Arzneimittel und Therapie

Hinweise zur sicheren Anwendung von Sildenafil

Sildenafil (Viagra(r)) ist seit kurzem auch in Deutschland zur oralen Therapie der erektilen Dysfunktion zugelassen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) informiert im Deutschen Ärzteblatt über diesen Wirkstoff und weist insbesondere auf mögliche Risiken und wichtige Kontraindikationen hin.


Bei Sildenafil handelt es sich um einen weitestgehend spezifischen Hemmer des Isoenzyms 5 der Phosphodiesterase (PDE-5). Bei sexueller Stimulation wird lokal Stickstoffmonoxid (NO) im Corpus cavernosum freigesetzt, welches das Enzym Guanylatcyclase stimuliert. Dieses Enzym führt zu einer erhöhten Konzentration von zyklischem Guanosin-Monophosphat (cGMP). Hierdurch entspannt sich die glatte Muskulatur des Gefäßsystems der Corpora cavernosa, und die Blutzufuhr wird erhöht, was zur Erektion des Penis führt. Sildenafil wirkt also ausschließlich lokal und nach sexueller Stimulation, die Libido wird durch diese Substanz nicht beeinflußt.
In den USA ist Sildenafil bereits seit einigen Monaten zugelassen und wurde von mehr als 3 Millionen Männern eingenommen. Es liegen daher bereits umfangreiche Erfahrungen hinsichtlich der Verträglichkeit und zu den Nebenwirkungen vor.

Die gleichzeitige Einnahme von Nitropräparaten ist kontraindiziert


Aufgrund des ähnlichen pharmakologischen Angriffspunktes ist die gleichzeitige Einnahme von Nitropräparaten (z.B. Nitroglycerin, Isosorbiddinitrat, Isosorbidmononitrat, Nitroprussid-Natrium) oder Molsidomin zusammen mit Sildenafil absolut kontraindiziert. Bei Komedikation mit diesen Wirkstoffen wurden Kreislaufdepressionen, zum Teil mit Todesfolge, beobachtet.

Weitere Kontraindikationen


Aufgrund derzeit noch unzureichender Daten sollte Sildenafil bei folgenden Patienten zunächst nicht verordnet werden: Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz, Hypotonie (RR<90/50 mm Hg), kürzlichem Schlaganfall oder Herzinfarkt. Bei Patienten mit Blutungsstörungen oder aktiven peptischen Ulzera liegen noch keine Daten zur Unbedenklichkeit vor. Ebenso sollte Sildenafil bei anatomischen Penismißbildungen sowie Erkrankungen, die für einen Priapismus disponieren, wie Sichelzellanämie, Plasmozytom oder Leukämie, nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung eingenommen werden. Bei Retinitis pigmentosa ist Sildenafil kontraindiziert, Vorsicht ist darüber hinaus aber auch bei einigen anderen vorbestehenden Augenerkrankungen gegeben.

Nebenwirkung Sehstörungen


Häufig und meist dosisabhängig auftretende Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Gesichtsrötung, Magenbeschwerden und vor allen Dingen verändertes Sehvermögen (unscharfes Sehen, verstärkte Lichtempfindlichkeit, Farbsehstörungen). Der Befund der Farbsehstörungen ist im Zusammenhang mit einer Hemmung der Phosphodiesterase 6 zu sehen, die an der Phototransduktion in der Retina beteiligt ist. Während die von der europäischen Zulassungsbehörde genehmigte Fachinformation der Firma Pfizer die beschriebenen Sehstörungen mit einer Inzidenz von 1,9 Prozent angibt, werden in wissenschaftlichen Publikationen [3, 4, 5] bei Einnahme von 50 mg in 2 bis 6 Prozent der Fälle Sehstörungen beschrieben. Bei Einnahme von 100 mg (maximal empfohlene Tagesdosis) wurde in 10 Prozent der Fälle von Sehstörungen berichtet. Ob die beobachteten Sehstörungen tatsächlich nur vorübergehend auftreten und nicht zu einer anhaltenden Funktionsstörung der Photorezeptorzellen führen, wird sich erst in einigen Jahren endgültig beurteilen lassen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft empfiehlt daher dringend, bei der Verordnung von Sildenafil mit der niedrigsten wirksamen Dosis zu beginnen und wirkungsabhängig nur bis zur maximal empfohlenen Tagesdosis von 100 mg täglich zu erhöhen. Bei fälschlicher oder bewußter Überdosierung auf 200 mg/Tag (zugelassene Dosis: maximal 100 mg/täglich) wurden schon 45 Prozent Sehstörungen angegeben [3, 4, 5].

Interaktionen sind möglich


Da Sildenafil hauptsächlich über das Cytochrom P450 CYP 3A4 (Hauptausscheidungsweg) und CYP 2C9 (Nebenausscheidungsweg) abgebaut wird, können Hemmstoffe dieser Isoenzyme (zum Beispiel Ketoconazol, Erythromycin, Cimetidin) die Clearance von Sildenafil reduzieren und damit das Nebenwirkungsrisiko erhöhen. Bei gesunden älteren Männern ist mit einer reduzierten hepatischen Clearance und damit ca. 40 Prozent höheren Plasmakonzentration als bei jüngeren Patienten zu rechnen. Eine Niereninsuffizienz dürfte sich in ähnlicher Weise nur bei einer Kreatininclearance <30 ml/Min. auswirken. Des weiteren ist es denkbar, daß in Fällen, in denen Sildenafil nur intermittierend eingenommen wird, der Patient "vergißt", dies seinem Arzt mitzuteilen, daher sollte der Arzt bei der Verschreibung potentiell interagierender Medikamente immer gezielt nach der Einnahme von Sildenafil fragen.

Todesfälle durch Sildenafil?


Von den zwischen März und Juni dieses Jahres der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA gemeldeten 123 Todesfällen ließ sich nur bei etwa der Hälfte nachweisen, daß Sildenafil tatsächlich eingenommen worden ist. In diesen Fällen handelte es sich allerdings vielfach um Patienten über 60 Jahre mit präexistenten kardiovaskulären Risikofaktoren wie koronare Herzkrankheit, Rhythmusstörungen, Hypertonie oder Diabetes mellitus. In 12 Fällen hatten die Patienten auch Nitrate eingenommen. Die Todesfälle lassen sich teilweise sicher auch auf eine ungewohnte körperliche Überlastung der älteren Männer beim Sexualakt zurückführen; so schätzt man, daß das Infarktrisiko auch ohne Einnahme von Medikamenten innerhalb von 2 Stunden nach sexueller Aktivität um den Faktor 2,5 erhöht ist [1].
Daher rät die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft den Ärzten dringend, einen kardiovaskulären Status zu erheben und gegebenenfalls auch ein Belastungs-EKG durchzuführen, bevor eine Therapie der erektilen Dysfunktion mit Sildenafil begonnen wird. Es kann einer neueren Studie zufolge davon ausgegangen werden, daß bei einem Drittel aller Männer mit vorbestehender koronarer Herzkrankheit Ischämien während des Sexualaktes auftreten [2]. Keinesfalls indiziert ist Sildenafil damit bei Patienten, denen, wie beispielsweise bei schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von sexueller Aktivität abzuraten ist. Sildenafil sollte nur bei echter Indikation und unter Beachtung der Anamnese des Patienten verordnet werden. Außerdem sollten andere Ursachen einer erektilen Dysfunktion, wie etwa Störungen der Testosteron- und Prolaktinplasmakonzentration, ausgeschlossen werden, bevor eine Behandlung mit Sildenafil begonnen wird.
Mit Sildenafil steht ein Arzneimittel zur Verfügung, dessen Verschreibung von vielen Betroffenen oder schlicht Neugierigen höchstwahrscheinlich beim Arzt "eingefordert" wird. Daher möchte die AkdÄ aus aktuellem Anlaß darauf hinweisen, daß die Ausstellung von Sildenafil auf Privatrezept den Arzt nicht von seiner Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht gegenüber dem Patienten entbindet.
Unseriöse Anbieter bieten Sildenafil über das Internet, aber auch über Werbung in den Printmedien ohne Rezeptvorlage an. Die Ärzteschaft sollte daher insbesondere ihre männlichen Patienten, die Nitrokörper verordnet bekommen, fragen, ob sie Sildenafil einnehmen.
Die AkdÄ ist an Erfahrungsberichten über Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) zu Sildenafil interessiert.
Literatur
[1]Muller, J. E., A. Mittleman, M. Maclure, et al.: Triggering myocardial infarction by sexual activity: low absolute risk and prevention by regular physical exertion. J.Am. Med. Assoc. 275, 1405-1409 (1996).
[2]Schwartz, I., D. McCarthy: Sildenafil in the treatment of erectile dysfunction - letters to the editor. N. Engl. J. Med. 339, 669-700 (1998).
[3]Goldstein, I., T. F. Lue, H. Padma-Nathan, R. C. Rosen, et al.: Oral sildenafil in the treatment of erectile dysfunction. N. Engl. J. Med. 338, 1397-1403 (1998).
[4]Zrenner, E.: Wie sind die bei Einnahme von Viagra(r) beobachteten Sehstörungen - insbesondere bei Netzhautdegeneration - zu werten? Aktuelle Augenheilkunde; 12-13 (1998).
[5]Gysling, E.: Sildenafil. Pharma-Kritik; 19, 75-76 (1997).
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Aachener Straße 233-237, 50931 Köln, Tel. (0221) 4004-518, Fax (0221) 4004-539
Quelle
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 41, 9. Oktober 1998, S. A-2575-2576

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