Drotrecogin alfa
Drotrecogin alfa (aktiviert)
ATC-Code
B: Blut und blutbildende Organe
B01: Antithrombotische Mittel
B01A: Antithrombotische Mittel
B01AD: Enzyme
B01AD10: Drotrecogin alfa (aktiviert)
Wirkungsmechanismus
Drotrecogin alfa (aktiviert) ist eine rekombinante Form des natürlicherweise im Plasma vorkommenden aktivierten Protein C, von dem es sich nur durch einzelne Oligosaccharide im Kohlenhydratteil des Moleküls unterscheidet. Das rekombinante Glykoprotein besteht aus 400 Aminosäuren. Aktiviertes Protein C ist ein wichtiger Regulator der Blutgerinnung. Es begrenzt die Thrombinbildung durch Inaktivierung der Faktoren V a und VIII a, was zu einer negativen Rückkopplung auf die Blutgerinnung führt. In der Pathophysiologie der schweren Sepsis spielt eine exzessive Aktivierung der Blutgerinnung in der Mikrozirkulation eine wichtige Rolle. Außerdem ist aktiviertes Protein C ein wichtiger Modulator der systemischen Infektantwort und besitzt antithrombotische und profibrinolytische Eigenschaften.
Hintergrundinformation
Sepsis kann jeden treffen
Eine Sepsis ist eine überschießende systemische Reaktion auf eine Infektion oder ein Trauma. Sie äußert sich in Form von systemischen Entzündungen, mikrovaskulären Thrombosen und veränderter Fibrinolyse. Zunächst tritt nach einer Verletzung oder Infektion eine Entzündung auf. In der Folge werden Immunmodulatoren freigesetzt, darunter auch proinflammatorische und thrombogene Stoffe sowie Zytokine, die zu Endothelverletzungen führen. Dadurch kommt es zu einer Erhöhung des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors Typ 1 (PAI-1), der die Fibrinolyse blockiert und die Gerinnung verstärkt. Die Entzündung induziert ferner die Ausschüttung von Tissue factor, der die Thrombinbildung fördert. Thrombin führt zur Bildung von Fibrin aus Fibrinogen, gleichzeitig wird die Thrombolyse unterdrückt. Als Folge lagern sich Blutgerinnsel in lebenswichtigen Organen an, verhindern den Blutfluss und führen so Gewebsschäden herbei. Eines der wichtigsten Regulationssysteme der Hämostase ist das Vitamin-K-abhängige Protein-C-System (APC). Im Mittelpunkt dieses Systems steht Protein C, das nach eigener Aktivierung antithrombotisch wirkt, indem es proteolytisch die Gerinnungsfaktoren V a und VIII a inaktiviert. Durch diesen negativen Feedback-Mechanismus wird die Gerinnung zum Stillstand gebracht. Darüber hinaus hat APC antiinflammatorische Eigenschaften, weil es die Leukozyten-Adhäsion am Endothel blockiert. Drotrecogin alfa (activated), das rekombinante humane aktivierte Protein C, wirkt genauso wie das körpereigene APC: antithrombotisch, profibrinolytisch und antiinflammtorisch.
Entwickelt sich die Sepsis zu einer schweren Sepsis oder gar zum septischen Schock, ist häufig der Tod des Patienten die Folge. An den Komplikationen des Sepsis-Syndroms sterben rund 30 Prozent der Patienten innerhalb der ersten Monate, etwa 50 Prozent innerhalb von sechs Monaten. Bei Todesfällen nach schweren Verletzungen ist in 80 Prozent der Fälle eine Sepsis die Ursache. In Europa erkranken jährlich bis zu 550 000 Menschen an schwerer Sepsis, 146 000 überleben die Krankheit nicht. In Deutschland werden jedes Jahr bis zu 120 000 Menschen mit Sepsis intensivmedizinisch behandelt. Weltweit sterben momentan täglich etwa 1400 Menschen an einer Sepsis. Bis jetzt gab es keine für die Indikation Sepsis zugelassene Therapie.
Pharmakokinetik
Drotrecogin alfa (aktiviert) wird ebenso wie endogenes humanes aktiviertes Protein C im Plasma durch endogene Proteaseinhibitoren inaktiviert; der Mechanismus der Plasmaclearance ist jedoch unbekannt.
Die Substanz wird schnell aus der systemischen Zirkulation eliminiert. Nach Beendigung der Infusion nimmt die Plasmakonzentration zweiphasig ab: Einer schnellen Initialphase mit einer Halbwertszeit von 13 Minuten folgt eine langsamere zweite Phase mit einer Halbwertszeit von 1,6 Stunden. Die kurze Halbwertszeit von 13 Minuten trifft für ungefähr 80% der Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeitkurve zu und bestimmt den initialen schnellen Anstieg der Plasmakonzentration von Drotrecogin alfa (aktiviert) zum Steady state. Die Plasmaclearance von Drotrecogin alfa (aktiviert) beträgt bei SepsisPatienten etwa 41,8 l/Stunde verglichen mit 28,1 l/Stunde bei Gesunden. Bei Patienten mit schwerer Sepsis war durch Niereninsuffizienz und Leberdysfunktion die Plasmaclearance von Drotrecogin alfa (aktiviert) signifikant verringert, doch erfordert die Clearancereduktion (< 30%) keine Dosisanpassung.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Die empfohlene Dosis von Xigris® beträgt 24 µg/kg/Stunde als kontinuierliche intravenöse Infusion über einen Zeitraum von 96 Stunden. Dosisanpassungen bei Erwachsenen mit schwerer Sepsis hinsichtlich Alter, Geschlecht sowie Nierenund Leberfunktion sind nicht notwendig.
Bei Patienten mit schwerer Sepsis und vorbestehender terminaler Niereninsuffizienz und chronischer Lebererkrankung wurde die Pharmakokinetik von Drotrecogin alfa (aktiviert) allerdings nicht untersucht.
Die Erfahrung bezüglich der Anwendung von Xigris® bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist begrenzt; Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Xigris® in dieser Altergruppe sind nicht nachgewiesen; es kann daher keine Dosierungsempfehlung gegeben werden.
Kontraindikationen
Drotrecogin alfa (aktiviert) sollte nicht angewendet werden bei:
- aktiver innerer Blutung,
- Patienten mit intrakranieller pathologischer Veränderung, Neoplasma oder Hinweis auf eine zerebrale Herniation,
- gleichzeitiger Heparintherapie ≤ 15 I.E./kg/Stunde,
- bekannter Blutungsneigung mit Ausnahme einer durch Sepsis bedingten akuten Gerinnungsstörung,
- schwerer chronischer Lebererkrankung,
- Thrombozytenzahl unter 30 000 « 106 Zellen/l, selbst wenn die Thrombozytenzahl durch Transfusionen angehoben wurde,
- Patienten mit einem erhöhten Blutungsrisiko,
- Patienten mit bekannter Überempfindlichkeit gegenüber Drotrecogin alfa (aktiviert), einem der Hilfsstoffe oder bovinem Thrombin (kann in Spuren aus dem Herstellungsprozess vorhanden sein).
Unerwünschte Wirkungen
Aus der klinischen Phase-III-Studie geht hervor, dass Drotrecogin alfa (aktiviert) das Blutungsrisiko erhöhen kann: Von den 850 mit Drotrecogin alfa (aktiviert) behandelten Patienten hatten 24,9% mindestens ein Blutungsereignis; bei 840 mit Plazebo behandelten Patienten waren es 17,7%. Bei den Blutungsereignissen in beiden Behandlungsgruppen handelte es sich in der Mehrzahl um Hautblutungen und Blutungen des Gastrointestinaltrakts. Schwerwiegende Blutungsereignisse traten in dieser Studie bei 3,5% der mit Drotrecogin alfa (aktiviert) und bei 2,0% der mit Plazebo behandelten Patienten auf. Der Unterschied in der Inzidenz der schweren Blutungsereignisse war vorwiegend in der Infusionsperiode der Studienmedikation zu beobachten. Zwei Fälle von intrakranieller Blutung während der Infusionsperiode wurden in der klinischen Studie bei mit Drotrecogin alfa (aktiviert) behandelten Patienten beobachtet. Bei mit Plazebo behandelten Patienten trat kein solcher Fall auf. Aus nichtplazebokontrollierten Studien mit Drotrecogin alfa (aktiviert) ist eine Inzidenz intrakranieller Blutungen während der Infusionsdauer von 0,9% bekannt. Das Risiko einer intrakraniellen Blutung kann bei schwerer Koagulopathie und schwerer Thrombozytopenie noch steigen.
In den klinischen Phase-I-Studien traten außerdem folgende häufige unerwünschte Wirkungen auf: Kopfschmerzen (30,9%), Hautblutungen (23,0%) und Schmerzen (5,8%).
Wechselwirkungen
Drotrecogin alfa (aktiviert) sollte nur unter besonderer Vorsicht gleichzeitig mit anderen gerinnungsaktiven Arzneimitteln verabreicht werden. Dazu gehören Protein C, Thrombolytika (z. B. Streptokinase, tPA, rPA und Urokinase), orale Antikoagulanzien (z. B. Warfarin), Hirudin, Antithrombin, Acetylsalicylsäure und andere Thrombozytenaggregationshemmer, z. B. nichtsteroidale Antiphlogistika, Ticlopidin und Clopidogrel, Glycoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten (z. B. Abciximab, Eptifibatid, Tirofiban) und Prostacycline wie z. B. Iloprost. In der Phase-III-Studie erhielten zwei Drittel der Patienten prophylaktische Dosen von unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin. Ein erhöhtes Risiko von schwerwiegenden Blutungsereignissen konnte bei den gleichzeitig mit Drotrecogin alfa (aktiviert) behandelten Patienten nicht nachgewiesen werden.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Drotrecogin alfa (aktiviert) kann, wie erwähnt, das Blutungsrisiko erhöhen. Die Risiken einer Gabe sollten in folgenden Situationen gegen den erwarteten Nutzen abgewogen werden: innerhalb der letzten 3 Tage durchgeführte thrombolytische Therapie; Gabe von oralen Antikoagulanzien innerhalb der letzten 7 Tage; Gabe von Acetylsalicylsäure oder anderen Thrombozytenaggregationshemmern innerhalb der letzten 7 Tage; ischämischer Schlaganfall innerhalb der letzten 3 Monate; jede andere Störung, bei der es nach dem Urteil des behandelnden Arztes zu einer relevanten Blutung kommen kann.
Drotrecogin alfa (aktiviert) soll 2 Stunden vor dem Beginn von Maßnahmen, die mit einem Blutungsrisiko einhergehen, abgesetzt werden. Die Infusion von Drotrecogin alfa (aktiviert) kann 12 Stunden nach größeren invasiven Eingriffen oder Operationen fortgesetzt werden, sofern eine adäquate Hämostase erzielt ist.
Während der Xigris®-Infusion sollten routinemäßig Gerinnungsparameter überprüft werden. Da Drotrecogin alfa (aktiviert) die aPTT-Messung beeinflussen kann, können einstufige Gerinnungstests, die auf der aPTT basieren (wie Faktor-VIII-, -IX- und -XI-Assays), durch Drotrecogin alfa (aktiviert) in Plasmaproben gestört werden. Einstufige Assays, die auf der Prothrombinzeit basieren (wie Faktor-II-, -V-, -VII- und -X-Assays), werden jedoch nicht durch Drotrecogin alfa (aktiviert) beeinflusst.
Die Bildung von Antikörpern gegen aktiviertes Protein C wurde bei gesunden Probanden auch bei wiederholter Verabreichung nicht beobachtet. Die Möglichkeit allergischer Reaktionen gegen Bestandteile des Arzneimittels kann dennoch bei entsprechend prädisponierten Patienten nicht völlig ausgeschlossen werden. Sollten allergische oder anaphylaktische Reaktionen auftreten, muss die Behandlung sofort abgebrochen und eine entsprechende Therapie eingeleitet werden.
Schwangerschaft und Stillzeit
Tierexperimentelle Studien im Hinblick auf eine Beeinflussung von Schwangerschaft, embryonale/fötale Entwicklung, Geburt und postnatale Entwicklung wurden mit Drotrecogin alfa nicht durchgeführt. Daher ist das potenzielle Risiko für den Menschen nicht bekannt. Drotrecogin alfa sollte deshalb während der Schwangerschaft nur mit eindeutiger Indikationsstellung angewendet werden.
Es ist nicht bekannt, ob Drotrecogin alfa in die Muttermilch übergeht oder ob eine mögliche Wirkung auf den gestillten Säugling besteht. Daher sollte eine Mutter während der Behandlung mit Drotrecogin alfa nicht stillen.
Handelspräparat Xigris®
Hersteller
Einführungsdatum
Zusammensetzung
Eine Durchstechflasche enthält 5 mg Drotrecogin alfa (aktiviert) zur Auflösung mit 2,5 ml Wasser für Injektionszwecke.
Hilfsstoffe:
Saccharose, Natriumchlorid, Natriumcitrat, Citronensäure, Salzsäure und Natriumhydroxid.
Packungsgrößen, Preise, PZN
1 Durchstechflasche, PZN 2075580, nur an krankenhausversorgende Apotheken
Indikation
Zur Behandlung von Erwachsenen mit schwerer Sepsis mit multiplem Organversagen zusätzlich zur Standardtherapie
Dosierung
Die empfohlene Dosis von Xigris® beträgt 24 µg/ kg/Stunde als kontinuierliche intravenöse Infusion über einen Zeitraum von 96 Stunden.
Kontraindikationen
Aktive innere Blutung; Patienten mit intrakranieller pathologischer Veränderung, Neoplasma oder Hinweis auf eine zerebrale Herniation; gleichzeitige Heparintherapie; bekannte Blutungsneigung mit Ausnahme einer durch Sepsis bedingten akuten Gerinnungsstörung; schwere chronische Lebererkrankung; Thrombozytenzahl unter 30 000/ml; Patienten mit einem erhöhten Blutungsrisiko
Unerwünschte Wirkungen
Erhöhung des Blutungsrisikos, Kopfschmerzen, Hautblutungen, Schmerzen
Wechselwirkungen
Xigris® sollte nur unter besonderer Vorsicht gleichzeitig mit anderen gerinnungsaktiven Arzneimitteln verabreicht werden.
Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme
Drotrecogin alfa (aktiviert) soll 2 Stunden vor dem Beginn von Maßnahmen, die mit einem Blutungsrisiko einhergehen, abgesetzt werden. Während der Xigris®Infusion sollten routinemäßig Gerinnungsparameter überprüft werden. Sollten allergische oder anaphylaktische Reaktionen auftreten, muss die Behandlung sofort abgebrochen und eine entsprechende Therapie eingeleitet werden.
Literatur
Warren, L. B., et al.: High-dose antithrombin III in severe sepsis. J. Am. Med. Assoc. 287, 1869 - 1878 (2001).
Bernard, J. R., et al.: Efficacy and safety of recombinant human activated protein C for severe sepsis. N. Engl. J. Med. 344, 699 - 709 (2001).
Kurz zusammengefasst
Drotrecogin alfa (activated) (Xigris®) ist die rekombinant hergestellte Form des endogenen aktivierten Protein C. Es ist zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schwerer Sepsis und multiplem Organversagen zusätzlich zur Standardtherapie angezeigt. Drotrecogin alfa (activated) greift in die komplexen Interaktionen von Gerinnung, Fibrinolyse und Inflammation ein und unterbricht die tödliche Sepsis-Kaskade: Es wirkt antithrombotisch, profibrinolytisch und antiinflammatorisch.
Die Substanz wird als Einmalgabe über 96 Stunden in einer Dosierung von 24 µg/kg Körpergewicht pro Stunde infundiert. Das Medikament hat ein günstiges Sicherheitsprofil. Drotrecogin alfa (activated) senkte in der Phase-IIIStudie, die zur Zulassung führte, das relative Risiko, an einer Sepsis zu sterben, um 19,4 Prozent und die absolute 28-Tage-Sterblichkeit um 6,1 Prozent. Das heißt, dass einer von fünf Patienten, die an Sepsis gestorben wären, mit Drotrecogin alfa (activated) überlebt. Die Sterblichkeit konnte sogar bei solchen Patienten signifikant gesenkt werden, die bereits im septischen Schock waren oder beatmet wurden. Nach Einschluss von 1690 der geplanten 2280 Patienten wurde die Studie vorzeitig beendet, da schon die zweite Zwischenanalyse ergeben hatte, dass Drotrecogin alfa (activated) der Plazebobehandlung (Standardtherapie der Sepsis: Infektionsbekämpfung und unterstützende Maßnahmen) statistisch überlegen war.
Als schwerwiegende Nebenwirkung kam es zu schweren Blutungsereignissen (3,5% in der Drotrecogin alfa-Gruppe versus 2,0% in der Plazebo-Gruppe) inkl. intrakranieller Blutungen (0,2% versus 0,1%), die vorwiegend während des Infusionszeitraums auftraten. Diese sind aber wegen der sehr kurzen Halbwertszeit von Drotrecogin alfa meistens beherrschbar.