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Feuilleton
Pathologie, Pharmakologie, Bakteriologie: Naturwissenschaftliche Grundlage der M
Revolution der Medizin
Die Französische Revolution erfasste das gesamte gesellschaftliche Leben, so auch die Medizin. Eine ihrer Forderungen lautete: Die Hôpitaux généraux sollten abgeschafft werden. Die sozial schwachen und hilfsbedürftigen Menschen, die in diesen Häusern lebten, würden unterdrückt. Auch seien die Armenhäuser Keimzellen für Epidemien. Stattdessen müssten für Unbemittelte menschenwürdige soziale Einrichtungen geschaffen werden, für Kranke hingegen Krankenhäuser, die sich auch zusehends spezialisieren sollten.
Auch gegenüber psychisch kranken Menschen änderte sich die Einstellung. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurden sie als gemeingefährlich angesehen. Ähnlich wie Verbrecher legte man sie in Ketten. Es ist das Verdienst des Pariser Internisten Philippe Pinel (1745 – 1826), dass er Geisteskranke als behandlungsbedürftige Menschen definierte und anhand der Symptomatik psychische Krankheiten klassifizierte. Er ging als "Befreier der Geisteskranken" in die Geschichte ein.
Eine weitere medizinische Revolution war der Beginn der klinischen Forschung: Man gewann neue Erkenntnisse durch die Beobachtung der Patienten, jeder Krankheitsfall wurde sorgfältig dokumentiert. Auch die Pathologie entwickelte sich: In großen Krankenhäusern wurde es üblich, jeden verstorbenen Patient zu sezieren. Einen weiteren Fortschritt brachten neue chemische und physikalische Untersuchungsmethoden mit Geräten, die teilweise eigens zu diesen Zwecken erfunden worden waren.
Märzrevolution und medizinischer Fortschritt
In Deutschland gilt Rudolf Virchow (1821 – 1902) als Wegbereiter der klinischen Medizin. Wie viele junge Ärzte seiner Generation höchst unzufrieden mit dem medizinischen Standard im deutschsprachigen Raum, nahm er im März 1848 an der Revolution teil. Virchow und seine Berufskollegen forderten eine Neustrukturierung der medizinischen Ausbildung. Die Basis dafür sollten künftig die Fächer Anatomie und Physiologie bilden, forderten die Querdenker.
Weil er aufgrund dessen in politische Schwierigkeiten geriet, ging Virchow 1849 als Anatom nach Würzburg. Sieben Jahre später kehrte er nach Berlin zurück und wirkte hier als Direktor des neuen Pathologischen Instituts.
Labormedizin und Pharmakologie
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich die Medizin neu zu orientieren: Auf der Basis neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse konnte man nun zeigen, dass die Prozesse im Organismus nicht von einer "Lebenskraft", sondern allein von physikalischen und chemischen Gesetzen beeinflusst werden. Auch forschten die Ärzte zusehends nach Kausalbeziehungen.
Folglich wurde in der medizinischen Ausbildung das Philosophikum durch das Physikum abgelöst. Auch setzte sich die Einsicht durch, dass neue Erkenntnisse über physiologische Funktionen des Organismus und ihre krankhaften Störungen vor allem durch das quantifizierende Experiment erworben werden können. In diesem Sinne entwickelte sich die Labormedizin.
Als weitere Grundlagenwissenschaft der naturwissenschaftlich orientierten Medizin kam die Pharmakologie hinzu. Rudolf Buchheim (1820 – 1879) gilt als Vater dieser zwischen Physiologie und experimenteller Pathologie anzusiedelnden Wissenschaft. Sein Schüler Oswald Schmiedeberg (1838 – 1921), der an der 1872 neu gegründeten deutschen Universität Straßburg das Institut für Pharmakologie aufbaute und leitete, verbreitete sie in aller Welt.
Antiseptik senkte die Mortalität
Als "Retter der Mütter" ging Ignaz Philipp Semmelweis (1818 – 1865) in die Medizingeschichte ein. Der Gynäkologe hatte beobachtet, dass die Mortalität auf seiner Station wesentlich höher war als in Wöchnerinnenzimmern, die von Hebammen betreut wurden. Als Ursache erkannte er: Die Studenten wuschen sich nach der Arbeit im Seziersaal nicht die Hände und übertrugen "Leichenteilchen, die in das Blutgefäßsystem gelangen".
Durch die Desinfektion mit Chlorkalk gelang es, die Erkrankungen an Kindbettfieber deutlich zu senken. Wenngleich Semmelweis von den Fachkollegen zunächst angefeindet wurde, setzte sich schließlich doch die von ihm geforderte Antiseptik zur Vermeidung von Infektionen durch. Von hier war der Weg zur Aseptik nicht mehr weit.
Identifizierung pathogener Bakterien
Einen großen Fortschritt bei der Suche nach den Krankheitsursachen brachte die medizinische Bakteriologie. Ihr Hauptbegründer, Robert Koch (1843 – 1910), entwickelte naturwissenschaftliche Standardmethoden, mit denen er erstmals nachwies, dass Cholera, Milzbrand, Pest und andere Infektionskrankheiten durch spezielle Bakterien verursacht werden.
Als Koch 1882 den Tuberkelbazillus isolierte, jubelten die Leipziger Medizinstudenten, dass nun wieder ein medizinisches Problem gelöst worden sei. Begeistert glaubte man an den immerwährenden Fortschritt. Die hygienischen Bedingungen in den Krankenhäusern ließen jedoch noch zu wünschen übrig. Zahlreiche Patienten starben an Infektionen, welche sie sich im Krankenhaus zuzogen.
Schmerzfrei operieren – der Segen der Anästhetika
Opium wurde schon in der Antike als Betäubungsmittel appliziert. Um 1804 entdeckte der Paderborner Apothekergehilfe Wilhelm Sertürner (1783 – 1841) den Wirkstoff der Droge, das Morphin, das lange Zeit das einzig mögliche Medikament zur Linderung schwerer Schmerzen blieb.
Für die sensationellen Fortschritte der Chirurgie war die Entwicklung neuer Anästhetika entscheidend. Der amerikanische Zahnarzt Horace Wells (1815 bis 1848) führte 1844 in seiner Praxis die Anästhesie mit Lachgas (Distickstoffmonoxid, "Stickoxydul") ein. Es war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Laughing-gas-parties zur Volksbelustigung verwendet worden. Wells' Demonstration einer Lachgas-Narkose am Massachusetts General Hospital in Boston 1845 misslang indessen, vermutlich, weil er es zu gering dosiert hatte.
Ein Jahr darauf extrahierte der Zahnarzt William Thomas Green Morton (1819 – 1868) im selben Krankenhaus erstmals einen Zahn unter Ethernarkose. Ebenfalls 1846 gelang es John Collins Warren (1778 – 1856) in Boston, bei einem vollnarkotisierten Patienten einen Tumor zu entfernen. Weitere Meilensteine in der Geschichte der Chirurgie:
- 1881 wurde erstmals ein Magen reseziert,
- 1882 erfolgte die erste Gallenblasenoperation,
- 1884 die erste Augenoperation unter Lokalanästhesie mit Cocain durch Carl Koller (1857 – 1944),
- 1885 wurde eine Appendizitis erfolgreich operiert.
Künstliche Zähne – nicht nur der Schönheit wegen
Auch in der Zahnmedizin wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Behandlungsmöglichkeiten durch technische Innovationen erheblich verbessert. Das betraf insbesondere die Qualität der Prothesen. Zahnersatz kannten zwar schon die Etrusker, doch trugen sie ihn lediglich aus kosmetischen Gründen.
Und noch von George Washington wird berichtet, dass er festliche Bankette vorübergehend verließ, um diskret seine Zahnprothese aus dem Mund zu nehmen und etwas zu essen. Nun aber wurden die Zahnprothesen so hergestellt, dass sie auch ein funktioneller Zahnersatz waren. Auch die konservative Behandlung der Zähne wurde verbessert: Ende des 19. Jahrhunderts wurden die zu diesem Zweck entwickelten Bohrmaschinen in Serie gefertigt.
1895 entdeckte der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen (1845 bis 1923) "eine neue Art von Strahlen", welche ganz neue diagnostische und therapeutische Verfahren ermöglichten.
Nach einem Referat von Prof. Dr. Ingrid Kästner, Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Leipzig.
Kasten:
Berliner Medizinhistorisches Museum, Auf dem Gelände der Charité, Eingang Schumann-/Luisenstraße, 10117 Berlin, Geöffnet: Di – So 10 – 17 Uhr, Mi 10 – 19 Uhr, Tel. (0 30) 4 50 53 60 49 Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Augustusplatz 10 – 11, 04109 Leipzig, Geöffnet: Mo – Do 7.30 – 16.00 Uhr, Fr 7.30 – 15.00 Uhr, Tel. (03 41) 9 72 56 00, www. uni-leipzig.de/pksi/
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