Angst vor geistiger Anstrengung

Forscher entwickeln ersten deutschen Kogniphobie-Fragebogen

29.10.2024, 12:29 Uhr

Durch die Konzentration bei schwierigen geistigen Auf­gaben können Kopfschmerzen ausgelöst werden. (Foto: contrastwerkstatt / AdobeStock)

Durch die Konzentration bei schwierigen geistigen Auf­gaben können Kopfschmerzen ausgelöst werden. (Foto: contrastwerkstatt / AdobeStock)


Migränepatienten leiden nicht nur unter wiederkehrenden Kopfschmerzen, sondern auch unter der Angst, sie durch geistige Anstrengung auszulösen. Wie häufig diese sogenannte Kogniphobie auftritt, ist noch unklar. Ein Forschungsteam der Universität Mainz hat eine neue deutsche Version eines Screening-Fragebogens entwickelt, der helfen soll, diese Angst besser zu erkennen und zu behandeln.

Migräne ist mit einer weltweiten Prävalenz von 13,8% der Frauen und 6,9% der Männer eine häufig vorkommende und stark belastende neurologische Erkrankung [1]. Doch neben den quälenden Kopfschmerzen scheint eine weitere, bisher wenig beachtete Angststörung das Leiden zu verstärken: die Kogniphobie (siehe Kasten „Kogniphobie kann Migräne verschlimmern“). Dabei handelt es sich um die Angst vor kognitiver Anstrengung – die Vorstellung, dass intensives Nachdenken einen Migräneanfall auslösen oder verschlimmern könnte. Dies führt nicht nur dazu, dass sich die Migräne verschlimmert, sondern kann auch eine Chronifizierung zur Folge haben [2].

Kogniphobie kann Migräne verschlimmern

Kogniphobie ist keine eigenständige Erkrankung, sondern vielmehr eine Komplikation einer Kopfschmerzerkrankung. Wie Dr. Timo Klan vom Psychologischen Institut der Universität Mainz betonte, kann Kogniphobie nicht in „keine-leicht-mittel-hoch oder sehr hoch“ kategorisiert werden. Das Konstrukt der Kogniphobie geht davon aus, dass angstmotiviertes Vermeidungsverhalten bei Kopfschmerzen den Krankheitsverlauf verschlechtern und zur Chronifizierung führen kann. Daher ist es notwendig, kopfschmerzbezogene Ängste zu diagnostizieren und aktiv zu behandeln.“

Ein neuer Fragebogen soll helfen

Bereits 2017 wurde ein englischsprachiger Fragebogen von Elisabeth K. Seng und ihrem Team entwickelt, um die Angst vor kognitiver Anstrengung bei Migränepatienten zu erfassen: Der Cogniphobia Scale for Headache Disorders (CS-HD) basiert auf 15 Annahmen, mit denen verschiedene Aspekte der Angst und Vermeidung im Zusammenhang mit kognitiven Aktivitäten erfasst werden [3]. Eine deutsche Version gab es bisher noch nicht. Dieser Herausforderung hat sich nun ein Forschungsteam der Universität Mainz gestellt. Auf Nachfrage der DAZ erklärte Dr. Timo Klan vom Psychologischen Institut der Universität Mainz, Leiter der Forschungsgruppe, dass der deutsche Fragebogen in einem mehrstufigen, an wissenschaftlichen Standards orientierten Prozess entwickelt wurde. Aber das reichte dem Team noch nicht. Sie kürzten den Screening-Bogen auf sechs Fragen (siehe Kasten „Kurzform der Cogniphobia Scale for Headache Disorders“). Laut Klan ähnelt die Kurzform dem langen Fragebogen, sie ist aber zeitökonomischer, das heißt ihr Einsatz ist praktikabler [2, 4].

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Um den Fragebogen zu validieren und eine kurze Version zu entwickeln, führten die Forscher eine Querschnittsstudie durch. Diese war Teil eines Projektes, bei dem versucht wurde, diagnostische Instrumente zur Erfassung psychologischer Faktoren bei Migräne (ODIN-Migraine-Projekt) zu verbessern. Es wurden 387 Patientinnen und Patienten mit Migräne ein­bezogen, die mindestens 18 Jahre alt waren und seit mindestens einem Jahr an einer Migräne litten, die ärztlich bestätigt wurde. Die Teilnehmer wurden von September bis November 2020 über ein freiwilliges Online-Umfrageverfahren angeworben. 39,3% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer litten an Migräne ohne Aura, 22,0% an Migräne mit Aura und 38,8% an einer chronischen Form. Personen, die die Kriterien nach der internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (ICHD-3) nicht erfüllten, wurden nicht einbezogen. Ebenfalls ausgeschlossen wurden Personen, die den Fragebogen unvollständig eingereicht hatten oder an weiteren neurologischen Erkrankungen litten [2].

Kurzform der Cogniphobia Scale for Headache Disorders

Die kurze Form der Cogniphobia Scale for Headache Disorders (CS-HD-6) enthält sechs Annahmen mit verschiedenen Aspekten der Angst und Vermeidung. Jede Annahme kann auf einer 4-Punkte-Skala bewertet werden:

  • starke Ablehnung
  • Ablehnung
  • Zustimmung
  • starke Zustimmung

Dabei beurteilen Patienten, inwieweit die folgenden Aussagen zu Kopfschmerzen und geistiger Anstrengung auf sie zutreffen:

  • 1. Ich befürchte, dass ich die Ur­sache meiner Kopfschmerzen verschlimmern könnte, wenn ich mich zu sehr konzentriere.
  • 2. Einfach nur darauf zu achten, dass ich mich nicht zu stark oder zu lange konzentriere, ist das Sicherste, was ich machen kann, um zu verhindern, dass sich mein Kopfschmerz verschlimmert.
  • 3. Eine schwierige geistige Aufgabe durchzuführen, ruft häufig meinen Kopfschmerz hervor.
  • 4. Niemand sollte sich auf schwie­rige geistige Aufgaben konzentrieren, wenn er/sie gerade Kopfschmerzen hat.
  • 5. Ich höre auf, mich zu konzentrieren, sobald ich spüre, dass der Kopfschmerz beginnt.
  • 6. Wenn ich Kopfschmerzen habe, befürchte ich, dass zu starkes Nachdenken oder Konzentrieren den Kopfschmerz verschlimmern wird.

Zur Ermittlung der Gesamtpunktzahl werden alle Punkte addiert [2, 4].

Nicht nur für die Forschung bestimmt

Die Teilnehmer beantworteten die einzelnen Fragen des kurzen Frage­bogens über ein Vier-Punkte-System, von „starke Ablehnung“ bis zu „starke Zustimmung“. Mithilfe der gesammelten Antworten und über eine Faktorenanalyse konnten die Forscher den Fragebogen analysieren und kürzen, ohne dass er an Validität verliert. Klan erklärt, dass sowohl die lange als auch die gekürzte Version des Fragebogens nicht nur für die Forschung entwickelt worden sind. Sie sollen zukünftig von Ärzten genutzt werden, um Migränepatienten mit Kogniphobie besser zu erkennen. Wie viele betroffen sind, lässt sich derzeit nicht leicht beantworten. In der Stichprobe der Forscher wurde bei 5% der Teilnehmer bei allen sechs Annahmen des kurzen Screening-Fragebogens ein Wert von drei oder höher ermittelt, was auf eine mögliche Kogniphobie hindeutet. Um klarer zu definieren, ab wann von einer Kogniphobie gesprochen werden kann, planen die Forscher jedoch ein Folgeprojekt zur Bestimmung eines Cut-Off-Wertes [4].

Literatur

[1] Klan T, Diezemann-Prößdorf A, Guth A-L, Gaul C, Witthöft M. Attackenangst bei Migräne: Diagnostik und Behandlung. Schmerz 2023 https://doi.org/10.1007/s00482-023-00711-y

[2] Klan T, Bräscher AK, Seng EK, Gaul C, Witthöft M. German language adaptation of the Cogniphobia Scale for Headache Disorders (CS-HD) and development of a new short form (CS-HD-6). Headache: The Journal of Head and Face Pain 2024;64:772 – 782, doi: 10.1111/head.14735

[3] Seng EK, Korey SR, Klepper JE. Development of the Cogniphobia Scale for Headache Disorders (CS-HD): A Pilot Study. Psychol Assess 2017,29(10):1296–1301, doi: 10.1037/pas0000432

[4] Gespräch mit Dr. Timo Klan, Psychologisches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz am 15.08.2024


Sarah Decker-Izzo, Apothekerin, DAZ-Redakteurin
redaktion@daz.online


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