Phytotherapie

Welche Heilpflanzen dem Herz helfen

08.10.2024, 07:00 Uhr

Tränende Herzen eigenen sich leider nicht für die Behandlung von Herzerkrankungen. Es gibt aber verschiedene Selbstmedikationsarzneimittel mit pflanzlichem Hintergrund. (Foto: Biljana Nik/AdobeStock)

Tränende Herzen eigenen sich leider nicht für die Behandlung von Herzerkrankungen. Es gibt aber verschiedene Selbstmedikationsarzneimittel mit pflanzlichem Hintergrund. (Foto: Biljana Nik/AdobeStock)


Herzschwäche, Herzstolpern oder gar ein Infarkt sind kein Fall für die Selbstmedikation, sondern müssen zwingend durch einen Arzt abgeklärt werden. Der Wunsch von Betroffenen, ihrem Herzen zusätzlich zu den rezeptpflichtigen Arzneimitteln etwas Gutes zu tun, ist dennoch weit verbreitet. Welche Möglichkeiten bietet die Phytotherapie?

Der Wunsch nach „etwas Pflanzlichem“ im Beratungsgespräch kommt in vielen Fällen daher, dass die Phytotherapie in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern in vielen Indikationen auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Auch pflanzliche Zubereitungen für die Herz­gesundheit besitzen eine lange Tradition in der Medizin und in der Volksheilkunde, die Aufzeichnungen reichen bis in die Antike zurück. Zu den späteren Quellen zählen Kräuterbücher verschiedener Autoren sowie Schriften aus Klöstern. Bekannte Autorinnen sind beispielsweise die Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) und die österreichische Kräuterkundlerin Maria Treben (1907 – 1991), die in ihren Publikationen Rezepte der Äbtissin aufgreift. Dazu zählt beispielsweise ein „Herzwein“ mit den Hauptbestandteilen Petersilienkraut und Bienenhonig. Der römisch-katholische Priester Sebastian Anton Kneipp (1821 – 1897) empfahl einen „Rosmarinwein“ vor allem bei „Herzgebrechen“ und „Wassersucht“. Dafür werden geschnittene Rosmarinblätter eine Woche lang oder auch kürzer in Weißwein mazeriert. Auch Tee­mischungen sind bei Herz-Kreislauf-Beschwerden beliebt. Es gibt eine Reihe von Rezepturen mit unterschiedlichen Drogenmischungen, darunter bekanntere wie Weißdornblätter mit Blüten, Melissenblätter und Mistelkraut, aber auch mit Baldrianwurzeln, Hopfenzapfen, Ingwerwurzelstock, Johanniskraut, Kamillenblüten, Pomeranzenblüten und -schalen, Rosmarinblättern und Schafgarbenkraut (siehe Kasten).

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Nicht zuletzt waren lange Zeit herzwirksame Glykoside wie Digoxin und Digitoxin aus den Blättern des Roten Fingerhuts (Digitalis purpurea) verschreibungspflichtige Mittel der Wahl bei Herzinsuffizienz. Aufgrund neuerer Wirkstoffe mit besserer Verträglichkeit besitzen sie heute nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Die Nationale Ver­sorgungsleitlinie Chronische Herzinsuffizienz empfiehlt Digitoxin, Digoxin und dessen halbsynthetische Derivate ß-Acetyldigoxin und Metildigoxin zur Behandlung der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) in den NYHA-Stadien III und IV [1 – 6].

Tee-Mischung aus der Apotheke

Wenn Sie Ihren Kundinnen oder Kunden eine selbst­gemachte Teemischung für Herz und Kreislauf anbieten möchten, können Sie auf eine Rezeptur von Apotheker Mannfried Pahlow (1926 – 2000) zurückgreifen [1]:

  • Weißdornblüten 40 g
  • Mistelkraut 20 g
  • Kamillenblüten 15 g
  • Baldrianwurzel 10 g
  • Melissenblätter 15 g

Zubereitung: 2 Teelöffel der Mischung mit siedendem Wasser (ca. 250 ml) übergießen, bedeckt 10 bis 12 Stunden ziehen lassen, dann durch ein Teesieb gießen. Wenn nicht anders verordnet, zweimal täglich eine Tasse lauwarm trinken.

Anwendungsgebiet: Herzbeschwerden, bedingt durch Nervosität und Unruhe. Zur unterstützenden Behandlung bei Bluthochdruck.

Wissenschaftliche Bewertung in Europa

Ob die in der Volksmedizin arzneilich verwendeten Pflanzen wissenschaftlichen Kriterien standhalten, wurde in Deutschland ab 1983 untersucht. Im Arzneimittelgesetz von 1978 war die Bildung der Kommission E am damaligen Bundesgesundheitsamt (BGA) festgeschrieben worden. Diese hatte bis 1994 den Auftrag, den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu den auf dem Markt befindlichen Drogen und Zubereitungen bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit zu bewerten. Fiel das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv aus, wurde eine Positivmonografie veröffentlicht, welche die Hersteller für eine Nach- oder Neuzulassung nutzen konnten. Das war bei 186 Drogen und 66 Kombinationen der Fall. Bei einem ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis (Negativmonografie, bei 118 Drogen und acht Kombinationen) mussten pflanz­liche Arzneimittel vom Markt genommen werden. Nachdem der gesetzliche Auftrag der Kommission E abgelaufen war, wurden die Monografien nicht mehr aktualisiert.

Seit 2004 ist der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) das Herbal Medicinal Product Committee (HMPC) unterstellt. Es hat die Aufgabe, Arzneidrogen und ihre Zubereitungen zu bewerten und Monografien zu erstellen. Dies erfolgt in einem mehrstufigen Prozess, an dessen Ende im besten Fall die Veröffentlichung einer harmonisierten europäischen Monographie auf der EMA-Website steht, die regelmäßig überarbeitet wird. Diese ist rechtlich nicht bindend, bildet aber eine Informationsbasis für Zulassungen pflanzlicher Arzneimittel in der Europäischen Union.

Das HMPC kann für pflanzliche Arzneimittel entweder einen allgemein anerkannten medizinischen Gebrauch („well established use“, WEU) oder einen traditionellen Gebrauch („traditional use“, TRAD) feststellen. Für einen WEU muss das pflanzliche Arzneimittel in einem EU-Staat mindestens zehn Jahre medizinisch angewendet werden und es müssen umfangreiche positive wissenschaftliche Daten vorliegen. Voraussetzung für die Feststellung einer traditionellen Anwendung ist der traditionelle medizinische Gebrauch über mindestens 30 Jahre, davon 15 Jahre in einem EU-Staat.

Darüber hinaus sind aktuelle Monografien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneidrogen auf Basis aktueller wissenschaftlicher Daten auf der Website der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) gegen eine Gebühr zugänglich. Die ESCOP ist ein europäischer Dachverband nationaler Phytotherapie-Gesellschaften, darunter die deutsche Gesellschaft für Phytotherapie e. V. (GPT) [7 – 9].

Weißdorn laut EMA nur noch traditionell

Der Eingrifflige (Crataegus monogyna Jacq.) und der Zwei­grifflige Weißdorn (Crataegus laevigata Poir.) aus der Familie der Rosengewächse sind die wichtigsten Stammpflanzen der Weißdorndrogen, wobei die „Weißdornblätter mit Blüten“ die größte Bedeutung besitzen. Die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe in den Extrakten dieser Droge sind oligomere Proanthocyanidine und Flavonoide. In Versuchen mit isolierten Zellen oder Organen bzw. im Tierexperiment wurden Wirkungen wie eine Verbesserung der Koronar- und Myokarddurchblutung, eine Erhöhung der Toleranz des Myokards gegenüber Sauerstoffmangel, eine Steigerung der Kontraktilität des Myokards (positiv inotrope Wirkung) und eine leicht antiarrhythmische Wirkung festgestellt. Diese Effekte beruhen unter anderem auf einer Förderung der NO-Synthese des Gefäßendothels sowie einer Hemmung der Na+/K+-ATPase des Herzens [10]. Trotz dieser Effekte konnte bislang keine klinische Studie eine Senkung der Morbidität oder Mortalität durch Crataegus-Extrakte nachweisen. Erhofft hatte man sich das vor allem von der bislang größten Untersuchung zur klinischen Wirksamkeit von Weißdorn, der SPICE-Studie (Survival and Prognosis: Investigation of Crataegus Extract WS® 1442 in Chronic Heart Failure). Diese hatte die Wirkung des Trockenextrakts WS® 1442 auf die Morbidität und Mortalität bei Patienten mit Herzinsuffizienz der Schweregrade NYHA II und III untersucht. Der Weißdorn-Extrakt war gut verträglich, eine Reduktion der Mortalität zeigte sich jedoch nur in einer Untergruppe von Patienten mit geringgradiger Herzinsuffizienz. Die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes hatte für Crataegi folium cum flore in der Positivmonografie noch das Anwendungsgebiet „Nachlassende Leistungsfähigkeit des Herzens entsprechend Stadium II nach NYHA“ bescheinigt. Das HMPC der EMA konnte jedoch aufgrund des Mangels an umfangreichen positiven Ergebnissen aus klinischen Studien mit einer Senkung der Morbiditäts- und Mortalitätsrate als primäre Endpunkte für „Weißdornblätter mit Blüten“ keinen „well established use“ erkennen und bescheinigte im Jahr 2016 nur eine traditionelle Anwendung aufgrund langjähriger Erfahrung in folgenden Indikationen:

  • Indikation 1: Linderung von Symptomen vorübergehender nervöser Herzbeschwerden (z. B. Herzklopfen, das als zusätzliche Herzschläge aufgrund leichter Angstzustände empfunden wird), nachdem ein Arzt schwerwiegende Erkrankungen ausgeschlossen hat.
  • Indikation 2: Linderung von leichten Symptomen von psychischem Stress und zur Schlafförderung.

Die Indikation 1 bezieht sich nur auf Erwachsene, die Indikation 2 auf Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren. Wenn die Symptome während der Anwendung des Arzneimittels länger als zwei Wochen anhalten oder sich verschlimmern, sollten Anwender einen Arzt oder eine andere in einem Heilberuf tätige qualifizierte Person konsultieren [13].

Abgedeckt werden von der harmonisierten HMPC-Monographie „Weißdornblätter mit Blüten“ folgende Zubereitungen (Fertigarzneimittel siehe Tab.):

  • die zerkleinerte Droge,
  • die pulverisierte Droge,
  • drei Trockenextrakte: Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) 4–7:1, Extraktionsmittel Methanol 70% V/V; DEV 4–7,1:1, Extraktionsmittel Ethanol 45–70% V/V; DEV 4–5:1, Extraktionsmittel Wasser,
  • drei Flüssigextrakte: DEV 1 : 0,9–1,1, Extraktionsmittel 45% (V/V) Ethanol; DEV 1:2, Extraktionsmittel 45% (V/V) Ethanol; DEV 1:19,2–20, Extraktionsmittel Süßwein,
  • der Presssaft aus frischen Blüten und Blättern: DEV 1:0,9–1,1 und DEV 1:0,63–0,9 und
  • eine Tinktur (DEV 1:3,5–4,5), Auszugsmittel Ethanol 35% V/V [13].
PräparateDarreichungsform/Inhaltsstoffe
Monopräparate mit Trockenextrakt aus Weißdornblättern mit Blüten Droge-Extrakt-Verhältnis, DEV 4–7:1, Auszugsmittel Ethanol 45% (V/V) bzw. *DEV 4–6,6:1, Extraktionsmittel Ethanol 45% (m/m)
Bomacorin 450 mg Weißdorntabletten450 mg/Filmtablette
Crataegus AL 450 mg450 mg/Filmtablette
cratae-Loges® 450 mg Weißdorn450 mg/Filmtablette
Natucor® 450 mg/-600 mg forte450 mg bzw. 600 mg/Filmtablette
Weißdorn-ratiopharm® 450 mg Filmtabletten450 mg/Filmtablette
Crataegutt® 80/450 mg Herz-Kreislauf-Tabletten*80 mg bzw. 450 mg/Filmtablette
Andere Weißdorn-Extrakte
Crataegutt® Herz-Kreislauf-TropfenFlüssigkeit, Weißdornblätter mit -blüten Dickextrakt, DEV 2,8-5,3:1, Ethanol 45% (m/m)
Oxacant® mono TropfenFluidextrakt aus Weißdornblättern mit Blüten (1:2), Auszugsmittel Ethanol 45% (V/V)
Salus Weißdorn KräutertropfenWeißdorn-Beeren-, -Blätter-, -Blüten-Extrakt (1:4,5-5,5); Auszugsmittel Likörwein, Ethanol 96% (V/V), (10:1)
Knoblauch-Präparate
Kwai® duo (NEM)300 mg Knoblauchzwiebelextrakt und 0,83 mg Vitamin B1/Tablette
Kyolic Kardio Liquid (NEM)Flüssigkeit mit 2,16 g gereiftem Knoblauchextrakt pro Tagesdosis (2 ml)
Präparate mit Herzgespannkraut
Herzgespannkraut Tropfen Hecht Pharma (NEM)wässrig/alkoholischer Auszug aus Herzgespannkraut, hergestellt laut Arzneibuch, Alkoholgehalt 66% Vol.
Oxacant® sedativ LiquidAuszüge aus Herzgespannkraut, Weißdornblättern mit Blüten, Weißdorn­früchten, Melissenblättern, Baldrianwurzel
Präparate mit Olivenblättern
Bio-Olivenblätter TeeTee aus geschnittenen, getrockneten Olivenblättern
Dr. Ehrenberger Olivenblatt Extrakt (NEM)Kapseln mit 10% und 20% Olivenblatt-Extrakt
Präparate mit Melissenblättern
Euvegal® 320/160mg FilmtablettenBaldrianwurzel-Trockenextrakt 320 mg, Melissenblätter-Trockenextrakt 160 mg/Filmtablette
Sidroga® MelissenblätterteeTee aus Melissenblättern
H&S® Melissenblätter Arzneitee Nr. 23Tee aus Melissenblättern
Präparate mit Mistelkraut
VitalLife Mistelkraut (NEM)410 mg kaltgemahlenes Mistelkraut aus Wildsammlung/Kapsel
Bombastus Mistelkraut TeeTee aus Mistelkraut
Salus Mistel TropfenTropfen, Auszug aus Mistelkraut 1:4,5-5,5, Auszugsmittel: Likörwein, Ethanol 96% (V/V), (90,5:9,5)

 

Herzgespannkraut mit vielfältigen Wirkungen

Herzgespannkraut (Leonuri cardiacae herba, Ph. Eur) sind die blühenden oberirdischen Teile der Staude Leonorus cardiaca L., einem auch in Mitteleuropa heimischen Lippenblütler. Neben Diterpenbitterstoffen enthält die Droge das Alkaloid Leonurin, dem aktuell in China besonderes Interesse gilt. Dort wird das Chinesische Mutterkraut (L. japonicus, chinese motherwort) seit Tausenden von Jahren wegen seiner uterotonischen Wirkungen geschätzt und bei gynäkologischen Erkrankungen wie Blutstau nach der Geburt oder Brustschmerzen eingesetzt. Leonurin, das seit 1979 auch synthetisch hergestellt werden kann, hemmte im Tierversuch die Thrombozyten-Aggregation, das Enzym Kreatinkinase und verbesserte die Mikrozirkulation. Darüber hinaus fand man antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften, was die Substanz für einen Einsatz bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen interessant macht. Die genauen Wirkmechanismen sind noch nicht bekannt. Seit 2018 laufen in China mehrere Phase-I-Studien zum Einsatz von Leonurin in Tablettenform bei Hyperlipidämie. Das HMPC bescheinigt der zerkleinerten Droge bzw. Flüssigextrakten von Leonurus cardiaca L. herba aufgrund langjähriger Erfahrungen eine traditionelle Anwendung („traditional use“) bei Nervosität und nervösen Herzbeschwerden wie Palpitationen. Bei seiner Bewertung berücksichtigte der HMPC auch eine klinische Studie an Patienten mit hohem Blutdruck und Symptomen von Angstzuständen und Schlafstörungen, die mit Mutterkraut behandelt wurden. Obwohl eine mögliche blutdrucksenkende Wirkung beobachtet wurde, konnten keine eindeutigen Schlussfolgerungen gezogen werden, da die Studie von kurzer Dauer war und Mutterkraut nicht mit einer anderen Behandlung verglichen wurde. Die Monografie gibt den Hinweis, dass vor der Anwendung ernsthafte Erkrankungen ausgeschlossen werden müssen. Herzgespannkraut ist beispielsweise in flüssigen Zubereitungen und Teemischungen (s. Tab.) enthalten [14 – 17].

Knoblauch: harte Daten fehlen noch

Für Knoblauch-Zubereitungen wie beispielsweise Knoblauchzwiebelpulver, Trockenextrakte mit Ethanol als Extraktionsmittel und Flüssigextrakte der frischen Zwiebel (Extraktionsmittel Rapsöl) wurden in zahlreichen In-vitro-Untersuchungen und Tierstudien verschiedene Wirkungen gezeigt. Für die Herzgesundheit relevant sind vor allem die Cholesterolsenkung, die Hemmung der Thrombozyten­aggregation, die Erhöhung der fibrinolytischen Aktivität sowie eine leichte Blutdrucksenkung. Eine wichtige Rolle spielen dabei organische Schwefelverbindungen wie die Lauchöle Allicin und Ajoen mit dem typischen scharfen Geruch und Geschmack. Sie werden mithilfe des Enzyms Alliinase über Zwischenreaktionen aus der geruchlosen und nicht flüch­tigen Schwefelverbindung Alliin freigesetzt. Die leicht blutdrucksenkende Wirkung von Knoblauchzubereitungen kommt wahrscheinlich durch die Reaktion von Allicin mit TRPA1-Rezeptoren (Transient Receptor Potential Ankyrin Typ 1) der Endothelzellen zustande. Die dadurch ausgelöste Erhöhung der Ca2+-Konzentration in der Zelle führt zu einer Aktivierung der NO-Synthase und damit zu einer Gefäß­erweiterung. Die Cholesterol-senkenden Wirkungen von Allicin und Ajoen kommen wahrscheinlich durch eine Hemmung der HMG-CoA-Reduktase sowie durch eine Anhäufung des Synthese-Zwischenprodukts Lanosterol zustande. Die umfangreichen Studien zu Zubereitungen aus Allium sativum wurden vom HMPC in einem Bericht zusammengetragen und sollen in eine harmonisierte Europäische Monografie einfließen. Das HMPC empfiehlt für diese Arzneidrogen jedoch nur einen „traditional use“ zur Prävention der Arteriosklerose. Um eine Empfehlung wie beispielsweise zur Behandlung der Hypercholesterolämie auszusprechen, werden noch klinische Daten zu Effekten auf die Morbidität und Mortalität benötigt [10, 18].

Melisse: beruhigt auch das Herz

Melissenblätter und Melissenblätter-Trockenextrakt werden von der Zitronenmelisse Melissa officinalis L. gewonnen. Sie sind vor allem Bestandteil von Kombinationspräparaten zur Beruhigung und Einschlafförderung, beispielsweise den Beruhigungstees des NRF (17.2.). Da Herzbeschwerden jedoch oft durch Stress oder allgemeine Unruhe mitverursacht werden, können Zubereitungen mit Melisse empfehlenswert sein, ebenso andere sedativ wirkende Drogen wie beispielsweise Baldrianwurzel oder Lavendelblüten (s. Tab.). Dies ist auch der Hintergrund für das Vorkommen von Melissen­blättern in Herz-Kreislauf-Teemischungen (s. Kasten). Das HMPC bescheinigt Melissenblättern und daraus hergestellten Extrakten und Tinkturen eine traditionelle Anwendung in zwei Indikationen: zur Linderung von leichtem psychischem Stress und zur symptomatischen Behandlung von milden gastrointestinalen Beschwerden einschließlich Völlegefühl und Blähungen [10, 19].

Olivenblätter: leicht diuretisch

Olivenblätter sind frische oder getrocknete Blätter des Ölbaums Olea europaea L., die in europäischen Ländern entweder geschnitten oder als Extrakt in flüssigen oder in festen Zubereitungen erhältlich sind (s. Tab.). Zu den Inhaltsstoffen der Blätter zählen phenolische Verbindungen wie Oleuropein, Phenolsäuren und Flavonoide. Das HMPC stellt in seiner Bewertung fest, dass Olivenblätter bei leichter Wasserretention die Wasserausscheidung über die Niere fördern können, wobei der Wirkmechanismus nicht bekannt ist. Das HMPC bescheinigt der Droge eine traditionelle Anwendung und betont, dass vor der Anwendung schwerwiegende Ursachen durch den Arzt ausgeschlossen werden müssen. Grund ist auch hier das Fehlen von Studien mit harten Endpunkten, wobei einige klinische Untersuchungen durchgeführt wurden. In einer doppelblinden, randomisierten Vergleichsstudie mit Captopril wurde die blutdrucksenkende Wirkung eines Olivenblattextrakts an 148 Patienten mit Grad 1-Hypertonie evaluiert. In beiden Gruppen kam es zur leichten Blutdrucksenkung. Die Unterschiede waren nicht statistisch signifikant [20 – 22]. Im Frühjahr dieses Jahres hat das HMPC dazu aufgerufen, neue Daten für die anstehende Überarbeitung der Monografie Olivenblätter zu liefern, sodass gegebenenfalls neue Erkenntnisse Eingang finden werden [23].

Derzeit keine Mistel-Monografie

Mistelkraut (Visci herba) wird von der Mistel (Viscum album L.) gewonnen, die als Halbschmarotzer auf verschiedenen Bäumen lebt und von ihrer Wirtspflanze Wasser und Salze gewinnt. Es gibt Laubholz-Misteln (z. B. Eichen-Mistel) und Vertreter, die auf Nadelbäumen gedeihen (z. B. Kiefern-Mistel). Zu den Hauptinhaltsstoffen zählen vor allem Mistellektine und Viscotoxine, die jedoch bei oraler Aufnahme, wie im Fall von Zubereitungen zur Förderung der Herzgesundheit, untoxisch sind, weil sie kaum resorbiert werden.

Mistelkraut wurde in einigen Untersuchungen auf eine blutdrucksenkende Wirkung geprüft. Man vermutete, dass biologisch aktive Inhaltsstoffe wie Acetylcholin, Histamin, GABA und Tyramin dafür den Parasympathikus stimulieren und zu einer Erweiterung der Blutgefäße führen könnten. Obwohl es einige ältere klinische Studien gibt, sind die Ergebnisse nicht konsistent. Das HMPC sieht als einen Grund dafür, dass die Mistel auf verschiedenen Wirtsbäumen wächst und deshalb der Wirkstoffgehalt sehr unterschiedlich ist. Auf der derzeitigen Datenbasis sieht sich das Komitee nicht in der Lage, eine Monografie für Mistelkraut zu erstellen [10, 24].

Was sagen die Leitlinien?

In den ärztlichen Leitlinien schlägt sich die lange Tradition der Anwendung von Pflanzen zur Förderung der Herz­gesundheit nicht nieder, im Gegenteil. Beispielsweise stellt die Nationale Versorgungsleitlinie „Chronische KHK“ ganz klar fest, dass komplementäre und alternative Therapien wie die Phytotherapie ‒ und im Übrigen auch die Chelattherapie sowie die Supplementierung mit Vitaminen oder Omega-3-Fettsäuren ‒ zur Behandlung der KHK nicht angewendet werden sollen. Die Fachgesellschaften begründen das zum einen mit dem Fehlen von Studien, in denen – anders als bei den zugelassenen Arzneistoffen ‒ signifikante Effekte auf die Mortalität oder die Reinfarkt-Rate gezeigt wurden. Ein weiterer Aspekt für die Negativempfehlung alternativer Substanzen ist die Adhärenz. Es wird befürchtet, dass die korrekte Einnahme der Arzneimittel mit belegtem Nutzen durch Gabe weiterer Substanzen gefährdet werden könnte [25]. Auch in der aktuellen Fassung der NVL „Chronische Herzinsuffizienz“ kommt Weißdornextrakt nicht mehr vor, wohingegen in früheren Versionen eine Negativ-Empfehlung für Crataegus-Zubereitungen enthalten war [6]. Die Therapiefreiheit des Arztes bleibt jedoch von diesen Empfehlungen unberührt. Aus diesem Grund sollten Patienten mit Herzerkrankungen bei der Abgabe von pflanzlichen Zubereitungen unbedingt darauf hingewiesen werden, ihren behandelnden Arzt über die geplante Selbstmedikation in Kenntnis zu setzen.

Literatur

 [1] Meyer E Tee-Rezepturen. Ein Handbuch für Apotheker und Ärzte, 5. Aufl. inkl. 7. Akt.-lfg. 2020, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart

 [2] Treben M Gesundheit aus der Apotheke Gottes. Ratschläge und Erfahrungen mit Heilkräutern, 100. Aufl. 2024, Ennsthaler Verlag, Steyr

 [3] Scherf D Pflanzengeheimnisse aus alter Zeit. Wissen aus Kloster- und Bauerngärten, 2. Aufl. 2012, BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, München

 [4] Website des Kneipp-Bundes e. V.. Kneipp-Visite Rosmarin, www.kneippvisite.de/anwendungen/artikel/rosmarin-rosmarinus-officinalis, Abruf am 28.8.2024

 [5] Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler ‒ Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie Klinische Pharmakologie Toxikologie. 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020

 [6] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungsleitlinie Chronische Herzinsuffizienz – Langfassung. Version 4.0, 2023

 [7] Website der Kooperation Phytopharmaka. Arzneipflanzenlexikon, Kommission E, https://arzneipflanzenlexikon.info/kommission-e.php, Abruf am 28.8.2024

 [8] Website der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), www.ema.europa.eu

 [9] Website der European Society for Cognitive Psychology, www.escop.eu

[10] Teuscher E, Melzig MF, Lindequist U Biogene Arzneimittel. Lehrbuch der Pharmazeutischen Biologie, 8. Aufl., Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2020

[11] Holubarsch CJ, Colucci WS, Meinertz T, et al. Survival and prognosis: The efficacy and safety of Crataegus extract WS 1442 in patients with heart failure: the SPICE trial. Eur J Heart Fail 2008;10(12):1255-1263

[12] Crataegi folium cum flore. Positivmonografie der Kommission E, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 133 vom 19.7.1994

[13] European Union herbal monograph on Crataegus spp., folium cum flore (final), angenommen am 5. April 2016, EMA/HMPC/159075/2014 Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC)

[14] Zhu YZ, Wu W, Zhu Q et al. Discovery of Leonuri and therapeutical applications: From bench to bedside. Pharmacol Ther 2018;188:26-35

[15] Wang Z, Zhang PL, JuY Effect of leonurine on the activity of creatine kinase. J Asian Nat Prod Res 2004;6(4):281-287

[16] Liu S, Sun C, Tang H et al. Leonurine: a comprehensive review of pharmacokinetics, pharmacodynamics, and toxicology. Front Pharmacol 2024;15:1428406

[17] Motherwort. Leonurus cardiaca L., herba, EMA/165476/2019, www.ema.europa.eu/en/medicines/herbal/leonuri-cardiacae-herba, Abruf am 29.8.2024

[18] Final Assessment report on Allium sativum L., bulbus. EMA/HMPC/7686/2013 Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC), 18 Juli 2017.

[19] Community herbal monograph on Melissa officinalis L., folium, Final. Committee on Herbal EMA/HMPC/196745/2012, Medicinal Products (HMPC) 14. Mai 2013

[20] Olea europaea L., folium. Summary for the public, EMA/94696/2017, 28 März 2017

[21] Assessment report on Olea europaea L., folium, EMA/HMPC/359236/2016, Abruf am 29.8.2024

[22] Susalit E, Agus N, Effendi I et al. Olive (Olea europaea) leaf extract effective in patients with stage-1 hypertension: Comparison with Captopril. Phytomedicine 2011;18(4):251-258

[23] Call for scientific data for the periodic review of the monograph on Oleae folium EMA/HMPC/62365/2024, Submission period: 15 February 2024 – 15 May 2024, 31. Januar 2024

[24] Assessment report on Viscum album L., herba, EMA/HMPC/246778/2009 Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC), 20.November 2012

[25] Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungsleitlinie Chronische KHK, Version 6.0, 2022


Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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