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TNF-αlpha-Inhibitoren
Entzündung durch Entzündungshemmer?
Laut einer aktuellen Metaanalyse erhöht eine Therapie mit TNF-α-Inhibitoren das Risiko für Erkrankungen des Zentralnervensystems um 36% im Vergleich zu konventionellen Therapien. Vor allem das Risiko für demyelinisierende Erkrankungen wie multiple Sklerose zeigte sich als erhöht.
Tumornekrosefaktor(TNF)-α-Inhibitoren sind Therapeutika auf Basis von Antikörpern oder Fusionsproteinen, die im Rahmen von immunologischen Entzündungspathologien wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa das Zytokin TNF-α „abfangen“. Da TNF-α eine zentrale Stellung bei inflammatorischen Prozessen einnimmt, sorgt dessen Inaktivierung für eine schnelle Abschwächung der Autoimmunerkrankungen und eine starke Hemmung der Krankheitsprogression. Zu den Vertretern der TNF-α-Inhibitoren zählen Infliximab (z. B. Remicade®), Adalimumab (z. B. Humira®), Golimumab (Simponi®), Certolizumab Pegol (Cimzia®) und Etanercept (z. B. Enbrel®) [1, 2].
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Seit der Markteinführung der ersten TNF-α-Inhibitoren im Jahr 1998 hat sich die Prognose von Autoimmunerkrankungen erheblich verbessert. Infolge des weitverbreiteten Einsatzes häufen sich jedoch auch Berichte über seltene, schwerwiegende Entzündungsprozesse im Zentralnervensystem, die insbesondere zu einer Demyelinisierung der zentralnervösen Axone führen. Da bisher kein Nachweis für einen eindeutigen Zusammenhang existierte, untersuchten chinesische Forscher das Risiko für neu auftretende entzündliche ZNS-Erkrankungen nach Behandlung mit TNF-α-Inhibitoren bei Autoimmunerkrankungen im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse.
Dazu analysierten die Wissenschaftler 18 kontrollierte Beobachtungsstudien, die Daten von 1.118.428 Patienten mit Autoimmunerkrankungen, darunter 258.897 Patienten mit TNF-α-Inhibitor-Therapie einschlossen. 15 der 18 Studien wurden nach den Kriterien des Newcastle-Ottawa Scale Tool und der Checkliste der Agency for Healthcare and Quality als hochwertig eingestuft. Die Ergebnisse wurden nun in der medizinischen Fachzeitschrift „JAMA Neurology“ veröffentlicht.
Risiko für ZNS-Erkrankung um 36% erhöht
Autoimmunerkrankte Patienten zeigten unter TNF-α-Inhibitor-Behandlung im Vergleich zu konventionellen Therapien ein um 36% erhöhtes Risiko eine entzündliche ZNS-Erkrankung zu entwickeln (gepooltes relatives Risiko [RR] = 1,36; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,01 bis 1,84).
Dabei handelte es sich hauptsächlich um demyelinisierende Erkrankungen wie multiple Sklerose (RR = 1,38; 95%-KI = 1,04 bis 1,81).
Die Inzidenzraten neu auftretender entzündlicher ZNS-Ereignisse nach Beginn der Behandlung mit TNF-α-Inhibitoren lagen zwischen 2,0 und 13,4 pro 10 000 Personenjahre.
Eine geringe Heterogenität, konsistente Ergebnisse in Sensitivitätsanalysen und minimale Hinweise auf Publikationsverzerrungen unterstützen die Robustheit der Ergebnisse.
Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hatten Patienten mit einer Autoimmunerkrankung unter TNF-α-Inhibitor-Therapie ein geringfügig erhöhtes Risiko für demyelinisierende Ereignisse (RR = 1,4; 95%-KI = 1,03 bis 1,91).
Sekundäranalysen zeigten, dass sich die Risiken für entzündliche Prozesse bei den verschiedenen zugrunde liegenden Autoimmunerkrankungen nicht signifikant voneinander unterschieden (Rheumatische Erkrankungen RR = 1,36; 95%-KI = 0,84 bis 2,21, entzündliche Darmerkrankungen = 1,49; 95%-KI = 0,93 bis 2,4; p = 0,74). Entzündliche ZNS-Erkrankungen wurden also unabhängig von der Art der Autoimmunerkrankung ausgelöst.
Anti-TNF-α-Antikörper im Vergleich
Die Autoren verglichen jeden der Anti-TNF-α-Antikörper mit Etanercept (TNF-Rezeptor) als Referenz. Die so ermittelten Risiken für ZNS-Ereignisse unter den Anti-TNF-α-Antikörper-Therapien ähnelten sich. Ausnahme war Certolizumab, bei dem das Risiko höher war (RR = 1,39; 95%-KI = 1,23 bis 1,58; p = 0,99). Dieser Unterschied erwies sich jedoch als statistisch nicht signifikant. Das Ergebnis sollte mit Vorsicht interpretiert werden, da die Anzahl der Studien sehr gering sei und eine plausible mechanistische Erklärung bislang fehle, folgerten die Autoren.
Pathomechanismus unklar
Die zugrunde liegende Pathogenese der Arzneimittel-induzierten entzündlichen Prozesse mit einhergehender Demyelinisierung ist bisher nicht verstanden. Klassische Risikofaktoren wie genetische Prädisposition oder Zigarettenrauchen waren bei den beobachteten Fällen nicht vorhanden. Diskutiert werden verschiedene Mechanismen [1]. Ein möglicher Erklärungsansatz ist das Auslösen eines „kompensatorischen immunologischen Schalters“ durch TNF-α-Inhibitoren, bei dem der gezielte Eingriff in das Zytokinnetzwerk die Aktivierung alternativer Signalwege begünstigt [3]. Weitere hypothetische Szenarien sind eine erhöhte Autoreaktivität von T-Zellen und ein eingeschränkter Zugang für TNF-α-Inhibitoren zum Zentralnervensystem durch die Blut-Hirn-Schranke.
Mehr Forschung nötig
Weitere Untersuchungen sind den Autoren zufolge notwendig, um den Zusammenhang zwischen entzündlichen Erkrankungen des ZNS und TNF-α-Inhibitoren zu untermauern und mechanistisch abzuklären. Da randomisierte klinische Studien angesichts der Seltenheit von entzündlichen ZNS-Ereignissen in diesem Kontext nicht durchführbar seien, müssten sich diese auf groß angelegte Beobachtungsstudien stützen. Daneben sei es zukünftig erforderlich, den Fokus ebenso auf potenzielle nicht-demyelinisierende zentralnervöse Auswirkungen zu richten. Die Autoren raten darüber hinaus zu einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung vor einer Therapieentscheidung bei Patienten mit Autoimmunerkrankung und einem adäquaten Monitoring der Behandlung [1].
Literatur
[1] Xie W, Sun Y, Zhang W et al. Risk of inflammatory central nervous system diseases after tumor necrosis factor-inhibitor treatment for autoimmune diseases: A systematic review and meta-analysis. JAMA Neurol 2024, doi:10.1001/jamaneurol.2024.3524
[2] Herdegen T. TNF-α-Antagonisten und weitere Biologika. In: Herdegen T, Hrsg. Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie. 5. Auflage Stuttgart: Thieme 2024
[3] De Stefano L, Pallavicini FB, Mauric E et al. Tumor necrosis factor-α inhibitor-related autoimmune disorders. Autoimmun Rev 2023;22(7):103332
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