenreform: „Nur zu sagen, erst muss Kohle her, dann reden wir, funktioniert nicht“, sagt König. „Diese Macht haben wir uns in den letzten Jahrzehnten nicht erarbeitet.“ Vielmehr sei es für die Apotheken nun wichtig, Schnittmengen mit dem BMG zu finden und Brücken für neue Vergütungsbestandteile zu schaffen. Hier habe die letzte Regierung mit der Vergütung bei der ePA für Apotheken (§ 346 SGB V) eigentlich eine Steilvorlage gegeben, betont der Verein. 

Mit einer Schnittmenge zwischen den verschiedenen, im Großen zum Teil rivalisierenden, Sektionen des Gesundheitswesens hat sich König als Initiator des Vereins der E-Rezept-Enthusiasten nicht nur Freunde gemacht – sagt er selbst. Doch davon haben sich er und seine Mitstreiter nicht entmutigen lassen. Christian Klose macht das auch deutlich: Die E-Rezept-Enthusiasten beschreibt er als „Störenfriede und Brückenbauer“.

E-Rezept-Enthusiasten

Ralf König ist Apotheker und Gesundheitsökonom. Er war von 2019 bis 2021 im Health Innovation Hub tätig, einem vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ins Leben gerufenen Think-Tank mit dem Fokus auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens. König war dort zuständig für die Bereiche Medikation und E-Rezept.

E-Rezept-Enthusiasten

Christian Klose war über 30 Jahre für die AOK tätig, davon zehn Jahre als Geschäftsführer und drei Jahre als Chief Digital Officer. Danach wirkte er unter anderem beim Aufbau des Health Innovation Hub entscheidend mit. Seit Sommer dieses Jahres ist er Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma HeptaSphere GmbH.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

???

von Eimer Langsdorf am 08.10.2024 um 13:40 Uhr

Was für ein furchtbares Geseiere! Wenn ich meine Apos verkauft hätte und nicht tagein, tagaus mit diesem Systemschrott arbeiten müsste, könnte ich vielleicht auch darüber lächeln. Lieber Herr König, WANN gibt es endlich die ERSTE Woche OHNE TI Fehlermeldung? Das ganze ist jetzt seit einem 3/4 Jahr am Start und läuft immer noch nicht rund. Keine Redundanz, keine Nachhaltigkeit (der ganze eSchrott muss spätestens im kommenden Jahr erneuert werden), wenig Nutzen für Praxen, Apotheken und Patienten. Immobile Patienten, die nicht mit einem Smartphone umgehen können, fallen sogar durch das Versorgungsraster. Hauptsache, diejenigen, die sich sowieso schon nicht mehr vom Sofa bewegen wollen, werden mobil versorgt.

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