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Fenetyllin: vom Arzneistoff zur Droge
Captagon als illegale Substanz im Drogenkrieg
Am 24. Juli dieses Jahres begann in Aachen der Prozess gegen vier Syrer wegen des Schmuggels von mehreren hundert Kilogramm Captagon-Tabletten. Spuren sollen zum syrischen Assad-Regime und in andere Länder der Region führen.
Captagon® war der Handelsname für Fenetyllin, einen Wirkstoff, der in den 1960er-Jahren auf den Markt kam und heute nicht mehr therapeutisch verwendet wird. Eingesetzt wurde Fenetyllin unter anderem zur Behandlung von Narkolepsie und Hyperaktivität. Aufgrund seiner stimulierenden Eigenschaften erlangte es jedoch auch mäßige Bekanntheit auf dem Drogenmarkt und als Dopingmittel. Fenetyllin zeichnet sich durch eine interessante Molekülstruktur aus. Eine Alkyl-Kette verbindet ein Amphetamin- mit einem Theophyllin-Gerüst. Beide Komponenten werden im Körper durch metabolische Spaltung freigesetzt [1, 2] (s. Abb.):
- Amphetamin: Das Phenylethylamin wirkt als indirekter Agonist an Monoamintransportern im zentralen Nervensystem, wodurch die Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin stimuliert wird. Es kann zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verschrieben werden, ist aber auch als Aufputschmittel (Pep, Speed) in der Drogenszene beliebt [3].
- Theophyllin: Das Methylxanthin ist verwandt mit Coffein und kommt in geringerer Konzentration auch in Kaffeebohnen und Teeblättern vor. Theophyllin wirkt als kompetitiver Antagonist an Adenosinrezeptoren und hemmt Phosphodiesterasen. Aufgrund seiner bronchodilatativen Wirkung kann es als Asthmamedikament verwendet werden [3].
Stimmungsaufhellend und wachmachend
Synergistische Effekte durch die gleichzeitige Beeinflussung von Dopamin- und Adenosin-Signalwegen rufen ein Wirkprofil hervor, das sich weder klar Amphetamin noch Theophyllin allein zuordnen lässt. Die Wirkung von Fenetyllin wird als stimmungsaufhellend, konzentrationsfördernd und wachmachend beschrieben. Es soll die psychomotorische und mentale Leistungsfähigkeit erhöhen ohne die euphorisierende Wirkung, die typischerweise mit Drogen wie Amphetamin assoziiert wird. Fenetyllin selbst scheint jedoch keine nennenswerte Psychoaktivität zu haben [1]. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen zählen Blutdruckanstieg, Tremor, Rastlosigkeit und Reizbarkeit. Außerdem wird von Appetit- und Schlaflosigkeit berichtet. Es kann zu Tachykardien und Arrhythmien kommen. Fenetyllin hat zudem ein gewisses Abhängigkeitspotenzial, wenn auch schwächer als Amphetamin, da Fenetyllin langsamer ins Gehirn eindringt [4, 5].
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Die stimulierende Wirkung dürfte auch ein Grund sein, warum die Verbreitung besonders in kriegsgeplagten Regionen des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrika hoch ist. Kämpfende halten sich mit der Droge auf langen, ermüdenden Einsätzen wach und aufmerksam [6]. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zur Beschlagnahmung von vielen Millionen als Captagon deklarierten Tabletten in Syrien, Libanon, Ägypten, Saudi-Arabien und der Türkei [6 - 8]. Doch die Drogen dienen nicht nur als Aufputschmittel: Profite aus ihrem Verkauf sollen auch autoritäre Regime und Terrorgruppen finanzieren [6].
Made in Germany?
Im Fall der vier in Aachen angeklagten Syrer vermuten die Ermittler Kontakte zum Regime des syrischen Machthabers Assad [10]. Ein weiterer Profiteur des Drogenschmuggels ist die libanesische Hisbollah. Inzwischen scheinen die Tabletten auch in Deutschland und den Niederlanden für den Export in Krisenregionen produziert zu werden [11]. Nicht alle Tabletten mit der typischen Prägung von zwei Halbmonden enthalten jedoch Fenetyllin. In vielen gefälschten Schwarzmarktprodukten finden sich einfach Mischungen von Amphetamin und Theophyllin oder andere Aufputschmittel wie Coffein, Methamphetamin oder Ephedrin [4, 9]. Auf dem europäischen Markt spielte das Aufputschmittel bisher keine große Rolle. Die ersten Untergrundlabore sind inzwischen aufgetaucht. Daher bleibt zu beobachten, ob sich hierzulande eine Marktnische für Fenetyllin-Tabletten findet.
Literatur
[1] Wenthur CJ, Zhou B, Janda KD. Vaccine-driven pharmacodynamic dissection and mitigation of fenethylline psychoactivity. Nature 2017,548:476–479, doi: 10.1038/nature23464
[2] Ellison T, Levy L, Bolger JW et al. The metabolic fate of 3H-fenetylline in man. Eur J Pharmacol 1970;13:123–128, doi: 10.1016/0014-2999(70)90192-5
[3] Brunton LL, Lazo JS, Parker KL. Goodman & Gilman‘s the pharmacological basis of therapeutics 11., 2006 ed. McGraw-Hill, New York
[4] Pergolizzi J, LeQuang JAK, Vortsman E et al. The Emergence of the Old Drug Captagon as a New Illicit Drug: A Narrative Review 2024, Cureus 16:e55053, doi: 10.7759/cureus.55053
[5] Kristen G, Schaefer A, Schlichtegroll A von Fenetylline: therapeutic use, misuse and/or abuse. Drug Alcohol Depend 1986;17:259–271, doi: 10.1016/0376-8716(86)90012-8
[6] van Hout MC, Wells J. Is Captagon (fenethylline) helping to fuel the Syrian conflict? Addiction 2016;111:748–749, doi: 10.1111/add.13262
[7] Katselou M, Papoutsis I, Nikolaou P et al. Fenethylline (Captagon) Abuse - Local Problems from an Old Drug Become Universal. Basic Clin Pharmacol Toxicol 2016;119:133–140, doi: 10.1111/bcpt.12584
[8] Al-Imam A, Santacroce R, Roman-Urrestarazu A et al. Captagon: use and trade in the Middle East. Hum Psychopharmacol 2017;32, doi: 10.1002/hup.2548
[9] Captagon: Understanding today‘s illicit market. European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, 2018, Publications Office, Luxembourg
[10] Prozess gegen Captagon-Dealer beginnt am 24. Juli 2024, Informationen von mdr, www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/prozess-syrer-drogenbande-captagon-amphetamin-100.html, Stand: 5. Juli 2024
[11] Das Milliardengeschäft mit der Droge Captagon, Informationen von tagesschau, www.tagesschau.de/investigativ/captagon-102.html, Stand: 8. Oktober 2024
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