Update beim 3. Long-Covid-Kongress

Weiter Warten auf die Off-label-Liste und auf viele Studien

26.11.2024, 17:15 Uhr

(Foto: U. J. Alexander/AdobeStock)

(Foto: U. J. Alexander/AdobeStock)


Der dritte Long-COVID-Kongress des Ärzte- und Ärztinnenverbandes fand am 25. November statt, diesmal in Berlin und teilweise auch wieder online. Er bot viele Informationen zum Stand der Forschung und zur Versorgung der Patienten, die dringend erwartete Liste mit Off-label-Arzneimitteln, die für die Anwendung bei Long-COVID erstattet werden sollen, lässt aber viel länger auf sich warten als gedacht.

Am vergangenen Montag veranstaltete der Ärzte- und Ärztinnenverband Long Covid seinen dritten Kongress. Die Tagungsleiter Prof. Dr. Rembert Koczulla und Dr. Daniel Vilser als Vertreter des gastgebenden Verbandes betonten die große Bedeutung der Erkrankung angesichts von 400 Millionen Betroffenen weltweit und das große Interesse an dem Kongress. Wie die Veranstaltungen in den beiden Vorjahren in Jena wurde der Kongress vom Bundesgesundheitsministerium finanziert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte in der Begrüßung, die Arbeit stehe erst am Anfang. Auch er verwies auf die große Zahl der Betroffenen und immer wieder neue Long-COVID-Fälle. Durch den Arbeitsausfall treffe dies auch die Wirtschaft.

Langer Weg zur Off-label-Liste

Mit Blick auf die Arzneimittelversorgung ist daran zu erinnern, dass Lauterbach beim Long-Covid-Kongress vor einem Jahr in Jena eine Liste mit off label einsetzbaren Arzneimitteln angekündigt hatte, die von der GKV erstattet werden sollen. Diese wird von Betroffenen und Ärzten dringend erwartet, weil es keine gegen Long-COVID zugelassenen Arzneimittel gibt. Viele Arzneimittel werden im Rahmen ihrer Zulassung zur Behandlung von Symptomen verwendet, beispielsweise gegen Schlafstörungen, Tachykardie oder Schmerzen, und sind dann erstattungsfähig. Doch viele weitere Arzneimittel werden off label eingesetzt und müssen bisher von den Patienten selbst bezahlt werden. Beim Kongress im vorigen Jahr bestand die Erwartung, eine Liste mit erstattungsfähigen Off-label-Arzneimitteln könnte zeitnah vorliegen und auch als Orientierung für die Therapie dienen. Beim diesjährigen Kongress berichtete Lauterbach, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gebildete Gruppe habe sich zunächst mit dem Einsatz von Arzneimitteln im Rahmen der Zulassung beschäftigt, und er hoffe, dass es bald eine Liste für den Off-label-Einsatz geben werde.

Im weiteren Verlauf berichtete Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Charité Berlin, mehr dazu. Sie ist die wohl renommierteste Expertin zum chronischen Erschöpfungssyndrom in Deutschland und Mitglied der von Lauterbach erwähnten Expertenkommission. Scheibenborgen erklärte, die Erstellung der Liste sei ein komplizierter regulatorischer Prozess. Die Experten hätten ihn an eine externe Firma abgeben müssen. Scheibenbogen hofft, dass im März 2025 eine Liste vorliegen wird, die dann an den Gemeinsamen Bundesausschuss weitergegeben wird. Hoffentlich werde danach beispielsweise Low-dose-Naltrexon (LDN) erstattungsfähig. Scheibenbogen betonte, für die Behandlung der vielen individuell unterschiedlichen Symptome gebe es durchaus geeignete Arzneimittel. Therapeutischer Nihilismus sei keinesfalls angebracht.

Neue Perspektiven aus Studien

Zur Suche nach kausalen Therapien verwies Scheibenbogen auf viele Studien, die auch in Deutschland laufen. Demnach hat eine Studie an der Charité gezeigt, dass die Immunadsorption solchen Patienten mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS hilft, bei denen Autoantikörper für die Erkrankung wesentlich sind. Einige Patienten hätten sehr gut darauf angesprochen, andere nicht. Der Effekt würde nach etwa sechs Monaten nachlassen. Dies eröffnet den Ansatz, die B-Zellen anzugreifen, die die Autoantikörper produzieren. Die Applikation von Antikörpern gegen Strukturen der B-Zellen wäre viel einfacher als die aufwendige Immunadsorption und könnte nach Einschätzung von Scheibenbogen langfristige Perspektiven bieten. Dazu sollen Ocrelizumab und Inebilizumab untersucht werden. Außerdem berichtete Scheibenbogen über Erfolge mit der Sauerstoff-Hochdruck-Therapie, auch bei schwer Betroffenen. Für eine Studie mit Vericiguat würden an der Charité noch Probanden aus dem Raum Berlin rekrutiert. Als Wirkungsmechanismus wird dabei die Verbesserung der Durchblutung verfolgt. Außerdem erwähnte Scheibenbogen eine vom Hersteller durchgeführte Studie mit Gingko-biloba-Extrakt  bei Patienten mit kognitiven Problemen.

Fragen zu BC007 weiter offen

Das Aptamer BC007 war 2021 bei einer Studie an Glaukom-Patienten in Erlangen mit einer Wirkung gegen Long-COVID aufgefallen. Vor etwa zwei Wochen hatte der Hersteller dieses Produktes allerdings auf seiner Internetseite erklärt, eine Studie dazu sei negativ verlaufen. Dazu erläuterte Scheibenbogen, ein solches Ergebnis könnte an der Selektion der Patienten liegen. Sie sehe durchaus Hoffnung für eine Untergruppe von Patienten. Dazu sollten weitere Daten aus Erlangen abgewartet werden.

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Künftig sind noch viel mehr Studien aus Deutschland zu erwarten. Der Überblick über die Forschungslandschaft, die Wege zu Fördermitteln und Einblicke in regionale Projekte waren wesentliche Themen der Tagung. Diese betreffen vielfach die Versorgungsforschung und epidemiologische Untersuchungen, die beim Verständnis der Erkrankung helfen sollen. Es wurde mehrfach deutlich, dass die Versorgung insbesondere der immobilen Schwerkranken weiterhin unzureichend ist. Im allgemeinmedizinischen Alltag ist Long-Covid offenbar ein Problem, weil die Patienten viel Zeit benötigen und weil keine Standardtherapie etabliert ist. Mehrfach wurde deutlich, dass Stigmatisierung weiterhin ein großes Problem ist. Trotz der somatischen Ursachen würden Betroffene fälschlich als psychisch krank eingestuft und an Psychiater verwiesen, die aber nicht helfen könnten. Deutlich wurde auch der Unterschied zwischen Long- und Post-Covid einerseits und dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS (myalgische Enzephalomyelitis/ Chronisches Fatigue Syndrom). Long-Covid bezeichnet alle Symptome, die nach der akuten Phase einer SARS-CoV2-Infektion verbleiben oder neu auftreten. Das Spektrum dieser Symptome ist sehr vielfältig, sie bessern sich aber oft innerhalb etwa eines Jahres. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit nun vermehrt auf Patienten, die nach erneuten Infektionen mehrfach betroffen sind. Dies betonte auch Lauterbach in seinem Grußwort, wobei er das Augenmerk auf erwartbare mikrovaskuläre Folgeschäden bis zur Demenz richtete. Davon zu unterscheiden sind die Patienten, bei denen Long-Covid in ME/CFS übergeht, das die Lebensqualität massiv verringert ist, oft zu Arbeitsunfähigkeit oder sogar Bettlägerigkeit führt und jahrelang oder sogar dauerhaft anhält. Dies ist seit Jahrzehnten auch als Folge anderer Viruserkrankungen bekannt.

Umgang mit Belastungsintoleranz

Typisch dabei ist die Belastungsintoleranz. Schon kleine Belastungen führen zu einer übermäßigen Erschöpfung. Eine biologische Erklärungsmöglichkeit für die individuelle Belastungsschwelle stellte Prof. Dr. Klaus Wirth vor. Er stützt sich dabei auf einen Pathomechanismus, der ME/CFS als erworbene mitochondriale Myopathie beschreibt und bereits bei DAZ.online beschrieben wurde. Dabei steht eine Natriumüberladung in Muskelzellen im Mittelpunkt. Die intrazelluläre Natrium-Konzentration, bei der der Natrium-Calcium-Austauscher NCX seine Durchflussrichtung wechselt und daraufhin Natrium-Ionen aus den Zellen und im Austausch Calcium-Ionen in die Zellen pumpt, ist nach diesem Erklärungsansatz der Punkt, der die Belastungsschwelle biologisch bestimmt. Denn dann steigt die intrazelluläre Calcium-Konzentration so sehr, dass die Mitochondrien geschädigt werden. Für die Betroffenen bedeutet dies „Pacing“ zu betreiben, das heißt, stets unter ihrer jeweiligen Belastungsschwelle zu bleiben, um eine Verschlechterung zu vermeiden. Jeder Ansatz für ein „Training“ ist damit kontraproduktiv. Der Sportmediziner Prof. Dr. Christian Puta betonte, dass ein „Training“ allein schon aufgrund der metabolischen Situation der Patienten unmöglich funktionieren kann.

Insgesamt bot der Long-Covid-Kongress auch in diesem Jahr ein breites Spektrum an Informationen. Doch es wurde mehrfach geäußert, dass die Öffentlichkeit sich der Dimension des Problems Long-Covid wohl noch nicht hinreichend bewusst ist.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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