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Arzneistoffporträt
S. Chrubasik Weidenrindenextrakt
Synergismus der Wirkstoffe
Im Unterschied zu den synthetischen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) besitzt Weidenrindenextrakt ein breiteres Wirkungsspektrum: Er hemmt die Cyclooxygenase, die Lipoxygenase sowie die Hyaluronidase und besitzt eine antioxidative Wirkung [1 - 3]. Während die aus dem Glucosid Salicin gebildeten Salicylate hauptsächlich die Prostaglandinbiosynthese hemmen, lassen sich die anderen Wirkmechanismen durch die im Extrakt enthaltenen Flavonoide (z. B. Naringenin, Catechin und Eriodictyol) zurückführen. Dass die Wirksamkeit von Weidenrindenextrakt auf einem Synergismus beruht, geht daraus hervor, dass die 240 mg Salicin, die in der empfohlenen Tagesdosis (gemäß ESCOP-Monographie) enthalten sind, in ihrer Wirkung etwa 50 mg Acetylsalicylat entsprechen [4]. Eine solche Dosis würde aber zur Schmerzbehandlung nicht ausreichen (die Acetylsalicylat-Tagesdosis beträgt bis zu 3 g). Der Synergismus der Wirkstoffe im Weidenrindenextrakt erklärt auch die geringe Inzidenz von Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt bei therapeutischer Anwendung. Weitere Untersuchungen sind jetzt notwendig, die detaillierten Wirkungsmechanismen von Weidenrindenextrakt aufzuklären und das Nebenwirkungsrisiko genauer zu spezifizieren.
Bisherige Empfehlungen
In der Monographie der ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy [5]) wird Weidenrindenextrakt zur Behandlung von Fieber und geringen rheumatischen Beschwerden empfohlen. Die dort vorgeschlagene Tagesdosis (Extrakt mit max. 240 mg Salicin/Tag) liegt über derjenigen, die die Kommission E in der BGA-Monographie empfohlen hat (Extrakt mit max. 120 mg Salicin/Tag).
Plazebokontrollierte Studien
Zwei Doppelblindstudien belegen die schmerzlindernde Wirksamkeit von Weidenrindenextrakt. An der Universität Tübingen erhielten 78 Patienten mit schmerzhafter Gon- und Hüftarthrose über einen Zeitraum von 14 Tagen täglich 1360 mg Weidenrindenextrakt mit 240 mg Salicin bzw. Plazebo. In der Verumgruppe besserte sich der Zustand der Patienten gemäß WOMAC-Schmerzindex signifikant [4]. Der WOMAC ist ein validiertes und international anerkanntes Messinstrument zur Ermittlung des Therapieeffektes von Antirheumatika. An der Universität Haifa erhielten 210 Patienten mit akuten Exazerbationen eines chronischen Rückenschmerzleidens ein Weidenrindenextrakt-Präparat1 mit 120 mg bzw. 240 mg Salicin pro Tag bzw. Plazebo über einen Zeitraum von vier Wochen. Die Anzahl der schmerzfreien Patienten nach Abschluss der Behandlung stand in Relation zur eingenommenen Extraktmenge und betrug in der Plazebogruppe 6%, in der Verumgruppe mit 120 mg Salicin pro Tag 21% und in der Verumgruppe mit 240 mg Salicin pro Tag 39% (p kleiner als 0,001, One-tailed Cochrane-Armitage Test, Intention-to-treat-Analyse unter Berücksichtigung der "Drop-outs" als "Nonresponder") [6]. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten in diesen Studien nicht auf, insbesondere keine magen- und darmspezifischen Nebenwirkungen. Die Anzahl der unerwünschten Ereignisse unterschied sich in den Verumgruppen nicht von den Plazebogruppen. Allerdings trat in beiden Studien eine heftige allergische Reaktion auf Weidenrindenextrakt auf.
Dreiarmige Vergleichsstudie
An der Universität Frankfurt wurde 1999 eine dreiarmige therapeutische Kohortenstudie, in die 451 Patienten mit akuten Rückenschmerzen einbezogen wurden, abgeschlossen. Die Patienten erhielten - das genannte Weidenrindenextrakt-Präparat mit täglich 240 mg Salicin als Monotherapie oder Cotherapie mit NSAR (n = 112) bzw. - dasselbe Präparat mit täglich 120 mg Salicin entsprechend (n = 115) bzw. - eine konventionelle Therapie mit synthetischen NSAR, Nervenblockaden, manueller Therapie, Elektrotherapie etc. (n = 224). Das Behandlungsergebnis wurde an der Anzahl der schmerzfreien Patienten, am Arhuser Rückenschmerzindex und am Globalen Schmerzindex (Schmerzen im Sitzen, Stehen, Gehen, Liegen, während der Nacht) gemessen. Demnach schnitt die Gruppe mit täglich 240 mg Salicin signifikant besser ab als die beiden anderen Gruppen. Eine multivariante Analyse unter Einschluss prognostischer Faktoren bestätigte die Überlegenheit der Therapie mit täglich 240 mg Salicin, und dies obwohl die Behandlungskosten sehr viel geringer waren als bei der konventionellen Therapie [7]. Unter der Behandlung mit Weidenrindenextrakt traten drei Allergien auf, und sechs Patienten klagten über leichte Magenbeschwerden (n = 2 unter Monotherapie, n = 4 unter zusätzlicher NSAR-Therapie). Unter konventioneller Behandlung wurden bei 14 Patienten unerwünschte Wirkungen dokumentiert.
Einfluss auf die Thrombozytenfunktion
Da die Thrombozyten durch Acetylsalicylsäure irreversibel geschädigt werden, war es erforderlich, den Einfluss von Weidenrindenextrakt auf die Thrombozytenfunktion zu untersuchen. Während unter täglicher Einnahme von 100 mg Acetylsalicylsäure die Thrombozytenaggregation signifikant gehemmt wurde (n = 16), beeinflusste das genannte Weidenrindenextrakt-Präparat (n = 19) die stimulierte Thrombozytenaggregation nur marginal gegenüber Plazebo (n = 16) [8]. Operationen inklusive Zahnextraktionen stellen daher keine Kontraindikation für den Einsatz von Weidenrindenextrakt-Präparaten dar. Eine Interaktion mit gerinnungshemmenden Mitteln (z. B. Marcumar) ist aber nicht auszuschließen.
Dosierung und Indikationen
Das klinisch geprüfte Weidenrindenextrakt-Präparat wird in folgenden Dosierungen zur Schmerzbehandlung empfohlen: - bei geringen Schmerzen in einer Dosierung 2 x 1 Dragee (entspr. 120 mg Salicin) täglich, - bei starken Schmerzen 2 x 2 Dragees (entspr. 240 mg Salicin) täglich, - bei sehr starken Schmerzen 3 x 2 Dragees (entspr. 360 mg Salicin) täglich. Dabei eignet sich Weidenrindenextrakt nicht nur zur Behandlung von Schmerzen, die in Zusammenhang mit dem Bewegungsapparat stehen, sondern auch zur Behandlung von Schmerzen im Allgemeinen, z. B. auch Kopfschmerzen. Die schmerzlindernde Wirkung tritt je nach Chronizität der Schmerzen mehr oder weniger schnell ein. Bei akuten Schmerzen kann jedoch keine sofortige Schmerzfreiheit erzielt werden. Sollte nach einer 4-wöchigen Behandlung keine Linderung der chronischen Schmerzen eingetreten sein, ist es ratsam, das Weidenrindenextrakt-Präparat mit einem anderen Phytoanalgetikum zu kombinieren bzw. auf ein anderes Präparat zu wechseln. Im Unterschied zu einer Behandlung mit synthetischen NSAR besteht aufgrund der Datenlage kein Hinweis darauf, dass unter einer Behandlung mit dem Weidenrindenextrakt Magen-Darm-Trakt-spezifische Nebenwirkungen auftreten. Allergien können unter einer Behandlung mit jedem Phytotherapeutikum auftreten und werden auch unter der Gabe von NSAR nicht selten beobachtet.
Besonderheiten der Extrakte
Weidenrindenextrakt enthält je nach Drogenherkunft, Auszugsmittel und Herstellungsverfahren ein spezifisches Wirkkomponentenmuster. Die mit dem genannten Weidenrindenextrakt-Präparat gewonnenen Ergebnisse können daher nicht auf andere Extrakte (z. B. wässrige Extrakte) mit einem anderen Wirkkomponentenprofil übertragen werden.
Zusammenfassung
- Die ausgezeichnete analgetische Wirksamkeit von Weidenrindenextrakt bei Hüft-, Knie- und Rückenschmerzen wurde in zwei plazebokontrollierten Doppelblindstudien belegt. Demnach ist eine Tagesdosis mit 240 mg Salicin wirksamer als die halbe Dosis. - Eine dreiarmige Vergleichsstudie weist auf die Überlegenheit einer Therapie mit Weidenrindenextrakt (mit 240 mg Salicin/Tag) gegenüber einer konventionellen Behandlung von Rückenschmerzen. - Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, z. B. auf den Magen-Darm-Trakt, wurden bei diesen Studien nicht beobachtet. Im Einzelfall kann eine Allergie auftreten. - Im Unterschied zu Acetylsalicylsäure beeinflusst Weidenrindenextrakt die Thrombozytenfunktion nicht, sodass der Extrakt auch zur Schmerzbehandlung nach Operationen eingesetzt werden kann.
Literatur [1] Wurm,G., J. Baumann, U. Geres,: Beeinflussung des Arachidonsäurestoffwechsels durch Flavonoide. Dtsch. Apoth. Ztg. 122, 2062 - 2068 (1982). [2] Kuppusamy, U. R., H. E. Khoo, N. P. Das: Structure-activity studies of flavonoids as inhibitors of hyaluronidase. Biochem. Pharmacol. 40, 397 - 401 (1990). [3] Rice-Evans, C. A., N. J. Miller, P. M. Bolwell, J. B. Pridham: The relative antioxidant activities of plant-derived flavonoids. Free Rad. Res. 32, 375 - 383 (1995). [4] Schmid, B.: Behandlung von Cox- und Gonarthrosen mit einem Trockenextrakt aus Salix purpurea + daphnoides. Diss., Universität Tübingen (1998). [5] ESCOP Monograph Salicis Cortex (Willow Bark), Fascicule 4 (1997). [6] Chrubasik, S., E. Eisenberg, E. Balan, T. Weinberger, C. Conradt: Effectiveness of oral willow bark extract (WBE) in treating low back pain. Am J. Med. (2000) in press. [7] Chrubasik, S., O. Künzel, A. Acker, C. Conradt, F. Kerschbaumer: Potential economic impact of using a proprietary willow bark extract in outpatient treatment of low back pain: an open, non-randomized study. Submitted for publication. [8] Krivoy, N., E. Pavlotzky, S. Chrubasik, E. Eisenberg, G. Brook: Effect of salicis cortex extract on human platelet aggregation. Planta Med. (2000) in press.
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