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Wenn die Antibiotikatherapie versagt
Lungenentzündung ohne Erreger
Die nächste Erkältungssaison naht und damit auch die Zeit der Lungenentzündungen. Die meisten Pneumonien werden von Bakterien ausgelöst und müssen deshalb mit Antibiotika behandelt werden. Doch was, wenn die Therapie nicht anschlägt? Wenn kein Erreger identifiziert werden kann, sollte auch eine kryptogene organisierende Pneumonie in Betracht gezogen werden – eine interstitielle Lungenerkrankung, die einer infektiösen Lungenentzündung ähnelt, aber immunologische Ursachen hat.
Jedes Jahr erkranken ungefähr 660.000 Deutsche an einer Lungenentzündung. Fast die Hälfte muss im Krankenhaus behandelt werden, insbesondere Patienten ab einem Alter von 60 Jahren [1]. Trotzdem wird die Krankheit häufig unterschätzt, mahnen die Autoren der S3-Leitlinie „Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie“. Die Pneumonie sei prognostisch vergleichbar mit schwerwiegenden kardiovaskulären Erkrankungen wie einem akuten Koronarsyndrom [2]. So ist die Lungenentzündung der häufigste Grund für eine infektionsbedingte Krankenhauseinweisung. Von den ins Krankenhaus aufgenommenen Patienten versterben 13 % an der Erkrankung [1]. Eine schnelle und adäquate Therapie rettet deshalb Leben.
Der Weg zur Diagnose verläuft nicht immer geradlinig. Viele Erkrankungen beginnen plötzlich ‒ mit starkem Krankheitsgefühl, hohem Fieber, produktivem Husten und einem beschleunigten Herzschlag. Im Verlauf stellt sich aufgrund des verminderten Gasaustauschs eine Atemnot (Dyspnoe) ein, die bei Belastung und in Ruhe auftreten kann und je nach Schweregrad eine Sauerstoffgabe über die Nasenbrille, als High-Flow-Therapie oder eine mechanische Beatmung erfordern kann. Ambulant wird meist auf eine Erregerbestimmung verzichtet und kalkuliert eine antibiotische Therapie eingeleitet, zum Beispiel mit dem Breitband-Antibiotikum Amoxicillin-Clavulansäure. In der Klinik wird zunächst ebenfalls breit therapiert (z. B. mit Amoxicillin-Clavulansäure, Cefuroxim oder Ceftriaxon), nach erfolgreicher Erregerbestimmung wird die Antibiotikatherapie dann aber auf den Erreger fokussiert [2].
Gründe für Therapieversagen
Nicht jede Pneumonie folgt diesem typischen Weg. Manche Erkrankungen beginnen schleichend – oder auch atpyisch. Der Begriff „atypisch“ kann auf die Symptomatik an sich bezogen werden oder auf die auslösenden Erreger: Statt den typischen Pneumokokken liegen diesen Lungenentzündungen häufig Chlamydien, Mykoplasmen, Legionellen, Viren oder Pilze zugrunde. Ein Therapieversagen einer ambulanten Therapie mit Amoxicillin-Clavulansäure kann deshalb auf einen atypischen Erreger hinweisen. Extrapulmonale Symptome können ebenfalls Hinweise geben, zum Beispiel ist Durchfall ein typisches Begleitsymptom einer durch Legionellen verursachten Lungenentzündung [3]. Allerdings können solche Pneumonien nicht mit den standardmäßig eingesetzten Betalaktam-Antibiotika therapiert werden: Mykoplasmen besitzen keine Zellwand, Chlamydien und Legionellen vermehren sich intrazellulär und damit abgeschirmt von den Betalaktamen. Die S3-Leitlinie „Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie“ empfiehlt im klinischen Umfeld ab einem mittelschweren Verlauf deshalb die zusätzliche Gabe eines Makrolids. Viren und Pilze erfordern eine entsprechende antivirale oder antifungale Therapie. Nicht jeder atypische Verlauf bedingt aber einen atypischen Erreger.
Spricht der Patient nicht auf die Antibiose an, oder schreitet die Lungenentzündung sogar voran, liegt ein Therapieversagen vor [2]. Dann wird die antibiotische Therapie umgestellt, um eventuelle Erregerlücken zu schließen oder Resistenzen der Erreger zu umgehen. Gleichzeitig beginnt die Suche nach anderen Auslösern für das Therapieversagen: Ist der Patient durch eine unbekannte HIV-Infektion immungeschwächt? Oder hat sich ein Lungenabszess gebildet? Liegt ein Tumor vor, eine Lungenembolie, oder vielleicht eine rheumatische Erkrankung? Werden all diese Fragen verneint, und verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Patienten trotzdem, muss auch an interstitielle Lungenerkrankungen gedacht werden. Während herkömmliche Pneumonien die Alveolen, also die Lungenbläschen befallen, betreffen interstitielle Lungenerkrankungen das Gewebe zwischen Alveolen und Blutgefäßen, sowie das Alveolarepithel. Das Spektrum dieser Erkrankung ist weit. Ein seltener Vertreter ist die kryptogene organisierende Pneumonie, die nur einen bis sieben von 100.000 Menschen betrifft und oft als Ausschlussdiagnose festgestellt wird [4]. Entsprechend lang ist meist der diagnostische und therapeutische Weg: In der Regel durchlaufen die Patienten erst mehrere Zyklen fehlgeschlagener Antibiotikatherapien, bevor die richtige Diagnose gefunden wird. Da die Erkrankung nicht infektiös ist, kann in der Mikrobiologie kein Erreger isoliert werden.
Langsamer Krankheitsbeginn
Die kryptogene organisierende Pneumonie beginnt meist subakut, über Wochen bis Monate [4, 5]. Die Patienten zeigen grippeähnliche oder pneumonieähnliche Symptome: Sie fühlen sich krank und schwach, fiebern und verlieren an Gewicht. Prominent ist ein trockener Husten. Im Verlauf kommt es bei Belastung oder in Ruhe zur Atemnot (Dyspnoe). In seltenen Fällen schreitet die Krankheit rapide voran und mündet in ein akutes Lungenversagen. Häufigstes Erkrankungsalter ist die fünfte und sechste Lebensdekade. Im Labor fallen erhöhte CRP-Werte und Leukozytenzahlen sowie eine beschleunigte Blutsenkung auf [4]. Das Röntgenbild ist wenig spezifisch und ähnelt häufig einer infektiösen Pneumonie. Hochauflösende Computertomografien zeigen multifokale Konsolidierungen in der Lunge [6].
Verstopfte Alveolen
Was die Krankheit hervorruft, ist nicht bekannt, sie tritt „kryptogen“ auf. Infektionen, Aspiration von Mageninhalt oder subklinische Bindegewebserkrankungen werden als mögliche Auslöser diskutiert [5]. Die Erkrankung ist von Entzündungsvorgängen geprägt, die zu „organisierenden“ Veränderungen in der Lungenstruktur führen. Durch eine Verletzung des Alveolarepithels wird das Geschehen in Gang gesetzt (s. Abb.): Plasmaproteine und Fibrin gelangen in die Lungenbläschen, Entzündungszellen und Fibroblasten wandern ein. Die Fibroblasten differenzieren zu Myofibroblasten und „organisieren“ sich zu Bindegewebspfropfen in den Lungenbläschen, den sogenannten Masson-Körpern. Durch die Bindegewebsknospen verliert die Lunge an Elastizität, die Patienten können deshalb weniger tief einatmen (restriktive Ventilationsstörung). Außerdem ist der Gasaustausch in den Alveolen eingeschränkt. Eine Lungenbiopsie offenbart die strukturellen Veränderungen und bestätigt die mutmaßliche Diagnose [4].
Tab.: Wirkstoffe als Auslöser einer sekundär organisierenden Pneumonie (Auswahl, nach [6])
Arzneistoffklasse | Wirkstoff |
Antiarrhythmika | Amiodaron Betablocker |
Antibiotika | Amphotericin B Cephalosporine Minocyclin Nitrofurantoin |
Antiepileptika | Carbamazepin |
Biologika | Bortezomib Etanercept Infliximab Interferon Rituximab Trastuzumab |
Checkpoint-Inhibitoren | Nivolumab Pembrolizumab |
Chemotherapeutika | Azathioprin Bleomycin Chlorambucil Doxorubicin Methotrexat Oxaliplatin Thalidomid |
In manchen Fällen ist der Auslöser aber bekannt, man spricht dann von einer sekundär organisierenden Pneumonie. Zum Beispiel können Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes oder ankylosierende Spondylitis sowie andere Atemwegserkrankungen, Tumore der Atemwege und des Gastrointestinaltraktes, toxische Gase und Infektionen eine organisierende Pneumonie auslösen. Zusätzlich gelten Medikamente als mögliche Ursache (s. Tab.) [6]. Mitunter ist die Krankheit nur auf den ersten Blick kryptogen, zugrundliegende Erkrankungen können auch erst später identifiziert werden.
Goldstandard Glucocorticoide
Aufgrund der geringen Patientenzahl fehlen prospektive, randomisierte Interventionsstudien. Die Therapie erfolgt deshalb empirisch. In milden Fällen muss mitunter gar nicht therapiert werden, die histologischen Veränderungen bilden sich dann spontan zurück. Für alle anderen Patienten sind systemische Glucocorticoide das Mittel der Wahl. Die Startdosis beträgt üblicherweise 0,5 bis 1,0 mg Prednison pro kg Körpergewicht pro Tag [4]. Nach einem Monat wird die Dosis über die folgenden fünf bis elf Monate langsam wieder ausgeschlichen. Solange die Dosis noch über 20 mg Prednison pro Tag liegt, erfolgt parallel die Prophylaxe einer Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii mit Cotrimoxazol, die aufgrund der Immunsuppression durch das Glucocorticoid auftreten kann [4]. Schon nach wenigen Tagen sprechen die Patienten auf die Therapie an und zeigen eine rasche Besserung. Nach drei Monaten sind auf Kontroll-CT meist keine Veränderungen mehr sichtbar. Rund drei Viertel der Patienten erholen sich vollständig [4]. Selten prägt sich die Krankheit auch nur fokal aus, die Läsion wird dann chirurgisch entfernt.
Häufige Rezidive
Trotz der guten Prognose treten häufig Rückfälle auf, meist wenn die Prednison-Dosis unter 15 mg reduziert oder das Glucocorticoid ganz ausgeschlichen wird. Bemerkbar macht sich ein Rückfall entweder durch neue Trübungen in der Bildgebung oder eine verschlechterte Symptomatik [4]. Je nach Fallserie beträgt die Rückfallrate bis zu 58% [6]. Die Glucocorticoid-Dosis wird dann beibehalten oder gesteigert [4]. Eine verspätete Diagnose, eine schwere Erkrankung oder starke Einschränkung der Diffusionskapazität waren in verschiedenen Studien Prädiktoren einer höheren Rückfallrate [5]. Das ändert nichts an der guten Prognose der Erkrankung: Rückfälle erhöhten die Morbidität und Mortalität verschiedenen Fallserien zufolge nicht [4]. Probleme bereitet vielmehr die monatelange Therapie mit Glucocorticoiden: Die hohen Dosen können unter anderem zu Diabetes, Bluthochdruck und Osteoporose führen.
Trotzdem bleiben die Substanzen Goldstandard der Therapie. Andere Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Cyclophosphamid werden nur bei schweren, therapierefraktären Verläufen eingesetzt. Einzelne Studien berichten auch von Erfolgen mit Mycophenolat-Mofetil, Ciclosporin, Rituximab und intravenösen Immunglobulinen, meist in Kombination mit Glucocorticoiden. Auch Makrolide, insbesondere Clarithromycin wirken antiinflammatorisch und können eine Alternative oder Kombinationspartner für leichte Fälle ohne respiratorische Insuffizienz darstellen. Weitere Studien mit den Immunsuppressiva könnten deren therapeutischen Nutzen in Zukunft genauer definieren [4, 6].
Literatur
[1] Kolditz M, Ewig S. Ambulant erworbene Pneumonie bei Erwachsenen. Dtsch Ärztebl Int 2017;114:838-848
[2] Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. AWMF-Reg.Nr.: 020-020, Stand April 2021 (in Überarbeitung)
[3] Sharma L et al. Atypical Pneumonia: Updates on Legionella, Chlamydophila, and Mycoplasma Pneumonia. Clin Chest Med 2017;38(1):45-58, doi: 10.1016/j.ccm.2016.11.011
[4] King TE Jr, Lee JS. Cryptogenic Organizing Pneumonia. N Engl J Med 2022;386(11):1058-1069, doi: 10.1056/NEJMra2116777
[5] Raghu G, Meyer KC. Cryptogenic organising pneumonia: current understanding of an enigmatic lung disease. Eur Respir Rev 2021;30(161):210094, doi: 10.1183/16000617.0094-2021
[6] Radzikowska E, Fijolek J. Update on cryptogenic organizing pneumonia. Front Med (Lausanne) 2023;10:1146782, doi: 10.3389/fmed.2023.1146782
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