Osteoporose

Arzneimittel-induzierte Osteoporose: Risiken erkennen und gegensteuern

Stuttgart - 18.11.2024, 15:15 Uhr

Foto: indochine/AdobeStock

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Poröse Knochen? Das kann auch Folge einer notwendigen längerfristigen Medikation sein. Eine Vielzahl an Arzneimitteln zur Behandlung chronischer Erkrankungen wirkt sich negativ auf die Knochenmasse und -struktur aus. Das Bewusstsein dafür ist begrenzt, sodass nicht standardmäßig prophylaktische Maßnahmen für alle kritischen Wirkstoffe ergriffen werden. Neben einem adäquaten Monitoring der Knochengesundheit sind vor allem eine ausreichende Calcium- und Vitamin-D-Versorgung, körperliche Aktivität und pharmakologische Interventionen wichtige Eckpfeiler einer Präventionsstrategie.

Nach Diabetes mellitus stellen unerwünschte Arzneimittelwirkungen die zweithäufigste Ursache für eine sekundäre Osteoporose dar [1, 2]. Ein eindeutiger Kausalzusammenhang ist für Glucocorticoid-Behandlungen und antihormonelle Therapien im Rahmen von Brust- und Prostatakrebs nachgewiesen. Auch Protonenpumpenhemmer, Thiazolidindione, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Schilddrüsenhormone, Antikonvulsiva und Schleifendiuretika sind mit einem ungünstigen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel assoziiert [2, 3].

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Glucocorticoide: selbst niedrige Dosen kritisch

Systemische Glucocorticoid-Therapien werden aufgrund ihrer effektiven antiinflammatorischen und immunsuppressiven Wirksamkeit häufig eingesetzt, sind jedoch wichtigster Auslöser für eine Arzneimittel-induzierte Osteoporose [4]. Das Frakturrisiko hängt von der Dauer und Dosierung der eingesetzten Wirkstoffe ab und steigt vor allem bei Dosen über 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent erheblich an. Auch Konzentrationen ab 2,5 mg, die länger als drei Monate eingenommen werden, führen bereits zu einer Risikoerhöhung [5].

Während die inhalative und topische Anwendung mit einem lediglich geringen Gefährdungspotenzial verbunden ist, zeigen systemische Glucocorticoide vielfältige und komplexe Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel: Sie greifen in Signalwege ein, die eine verringerte Bildung und erhöhte Apoptose von Osteoblasten nach sich ziehen. Daneben wird zu Beginn der Glucocorticoid-Exposition die Differenzierung der Osteoklasten durch die Stimulation der RANK-Ligand-Expression gesteigert. Initial kommt es daher zu einer Zunahme des Knochenabbaus. Langfristig nimmt dieser Einfluss jedoch aufgrund der anhaltenden Osteoblasten­reduktion ab.

Glucocorticoide wirken sich auch indirekt auf den Knochenstoffwechsel aus: Sie unterdrücken die Transkription des insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF 1)-Gens und fördern dadurch den Abbau von Knochenkollagen und die Apoptose der Osteoblasten. Auch die Aufnahme von Calcium im Darm und dessen Rückresorption in der Niere wird nachhaltig gestört. Darüber hinaus trägt eine Glucocorticoid-induzierte Muskelatrophie zu einem erhöhten Sturzrisiko bei [4].

Knochenschutz bei Glucocorticoid-Therapie wichtig: Mikronährstoffe und Sport

Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis stellen Behandelnde und Patienten vor eine besondere Zwickmühle: Schädigungen der Knochen sind nicht nur Folge einer Glucocorticoid-Therapie, auch das zugrunde liegende Entzündungs­geschehen selbst gilt als Verursacher. Glucocorticoide in angemessener Dosierung sind demnach für eine sichere Krankheitskontrolle essenziell. Jeder Patient benötigt vor diesem Hintergrund eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung der Therapiedauer und -dosen unter Berücksichtigung weiterer Risikofaktoren. Dabei gilt: Glucocorticoide so niedrig wie möglich, so kurz wie nötig [4, 5].

Das A und O für einen effektiven Knochenschutz stellt eine ausreichende Versorgung mit Calcium (1000 mg/Tag) und Vitamin D (800 IE/Tag) über die Nahrung bzw. Sonnenlichtexposition dar. Eine Supplementierung soll nur erfolgen, wenn die empfohlenen Mengen nicht erreicht werden. Neben weiteren Maßnahmen (siehe Kasten „Tipps für starke Knochen“) spielt auch körperliches Training eine wichtige Rolle für die Knochengesundheit [5].

Tipps für starke Knochen

  • Rauchentwöhnung und Alkoholverzicht
  • Untergewicht vermeiden
  • ausreichende Calcium- (1000 mg/Tag) und Vitamin D-Zufuhr (800 IE/Tag) über die Nahrung bzw. Sonnenlichtexposition
  • Supplementierung nur, wenn empfohlene Mengen nicht erreicht werden
  • eiweißreiche Ernährung (1 g Eiweiß/kg Körpergewicht/Tag)
  • in puncto Sturzgefahr: Erhalt der Muskel- und Sehkraft, Förderung der körperlichen Aktivität, Stolperfallen beseitigen, nächtlichen Harndrang reduzieren [5]

Pharmakotherapie bei hohem Frakturrisiko

Eine pharmakologische Osteoprotektion ist bei systemischer Langzeittherapie ab einer Dosierung von 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent über drei Monate hinaus indiziert [5]. Für diesen Zweck kommen das orale Bisphosphonat Risedronat (Actonel®) oder der monoklonale Antikörper Denosumab (Prolia®) in Frage. Beide Wirkstoffe hemmen auf unterschiedliche Weise die Osteoklastenaktivität bzw. die Knochenresorption. Während Risedronat zur täglichen Einnahme und nur für postmenopausale Frauen zugelassen ist, wird Denosumab ohne Geschlechtsbeschränkung alle sechs Monate subkutan injiziert [6, 7]. Der Antikörper zeigte sich in Studien hinsichtlich eines Knochendichteanstiegs dem Bisphosphonat überlegen [5].

Beide Interventionsalternativen erfordern eine angemessene Zufuhr von Calcium und Vitamin D. Im Fall der täglichen Bisphosphonat-Einnahme ist auf einen ausreichend großen Abstand zur Mikronährstoff-Supplementierung zu achten. Um Schleimhautschäden durch die stark sauren Bisphosphonate zu vermeiden, muss Risedronat zudem in aufrechter Körperhaltung zusammen mit einem großen Glas Wasser im Ganzen geschluckt werden [7, 8].

Zur Behandlung der Glucocorticoid-induzierten Osteoporose sind intravenös applizierte Zoledronsäure (Aclasta® 5 mg) einmal jährlich und Teriparatid (Forsteo®) in einmal täglicher subkutaner Injektion zugelassen [8, 9]. Letzteres stimuliert als aktives Parathoromon-Fragment den Knochenaufbau durch Steigerung der Osteoblastenaktivität [9].

Estrogenmangel schädigt die Knochen

Neben systemischen Glucocorticoiden stellen antihormo­nelle Therapien im Rahmen von Brust- und Prostatakrebs ein hohes Risiko für die Entwicklung einer sekundären Osteoporose dar [5].

Aromatasehemmer wie Letrozol (Femara®) unterdrücken die Umwandlung von Androgenen in Estron und Estradiol und minimieren so die estrogenbedingte Stimulation des Tumorwachstums bei Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom. Da bei Frauen nach der Menopause die ovarielle Estrogen-Produktion versiegt und das Hormon hauptsächlich in peripheren Geweben durch das Enzym Aromatase gebildet wird, ist das Arzneimittel bei postmenopausalen Patientinnen indiziert. Neben unerwünschten Wirkungen wie Hitzewallungen, gastrointestinalen Beschwerden und Schweißausbrüchen bewirkt der induzierte Estrogenmangel einen verstärkten Knochenabbau mit Verlust der Knochendichte [5, 10, 11].

Auch die längerfristige Suppression der Gonadotropinsekretion mit GnRH-Analoga wie Leuprorelin (Trenantone®), die zu einer starken Reduktion der Sexualhormon-Bildung führt, ist mit einem erhöhten Frakturrisiko verbunden [2, 12]. Da Estrogene auch bei Männern eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Knochenstoffwechsels spielen und mehr als 80% des zirkulierenden Estrogens aus der Aromatisierung von Testosteron entsteht, sind die skelettalen Auswirkungen der GnRH-Analoga auch bei Männern mit einem Estrogenmangel zu erklären [13].

Eine Osteoprotektion mit Bisphosphonaten oder Denosumab sind bei Anwendung antihormoneller Therapien sowohl für Frauen als auch für Männer empfohlen [5, 11, 14].

Gegen Magensäure und Knochenstruktur

Anders als bei Glucocorticoiden und antihormonellen Therapien sind die negativen Folgen anderer Arzneimittelgruppen auf die Knochengesundheit pathomechanistisch wenig verstanden [5, 15]. Das gilt auch für Protonenpumpeninhibitoren (PPI, z. B. Omeprazol, Antra Mups®), die zur Behandlung säurebedingter Magen-Darm-Erkrankungen zum Einsatz kommen.

Diskutiert werden eine verminderte intestinale Resorption von Calcium, eine direkte Beeinflussung der H+K+-ATPase der Osteoklasten, Auswirkungen auf den Homocysteinspiegel durch eine gestörte Vitamin-B12-Resorption und erhöhtes Sturzrisiko durch niedrige Magnesiumspiegel [3, 15].

Aufgrund des unvollständigen Wissensstands gilt auch für die Anwendung von PPI: In der niedrigsten wirksamen Dosis über einen möglichst kurzen Zeitraum [3]. Daneben ist eine ausreichende Mikronährstoffaufnahme essenziell. Möglicherweise spielt im Rahmen der verringerten Magensäuresekretion auch die Art des Calciumsalzes eine Rolle. In-vivo Studien deuten vor diesem Hintergrund auf eine schlechtere Resorption von Calciumcarbonat hin. Falls Calcium also supplementiert werden muss, sind lösliche Salze wie Calciumcitrat oder -gluconat vorzuziehen. Die Einnahme mit einer Mahlzeit kann jedoch die Aufnahme von Calciumcarbonat verbessern [16]. Eine mögliche Alternative zur Verminderung der Magensäuresekretion stellen H2-Rezeptorantagonisten wie Famotidin dar, die wahrscheinlich mit keinem erhöhten Risiko für Frakturen einhergehen [3, 5].

Stürze erhöhen das Frakturrisiko

Eine nicht zu unterschätzende Rolle im Erhalt der Knochengesundheit spielt vor allem bei älteren Menschen eine umfassende Sturzprävention. Von besonderer Bedeutung ist die Identifikation unerwünschter Arzneimittelwirkungen, die das Sturzrisiko erhöhen. Hierzu zählen in erster Linie Wirkstoffe mit sedierenden Effekten wie Benzodiazepine, Z-Sub­stanzen, Antipsychotika der 1. Generation und Opioide (Achtung: Nicht Codein und Loperamid vergessen!) [5, 17].

Ein Blick in die Priscus-Liste zeigt, dass aber auch weniger offensichtliche Arzneimittel das Auftreten von Stürzen begünstigen. So sind beispielsweise Antihypertensiva wie Moxonidin (Physiotens®) und Clonidin (Catapresan®) mit orthostatischer Hypotonie und einer Verschlechterung der Kognition verbunden. Eine falsche Einnahme von Diuretika fördert den nächtlichen Harndrang. Antiparkinsonmittel, Metoclopramid (Paspertin®), Dimenhydrinat (Vomex®) und Urologika wie Oxybutynin (Dridase®) zeigen anticholinerge Effekte. Vor allem Menschen mit Polymedikation profitieren von einer kritischen Medikationsanalyse und Optimierung ihrer Arzneimitteltherapie hinsichtlich von Nutzen und Risiko [17, 18].

 

Literatur

 [1] Sobh MM, Abdalbary M, Elnagar S et al. Secondary osteoporosis and metabolic bone diseases. J Clin Med. 2022;11(9):2382.

 [2] Mazziotti G, Canalis E, Giustina A. Drug-induced osteoporosis: mechanisms and clinical implications. Am J Med. 2010;123(10):877-84.

 [3] Byreddy DV, Bouchonville MF 2nd, Lewiecki EM. Drug-induced osteoporosis: from Fuller Albright to aromatase inhibitors. Climacteric. 2015;18 Suppl 2:39-46.

 [4] Chotiyarnwong P, McCloskey EV. Pathogenesis of glucocorticoid-induced osteoporosis and options for treatment. Nat Rev Endocrinol. 2020;16(8):437-447.

 [5] Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der OSTEOPOROSE bei postmenopausalen Frauen und Männern ab dem 50. Lebensjahr. Leitlinie des Dachverbands der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e.V. AWMF-Reg.-Nr. 183/001. Stand 2023.

 [6] Fachinformation Actonel® 5 mg Filmtabletten. Theramex Ireland Limited. Stand 11/2018.

 [7] Fachinformation Prolia®. Amgen Europe B. V. Stand 01/2024.

 [8] Fachinformation Aclasta® 5 mg Infusionslösung. Novartis Europharm Limited. Stand keine Angabe.

 [9] Fachinformation Forsteo®. Eli Lilly Nederland B. V. Stand 10/2020.

[10] Fachinformation Femara®. Novartis Pharma. Stand 05/2024.

[11] Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. AWMF-Reg. Nr. 032-045OL. Stand 06/2021.

[12] Fachinformation Trenantone®. Takeda GmbH. Stand 07/2024.

[13] Finkelstein JS, Lee H, Leder BZ et al. Gonadal steroid-dependent effects on bone turnover and bone mineral density in men. J Clin Invest. 2016;126(3):1114-25.

[14] S3-Leitlinie Prostatakarzinom. AWMF-Reg. Nr. 043-022OL. Stand 05/2024.

[15] Lespessailles E, Toumi H. Proton pump inhibitors and bone health: An update narrative review. Int J Mol Sci. 2022;23(18):10733.

[16] Yang YX. Chronic proton pump inhibitor therapy and calcium metabolism. Curr Gastroenterol Rep. 2012;14(6):473-9.

[17] PRISCUS 2.0-Liste. Abgerufen am 01.11.2024. www.priscus2-0.de/fileadmin/media/PRISCUS_2/PRISCUS%202_Liste_Anhang_in_DE_nicht_verfuegbare.pdf

[18] Waltering I. Deprescribing – oder die Geister, die ich rief! Projekt­arbeit im Rahmen der Weiterbildung Arzneimittelinformation. 08/2021. www.akwl.de/download/sonstige/Projektarbeit_Waltering_AMInfo.pdf


Apothekerin Judith Esch, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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