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Feuilleton
Im Rosenmonat Juni: Rosen – einmal pharmazeutisch betrachtet
Persien und das mittelasiatische Hochland gelten als das Genzentrum der Gattung Rosa und als die Wiege der Rosenzucht. Aus dem heutigen Irak stammen die ältesten fossilen Funde. Etwa im 5.Jahrhundert v. Chr. begann der Siegeszug der Gartenrosen nach Westen, unter Alexander bis Griechenland und Makedonien, bald darauf weiter nach Rom (das in der Kaiserzeit berühmt wurde für seine Rosenexzesse), zu Kreuzfahrerzeiten dann bis Mittel- und Westeuropa. Durch Auswanderer gelangte sie in die neue Welt und auf die südliche Hemisphäre und ist heute in allen klimatisch verträglichen Zonen heimisch.
Etwa 20000 Rosensorten registriert
Früh schon begann die planmäßige Züchtung, begünstigt durch die natürliche Anlage der Rose zur Hybridisierung. England und Frankreich wurden zu Zentren der Rosenzucht. Gärtner wie auch Liebhaber frönten gerne dem "Lottospiel der Natur", zu den berühmten und auch sehr erfolgreichen Kennern und Züchtern zählte Josephine Beauharnais, die erste Gattin Napoleons. An die 20000 Rosensorten sind bis heute registriert. Nachdem 1867 die erste Teerosen-Hybride (kurz: Teehybride) eingeführt worden war, trieb eine wahre Rosen-Mode unzählige neue Blüten bzw. Sorten. Man bezeichnet sie als "moderne" Rosen, denen die "alten" Rosen (die nicht alle älter sind, aber den älteren Stammbaum haben) gegenüberstehen. Alle arzneilich verwendeten Rosen sind natürlich "alte Rosen" oder auch Wildrosen; überall, wo sie vorkommen, haben sie seit Menschengedenken die Aufmerksamkeit der Heilkundigen auf sich gezogen.
Kreuzzugsbeute Apothekerrose
Ein Kreuzritter soll im 12. Jahrhundert in seiner Reisebeute eine Rose aus dem nahen Orient in seine Heimatstadt Provins, nahe Paris, mitgebracht haben. Die Provins-, Essig- oder Apothekerrose (Rosa gallica L. 'Officinalis') wurde dort bald in großem Umfang angebaut. Und natürlich wurde auch - wie im Herkunftsland beobachtet - Rosenöl hergestellt. Das kostbare Öl für das herrschaftliche Wohlbefinden, Rosenwasser und -pomaden für die Schönheit, Rosenessig gegen die Ohnmacht, Rosenblütentee bei Magen- und Darmverstimmungen und manch heute vergessenes Rosenheilmittel waren im Mittelalter berühmt. Einem Bericht zufolge war um 1600 die Hauptstraße von Provins auf beiden Seiten von Apotheken und Drogerien gesäumt, das Provins-Rosenöl wurde damals in alle Welt verschickt. Manches Erfahrungsheilkundliche aus dieser Zeit kann heute durchaus bestätigt werden: So sind beispielsweise Rosenblütenblätter gerbstoffhaltig und daher adstringierend. Fungus Rosae, Rosengallen, die als so genannte Schlafäpfel unter das Kopfkissen gelegt wurden, gehören wohl eher zu den Curiosa.
"Konkret" und "Absolut"
Später lösten zur Ätherisch-Öl-Gewinnung ertragreichere Rosensorten, vor allem Rosa centifolia L., die Apothekerrose in Frankreich ab. Die Zentifolie ("100-Blättrige"), Mai-, Kohl- oder Provence-Rose blüht heute im Mai in ausgedehnten Feldern um die provenzalische Parfumstadt Grasse. Zentifolien-Öle wurden früher im Enfleurage-Verfahren gewonnen - dabei werden die Rosenblätter großflächig in Fett gedrückt, wobei die lipophilen Duftstoffe in die Pomade übergehen -, heute werden sie mit Petroläther oder Hexan extrahiert. Da sich in dem Lösungsmittel auch die Rosenwachse (Stearoptene) der Blütenblätter lösen, erhält man eine halbfeste, in der Fachsprache der Parfumeure "Concrete" genannte Masse. "Absolue" oder Rosenabsolut, sozusagen die Krönung der Öle, gewinnt man durch nochmaliges Extrahieren des Rosenkonkret mit reinem Alkohol. Darin lösen sich die Wachse nicht und können abgetrennt werden. Aus 1 bis 1,2 t Centifolia-Blütenblätter erhält man 1 kg Rosenkonkret oder etwa 600 ml Rosenabsolut. Zentifolien-Öle sind gekennzeichnet durch ihren hohen Gehalt an 2-Phenylethanol. Dieses wirkt nicht nur lokalanästhesierend, sondern im wahrsten und dichterischen Sinne auch berauschend. Französisches und marokkanisches Rosenöl (ebenfalls traditionell aus Rosa centifolia gewonnen) duftet frischer, fruchtiger als bulgarisches oder türkisches Öl.
Weltberühmt: Bulgarisches Rosenöl
Seitdem ein türkischer Kaufmann die stark duftende Damaszener Rose (Rosa x damascena Mill.) 1790 in die damals türkische Provinz Rumelien eingeführt hat und sich die Rosenzucht rasch in den klimatisch günstigen Tälern des Balkan ausbreitete, wurde bulgarisches Rosenöl zu einem Begriff. Bulgarien war im 20. Jahrhundert nicht nur führend in der Ölproduktion, auch seine züchterischen und chemischen Forschungsergebnisse hatten Weltbedeutung. Während des kommunistischen Regimes wurde die Rosenölproduktion zum hoch geförderten Staatsmonopol umfunktioniert. Dementsprechend brach nach dem Umbruch der "herrenlose" Industriezweig fast zusammen, die Felder verwilderten über Jahre, die Forschungsinstitute in der Rosenmetropole Kazanlik verwaisten. (Bei einem Besuch im Mai 1996 erzählte die Direktorin des dortigen Instituts, sie und ihr verbliebenes 12-köpfiges Team hätten seit 10 Monaten kein Gehalt mehr bekommen, händeringend warte man auf die neue Ernte.) Bis heute ist die Abstammung der Damaszener Rose nicht eindeutig geklärt. Ihr Name wird meist mit einer Herkunft aus der Gegend von Damaskus in Verbindung gebracht, eine andere Ableitung führt den Damast-artigen Schimmer der Blütenblätter an. Genetisch sieht man in ihr einen Naturbastard aus R. gallica x R. centifolia. (Die Hybridforschung ist heute gentechnisch oder durch vergleichende Blütenwachsuntersuchungen an künstlich erzeugten F1-Hybriden möglich.) Die in Bulgarien angebaute Kazanlik- oder Ölrose ist die Varietät R. x damascena var. trigintipetala Keller (die "30-Blütenblättrige").
Die Türkei zieht nach
1894 "reimportierte" ein bulgarischer Emigrant aus Kazanlik diese Neuzüchtung wieder in die Türkei. Die Region um Isparta, am südwestlichen Rand des anatolischen Plateaus gelegen (nur 2Autostunden von den Hauptorten der türkischen Riviera entfernt), ist jetzt auf dem besten Wege, sich zum führenden Weltproduzenten von Rosenöl zu entwickeln. Nähert man sich im Mai oder Juni Isparta, vermeint man den Rosenduft über den riesigen rosa Feldern zu riechen. Als Frühaufsteher kann man vielleicht noch die Frauen in bunten Kopftüchern beim Blütenpflücken erleben - Erntezeit ist zwischen 5 und 9Uhr, danach verflüchtigen sich die Öle, sodass die Ausbeuten geringer wären. Später am Tag trifft man nur noch hochbeladene Gefährte, die die in Plastiksäcke gestopften Rosenblüten in eine der vielen Destillationsanlagen am Stadtrand von Isparta bringen. Türkisches und bulgarisches Rosenöl werden traditionsgemäß durch Wasserdampfdestillation gewonnen, nur ein kleinerer Anteil wird mit organischen Lösungsmitteln extrahiert (als Konkret, s.o.). Die Rosenwasserdestillation hat im ganzen Orient eine alte Tradition. Die bäuerlichen Kleinbetriebe, die Rosenwasser und das sogenannte Dorfrosenöl herstellten, sind heute ausgestorben. Heute wird in Großdestillationsanlagen mit 2000 bis 6000 Litern Fassungsvermögen gearbeitet. Die Blüten werden entweder in Wasser suspendiert und über einer Feuerung etwa 2 Stunden lang destilliert oder direkt eingeleitetem Wasserdampf ausgesetzt. Erstes Rohöl wird in Florentiner Flaschen dekantiert, das überfließende Rosenwasser ein 2. Mal destilliert (gekocht). Erst am Ende der nur etwa 4- bis 6-wöchigen Produktionsperiode werden dekantierte und gekochte Öl-Ausbeuten wieder zu vollwertigem Rosenöl zusammengemischt (geläufig sind auch die aus dem Arabischen stammende Bezeichnung Rosen-"Attar" und das daraus verballhornte Rosen-"Otto"). Bei einer Ausbeute von 0,025% ergeben etwa 3,5 bis 4 t Rosenblüten (was einer Pflückzeit von etwa 800 Stunden entspricht) 1kg Rosenöl. Ein Preis um 15000 DM/kg ist daher nicht verwunderlich. Auch nicht verwunderlich ist, dass seit je die Fälscher am Werk waren. Früher wurde mit natürlichen, billigen Ölen gefälscht, z.B. Palmarosa-, Geranium- oder Cympopogon-Ölen, heute einfacher mit den synthetischen, billigeren Einzelkomponenten des Rosenöls wie Geraniol oder Citronellol (im bulgarischen Öl zu 30 bzw.15% die Hauptbestandteile), Phenylethanol oder synthetischem Walrat als künstlichem Stearopten. Selbst für Fachleute ist es nicht immer leicht, Verschnitte und Verfälschungen zu erkennen.
Mehr als 400 Einzelkomponenten im Rosenöl
Die chemische Zusammensetzung des Rosenöls differiert stark, je nach Stammpflanze, Provenienz oder Gewinnungsart. Am besten untersucht ist das bulgarische Öl. Streckenweise liest sich die Erforschung des kostbaren Rosenöls wie ein Krimi, war doch die billigere, naturgetreue Nacharbeitung uneingestandenes Ziel. Bis Ende der 50er Jahre waren von den über 400 Komponenten zwar die meisten höheranteiligen bekannt (etwa 80% des Gesamtgewichts), aber erst durch den Einsatz der Gaschromatographie ab Anfang der 60er-Jahre wurde die Aufklärung der eigentlich duftbestimmenden Spurenstoffe möglich (s. Formeln). Die Entdeckung des b-Damascenons - und damit der neuen Stoffklasse der Rosenketone - im bulgarischen Rosenöl (1969) zählt man heute zu den Meilensteinen in der Geschichte der Duftstoffchemie.
Volksmedizinische Anwendung
Seit alters her zählt Rosenöl zum kostbarsten und viel verwendeten Grundstoff in der Parfüm- und Kosmetikindustrie. Volksmedizinische Bedeutung hat es eigentlich nur in den Lieferländern erlangt. Rosenöl oder Rosenwasser werden im Orient bei krampfartigen Magenbeschwerden und Leber-Galle-Koliken eingenommen. Im Tierexperiment bestätigte sich eine hypolipämische und hepatotrope Wirksamkeit. Die äußerliche Anwendung bei Brustdrüsenentzündungen, rissiger Haut oder Lippenbläschen - Rosenhonig bei Soor dürfte noch bekannt sein - steht in Übereinstimmung mit der antiseptischen und antiphlogistischen Wirkung der Einzelkomponenten Citronellol, Geraniol oder Citral. Eine Renaissance erlebt Rosenöl durch die Aromatherapie, in der es zur seelischen und körperlichen Entspannung und Entkrampfung eingesetzt wird, z.B. bei nervös bedingten Muskelverspannungen, Schlafstörungen oder zur Stimmungsaufhellung bei Depressionen. Schon die alten Perser wussten von der heilsamen Wirkung der Rosenwasserkompressen bei Herz- und Nervenleiden.
Wilde Rosen
Das Wildrosenöl, ein häufiger Zusatz zu Körperölen und -lotiones, ist ein fettes Öl, gewonnen aus den Samen der Moschusrose Rosa moschata Herrm. Ursprünglich aus den unteren Himalaya-Regionen stammend und nach Südeuropa eingeführt (in Mitteleuropa ist sie nicht winterhart), wurde die Moschusrose offensichtlich wegen ihrer fleischigen Hagebutten früh von Auswanderern nach Südamerika gebracht. Dort hat sie sich besonders in den Fußregionen der Anden stark ausgebreitet. Chile produziert derzeit die Hauptmenge des Weltbedarfs an Rosae pseudofructus und hat die traditionellen Lieferländer in Osteuropa abgelöst. Als "side product" fällt dabei das fette Öl der Hagebuttenkerne an, das auffallend reich an ungesättigten Fettsäuren ist (u.a. bis je 40% Linol- und Linolensäure) und auch all-trans-Retin- (= Vitamin A) -Säure enthält. In klinischen Untersuchungen aus den 90er-Jahren konnten chilenische und brasilianische Wissenschaftler den positiven Einfluss dieses Öls auf die Narben- und Faltenrückbildung, insbesondere bei Aknenarben, aufzeigen. Die Hecken- oder Hundsrose Rosa canina L. und andere Hagebutten liefernde Rosa-Arten sind wohl immer noch die gebräuchlichsten Arzneipflanzen unter den Rosen. Entsprechend der botanischen Besonderheit - das Vitamin-C-reiche Fruchtfleisch ist die fleischig entwickelte Fruchtachse, die "Samen" sind eigentlich Nussfrüchte - gibt es verwirrend viele Namen in den Arzneibüchern. Bis heute gehören Hagebutten in fast allen Ländern zu den offizinellen Drogen, in Ostasien z.B. von den dort heimischen Arten R. laevigata Michx., R. multiflora Thunb. (Stammpflanze der Polyantharosen und vieler Kletterrosen) und R. rugosa Thunb. (als Kartoffelrose, japanische Apfelrose oder Kamtschatkarose eine beliebte Zierheckenrose). Die vielfältigen volkstümlichen Anwendungen der Hagebutten bei Erkältungskrankheiten und Vitamin-C-Mangelzuständen, zur Nierenstärkung und Entwässerung, bei Magen-, Darm- und Gallebeschwerden, Nieren- und Gallensteinen, Gicht und Rheuma sind heute teilweise auf Grund bekannter Inhaltsstoffe plausibel (wie etwa eine abführende durch den hohen Fruchtsäure- und Pektingehalt), wurden früher aber meist über die Signaturenlehre abgeleitet (die Steinfrüchtchen bei Steinleiden). Hagebutten sind zwar nicht von der Kommission E mit einer positiven Monographie abgesegnet, aber der allgemeinen Beliebtheit des Hagebuttentees als Haus- und Früchtetee tut dies keinen Abbruch.
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