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- DAZ 16/2002
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Berichte
Doping: Der Fall Baumann
Sörgel, der von der Staatsanwaltschaft Tübingen mit der Untersuchung des Falles Baumann sowohl in analytischer als auch pharmako-kinetischer Hinsicht beauftragt worden war, gab den Zuhörern andere Informationen, als in der Öffentlichkeit über diesen Dopingfall bekannt geworden sind, zum Beispiel, dass bei Baumann insgesamt viermal der Dopingstoff Norandrostendion bzw. seine Abbauprodukte gefunden wurden.
Applikation mit der Zahnpasta
Sörgel zeigte auf, dass bei Baumann sogar ein sehr gezieltes, gut überlegtes Doping stattgefunden haben kann, da die Verabreichung über die Zahnpasta eine Reihe von Vorteilen hat. Hierbei wird z. B. der erhebliche First-pass-Effekt der meisten anabolen Dopingmittel umgangen und vor allem eine sehr schnelle Wirkung erzielt.
So lässt sich auch erklären, warum sich Baumann bei einem Wettbewerb in Leverkusen am 5. September 1999 angeblich, "um sich mental vorzubereiten", etwa neunzig Minuten vor dem Wettkampf die Zähne putzte. Gerade an diesem Beispiel zeigte Sörgel, wie die deutsche Öffentlichkeit durch den Athleten und seine Helfershelfer aus dem Bereich bestimmter Medien falsch informiert wurde.
Anabolika als Einstiegsdrogen für Opiate
Sörgel behandelte in seinem weit gefassten Vortrag auch die Leistungssteigerung durch verbotene oder obskure Substanzen in den Freizeit-Sportarten. Teils soll hier durch Eiweißpräparate und Energiedrinks die Leistungsbereitschaft erhöht werden, teils soll durch physiologisch stark wirksame Substanzen die Kraft und Muskelmasse vermehrt werden.
Als anabole Substanzen, welche die Proteinbiosynthese im Körper steigern, dienen nicht nur anabole Steroide wie das im Fall Baumann in den Urinproben nachgewiesene Nandrolon, sondern auch Schilddrüsenhormone und Insulin. Auch Naturstoffe wie das Flavonderivat Chrysin, das in hohen Dosen als Aromatase-Hemmstoff wirkt und somit die Umwandlung von Testosteron-Derivaten in Östrogene unterbindet, kommen zum Einsatz.
Eine neuere Untersuchung der Harvard-Universität hat gezeigt, dass stark drogenabhängige Menschen bis zum Alter von etwa 28 Jahren in 13 Prozent der Fälle ihre "Drogenkarrieren" mit anabolen Steroiden begonnen haben. Die Substanzen erhöhen, wenn sie entsprechend (z. B. über die Zahnpasta) verabreicht werden, über eine Stimulation des Gehirnes sehr schnell die Leistungsbereitschaft.
Dieser zentralstimulierenden Wirkung – so die Harvard-Untersuchung – muss dann später durch sedierende Medikamente gegengesteuert werden, sodass aus einem Steroidabhängigen sehr schnell ein Opiatabhängiger werden kann.
Haaranalyse umstritten
Am Rande des Vortrages äußerte sich Sörgel kritisch zum Thema Haaranalyse. Wenn diese Methode etwas taugt, dann hätten sich die vier Positiv-Nachweise des Dopingstoffes – sowie nachweislich zehn weitere positive Proben – in einer positiven Haaranalyse niederschlagen müssen.
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