Steigende Verordnungszahlen trotz niedriger evidenz

Zentrale Muskelrelaxanzien: nur bei wenigen Indikationen effektiv

22.10.2024, 16:45 Uhr

Nächtliche Wadenkrämpfe gehören zu den wenigen Indikationen, bei denen ein amerikanisches Forscherteam einen Nutzen von zentralen Muskelrelaxanzien identifizieren konnte. (Foto: staras/AdobeStock)

Nächtliche Wadenkrämpfe gehören zu den wenigen Indikationen, bei denen ein amerikanisches Forscherteam einen Nutzen von zentralen Muskelrelaxanzien identifizieren konnte. (Foto: staras/AdobeStock)


Ein beliebtes Mittel gegen muskuloskelettale Schmerzen sind zentrale Muskelrelaxanzien, zum Beispiel im unteren Rücken. Nicht nur hierzulande steigen die Verschreibungszahlen, sondern auch in den USA, wo sie vermehrt als Alternative zu Opioiden eingesetzt werden. In einem systemischen Review wurde jetzt gezeigt, dass der langfristige Einsatz der Substanzen nur bei wenigen Indikationen Sinn ergibt.

Auch im Jahr 2022 stiegen in Deutschland die Verordnungen von zentralen Muskelrelaxanzien wieder. Das zeigen die Zahlen des Arzneiverordnungs­reports 2023 [1]. Dessen Autoren warnen schon länger: Der Einsatz der Mittel erfolgt häufig trotz mangelhafter Evidenz, zum Beispiel gegen Rückenschmerzen. Auch in den USA steigen die Verordnungszahlen, auf diesem Weg soll die Verschreibung von Opioiden reduziert werden. Doch über die Wirksamkeit der langfristigen Einnahme ist wenig bekannt. Vor diesem Hintergrund machten es sich amerikanische Wissenschaftler zum Ziel, alle relevanten Studien zur Langzeiteinnahme (länger als einen Monat) in einem Review zu bewerten [2].

Keine Metaanalyse möglich

Insgesamt identifizierten sie 44 passende Studien, darunter 30 randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien mit insgesamt 1314 Probanden und 14 Kohortenstudien, die 1168 Teilnehmer umfassten. Am häufigsten wurden die Wirkstoffe Baclofen (Lioresal®, 25%), Tizanidin (Sirdalud®, 18%) und das in Deutschland nicht verwendete Cyclobenzaprin (16%) untersucht. Zu einer Metaanalyse konnten die Daten allerdings nicht zusammengefasst werden, dafür waren die Studien zu heterogen. Stattdessen entschieden sich die Autoren, die wichtigsten Behandlungsfelder mit zentralen Muskelrelaxanzien narrativ zu beschreiben.

Wirkung auf Kopf und Nacken

Das wichtigste Ergebnis vorab: Die Wirksamkeit der Substanzen hing stark vom Einsatzgebiet ab. Trigeminusneuralgien zum Beispiel besserten sich durch Baclofen. Das Muskel­relaxans wirkte in Kombination mit Carbam­azepin außerdem besser als Carbamazepin allein, führte aber zu Sedierung, Erbrechen, Übelkeit und Schwäche. Für andere Kopfschmerzen wie Spannungskopfschmerzen war das Bild widersprüchlich: Zum Beispiel widersprachen sich die Ergebnisse zweier randomisierter kontrollierter Studien mit Tizanidin. Zu dessen Nebenwirkungen gehörten unter anderem Schläfrigkeit, ein trockener Mund und intensive Träume. Orphenadrin (Norlex®) und Cyclobenzaprin verbesserten die Symptomatik nicht. Patienten mit Nackenschmerzen könnten hingegen von zentralen Muskelrelaxanzien profitieren. Zumindest Eperison reduzierte die Nackenschmerzen einer Studie zufolge gegenüber Placebo.

Linderung bei Krämpfen

Schmerzhafte Krämpfe, wie nächtliche Wadenkrämpfe, konnten durch die Substanzen gelindert werden. Baclofen verminderte die Frequenz, Dauer und Schwere der Krämpfe und lieferte dabei in etwa so gute Ergebnisse wie die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). Außerdem verhalfen Orphenadrin, Carisoprodol und Methocarbamol (Ortoton®) den Teilnehmern zu weniger häufigen Krämpfen.

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Rückenschmerz unverändert

Zu den häufigen Einsatzgebieten von Muskelrelaxanzien gehörten Rückenschmerzen, laut den Ergebnissen der Auswertung allerdings zu Unrecht: Eperison beispielsweise schlug sich in einer Studie schlechter als eine Physiotherapie. Chinin zeigte bei Rückenschmerz in Zusammenhang mit einer ankylosierenden Spondylitis ebenfalls keinen Effekt. Zumindest einer Kohortenstudie nach wirkte Methocarbamol besser als eine Opioid-Therapie, führte aber auch zu Somnolenz und Schwindel. In einer anderen Studie wurde gezeigt, dass die Wirkung von Baclofen nach dem Absetzen nicht andauerte, während eine Behandlung mit Baclofen und Akupunktur anhaltende Ergebnisse erzielte.

Kein Benefit bei Fibromyalgie

An Schmerzen in verschiedenen Körperregionen leiden Fibromyalgie-Patienten. Die durchwachsene Evidenz spricht allerdings nicht für zentrale Muskelrelaxanzien als Therapiebaustein. Cyclobenzaprin beispielsweise konnte in Studien nur den Schlaf verbessern. Lediglich in einer Studie wirkte es in etwa genauso gut wie das häufig verwendete Amitriptylin. Zu den Nebenwirkungen zählen vor allem Somnolenz und trockener Mund. Die Erkenntnisse zu Tizanidin beruhen nur auf Kohortenstudien und zeigen einen günstigen Effekt auf die Schmerzen, dafür aber Somnolenz, Kopfschmerzen und Schwindel als unerwünschte Wirkungen. Chlormezanon und Carisoprodol blieben in Interventionsstudien allerdings ohne Effekt.

Verordnung einschränken

Bis auf ausgewählte Indikationen spricht die Evidenz also gegen einen breiten Einsatz der zentralen Muskelrelaxanzien. Einschränkend kommt noch hinzu, dass die meisten Studien kaum länger als die geforderten vier Wochen liefen. Die vergleichsweise kurzzeitige Anwendung könne die Effekte in der Langzeitanwendung überzeichnen, so die Autoren. Sie regen auf Basis ihrer Daten nicht nur zur eingeschränkten Verordnung an, sondern fordern auch Interventionen zum Deprescribing der Substanzen bei Patienten in Langzeittherapie. 

Literatur

[1] Ludwig WD et al. Arzneiverordnungsreport 2023. Springer-Verlag Berlin 2024

[2] Oldfield BJ et al. Long-Term Use of Muscle Relaxant Medications for Chronic Pain: A Systematic Review. JAMA Netw Open 2024;7(9):e2434835, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.34835


Dr. Tony Daubitz, Apotheker
redaktion@daz.online


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