Aktiv werden, statt wegducken

Benignes Prostatasyndrom – aktualisierte Leitlinie macht Versorgungslücke deutlich

24.10.2024, 07:00 Uhr

Viele Männer, die medizinisch als behandlungsbedürftig gelten, meiden den Arztbesuch. (Foto: Jrg/AdobeStock)

Viele Männer, die medizinisch als behandlungsbedürftig gelten, meiden den Arztbesuch. (Foto: Jrg/AdobeStock)


Die häu­figste gutartige Erkrankung von Männern ab 50 Jahren äußert sich in zunehmenden Beschwerden beim Wasserlassen. Viele Männer, meiden aber den Arztbesuch. Solange die Symptome noch gering ausgeprägt sind, können ihnen gut dokumentierte Phytopharmaka empfohlen werden. Bei höhergradigen Beschwerden sieht die aktualisierte Leitlinie zum benignen Prostatasyndrom eine medikamentöse (Kombinations-)Therapie vor. Operiert wird indes viel zu häufig, sagen führende Urologen.  

Schon ab dem Alter von 35 Jahren vergrößern sich die Drüsenanteile der Prostata, die die Harnröhre umgeben. Eine mögliche Folge: Die Harnröhre wird eingeengt, allmählich kommt es zu Beschwerden beim Wasserlassen. Sind diese stark ausgeprägt, sprechen Urologen von einer Blasenauslassobstruktion (BOO, bladder outlet obstruction) infolge einer gutartigen Prostatavergrößerung (benigne Prostatahyperplasie, BPH). 

Mit Prostatakrebs hat die BPH nichts zu tun. Da die vielfältigen Symptome in Zusammenhang mit der gutartigen Prostatavergrößerung verschiedene Auslöser haben, werden sie – zumindest im deutschsprachigen Raum – als „benignes Prostatasyndrom (BPS)“ zusammengefasst. 

Der Begriff BPS beschreibt eine Konstellation, bei der Symptome des unteren Harntraktes (LUTS, lower urinary tract symptoms) infolge einer Blasenauslassobstruktion (BOO) mit einer gutartigen Prostatavergrößerung (BPH)  zusammenkommen [1].  

Selten ist die Prostata alleine schuld

Dass die Vergrößerung der Prostata klar altersabhängig ist, hat eine repräsentative Untersuchung in der Altersgruppe der über 50-jährigen Männer (rund zwölf Millionen in Deutschland) gezeigt: Das durchschnittliche Prostatavolumen von 24 Kubikzentimetern („kastaniengroß“) bei den 50- bis 54-Jährigen stieg darin auf 38 Kubikzentimeter bei Männern im Alter über 75 Jahre. 

Parallel dazu nahm der maximale Harnfluss (Qmax) kontinuierlich ab [2]. Das sind Durchschnittswerte; ob und ab welcher Größe der Prostata sich Beschwerden einstellen, ist von Mann zu Mann ganz unterschiedlich. Das liegt auch daran, dass weitere Faktoren neben der Harnröhrenverengung die Blasenentleerung behindern können. Der wichtigste liegt in der Harnblase selbst. 

Voraussetzung für den normalen Harnfluss ist eine ausreichende Spannung der Harnblasenmuskulatur (Musculus detrusor). Aus Urologensicht wird die Detrusorhypoaktivität als Ursache einer Blasenentleerungsstörung unterschätzt, sagte Prof. Dr. h. c. mult. Thomas Bschleipfer, Chefarzt  der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Klinikum Coburg, bei einem Symposium auf dem letztjährigen Uro­logenkongress [3]. 

Beide Faktoren – die verengte Harnröhre (Blasenauslassobstruktion) und die schwache Blasenwand (Detrusorunteraktivität) – liegen oft gemeinsam vor und tragen zu den typischen Beschwerden bei, die in Entleerungs- und Speicherstörungen unterteilt werden: 

Blasenentleerungsstörung: 

  • Betroffene Männer haben Schwierigkeiten, mit dem Wasserlassen zu beginnen.
  • Der Harnstrahl ist schwächer als gewohnt und das Wasserlassen dauert länger.
  • Manchmal braucht es mehrere Anläufe, um die Blase vollständig zu entleeren.
  • Oft bleibt das Gefühl, dass noch Harn in der Blase vor­handen ist (Restharngefühl).

Harnspeicherstörungen:  

  • Betroffene müssen häufig zur Toilette (Pollakisurie), teilweise in kurzen Abständen, oft auch nachts (Nykturie). 
  • Es kann nach dem Wasserlassen Urin aus der Harnröhre nachtropfen. 
  • Es kommt zu plötzlichem starkem Harndrang mit ungewolltem Abgang von Urin (Dranginkontinenz), was für die Betroffenen besonders belastend ist. 
     

Von der „Reizblase“ bis zum Harnverhalt

Das benigne Prostatasyndrom verläuft meist chronisch progredient. Anfangs kann die Harnblase noch vollständig, wenn auch mit Problemen, entleert werden (siehe Kasten „Einteilung in drei Stadien“). Bleibt Restharn in der Blase zurück (Stadium II), können sich leichter Keime ansiedeln, was das Risiko für Harnwegsinfekte und Blasensteine erhöht. Im Stadium III lässt sich die Harnblase nicht mehr spontan entleeren; beim Harnverhalt muss ein Katheter gelegt werden. Darüber hinaus leidet rund ein Drittel der betroffenen Männer zusätzlich unter Erektionsproblemen, noch mehr unter Schwierigkeiten beim Samenerguss; bei den meisten kommt es zu einer deutlichen Abnahme des Ejakulatvolumens.

Männer suchen zu spät Hilfe

Der Schweregrad eines Prostatasyndroms ermittelt der  
International Prostate Symptom Score (IPSS) mit seinen sieben Fragen zu Beschwerden beim Wasserlassen im letzten Monat. Erfasst werden irritative Symptome wie Harndrang, erhöhte Miktionsfrequenz und Nykturie sowie obstruktive Symptome wie Restharngefühl, Nachträufeln und Probleme beim Wasserlassen. Einen IPSS-Score über 7, der als behandlungsbedürftig gilt, haben in Deutschland 29,3% der über 50-jährigen Männer [4]. 

Ob sie sich tatsächlich in Behandlung begeben, hängt stark vom persönlichen Leidensdruck ab – die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen, scheint hoch zu sein: „Selbst bei mittelschweren bis schweren Symptomen (IPSS > 7) konsultieren nur etwa 25% der Männer einen Arzt, davon ein Drittel den Hausarzt, zwei Drittel den Urologen“, berichtete Bschleipfer. An die hausärztlichen Kollegen appellierte der Facharzt, ihre älteren Patienten aktiv auf mögliche Beschwerden anzusprechen. 

Die Apotheke als niedrigschwellige Anlaufstelle wiederum könnte bei Patienten, die Probleme beim Wasserlassen beschreiben, ein Blasentagebuch anregen, bei geringen Beschwerden Selbstmedikationspräparate empfehlen (siehe Absatz „Phytotherapeutika“) und aktiv an den Hausarzt verweisen, sofern keine ausreichende Besserung eintritt.

Schon der Hausarzt kann zur Basisdiagnostik des benignen Prostatasyndroms neben Anamnese, körperlicher Untersuchung und IPSS eine Urinanalyse (Harnwegsinfektion?) durchführen und das prostataspezifische Antigen (PSA) im Blut bestimmen, letzteres zur Abschätzung des Progres­sionsrisikos und als Differenzialdiagnostik zum Prostatakarzinom. Die weitere Diagnostik bleibt üblicherweise dem Urologen vorbehalten. 

Die seit Februar 2023 aktualisierte S2e-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) zu Diagnostik und Therapie des Benignen Prostatasyndroms sieht neben der sonografischen Bestimmung des Restharnvolumens die Ultraschalluntersuchung des oberen und unteren Harntraktes und die Bestimmung des Prostatavolumens mittels transrektalem Ultraschall vor. Es gibt Hinweise, aber keine eindeutige Evidenz, dass höheres Serum-PSA und höheres Prostatavolumen mit einem erhöhten Progressionsrisiko des benignen Prostatasyndroms assoziiert sind [1]. 

Einteilung in drei Stadien

Stadieneinteilung des benignen Prostatasyndroms (BPS) nach Alken: 

  • Stadium I = Reizstadium: Die Abflussbehinderung durch die vergrößerte Prostata wird durch die Harnblase kompensiert, d. h. nach der Miktion verbleibt kein Urin in der Harnblase. In diesem Stadium be­richten die Patienten über eine Abschwächung des Harnstrahls, einen verzögerten Beginn der Blasenentleerung, nächtliches Wasserlassen und häufigen Harndrang. 
  • Stadium II = Restharnstadium: Die Abflussbehinderung kann nicht mehr durch die Blase kompensiert werden, somit verbleibt nach der Miktion Urin in der Blase (< 50 ml). Neben den Symptomen des ersten Stadiums treten Harnwegsinfekte und manchmal auch ein unwillkürlicher Urinverlust auf, selten eine Blasensteinbildung. 
  • Stadium III = Dekompensationsstadium: Die Restharnmenge übersteigt 150 ml. Zu den vorgenannten Symptomen kann es in diesem Stadium zum Harnverhalt mit dem Bild einer „Überlaufblase“ kommen. Zusätzlich kann es durch den Rückstau des Urins bis in die Nieren zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zu einem Nierenversagen kommen.

Klinisch relevante Obstruktion erkennen

Der Begriff der klinisch relevanten Obstruktion erhielt in der neuen Leitlinie einen prominenten Stellenwert, weil bei diesem Befund eine relative Indikation zur operativen Therapie besteht. LUTS-Stärke, Prostatavolumen, Restharnmenge, Uroflow-Parameter wie auch Endoskopie-Befunde korrelieren mit der Obstruktion nur gering. Weder einzeln noch in Kombination besitzen sie eine ausreichende Spezifität und Sensitivität für die Bestimmung des BOO-Grades. 

Der Goldstandard hierfür, gleichzeitig die präziseste Untersuchung zur Unterscheidung einer Blasenauslassobstruk­tion und einer Detrusorunteraktivität, ist die Druck-Fluss-Messung. Hierbei werden simultan der Detrusordruck als Differenz aus Blasen- und Abdominaldruck sowie der Harnfluss pro Zeiteinheit aufgezeichnet. Indes ist die Urodynamik mit ihren invasiven Sonden aufwendig, für den Patienten belastend und gemäß der Leitlinie erst indiziert, wenn die Basisdiagnostik die Pathophysiologie von LUTS/BPS nicht hinreichend geklärt hat, oder wenn eine (erneute) Prostataoperation geplant ist [2]. 

Um eine Blasenauslassobstruktion nichtinvasiv und dennoch sicher zu beurteilen, hat die Leitlinie als Novum zwei weitere Ultraschall-Basisuntersuchungen eingeführt (s. Kasten „Neue Basisuntersuchungen“), die Vorwölbung der Prostata in das Blasenlumen (IPP, intra­vesikale prostatische Protrusion) und die Blasenwanddicke (DWT, detrusor wall thickness): „Die Surrogatparameter intravesikale prostatische Protrusion und Blasenwanddicke sind gute Prädiktoren einer Blasenauslassobstruktion, sie sind nichtinvasiv und schnell zu erheben und bieten sich als Screeninguntersuchung zur Abklärung einer Blasenauslassobstruktion bei BPS-Patienten an“, erklärt Bschleipfer.    

Neue Basisuntersuchungen zur Diagnostik des benignen Prostatasyndroms 

  • Eine Vorwölbung der Prostata in das Blasenlumen (IPP, intravesikale prostatische Protrusion) von > 10 mm zeigt eine vergleichbare diagnostische Genauigkeit zur Bestimmung einer Blasenauslassobstruktion wie die Uroflowmetrie (Harnflussmessungen) [5]. Männer mit IPP Grad 3 haben zu 76% eine Obstruktion, bei Grad 1 nur zu 7%.
  • Eine Blasenwanddicke (DWT, detrusor wall thickness) von > 2 mm bei mindestens 250 ml Blasenfüllung hat eine hohe Sensitivität (94%) und Spezifität (95%) für das Vorliegen einer Blasenauslassobstruktion [2]. Die Übereinstimmung mit Druck-Fluss-Studien liegt bei 89%. Die Blasenwandhypertrophie zur Steigerung der Detrusorkraft ist die physiologische Antwort der Harnblase auf eine länger bestehende Auslassobstruktion.

Kontrollierte Verhaltenstherapie

Viele BPS-Patienten mit geringer Symptomatik können eine zufriedenstellende Lebensqualität zunächst ohne Therapie erreichen: durch die Strategie des kontrollierten Zuwartens (watchful waiting), verbunden mit Anpassungen der Trinkgewohnheiten (ca. 1500 ml verteilt auf den Tag), Blasen­training sowie Reduktion von diuretischen (Alkohol, Arzneimittel) und irritativen Substanzen (scharfe Gewürze). 

Im Auge zu behalten seien individuelle Risikofaktoren wie Lebensalter, PSA-Wert, Prostatavolumen, Restharnmenge und Harnstrahlstärke, betonte Bschleipfer. „Wichtig sind regel­mäßige Kontrollen mit Neubewertung der Symptomatik und des Leidensdrucks.“ Bei zunehmenden, multiplen oder stark erhöhten Progressionsrisiken hat das Zuwarten ein Ende. 

Phytotherapeutika bei geringen Beschwerden

Zur medikamentösen Therapie sei grundsätzlich festzustellen, dass keine der aktuell verfügbaren Substanzen einen relevanten Einfluss auf die Blasenauslassobstruktion hat. „Bei geringen Beschwerden bieten sich als Einstieg in eine medikamentöse Therapie zunächst in randomisierten klinischen Studien dokumentierte Phytopharmaka an“, empfahl Bschleipfer. 

Infrage kommen Extrakte aus Sägezahnpalme (Sabal serrulata/Serenoa repens, z. B. SabalUno®, Prostagutt® uno), Brennnesselwurzel (Urtica dioica, z. B. Natu-prosta® 600 mg uno), deren Kombination (z. B. Prostagutt® duo), Kürbissamen (Cucurbita pepo, z. B. Granu Fink® Prosta forte) und deren Kombinationen (z. B. Granu Fink® Prosta plus Sabal), die Rinde des Afrikanischen Pflaumenbaumes (Pygeum africanum, z. B. Vegavero Saw palmetto + Pygeum africanum). Mono- oder  Kombinationspräparate aus diesen Heilpflanzen zeigten in einigen Studien Vorteile gegenüber Placebo und teilweise keine Unterlegenheit gegenüber der Monotherapie mit synthetischen Arzneimitteln. 

Als Wirkmechanismen werden antiandrogene, antiphlogistische Effekte auf die glatte Muskulatur postuliert. Für eine allgemeine Leitlinienempfehlung reichen die recht widersprüchlichen Daten aber nicht aus [1].

Dessen ungeachtet erfreuen sich pflanzliche Prostata-Präparate bei vielen Männern hoher Beliebtheit – obgleich sie  die verschreibungsfreien Präparate selbst zahlen müssen. Nach einer Untersuchung von Prof. Dr. Martin C. Michel vom Institut für Pharmakologie der Universität Mainz gibt bei der Hälfte der Käufer der Wunsch nach einem nicht-chemischen, „natürlichen Produkt“ ohne Nebenwirkungen den Ausschlag; 12% gaben als Motiv für die Selbstbehandlung an, nicht mit einem Arzt sprechen zu müssen [6].

Tab. 1: In der S2e-Leitlinie aufgeführte medikamentöse Kombinationstherapien bei BPS [1, 3]

WirkstoffkombinationEmpfohlen für
Alpha-Blocker + 
5Alpha-Reduktasehemmer
Langzeitbehandlung (≥ 2 J.) bei hohem Progressions­risiko
Alpha-Blocker + 
Antimuskarinika
Bei persistierenden/
vorherrschenden 
Speichersymptomen trotz á-Blocker-Monotherapie
Alpha-Blocker + 
Phosphodiesterasehemmer
Ist der Alpha-Blocker-Monotherapie moderat überlegen, dabei Besserung erektiler Dysfunktion
5á-Reduktasehemmer + PhosphodiesterasehemmerIst der 5Alpha-Reduktase­hemmer-Monotherapie moderat überlegen, schnellere Linderung der Symptome des unteren Harntrakts (LUTS), Besserung einer vorbestehenden oder durch 5Alpha-Reduktase­hemmer induzierten erektilen Dysfunktion
Alpha-Blocker + Alpha3-AgonistenBei persistierenden Blasenspeichersymptomen nach Einleitung einer á-Blocker-Therapie
Antimuskarinika + 
Alpha3-Agonisten
Keine Empfehlung bei 
Patienten mit BPS mangels Datenbasis

Gezielte medikamentöse Therapie

Bei zunehmenden BPS-Beschwerden, etwa ab Stadium II, können chemisch-synthetische Präparate in Mono- oder Kombinationstherapie verordnet werden. Zur Abmilderung von Symptomen des unteren Harntraktes (LUTS) sowie zur Abschwächung der Progression werden α-Adrenozeptor­antagonisten eingesetzt. Alfuzosin, Terazosin und andere α-Blocker haben einen raschen Wirkungseintritt, bei maximalem Effekt nach zwei bis vier Wochen. 

Für eine Langzeitbehandlung sind sie mangels Wirkung auf die Blasen­auslassobstruktion und das Prostatavolumen nicht Mittel der Wahl. Hier kommen 5α-Reduktasehemmer (Finasterid, Dutasterid) ins Spiel, die bei Männern mit gutartiger Prostatavergrößerung (> 40 cm3) das Prostatavolumen reduzieren und BPS-Symptome lindern können. Leider sind unerwünschte Wirkungen auf die Sexualfunktion häufig.

Bei einer vorherrschenden Blasen-Speichersymptomatik kommen m-Cholinozeptorantagonisten (Antimuskarinika, z. B. Darifenacin, Tolterodin) in Betracht. Sie können eine Reduktion der Miktionsfrequenz und des imperativen Harndrangs bewirken, bessern aber nicht die maximale Harnflussrate (Qmax). Anticholinerge Nebenwirkungen (Mund­trockenheit) bzw. Kontraindikationen (Glaukom!) sind zu bedenken. Von den Phosphodiesterasehemmern ist Tadalafil zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms zugelassen, wo es eine den α-Blockern vergleichbare Wirkung zeigt. Vorteilhaft ist die Besserung einer koinzidenten erektilen Dysfunktion. 

Neu besprochen wird in der aktuellen Leitlinie der β3-Adrenozeptoragonist Mirabegron (Betmiga®). Die Substanz ist gut untersucht bei Symptomen der überaktiven Blase (OAB) und hat im Vergleich zu Tolterodin geringere anticholinerge Nebenwirkungen. Zeigen Patienten unter einer Monotherapie keinen zufriedenstellenden Behandlungserfolg, kann eine Kombinationstherapie unter Berücksichtigung der Vorteile der jeweiligen Substanzen in bestimmten Bereichen der BPS-Symptomatik angesetzt werden (vgl. Tab. 1) [1, 3]. 

Ein Bündel operativer Verfahren

Bei frustraner konservativer oder medikamentöser Therapie, oder wenn es zu einer absoluten OP-Indikation kommt (vgl. Kasten „Wann operieren?“), steht grundsätzlich eine Vielzahl instrumenteller und operativer Verfahren zur Verfügung, wie Prof. Dr. Dr. Matthias Oelke, Leiter der Sektion Funktionelle Urologie sowie des urologischen Studien- und Wissenschaftszentrums am St. Antonius-Hospital, Gronau, beim Urologiekongress ausführte. 

Entscheidende Kriterien für die Anwendbarkeit sind seitens des Patienten das Prostatavolumen, die Narkosefähigkeit, die Einnahme oraler Antikoagulanzien und der Wunsch nach Erhalt der Ejakulationsfähigkeit. Letzteres werde in der Aufklärung oftmals nicht angesprochen, was im Nachhinein zu „Reklamationen“ führen könne, warnte Oelke die Kollegen.

Wann operieren?

Absolute Operationsindikationen infolge eines benignen Prostatasyndroms sind [2]

  • rezidivierender Harnverhalt
  • rezidivierende Harnwegsinfektionen mit/oder ohne Prostata- oder Nebenhodeninfektionen
  • rezidivierende Makrohämaturie (aus Prostata­gefäßen)
  • Blasensteine
  • Blasenpseudodivertikel (Ausstülpungen der Mukosa)
  • Dilatation des oberen Harntrakts ± Einschränkung der Nierenfunktion

Als sicher ejakulationsschonend gelten vor allem Verfahren ohne Ablation von Gewebe wie die Prostata-Arterien-Embolisation (PAE), das Harnröhren-Lifting oder temporär implantierte Stents (iTIND). Das Referenzverfahren in der interventionellen BPS-Therapie ist aber aufgrund  der nachgewiesenen Langzeiteffektivität und der hohen Anwendungszahl die monopolare transurethrale Resektion der Prostata (mTURP). 

TURP und verwandte Verfahren werden in Deutschland mit rund 62.000 Operationen jährlich mit Abstand am häufigsten eingesetzt, gefolgt von der Holmiumlaser-Enukleation der Prostata (HoLEP) mit gut 8000 Anwendungen (Daten verfügbar bis 2019) [7]. 

Tab. 2: Transurethrale Ablationsverfahren der Prostata beim benignen Prostatasyndrom [2]

Abtragung von GewebeMethodeCharakteristik
Direkte/sofortige Ablation von Gewebe mittels ResektionMonopolare transurethrale Resektion (mTURP)Prostatavolumen bis 80 cm3, Referenzverfahren aufgrund nachgewiesener Langzeiteffektivität und hoher Anwendungszahl
Bipolare transurethrale Resektion (bTURP)Ergebnisse vergleichbar mit mTURP, geringere perioperative Morbidität
Holmiumlaser-Resektion (HoLRP)Alternative zu TURP ohne relevanten Stellenwert
Wasserstrahlablation (Aquablation, Aquabeam®)Alternative zu TURP in erfahrenen Zentren, Prostatagröße mit 30 – 80 cm3
VaporisationTransurethrale Elektrovaporisation (TUEVP)Alternative zu TURP, ähnliche Wirksamkeit belegt bis nach zwölf Monaten, günstiges perioperatives Sicherheitsprofil
Greenlightlaser-Vaporisation/Photoselektive Vaporisation (PVP)Alternative zu TURP in erfahrenen Zentren/bei Patienten mit nicht pausierbarer oraler Antikoagulation oder Thrombozyten­aggregationshemmung
VaporesektionTransurethrale Vaporesektion (TUVRP)Alternative zu TURP, ähnliche Wirksamkeit belegt bis nach fünf Jahren, günstigeres perioperatives Sicherheitsprofil durch effizientere Hämostase
EnukleationTransurethrale ElektroenukleationIn erfahrenen Zentren, in Wirksamkeit und Sicherheit der TURP überlegen
Holmiumlaser-Enukleation (HoLEP)Standardverfahren, geringeres Blutungsrisiko als TURP, unabhängig vom Prostatavolumen, sollen bei Verfügbarkeit als Alternative zu TURP oder offener OP empfohlen werden
Thuliumlaser-Enukleation (TmLEP)
Diodenlaser-EnukleationMögliche Alternative zu TURP, ähnliche Wirksamkeit belegt bis nach zwölf Monaten
Indirekte/verzögerte Ablation von Gewebe (ejakulationsschonend)konvektive Wasserdampfablation (WAVE; Rezum™)Therapieoption bei Patienten mit Wunsch nach Ejakulations­erhalt, hitzedenaturiertes Gewebe wird mit der Zeit abgestoßen
Intraprostatische Injektion therapeutischer Proteine: Fexapotide, TopsalysinMinimalinvasive Aktivierung von Apoptose im überschüssigen Prostatagewebe, risikoärmere Therapiealternative bei älteren und komorbiden Patienten, derzeit nicht außerhalb von klinischen Studien
Ohne Ablation von Gewebe (ejakulationsschonend)Transurethrale Inzision der Prostata (TUIP)Geringere Reduktion einer BOO als unter TURP, antegrade Ejakulation bleibt bei 79% der Patienten erhalten
Prostata-Harnröhren-Lifting-Verfahren (PUL, Urolift®)Geringere Wirksamkeit als unter TURP, ejakulationsschonend
Temporär implantierbares Körbchen aus Nitinol (iTIND)Prostatavolumen max. 75 cm3ejakulationsschonend
Permanente Prostatastentshäufige Komplikationen, beschränkt auf Hochrisikopatienten (ASA ≥ 3) mit begrenzter Lebenserwartung

 

Leitlinie trifft Versorgungsrealität

Längst nicht alle OP-Kandidaten mit BPS weisen eine klinisch relevante Blasenauslassobstruktion auf, betonte Oelke. An der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführte urodynamische Reihenuntersuchungen von 1414 LUTS-Patienten ab 50 Jahren mit der klinischen Diagnose BPS hätten ergeben, dass lediglich 529, also 37%, einen Obstruktionsgrad ab Schäfer-Klasse 3 hatten, der eine Operation indiziert. 

In der Literatur werden 32 bis 60% angegeben. „Die Konsequenz ist, mangels sachgerechter Evaluation der Blasenauslassobstruktion werden zwischen 40 und 68% der BPS-Patienten operiert, ohne dass eine klinisch relevante Obstruktion vorliegt“, hielt Oelke fest. Insgesamt 83.687 Prostata-Operationen waren es in 2019; bei einer BOO-Prävalenz in der Literatur von 32 bis 60% bei BPS-Patienten waren hiervon 33.475 bis 56.907 Opera­tionen nicht indiziert. 

Eine TURP-OP mit 3140 Euro angesetzt, wurden für die unnötigen Eingriffe 105 Mio. bis 187,7 Mio. Euro vergütet, rechnete Oelke vor. „Das könnte die Befolgung der neuen Leitlinie ändern“, hofft der Urologe.

 

Literatur
 

[1] Deutsche Gesellschaft für Urologie, S2e-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Benignen Prostatasyndroms (BPS). AWMF-Reg.Nr. 043–034, Stand Februar 2023.  
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/043-034 ;
[2] Gutartige Prostatavergrößerung – das sollte Mann wissen! Prostata Hilfe Deutschland e.V. www.prostata-hilfe-deutschland.de/prostata-wissen/gutartige-prostatavergroesserung-bph ;
[3] BPS kritisch betrachtet! Symposium beim 75. Kongress  
der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), Leipzig, 20.9.2023 
[4] Berges R, Oelke M. Age-stratified normal values for prostate volume, PSA, maximum urinary flow rate, IPSS, and other LUTS/BPH indicators in the German male community-dwelling population aged 50 years or older. World J Urol 2011;29(2):171-178. doi: 10.1007/s00345-010-0638-z.  
[5] Malde S, Nambiar AK, Umbach R et al.: Systematic Review of the Performance of Noninvasive Tests in Diagnosing Bladder Outlet Obstruction in Men with Lower Urinary Tract Symptoms. Eur Urol 2017; 71(3):391-402. doi: 10.1016/j.eururo.2016.09.026.  
[6] Michel MC: LUTS: Warum nutzen Männer rezeptfreie Präparate? Kongressausgabe der Ärzte Zeitung, 20.9.2023,  
75. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), Leipzig 
[7] Uhlig A, Baunacke M, Groeben C et al.: Die operative Therapie des benignen Prostatasyndroms in Deutschland-Eine Darstellung der Versorgungssituation auf Basis der Qualitätsberichte von 2006 bis 2019. Der Urologe 2022;61:508-517. doi: 0.1007/s00120-022-01777-9. 


Ralf Schlenger, Apotheker. Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.