Kongress

W. Caesar, B. FesslerPhytotherapie auf dem Vormarsch

Die Hersteller von Phytopharmaka begnügen sich nicht länger mit einer Nische im Arzneimittelmarkt, sondern machen mit innovativen Präparaten auch etablierten Synthetika die Marktposition streitig. Dabei stützen sie sich auf seriöse wissenschaftliche Studien, wie sie von rationalen Arzneimittel zu fordern sind. In der Phytotherapie herrscht große Aufbruchstimmung - das war der Eindruck, den jeder Teilnehmer am 3rd International Congress on Phytomedicine mitnehmen konnte. Der von der Gesellschaft für Phytotherapie (GPT), der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) und der European Scientific Cooperation on Phytotherapy (ESCOP) organisierte Kongress fand vom 11. bis 13. Oktober im Departement für Pharmazie - Zentrum für Pharmaforschung der Universität München statt.

Alte und neue Arzneipflanzen

An dem Kongress nahmen 620 Personen aus 20 Ländern teil, darunter sehr viele aus Übersee. Geboten wurden neun Plenarvorträge, etwa 130 Kurzvorträge, etwa 150 Poster sowie vier Satellitensymposien.

Thematische Schwerpunkte bildeten einzelne altbekannte Arzneipflanzen wie

  • Vitex agnus-castus und Cimicifuga racemosa bei klimakterischen Beschwerden,
  • Hypericum perforatum bei leichten und mittelschweren Depressionen,
  • Ginkgo biloba bei Hirnleistungsstörungen,
  • Viscum album in der Krebstherapie,
  • Salix spec. und Harpagophytum procumbens als Antirheumatika,
  • Echinacea purpurea zur Stärkung des Immunsystems und
  • Allium sativum zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Doch auch vielversprechende Forschungen mit bislang unbekannten Pflanzen wurden vorgestellt. So widmeten mehrere Referenten ihre Ausführungen der in Indien traditionell verwendeten Heilpflanze Phyllanthus amarus, deren Extrakte gegen Hepatitis-B- und -C-Viren wirken; die klinische Prüfung eines Präparates, das die in Martinsried ansässige Firma CMI entwickelt hat, soll noch in diesem Jahr anlaufen. Zahlreiche andere, meist tropische und subtropische Pflanzen zeigten beim Screening in verschiedenen Bioassays interessante virostatische, antikanzerogene oder antiinfektive Effekte. Beim Screening gewinnt in jüngster Zeit das "Genomic Fingerprinting" an Bedeutung: Es zeigt mit Hilfe der quantitativen Polymerase-Kettenreaktion, in welchem Maße die Testsubstanz die Genexpression moduliert; dabei können durch Mikroarray-Hybridisierung der DNA 1000 Gene auf einmal getestet werden.

Bei den meisten Pflanzen, deren Tests vielversprechend verliefen, steht die klinische Forschung freilich erst noch bevor. Immerhin wurde in München ein interessante Rechnung präsentiert: In den USA belaufen sich die Kosten für die Entwicklung eines neuen Synthetikums bis zur Zulassung auf 500 Mio. US-Dollar, bei einer Entwicklungszeit von zwölf Jahren; pflanzliche Arzneistoffe kosten nur ein Zehntel, und ihre Entwicklung dauert nur halb so lange.

Johanniskraut hat Chancen in den USA

Aufgrund der strengen Standards in den USA haben dort die meisten pflanzlichen Präparate nur den Rang eines "Nutraceutical", eines Zwitterwesens von Nahrungs- und Arzneimittel. Etwa 200 Präparate sind unter minimalen Auflagen von der Zulassungsbehörde FDA als "Herbal Supplements" für den OTC-Verkauf zugelassen worden. Diese Präparate sind den Ärzten meistens unbekannt und werden deshalb kaum verschrieben. Andererseits stockt auch der Absatz in der Selbstmedikation, weil die Öffentlichkeit verunsichert ist, nachdem die Medien - großenteils zu Recht - gravierende Qualitätsmangel bei Phytopharmaka angeprangert hatte.

Einige Phytopharmaka-Hersteller bemühen sich, den Status ihrer Präparate durch geeignete Forschungen zu verbessern. Aussichtsreich sind Präparate, die bereits in Deutschland oder in der EU zugelassen sind und auch in Post-Marketing-Studien ihren therapeutischen Nutzen unter Beweis gestellt haben. Dazu gehören Johanniskrautextrakte. Erst kürzlich empfahl das angesehene American College of Physicians Johanniskraut zur Behandlung von Depressionen - eine beachtenswerte Auszeichnung für ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament.

Derzeit läuft in den USA eine multizentrische, dreiarmige Studie, in der ein definierter Johanniskrautextrakt gegen Plazebo und Sertralin an mäßig bis schwer depressiven Patienten geprüft wird. Die Studien wird mit öffentlichen Geldern gefördert und läuft ein halbes Jahr lang. Sollte sie erfolgreich sein, dürfte der Zulassung des geprüften Extraktes als verschreibungspflichtiges ("ethical") Arzneimittel durch die zuständige Behörde nichts entgegenstehen.

Steht ein Paradigmenwechsel bevor?

In der Arzneitherapie des 20. Jahrhunderts dominierte die chemisch definierte Monosubstanz. Sie schien die beste Gewähr dafür zu bieten, beim Patienten eine gezielte, reproduzierbare und somit vorhersehbare Wirkung zu erzielen. Als Monosubstanzen kamen neben den Synthetika zwar auch isolierte pflanzliche Reinsubstanzen in Betracht, aber weit interessanter erschienen diese Moleküle aufgrund der Möglichkeit, sie durch Abwandlung zu optimieren.

Der große Nachteil von Phytopharmaka war ihre große therapeutische Schwankungsbreite, die wiederum auf eine fehlende oder mangelhafte Standardisierung zurückzuführen war. Nachdem dieser Nachteil heute beseitigt werden kann, kommen die Vorteile von Pflanzenextrakten umso stärker zur Geltung. Hier ist in erster Linie die bessere Verträglichkeit bei gleicher Wirksamkeit zu nennen, die darauf beruht, dass aufgrund synergistischer Effekte der im Extrakt enthaltenen Wirkstoffe eine geringere therapeutische Dosis erforderlich ist als bei Monosubstanzen. Auf diesen Punkt wies der Kongress-Präsident Prof. Dr. Hildebert Wagner, emeritierter Ordinarius für Pharmazeutische Biologie in München, ausdrücklich hin.

Den Chancen, die sich rationalen Phytopharmaka prinzipiell bieten, steht allerdings eine unsichere Rechtslage gegenüber, die manchen Unternehmer daran zweifeln lässt, ob sich seine Investitionen in die pharmakologische und klinische Forschung amortisieren.

Schutzrechte für rationale Phytopharmaka

Deutschland nimmt den weltweit ersten Platz nicht nur in der Herstellung und Anwendung von Phytopharmaka ein, sondern auch in ihrer wissenschaftlichen Erforschung. Neben den einschlägigen Universitätsinstituten engagieren sich selbstverständlich auch die qualitätsbewussten Hersteller in der Forschung. Um ihre Aktivitäten der Öffentlichkeit zu kommunizieren und Einfluss auf die Gesundheitspolitik zu nehmen, haben sie das Komitee Forschung Naturmedizin (KFN) gegründet, das auch auf dem Phytomedizin-Kongress präsent war.

Prof. Dr. Michael Popp, Vorsitzender des KFN, beklagte, dass die hohen Investitionen der Phytopharmaka-Hersteller in die pharmakologische und klinische Forschung weder von der Politik, noch von den Krankenkassen, noch von Ärzteverbänden ausreichend gewürdigt werden. Pflanzliche Arzneimittel der unterschiedlichsten pharmazeutischen und therapeutischen Qualität würden selbst in Fachkreisen oft "in einen Topf geworfen", sofern nur die Ausgangsdroge identisch sei. Das heißt, dass die für die einzelnen Präparate (nicht für die Droge) spezifischen und deklarierten Qualitätsmerkmale oft nicht zur Kenntnis genommen werden.

Zu diesem an sich schon bedauerlichen Umstand komme erschwerend hinzu, dass positive Ergebnisse klinischer Studien, die ein Hersteller mit einem bestimmten Präparaten hat durchführen lassen, auch von seinen Konkurrenten zur Bewerbung ihrer eigenen Präparate eingesetzt werden können. Wer eine kostspielige Forschung betreibt, müsse deshalb für die verwertbaren Resultate, die er damit erzielt hat, einen gesetzlichen Urheberschutz vor solchen "Trittbrettfahrern" erhalten. Auch Universitätsprofessoren sprachen sich für einen Patentschutz an Phytopharmaka - bzw. generell für innovative Erkenntnisse, die bei der Erforschung von Pflanzen gewonnen wurden - aus. Das häufig vorgebrachte Argument, dass niemandem ein exklusives Nutzungsrecht über irgendwelche Naturprodukte eingeräumt werden könne, wies Prof. Dr. Theo Dingermann, Münster, für solche Fälle zurück, in denen sich die kommerzielle Nutzungsmöglichkeit direkt aus der investierten Forschung ableitet.

Im Übrigen wollte Dingermann hier zwischen Naturprodukten und Synthetika keinen prinzipiellen Unterschied gelten lassen: Wer neue Einsatzmöglichkeiten für bereits bekannte Stoffe findet, müsse für diese Innovation belohnt werden, indem er für die entsprechende praktische Anwendung (und nur für diese) ein zeitlich begrenztes exklusives Nutzungsrecht - eben ein Patent - erhält.

Preis für Forschung über Cimicifuga

Den Rudolf Fritz Weiß Preis der Gesellschaft für Phytotherapie erhielt Dr. Anke Löhning für ihre an der Universität Münster angefertigte Dissertation über die Trauben-Silberkerze (Cimicifuga racemosa).

Extrakte aus dem Cimcifuga-Wurzelstock sind als Arzneimittel gegen klimakterische Beschwerden auf dem Markt und bieten sich als pflanzliche Alternative für die Hormonsubstitutionstherapie an.

Insbesondere vermögen sie die Hitzewallungen, die bestimmte Areale der Körperoberfläche betreffen, zu lindern. Doch ist ihr Wirkmechanismus noch weitgehend unbekannt. Bisher wurde vor allem ein Effekt auf den Östrogenrezeptor vermutet.

Löhning wies in unterschiedlichen Testsystemen mit Mäusen und Ratten eine dopaminerge Wirkungsweise nach. So senkte der Cimicifuga-Extrakt die Hauttemperatur über den D2-Rezeptor. Wie andere dopaminerge Substanzen hemmte er die Sekretion von Prolactin. Nach Gabe des Extraktes an die Versuchstiere verkürzten sich deren Ketamin-induzierte Schlafzeit und die Dauer der Unbeweglichkeit im "tail suspension test". Andererseits zeigte sich im In-vitro-Test mit MCF-7-Zelllinien (Mammakarzinom) ein dem 17alpha-Estradiol vergleichbarer Effekt.

Der hier eingestellte Artikel ist ein Auszug aus dem Kongressbericht. Den vollständigen Bericht können Sie in der Printausgabe der DAZ lesen.

Die Hersteller von Phytopharmaka begnügen sich nicht länger mit einer Nische im Arzneimittelmarkt, sondern machen mit innovativen Präparaten auch etablierten Synthetika die Position streitig. Dabei stützen sie sich auf seriöse wissenschaftliche Studien, wie sie von rationalen Arzneimitteln zu fordern sind. In der Phytotherapie herrscht große Aufbruchstimmung – das war der Eindruck, den jeder Teilnehmer am 3. Internationalen Phytomedizin-Kongress mitnehmen konnte. Der Kongress fand vom 11. bis 13. Oktober in München statt.

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