Feuilleton

"Fuchskraut" und Digitalis

Im Jubiläumsjahr des Kräuterbuchautors Leonhart Fuchs (1501 - 1566) kommt bei einer Pflanze wie "Fuchskraut" schnell der Verdacht auf, dass sie ihren Name diesem "Vater der Botanik" verdankt. Das ist hier - anders als bei der Fuchsie oder dem Fuchs-Kreuzkraut - zwar nicht der Fall. Jedoch hat Fuchs dem "Fuchskraut" seinen heute noch gültigen wissenschaftlichen Namen "Digitalis" gegeben.

Der Name "Fuchskraut" steht in der mittelalterlichen Heilkunde des deutschsprachigen Gebietes einzigartig da [6]. Begegnet man heutzutage Wortschöpfungen für Pflanzen mit dem Wortfragment "Fuchs-", handelt es sich meist um Namen zu Ehren des Botanikers und Medizinprofessors Leonhart Fuchs. Hier seien zum Beispiel das Fuchs-Kreuzkraut (Senecio nemorensis L. ssp. fuchsii [Gmel.] Celak) und die Fuchsie (Fuchsia triphylla L.) erwähnt. Welche Pflanze steht nun hinter dem mittelalterlichen "Fuchskraut", und woher stammt sein Name?

Pflanzen und Tiere

Pflanzen werden nicht selten mit Tiernamen in Verbindung gebracht, und zwar aus ganz verschiedenen Gründen: So können äußerliche Merkmale der Pflanze an bestimmte Tiere oder Tierteile erinnern (z. B. Löwenzahn, Löwenmäulchen). Aber auch die medizinische Wirkung der Pflanze bei Verletzungen durch bestimmte Tiere kann Grund sein, weshalb dem Gewächs ein entsprechender Name gegeben wurde.

Darüber hinaus kann durch einen solchen Namen auch die giftige, abwehrende ("repellente") oder anziehende Eigenschaft der Pflanze auf ein bestimmtes Tier ausgedrückt werden: So erhielt das Flohkraut seinen Namen, da man feststellte, dass es Flöhe und Mücken vertreibt; die Melisse wird auch "Biensaug" genannt, da sie die Bienen bei der Nektarsuche anzieht.

Der tierbezogene Name einer Pflanze kann aber auch ihren relativen Stellenwert gegenüber ähnlichen Pflanzen anzeigen, wie es bei der Hundskamille und der Echten Kamille der Fall ist. Welche Kriterien für das "Fuchskraut" infrage kommen, soll an späterer Stelle diskutiert werden; zuvor muss geklärt werden, welche Pflanze sich hinter dem Namen verbirgt.

Wozu braucht der Fuchs Handschuhe?

Um das Geheimnis zu lüften, müssen wir über die deutschsprachigen Grenzen hinausblicken. Die englischsprachige Literatur kennt ein "foxglove", also einen "Fuchs-Handschuh". Es gibt zahlreiche Variationen dieses Namens, welche hier nicht alle erwähnt werden sollen. Auch im Norwegischen gibt es entsprechende Pendants: "Revabjølla" (Fuchsschelle) und "Røvhanske" (Fuchshandschuh) [8]. Im Deutschen gab es ein "Fuchskraut", welches aber ausschließlich von Heinrich von Pfalzpaint, einem Mitglied des Deutschen Ordens, in seiner "Wündärznei" von 1460 so benannt wurde [4]. In allen Fällen verbirgt sich hinter dem "Fuchs-Gewächs" der in der Antike unbekannte Fingerhut.

Man erklärt sich die sprachliche Verwandtschaft der englischen und norwegischen Fingerhut-Namen durch die enge Beziehung beider Länder in Zeiten der Völkerwanderung. Woher der deutsche Name stammt, ist nicht ganz klar. Möglicherweise haben ihn irische oder schottische Mönche, welche im Frühmittelalter auf dem Festland missionierten, mitgebracht [8]. Vielleicht ist der Name auch erst Jahrhunderte später über die Ostsee in die Gebiete des Deutschen Ordens gelangt.

Welches Merkmal des Fingerhuts könnte den Bezug zum Fuchs hervorgebracht haben? Zu diskutieren ist zum einen die rote Blütenfarbe von Digitalis purpurea L., welche an das Fell des Fuchses erinnern könnte, sowie ihr Standort im Wald, wo sich auch der Fuchs aufhält. Zum anderen spielt der Fingerhut in der englischen Mythologie eine bedeutende Rolle: Als Sinnbild zwischen Schönheit und Zauberei sowie List und Boshaftigkeit liegt ein Vergleich mit dem Fuchs nahe. Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich [7].

Digitalis als Arzneipflanze

Wie bereits angedeutet, kannte man in der Antike den medizinischen Einsatz von Digitalis nicht. Für das Mittelalter gibt es nur wenige Quellen, die eine medizinische Verwendung beschreiben. So stammen die Zeugnisse vorwiegend aus dem keltischen Bereich: Die erste heilkundliche Erwähnung liefert das walisische Arzneibuch "Meddygon Myddfai" aus dem 13. Jahrhundert, wo der in diesem Gebiet (wie im gesamten atlantischen Europa von Portugal über Frankreich und Westdeutschland bis Norwegen) heimische Rote Fingerhut (Digitalis purpurea) äußerlich gegen Schwellungen und Abszesse sowie innerlich bei Kopfschmerzen eingesetzt wurde [2].

Dass auch der Ordensritter Heinrich von Pfalzpaint das "Fuchskraut" erwähnt, ist sehr erstaunlich. Er nennt nicht nur den Namen, sondern gibt auch eine kurze botanische Beschreibung. So geht er in seiner Wundarznei auch bei anderen Pflanzen vor, wenn er sie für nicht allgemein bekannt hält; dies diente zur sichereren Identifizierung.

An drei verschiedenen Stellen berichtet Pfalzpaint vom "Fuchskraut":

  • Im Kapitel II.134 ([4], S. 93) zählt er eine Reihe von Kräutern zur Bereitung eines Wundtrankes auf. Da heißt es: "Das sein die krewter tzw diessem wundtrangk. fuchs krawth, hat geele blumen, gestalth mith der form, also die glockenn." Das Kraut hat also gelbe glockenförmige Blüten. Pfalzpaint berichtet, dass dieser Trank seiner Erfahrung nach eine starke Wirkung besitzt; ausdrücklich erwähnt er, dass er ihn häufig eingesetzt und bereits viele Patienten damit geheilt habe.
  • Das Kapitel II.165 ([4], S. 112) beschreibt die Rezeptur der Pappelsalbe. Neben den Pappelknospen folgt eine Vielzahl von Kräutern, worunter auch das "Fuchskraut" gelistet ist, mit einer gleichbedeutenden Beschreibung: "fuchs krawth, hath geele glockenn blumen".
  • Die dritte Nennung erfolgt in einem Pflasterrezept (Kap. II. 152; [4], S. 105), welches für Wunden und Knochenbrüche verordnet wurde.

Es fällt auf, dass die drei Rezepte für traumatologische Bereiche wie Wunden und Geschwüre eingesetzt wurden. Nochmals muss hervorgehoben werden, dass im ersten Fall ein innerlich anzuwendender Trank beschrieben wird.

Digitalis grandiflora oder D. purpurea?

Es stellt sich die Frage: Welche Digitalis-Art verbirgt sich hinter Pfalzpaints "Fuchskraut"? Da er von einer gelbblühenden Pflanze berichtet, kann der Rote Fingerhut - der auf den Britischen Inseln verwendet wurde - ausgeschlossen werden. Infrage kommen die in Deutschland heimischen Arten Digitalis grandiflora Mill. (Großblütiger gelber Fingerhut) und Digitalis lutea L. (Kleinblütiger gelber Fingerhut) [1, 5]. Da diese beiden Arten bastardisieren können, ist es nicht möglich, eine eindeutige Zuordnung vorzunehmen. Auch die Verbreitungsgebiete der Pflanzen helfen nicht weiter: D. grandiflora hat zwar das größere Verbreitungsgebiet von Ostfrankreich bis nach Moskau, während Digitalis lutea sich überwiegend auf Frankreich, Italien und den südwestdeutschen Raum beschränkt. Aber Pfalzpaint stammte aus Süddeutschland und könnte in seiner Heimat Digitalis lutea kennen gelernt haben, bevor er in den preußischen Ordensstaat ging.

Der Fingerhut bei Fuchs

Auch Leonhart Fuchs hat dem Fingerhut ein Kapitel gewidmet. Von ihm stammt die in der deutschsprachigen Literatur erste Abbildung und Beschreibung des Fingerhuts. Die Anordnung an vorletzter Stelle in seinem 346 Kapitel umfassenden New Kreüterbuch lässt bereits den geringen Stellenwert der Digitalis zu dieser Zeit ahnen.

Das Kapitel beginnt mit der Überschrift "Von Fingerhutkraut". Fuchs weist auf die Ähnlichkeit der Blüten mit einem Fingerhut hin, wie man ihn für Nähzwecke benötigt. Dieser Vergleich hat der Pflanze den Namen gegeben. Da er in der Literatur keinen anderen Namen für die Pflanze gefunden hat, merkt er an, dass die Pflanze den früheren Medizinern vielleicht unbekannt war; so übersetzt er selbst den Namen Fingerhut ins Lateinische und nennt die Pflanze "Digitalis" (lat. digitus = Finger).

Fuchs unterscheidet zwei Arten, nämlich den "Braunen Fingerhut", der der Digitalis purpurea entspricht, und den "Gelben Fingerhut"; beide unterscheiden sich allein in der Farbe der Blumenkrone. Wie bereits erwähnt, ist die Identifizierung des "Gelben Fingerhuts" schwierig. Allerdings verhilft die Fuchs'sche Abbildung zu einer vorsichtigen Zuordnung. Die prinzipielle Ähnlichkeit mit D. purpurea, die ähnlich großen Blüten und die innen braun gefleckte Blumenkrone sprechen für Digitalis grandiflora. Im Vergleich dazu besitzt Digitalis lutea wesentlich kleinere Blüten und Stängel; ihre Blätter sind kahl, während die beiden zuvor erwähnten Arten an Blattunterseite und Stängel flaumig behaart sind.

Warm und trocken

Interessant ist der Hinweis von Leonhart Fuchs, dass er die Pflanze nur wegen ihres "lustigen" Aussehens beschreibt. Die Ärzte verwenden das Kraut nach seiner Kenntnis nicht. Dennoch teilt er den Fingerhut in das humoralpathologische Schema ein: "Fingerhutkreüter seind warm vnd trucken." Diese Eigenschaften leitet er aus dem bitteren Geschmack des Krauts ab. Er vergleicht die Wirkung des Krauts mit der des Enzians. Gründe dafür sind sicherlich der bittere Geschmack, aber auch die gelbe Farbe der Blüten, ihr Standort ("wachsen gern auff den bergen") und ihre Seltenheit können solche Zuordnungen erhärten.

In der Rubrik "Kraft und Wirkung" heißt es, dass ein Trank aus Fingerhutkraut purgierende Eigenschaften habe. Diese innerliche Einnahme von Fingerhut beruht wohl auf volksmedizinischer Überlieferung (wie auch bei Pfalzpaint), denn Fuchs hat den Einsatz von Digitalis in der wissenschaftlichen Medizin bereits ausgeschlossen. Darüber hinaus kennt er die Anwendung des Krauts in der Wundheilkunde: In gepulverter Form in die Wunden gestreut, sollen diese schnell verheilen. Diese Indikation fehlt beim Enzian, was durchaus darauf hinweist, dass der Fingerhut als Mittel bei Wunden und Geschwüren bekannt war.

An dem Beispiel der Digitalis kann gezeigt werden, dass die Wundärzte des Mittelalters - zu denen auch Heinrich von Pfalzpaint gehörte - teilweise mit hochwirksamen Arzneien behandelten. Ein weiteres Beispiel sind die Schlafschwamm-Rezepte. Da aus heutiger Sicht viele Risiken mit einer solchen Therapie verbunden sind, muss es sehr präzise Angaben zu den verwendeten Drogenmengen gegeben haben.

Allerdings fällt auf, dass gerade bei diesen Rezepten diese wichtigen Angaben fehlen. Das erhärtet den Verdacht, dass die Angaben nur in Geheimschriften standen, welche nicht jedermann zugänglich waren. Der Wundarzt Heinrich von Pfalzpaint und der Medizinprofessor Leonhart Fuchs haben ihr Wissen über den Fingerhut aus unterschiedlichen Quellen geschöpft. Pfalzpaint hat zwar als erster deutschsprachiger Autor das "Fuchskraut" erwähnt; dennoch haben wir Leonhart Fuchs den noch heute gebräuchlichen Namen "Digitalis" zu verdanken. Er war der erste Schulmediziner, der dieser Pflanze trotz persönlicher Skepsis ein Kapitel mitsamt Abbildungen in einem Lehrbuch, seinem New Kreüterbuch, gewidmet hat.

Literatur [1] Johannes Abromeit, Alfred Jentzsch und Gustav Vogel, Flora von Ost- und Westpreußen, Berlin 1898. [2] Peter Dilg, Fingerhut, in: Lexikon des Mittelalters IV (1989), Sp. 474 f. [3] Leonhart Fuchs, New Kreüterbuch, Basel 1543. [4] Heinrich Haeser und Albrecht Theodor Middeldorpf, Buch der Bündth-Ertznei von Heinrich von Pfolsprundt, Bruder des deutschen Ordens, 1460, Berlin 1868. [5] Martin Luckner und Max Wichtl, Digitalis: Geschichte, Biologie, Biochemie, Chemie, Physiologie, Molekularbiologie, Pharmakologie, Medizinische Anwendung, Stuttgart 2000. [6] Heinrich Marzell, Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, I - V, Leipzig [1937 -] 1942 - 1972, Bd. III (ab Sp. 481) und IV hrsg. von Heinz Paul, Stuttgart und Wiesbaden 1976 - 1979; hier Bd. II, Sp. 127 - 136. [7] Heinrich Marzell, Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen, Stuttgart 1938. [8] Adelheid Overhamm, Zur Geschichte der Digitalis unter besonderer Berücksichtigung ihrer äußerlichen Anwendung, Würzburg 1976 (= Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 14).

Der vorliegende Aufsatz ist Teil der Dissertation "Über die Wündärznei des Deutschordensritters Heinrich von Pfalzpaint". Diese fächerübergreifende Promotion wird angeleitet von Prof. Dr. Dr. h. c. Franz-Christian Czygan (Pharmazeutische Biologie der Universität Würzburg) und von Prof. Dr. Dr. Gundolf Keil (Geschichte der Medizin der Universität Würzburg).

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.