Pharmazeutische Betreuung

Mobile Parkinson-Patienten dank guter Beratung

14.11.2024, 09:15 Uhr

Die Symptome des Morbus Parkinson möglichst lange in Schach zu halten, bringt Lebensqualität für die Patienten. Eine Medikationsanalyse kann dabei unterstützen. (Foto: Africa Studio/AdobeStock)

Die Symptome des Morbus Parkinson möglichst lange in Schach zu halten, bringt Lebensqualität für die Patienten. Eine Medikationsanalyse kann dabei unterstützen. (Foto: Africa Studio/AdobeStock)


Morbus Parkinson ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern. Neben dem Leitsymptom Bradykinese, der Verlangsamung der Einleitung und Ausführung willkürlicher Bewegungen, kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer Vielzahl unterschiedlicher Symptome, die sich individuell stark unterscheiden können. Die Therapie und damit auch die pharmazeutische Betreuung, einschließlich der Medikationsanalyse, ist dadurch herausfordernder als bei den meisten anderen chronischen Krankheiten.

Unabhängig von der Art der Entstehung ist allen Subtypen der Parkinson-Krankheit (PK) gemeinsam, dass das Versiegen der Dopamin-Produktion in der Substantia nigra zu einem Ungleichgewicht von Neurotransmittern in den Basalganglien führt. Oft wird das Bild der Waage gewählt, bei der sich durch den Mangel an Dopamin auf der einen Seite die Waagschale von Acetylcholin und Glutamat auf der anderen Seite nach unten bewegt. Daraus leiten sich die Therapieoptionen ab. Wenn durch das Fortschreiten der Erkrankung die gewählte Therapie auch nach Dosiserhöhungen nicht mehr ausreicht, greifen Neurologen zu einer Add-on-Strategie: statt die bisherigen Arzneimittel zu ersetzen, kommen neue hinzu – der Medikationsplan wird komplizierter, die Gratwanderung zwischen Krankheit und Nebenwirkungen beginnt.

Für die symptomatische Behandlung der Parkinson-Krankheit steht eine Reihe von Substanzklassen zur Verfügung (s. Abb. 1).

Abb. 1: Medikamentöse Einflussmöglichkeiten an Dopamin-Rezeptoren Dopamin hemmt GABAerge Neurone und cholinerge Interneurone über D2-Rezeptoren (D2) und aktiviert GABAerge Neurone über D1-Rezeptoren (D1). Dopaminerge Agonisten stimulieren bevorzugt D2-Rezeptoren. Benserazid und Carbidopa hemmen in peripheren Geweben durch Blockade der Dopadecarboxylase (DDC) die Umwandlung von Levodopa in Dopamin. Entacapon und Tolcapon verhindern durch Hemmung der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) den Abbau von Levodopa in 3-O-Methyldopa (3-OMD). Selegilin, Rasagilin und Safinamid hemmen durch Blockade von Monoaminoxidase B (MAO-B) den Abbau von Dopamin in Neuronen des ZNS. Gegenspieler (hier nicht dargestellt) sind der Acetylcholin- und der NMDA-Rezeptor, diese sind jedoch von geringerer therapeutischer Bedeutung. AC: Adenylylcyclase, DAT: Dopamintransporter. [Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. 11. Auflage 2020, WVG Stuttgart]

Auf der präsynaptischen Seite wird versucht, die Dopamin-Konzentration zu erhöhen, indem man – meist als Therapie der ersten Wahl – die Vorstufe Levodopa zuführt (mit Carbidopa oder Benserazid, um den Abbau schon außerhalb des ZNS zu verhindern). Im zweiten Schritt ist es das Ziel, den Abbau von Dopamin durch Hemmung der Catechol-O-Me­thyltransferase (COMT) mit Inhibitoren wie Entacapon, Opicapon und das weitgehend obsolete Tolcapon oder Hemmung der Monoaminoxidase B (MAO-B) mit Inhibitoren wie Selegilin, Rasagilin, oder Safinamid zu hemmen. Postsynaptisch versucht man, mit Dopamin-Agonisten (Pramipexol, Ropinirol, Rotigotin u. a.) die D2-Rezeptoren länger zu erregen, als das fehlende Dopamin das kann. Dies trägt allerdings das Risiko der Kumulation dopaminerger Effekte in sich, häufig beginnt der Patient zu halluzinieren, was zumindest eine Dosiskorrektur notwendig macht. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, hemmend auf den Acetylcholin- oder den NMDA-Rezeptor einzuwirken. Jedoch ist das bei den meist geriatrischen Patienten hochproblematisch, da anticholin­erge Substanzen im ZNS die kognitive Leistung beeinträchtigen und damit das Parkinson-assoziierte Demenzrisiko noch weiter erhöhen, während der NMDA-Antagonist Amantadin zusätzlich mit Nebenwirkungen wie Verwirrtheit, Schlafstörungen und orthostatischen Hypotonien belastet ist. Entsprechend führt die PRISCUS-2-Liste eine ganze Reihe von Parkinson-Mitteln auf. Hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Begriff PIM für potenziell inadäquate Medikation steht – auch PRISCUS-Arzneimittel können in bestimmten Situationen alternativlos sein, oder einfach das kleinere Übel. Eine Verunsicherung des Patienten ist in jedem Fall zu vermeiden.

Lernziele

In diesem Beitrag lernen Sie unter anderem

  • welche Therapieoptionen bei der Parkinson-Krankheit zur Verfügung stehen,
  • auf welche Interaktionen mit Komedikation und Nahrungsbestandteilen bei der Parkinson-Medikation zu achten ist,
  • welche zentrale Bedeutung der Anwendungszeitpunkt einzelner Parkinson-Therapeutika für ihre Wirksamkeit hat,
  • auf welche Nebenwirkungen bei dopaminerger Medikation besonders geachtet werden muss,
  • welche Darreichungsformen für viele Parkinson-Patienten ungeeignet sind und
  • wie typische Komorbiditäten bei Patienten mit Parkinson-Krankheit wie Depressionen oder Blasenfunktionsstörungen leitliniengerecht therapiert werden.

Ziel einer guten Therapie sollte immer sein, den Patienten möglichst lange Zeit über den Tag hinweg beweglich zu halten (On-Phase) und damit die Zeit der lähmenden Unterbeweglichkeit (Off-Phasen) so weit wie möglich zu reduzieren, ohne jedoch störende Überbeweglichkeit zu verur­sachen. Anders ausgedrückt: Mobilität, möglichst ohne Fluktuationen.

Vor der ersten Medikationsanalyse bei einem Patienten mit Parkinson sollte man sich in die Thematik einarbeiten, zunächst durch die Lektüre der 2023 aktualisierten S2k-Leitlinie [1]. Auch die Kenntnis der üblichen Parkinson-Mittel mit ihrer Pharmakokinetik und den wichtigsten Nebenwirkungen ist eine Voraussetzung. Sie werden in diesem Beitrag kurz zusammengefasst (s. Kasten „Steckbriefe der wichtigsten Parkinsonmittel“). Bei all diesen Ansprüchen erstaunt es, dass die erste Frage scheinbar simpel ist: Ist das, was der Patient einnimmt, überhaupt das, was der Neurologe wollte? Und vor allem: wann er es wollte?

Steckbriefe der wichtigsten Parkinsonmittel

  • Levodopa ist die Vorstufe von Dopamin und die First-line-Therapie bei älteren Patienten. Um schon außerhalb des ZNS die Entstehung von Dopamin zu verhindern, wird es mit Decarboxylase-Hemmern (Carbidopa oder Benserazid) kombiniert. Es konkurriert mit Aminosäuren aus dem Nahrungseiweiß um Transportproteine und soll daher auf leeren Magen eingenommen werden. Retardformen sind für die Nacht vorgesehen, lösliche Tabletten zur Einnahme gleich nach dem Aufstehen oder zur Kupierung akuter Off-Situationen. Kapseln sollten nur bei Ausschluss von Schluckstörungen gewählt werden.
  • COMT-Hemmer (Inhibitoren der Catechol-O-Methyltransferase) verlangsamen den Dopaminabbau im ZNS und werden gegen Wirkfluktuationen eingesetzt. Tolcapon ist wegen schwerer Nebenwirkungen weitgehend obsolet. Entacapon wird in mehreren Tagesdosen (auch in Kombinationspräparaten) zusammen mit Levodopa gegeben, Opicapon einmal täglich am späten Abend, aber mit mindestens einer Stunde Abstand zu Levodopa.
  • MAO-B-Hemmer (Inhibitoren der Monoaminoxidase B) verlangsamen ebenso den Dopamin-Abbau im ZNS. Selegilin und Rasagilin können, insbesondere bei jungen Patienten, alleine als First-line-Therapie eingesetzt werden. Safinamid hat einen dualen Wirkmechanismus (zusätzlich Modifikation der Glutamat-Freisetzung) und wird nur in Kombination mit Levodopa eingesetzt. Meist sieht man MAO-B-Hemmer als Add-on bei Wirkfluktuationen unter Levodopa. Alle MAO-B-Hemmer stehen auf der PRISCUS-2-Liste, vor allem wegen orthostatischer Hypotonien.
  • Dopamin-Agonisten (DA) wirken wie Dopamin am D2-Rezeptor, haben jedoch eine deutlich längere Wirkdauer. Sie werden eingeteilt in ergoline (Ergotamin-artige Grundstruktur) und nicht-ergoline Wirkstoffe. Ergoline (Bromocriptin, Cabergolin, Pergolid) sind unter anderem wegen des Risikos von Herzklappenfibrosen bei der Parkinson-Krankheit obsolet. Nicht-ergoline (Pramipexol, Ropinirol, Rotigotin, Piribedil und in speziellen Fällen Apomorphin) kommen bei jüngeren Parkinson-Patienten als First-line-Therapie statt Levodopa infrage. Piribedil und Pramipexol stehen wegen neuropsychiatrischer Symptome und orthostatischer Hypotonien auf der PRISCUS-2-Liste. Pramipexol wird renal eliminiert und kumuliert bei unerkannt fortschreitender Niereninsuffizienz. Alle anderen nicht-ergolinen DA werden hepatisch metabolisiert, z. B. bei Ropinirol sind Interaktionen am CYP 1A2 zu beachten (Inhibition z. B. durch Ciprofloxacin, Induktion z. B. durch Tabakrauch).
  • NMDA-Rezeptor-Antagonisten: Da Budipin wegen des Arrhythmierisikos obsolet ist, steht nur noch Amantadin zur Verfügung, das hauptsächlich bei Levodopa-induzierten Dyskinesien eingesetzt wird. Amantadin hemmt die durch den NMDA-Rezeptor vermittelte Freisetzung von Acetylcholin und hat daher anticholinerge Wirkungen. Auch deshalb steht es auf der PRISCUS-2-Liste. Eine Einnahme nach 16 Uhr kann die Schlafqualität massiv stören. Kombinationen mit Stoffen, die ebenso das QT-Intervall verlängern, sind kontraindiziert.
  • Anticholinergika (Biperiden, Bornaprin, Metixen, Trihexpyhenidyl) sollen u. a. wegen ihrer negativen Wirkungen auf die Kognition nicht mehr als Parkinsonmittel eingesetzt werden.

Schritt 1: Ordnung ins Chaos

Levodopa ist eine Aminosäure, die mit den Aminosäuren aus dem Nahrungseiweiß um Transportvorgänge konkurriert. Unretardierte Levodopa-Präparate werden daher auf leeren Magen vor bzw. zwischen den Mahlzeiten eingenommen, retardierte machen in der Regel nur zur Nacht Sinn. Die Formatvorlage des bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP) wird der Komplexität dieses Einnahmemodus mit festgelegten, vom üblichen Schema (morgens – mittags – abends – zur Nacht) abweichenden Zeiten nicht gerecht. Die Folge ist, dass manche Parkinson-Patienten, obwohl sie einen gesetzlich begründeten Anspruch darauf haben, überhaupt keinen Bundeseinheitlichen Medikationsplan ausgehändigt bekommen, was zu relativ willkürlichen Einnahmezeiten führt. Das andere Extrem zeigen in den Abbildungen 2 und 3 die Beispiele aus dem Alltag.

Abb. 2: Beispiel für einen bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP), dessen Formatvorlage von einer IT-affinen Assistenzärztin so modifiziert wurde, dass die gewünschten Einnahmezeiten korrekt abgebildet wurden (Foto: M. Zieglmeier)
Abb. 3: Umsetzung durch den Patienten, der von der Komplexität dieses Plans völlig überfordert war und sich seinen eigenen Plan erstellte. Aus diesem wird unter anderem ersichtlich, dass das retardierte Levodopa-Präparat (4) sechsmal täglich eingenommen wird, davon einmal korrekt um 23 Uhr. Um die Wirkung der Arzneimittel zu optimieren, sollte daher bei Unstimmigkeiten zusammen mit dem Patienten ein Plan (z. B. in Gestalt einer Tabelle) erstellt werden, der Einnahme- und Essenszeiten enthält. (Foto: M. Zieglmeier) 

Schritt 2: Die Checkliste

Die Bundesapothekerkammer gibt eine Liste von Punkten vor, die bei einer Medikationsanalyse des Typs 2a mindestens abzuarbeiten sind [4]. Diese Checkliste geht davon aus, dass Indikationsstellungen ärztlich verordneter Arzneimittel nicht infrage gestellt werden, sondern dies lediglich bei Selbstmedikationen geschieht. Mit wenigen Ausnahmen (s. u.) sollte man sich daran halten, da die Medikation von neurologischer Seite sehr fein abgestimmt und an den Krankheitsfortschritt angepasst werden muss. Die folgende Aufzählung behandelt typische Fragestellungen, die bei Parkinson-Patienten während der Abarbeitung der Checkliste auftreten.

  • (Pseudo)Doppelmedikation: Basierend auf der leitliniengerechten Add-on-Strategie ist dies in Bezug auf die Medikation einer fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit der Alltag und grundsätzlich nicht zu beanstanden. Allerdings gilt das (mit Ausnahme verschiedener galenischer Formen von Levodopa) nur für die Kombination von Sub­stanzklassen. Sind z. B. zwei Dopamin-Agonisten im BMP, sollte dies hinterfragt werden.
  • Interaktionen: Ein Schwerpunkt sollte auf pharmakokinetische Interaktionen gelegt werden. Neurologen kennen die Pharmakodynamik (alles was im ZNS passiert) der von ihnen eingesetzten Wirkstoffe in der Regel sehr gut, die Metabolisierungs- und Eliminationswege (alles was in Leber und Nieren passiert) oft weniger.
  • ungeeignetes bzw. unzweckmäßiges Dosierungsintervall: Wie bei Schritt 1 beschrieben, sollte hier ein Abgleich der Verordnung mit der tatsächlichen Einnahme erfolgen.
  • ungeeigneter bzw. unzweckmäßiger Anwendungszeitpunkt (auch in Zusammenhang mit Mahlzeiten): Levodopa steht hier im Vordergrund. Mit fortschreitender Krankheit verzögert sich, bedingt durch die Einflüsse auf das vegetative Nervensystem, die Magenentleerung. Nahrungsmittelinteraktionen von Levodopa, die zum teilweisen Wirkungsverlust führen, werden damit wahrscheinlicher. Die Konsequenzen werden in Schritt 3 diskutiert. Weitere Beispiele für ungeeignete Anwendungszeitpunkte sind die Einnahme von Amantadin nach 16 Uhr, die zu Schlafstörungen und Albträumen führen kann, sowie das Opicapon-Dilemma: der neue, langwirksame COMT-Hemmer soll kurz vor dem Schlafengehen, jedoch mit mindestens einer Stunde Abstand zu Levodopa-Präparaten eingenommen werden. Zwei Einnahmezeitpunkte am späten Abend und (für Levodopa) mit genügend Abstand zum Abendessen können die Patienten überfordern.
  • ungeeignete bzw. unzweckmäßige Darreichungsform: Schluckstörungen (Dysphagien) treten bei der Parkinson-Krankheit oft früher auf als erwartet. Dies macht die Hartgelatinekapsel, die schnell bei ungenügender Trinkmenge an der Schleimhaut des Ösophagus kleben bleiben kann, zu einer problematischen Arzneiform, die früh genug aus dem Medikationsplan eliminiert werden sollte. Das gilt natürlich auch für die Therapie anderer Erkrankungen des Patienten. Eine weitere unzweckmäßige Darreichungsform ist das transdermale therapeutische System (Rotigotin-Pflaster) bei Menschen mit dunkler Hautfarbe. Die deutlich dickere Hornhautschicht ist (analog zu Fentanyl-TTS) für den Wirkstoff schlechter permeabel.
  • Anwendungsprobleme: Es empfiehlt sich, dem Patienten sehr genau zuzuhören, wenn er über seine Tabletteneinnahme oder Arzneimittelanwendung spricht. Oft kommen Unsicherheiten zutage, die sich gezielt beseitigen lassen. Beispiel TTS: Die Schulung zur Anwendung umfasst die Wahl einer sauberen (entfetteten), trockenen, gesunden und unverletzten Hautstelle; die Klebestelle ist zu wechseln (nicht dieselbe Stelle innerhalb zwei Wochen), das Pflaster wird 30 Sekunden mit der warmen Handfläche angedrückt und der Patient wird gewarnt, dass Wärmeeinwirkung (Heizkissen, Sauna etc.) die Nebenwirkungen verstärken kann.
  • Nebenwirkungen/Unverträglichkeiten: Es empfiehlt sich, die Nebenwirkungen mit einer Liste abzufragen, wie sie z. B. der ATHINA-Bogen anbietet. Allerdings ist diese durch die sehr spezifischen Symptome der dopaminergen Überstimulation zu ergänzen. Diese sind z. B. Müdigkeit, in seltenen Fällen plötzliches Einschlafen, Übelkeit, zum Teil Erbrechen, Blutdruckabfall, Schwindel, Nervosität bis hin zu Verwirrtheit und Delir sowie Impulskontrollstörungen (Suchtphänomene, Hypersexualität u. a.). Die Abarbeitung der Nebenwirkungsliste erfasst dann auch Begleiterscheinungen der Parkinson-Krankheit, die häufig schwer von Nebenwirkungen abzugrenzen sind, für den Arzt aber wertvolle Hinweise sein können.
  • mangelnde Therapietreue: Dafür ist der Parkinson-Patient aufgrund der Komplexität seiner Therapie, aber auch im Falle kognitiver Beeinträchtigungen, besonders anfällig. Wesentliche Maßnahmen sind unter Schritt 1 besprochen. Zusätzlich empfiehlt es sich immer, Angehörige zu informieren und in die Abläufe zu involvieren.
  • Selbstmedikation (Indikation ungeeignet/Präparate für Indikation ungeeignet/Über- oder Unterdosierungen/Kontraindikationen): Schlafstörungen und Obstipation sind die häufigsten Begleiterscheinungen der Parkinson-Krankheit und ihrer Therapie, die in Selbstmedikation behandelt werden. Zu warnen ist dabei vor anticholinergen Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin) sowie vor höheren Dosierungen von Laxanzien (z. B. Macrogol). Beide Indikationen können und sollten beim Morbus Parkinson auch mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln behandelt werden.
  • nicht sachgerechte Lagerung: Es gibt bei der Parkinson-Krankheit keine spezifischen Problematiken wie die häufig zitierte Lichtempfindlichkeit der Calciumkanal-Blocker. Jedoch sollte die Medikation grundsätzlich nicht zu lange im Voraus gestellt werden.

Schritt 3: Management der Begleiterkrankungen

Es gibt eine Reihe von Komorbiditäten, die in direktem Zusammenhang mit der Parkinson-Krankheit stehen, parallel dazu behandlungsbedürftig werden und dabei miteinander kollidieren können. Leitlinienkollisionen kennt man in der geriatrischen Pharmazie insbesondere bei multimorbiden Patienten, bei denen oft mehrere Fachärzte jeweils nach ihren eigenen Leitlinien therapieren, ohne die der Kollegen zu berücksichtigen. Bei der Parkinson-Krankheit gibt es die Kollisionen darüber hinaus innerhalb einer Leitlinie. Im Folgenden werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die wichtigsten Komorbiditäten, ihre leitliniengerechte Behandlung und deren Auswirkung auf die Parkinson-Therapie sowie die Behandlung weiterer Komorbiditäten geschildert.

Depression

Depression ist eine häufige Reaktion der Psyche auf das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit. Die Leitlinie gibt eine Reihe von Antidepressiva aus verschiedenen Substanzklassen vor, die zum Teil in relativ hohen Dosen eingesetzt werden können, darunter auch selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) wie Citalopram (cave: Kontraindikation z. B. von Amantadin wegen des Arrhythmierisikos, das jedoch grundsätzlich auch bei anderen Antidepressiva gegeben ist!) und Sertralin, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) wie Venlafaxin, aber auch Tricyclica wie Desipramin und Amitriptylin (cave: Demenzrisiko bei älteren Patienten oder Menschen mit beginnender kognitiver Einschränkung durch anticholinerge Last im ZNS!). Bei fast allen diesen Antidepressiva ist anzumerken, dass sie Hyponatriämien und serotonerge Überstimulationen verursachen können. Delirante Reaktionen können auch darauf zurückzuführen sein, obwohl die Wahrscheinlichkeit bei der Parkinson-Krankheit eher für die dopaminerge Überstimulation oder andere Ursachen spricht.

Demenz

Nach einer Krankheitsdauer von mehr als zwölf bzw. fünfzehn Jahren haben der Leitlinie zufolge über die Hälfte aller Personen mit Parkinson-Krankheit eine Demenz entwickelt. ZNS-gängige anticholinerge Substanzen sind dann frühzeitig tabu. Hinsichtlich der Therapieindikation für Antidementiva ist sorgfältig zwischen leichter kognitiver Störung und Demenz zu differenzieren, für die erstgenannte werden nur nichtmedikamentöse Maßnahmen empfohlen. Rivastigmin soll erst bei manifester Demenz gegeben werden. Donepezil kann gegeben werden, ist aber off label. Galantamin und Memantin werden von der Leitlinie explizit nicht empfohlen. Bei der Medikationsanalyse ist hinsichtlich der cholinergen Antidementiva zu beachten, dass Effekte der Parkinson-Krankheit und der -Therapie verstärkt werden und Albträume, Verwirrtheit, Übelkeit, Bauchschmerzen, Harninkontinenz sowie viele andere Parkinson-assoziierte Symptome häufiger auftreten können. Der Benefit der antidementiven Therapie ist damit immer gegen die Einschränkungen der Lebensqualität abzuwägen. Letztlich sollten der Patient und seine Angehörigen über das Für und Wider der Einnahme entscheiden.

Dysautonomie

Dieser Begriff fasst die gesamten Einflüsse der Parkinson-Krankheit auf das vegetative Nervensystem zusammen. Die wichtigsten Effekte sind:

  • Blasenfunktionsstörungen, die sich als ständiger Harndrang bis hin zur Dranginkontinenz äußern. Die Leitlinie empfiehlt zunächst nichtmedikamentöse Lösungen wie Blasentraining, tageszeitliche Anpassung der Flüssigkeitsaufnahme und Vermeidung von Coffein, Alkohol und kohlensäurehaltigen Getränken, woran der Patient erinnert werden sollte. Im zweiten Schritt empfohlene Arzneimittel sind Anticholinergika (Solifenacin, Darifenacin, Trospium) und der aus Kostengründen selten eingesetzte ß3-Agonist Mirabegron. Hier lauern einige Fallen, z. B. finden sich alle genannten Mittel auf der PRISCUS-2-Liste. Von den anticholinergen Substanzen ist alleine Trospium nicht ZNS-gängig und damit ungefährlich hinsichtlich der kognitiven Leistung. Alle Anticholinergika hemmen jedoch die Darmperistaltik und verzögern die Magenentleerung, was die Obstipation verstärkt und das Risiko der Nahrungsinteraktionen von Levodopa erhöht. Eine klinische Medikationsanalyse berücksichtigt z. B. den Einfluss von Diuretika auf den Harndrang und diskutiert deren Indikationsstellung (Ausschwemmung von Ödemen, die durch Calciumkanal-Blocker verursacht sind?).
  • Obstipation: Die alleinige Betrachtung des Darms kann hier zu kurz greifen, denn die Dysautonomie betrifft auch die Magenentleerung mit ihrem oben beschriebenen Effekt auf die Wirksamkeit von Levodopa. Faktoren, die dieses Risiko erhöhen, sind langjähriger Diabetes (Gastroparese als Symptom einer Polyneuropathie) und Arzneimittel wie Opioide und Anticholinergika. Viele Parkinson-Patienten nehmen bis zu dreimal täglich Macrogol ein. Dieses Laxans hat jedoch keinen beschleunigenden Effekt auf die Magenentleerung und kann möglicherweise die Resorption vieler Arzneistoffe vermindern. In der Fach­information von Macrogol-Präparaten wird dies als „theoretisch“ erwähnt, dann folgt jedoch der Satz: „Vereinzelt wurde bei einigen gleichzeitig verabreichten Arzneimittel, z. B. Antiepileptika, über eine verminderte Wirksamkeit berichtet.“ Da der Mechanismus dieser Interaktion wohl in osmotischen Effekten zu suchen ist, sind Antiepileptika hier vermutlich deshalb erwähnt, weil bei diesen Substanzen Spiegelmessungen gemacht werden. Bei Wirkungsverlusten der Parkinsonmittel sollte an Alternativen zu osmotischen Laxanzien gedacht werden. Domperidon (anstelle des bei Parkinson-Krankheit kontraindizierten Metoclopramids vor allem bei Übelkeit eingesetzt) beschleunigt die Magenentleerung und die Darmperistaltik, verlängert jedoch auch das QT-Intervall und kann so z. B. mit SSRI interagieren (bis hin zur Kontraindikation bei Citalopram). Beide erwünschten Effekte, jedoch ohne die unerwünschte QT-Zeit-Verlängerung, hat auch Prucaloprid, das bei Gastroparese mit durchaus positiven Ergebnissen untersucht ist [2]. Daneben wurde auch der Guanylatcyclase-C(GC-C)-Rezeptor-Agonist Linaclotid bei Parkinson-induzierter Gastroparese und Obstipation eingesetzt, der künftig eine weitere Alternative darstellen könnte [3].
  • Weitere vegetative Begleiterscheinungen der Parkinson-Krankheit sind nächtliche Hypertonien, orthostatische Hypotonien und erektile Dysfunktion.

Allgemeines für die Medikationsanalyse 

Die Parkinson-Krankheit selbst, ihre Komorbiditäten und viele der in der Therapie eingesetzten Arzneimittel können zu Appetitverlust und Mangelernährung führen, die durch Schluckstörungen (Dysphagie) letztlich eskalieren. Neben der Beratung zur Ernährungstherapie (die oft auch die für die Patientenverfügung wichtige Frage beinhaltet, ob in einem späten Stadium die Sondenernährung über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) gewünscht wird oder nicht) führt das zu einem wichtigen Aspekt der Arzneimitteltherapie, nämlich der korrekten Einschätzung der Nierenfunktion. Der gemessene Parameter Creatinin stammt aus der Muskulatur, fehlende Muskelmasse kann eine (noch) gute Nierenfunktion vortäuschen, was zu einer Überdosierung renal eliminierter Stoffe wie Pramipexol oder Amantadin führen kann. Als erster Hinweis sollte der gemessene Serumcreatinin-Wert nach Cockcroft-Gault nachgerechnet werden, meist ist das Ergebnis bei geriatrischen Patienten schlechter (also: realistischer) als mit den vom Labor verwendeten Formeln (MDRD oder CKD-EPI), die ohne das Körpergewicht arbeiten. Das Labor gibt diese Werte der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) bezogen auf eine Körperoberfläche von 1,73 m2 an, ein Nachrechnen bei abweichenden Körpermaßen erfolgt im hektischen Praxisalltag in der Regel nicht [vgl. Alter M, Zieglmeier M. Die perfekte Formel ‒ Richtig dosieren bei eingeschränkter Nierenfunktion. DAZ 2013, Nr. 32, S. 54ff]. Daher liefert eine alternative Berechnung oft wertvolle Hinweise auf bestehende Dosierungsrisiken. In besonderen Fällen kann durch die parallele Messung von Serumcreatinin und Cystatin C, einem relativ teuren, aber von der Muskelmasse unabhängigen Nierenfunktionsparameter, die Abweichung abgeschätzt werden. Die Behandlung von Patienten mit z. B. Levodopa-Carbidopa-Intestinal-Gel(LCIG)-Therapie wird an dieser Stelle nicht behandelt. Mithilfe von Pumpen kann sie die Dauer von On-Zeiten ohne störende Dyskinesien signifikant erhöhen und die Off-Zeiten signifikant reduzieren, stellt aber neben der Notwendigkeit eines operativen Eingriffs einen erheblichen Kostenfaktor dar und sollte daher nur bei motorischen Fluktuationen angewandt werden, die oral nicht befriedigend behandelt werden können. Eine Medikationsanalyse, die Gesamtzusammenhänge einbezieht, wie sie in diesem Beitrag dargestellt wurden, kann möglicherweise den Zeitraum einer erfolgreichen oralen Therapie verlängern.

Fazit

Medikationsanalysen bei multimorbiden Parkinson-Patienten gehören zur Königsdisziplin der patientenorientierten Pharmazie. Wer diesen Patienten helfen will, sollte nicht nur die Leitlinie und die üblichen Parkinsonmittel kennen, sondern auf der Basis dieses Wissens auch Denkstrukturen einbringen, die sich von denen der behandelnden Neurologen unterscheiden.

Interessenkonflikte

Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Literatur

[1] Parkinson-Krankheit – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie unter Mitwirkung weiterer Fachgesellschaften, AWWF-Registernummer: 030/010, Stand 25. Oktober 2023

[2] Carbone F et al. Prucalopride in Gastroparesis: A Randomized Placebo-Controlled Crossover Study. Am J Gastroenterol 2019;114(8):1265-1274

[3] Freitas ME et al. Linaclotide and Prucalopride for Management of Constipation in Patients with Parkinsonism. Mov Disord Clin Pract 2018;5(2):218-220

[4] Leitlinie „Medikationsanalyse“. Leitlinien der Bundesapothekerkammer (BAK) zur Qualitätssicherung, www.abda.de/fuer-apotheker/qualitaetssicherung/leitlinien/leitlinien-und-arbeitshilfen/ll-medikationsanalyse/


Dr. Markus Zieglmeier, Apotheker
redaktion@daz.online


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