Arzneimittel und Therapie

HIV-Infektion: Stoffwechselstörungen unter antiretroviraler Therapie

Metabolische Störungen sind eine häufige Komplikation einer antiretroviralen Therapie bei HIV-Infizierten. Einzeln oder gemeinsam können Glucosetoleranzstörung, Hyperlipoproteinämie und Lipodystrophie auftreten. Unklar bleibt, inwieweit diese Störungen die Langzeitprognose der Patienten beeinflussen und ob sie behandelt werden sollten.

Die hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) durch Kombination mehrerer Substanzen hat die Überlebenszeit und Lebensqualität von HIV-Infizierten dramatisch verbessert. 14 Arzneistoffe aus drei Substanzklassen stehen heute für die Behandlung der HIV-Infektion zur Verfügung: sechs nukleosidische und drei nicht-nukleosidische Hemmstoffe der Reversen Transkriptase sowie fünf Hemmstoffe der viralen Protease. Obwohl diese Enzyminhibitoren relativ spezifisch für die viralen Enzyme sind, können sie auch intrazelluläre Enzyme hemmen.

Dadurch besteht die Gefahr einer unspezifischen Wechselwirkung mit der zellulären DNS-Synthese (vor allem in den Mitochondrien) und der Verarbeitung zellulärer Proteine durch Proteasen. Diese Interaktion ist möglicherweise der Grund für verschiedene Stoffwechselstörungen, die unter antiretroviraler Therapie, besonders mit Proteasehemmern, vermehrt auftreten.

Glucosetoleranzstörung

1 bis 7% der HIV-infizierten Patienten entwickeln unter einer antiretroviralen Behandlung, vor allem unter Proteasehemmern, einen manifesten Typ-II-Diabetes. Weitere 16 bis 32% zeigen eine Glucosetoleranzstörung ohne Diabetes. Ursache ist eine periphere Insulinresistenz, die nicht mit der HIV-Infektion, sondern nur mit der antiretroviralen Therapie im Zusammenhang steht.

Eine unbehandelte HIV-Infektion führt dagegen zu einer gesteigerten Insulinempfindlichkeit. Der therapiebedingte Diabetes ist mit Diät, Sulfonylharnstoffen, Insulinsensitivatoren oder mit Insulin behandelbar. Nach Absetzen der Proteasehemmer bessert sich die Stoffwechsellage in Einzelfällen.

Zwei Befunde könnten die Insulinresistenz zumindest teilweise erklären: eine verminderte Expression der Betakette des Insulinrezeptors und eine Störung der Aktivität bzw. Translokation des Glucosetransporters GLUT4 unter Proteaseinhibitoren.

Hyperlipoproteinämie

20 bis 25% der Patienten, die mit nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern behandelt werden, haben eine erhöhte Triglycerid-Konzentration im Serum, 10 bis 15% eine erhöhte Gesamtcholesterol-Konzentration. Unter hochaktiver antiretroviraler Therapie sind 25 bis 30% von Hypercholesterinämie und sogar über 50% von Hypertriglyzeridämie betroffen. Erhöht wird insbesondere die Konzentration der VLDL-Partikel, aber auch der LDL-Partikel, während die HDL-Konzentration unverändert bleibt oder sinkt. Diese Veränderungen treten innerhalb der ersten drei Behandlungsmonate auf und verschwinden nach Absetzen der auslösenden Medikamente vollständig. Ritonavir (Norvir) ist der Proteasehemmer, der am häufigsten zu Hyperlipidämien führt.

Der Anstieg des LDL/HDL-Quotienten auf 4 bis 6 weist auf ein erhöhtes Arterioskleroserisiko hin. Ob das kardiovaskuläre Risiko der HIV-Patienten unter HAART steigt, ist bislang nicht geklärt. Auch gibt es noch keine verbindlichen Empfehlungen zum Einsatz von Lipidsenkern bei HIV-Infizierten mit HAART-assoziierter Hyperlipoproteinämie.

Wechselwirkungen zwischen Lipidsenkern und antiretroviralen Substanzen müssen beachtet werden (Fibrate hemmen die Resorption, Statine werden über Cytochrom P450 abgebaut).

Lipodystrophie

Bis zu 90% der HIV-Infizierten, die mit HAART einschließlich Proteasehemmern behandelt werden, leiden an einer Fettverteilungsstörung, einer Lipodystrophie. Dabei kommt es zu einer Fettansammlung im Bauchraum, während das subkutane Fettgewebe an Gesicht, Extremitäten und Gesäß verloren geht. Von den drei metabolischen Störungen der antiretroviralen Therapie beeinträchtigt die Lipodystrophie die Patienten subjektiv am meisten. Sie lässt die Betroffenen "wie Krebspatienten" aussehen, führt durch lokalisierten Abbau von Fettgewebe zu "Löchern" und lässt Lipome auftreten.

Die Diagnose Lipodystrophie wird klinisch gestellt. Eine Therapie mit gesicherter Wirksamkeit gibt es noch nicht. Die Behandlung eines gleichzeitig bestehenden Diabetes oder einer Hyperlipoproteinämie hat keinen Effekt auf die Lipodystrophie. Zum Teil geht die Störung durch Austausch besonders problematischer antiretroviraler Substanzen (der Proteasehemmer oder des Nukleosidanalogons Stavudin (= Zerit) zurück.

Ursache unklar

Glucosetoleranzstörung, Hyperlipoproteinämie und/oder Lipodystrophie sind häufige Störungen unter hochaktiver antiretroviraler Therapie. Unklar ist, ob es sich um getrennte Störungen oder um ein Syndrom mit gemeinsamer Entstehung handelt. Erst die Klärung der Ursachen wird eine Abschätzung der Langzeitprognose der Betroffenen und Behandlungsempfehlungen ermöglichen.

Literatur: Goebel, F.-D, R. Walli: Metabolische Komplikationen der antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion. Dtsch. Med. Wschr. 125, 771-773 (2000).

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