Feuilleton

Rezension: Von Alchimisten und Pfaffen

Müssen Chemiker von den theologischen Dingen Kunde haben und sollten Theologen gleichfalls mit der Naturwissenschaft auf vertrautem Fuße stehen? Ų Diese Frage ist schon lange beantwortet. Die Theologie fühlt sich heute vor allem durch die Umweltbewegung und jüngst durch die Provokationen der Gen- und der Reproduktionsbiologie herausgefordert. Umgekehrt verlangt es den Naturwissenschaftler aus selbigen Gründen zuweilen nach metaphysischer oder sogar christlicher Erbauung. Ja, beide sollten von einander wissen.

Brücke der Erkenntnis

Helmut Klotz, der Autor des angezeigten Büchleins, sieht die Welt speziell durch die chemische Brille. Wie der Titel "Der Pfaffe und der Alchimist" andeutet, will er eine Brücke der Erkenntnis bauen, die beide Seiten beschreiten können. Die Polarisierung von Geistlichen und Chemikern muss seiner Ansicht nach überwunden werden. Denn ohne Realien lasse sich der Glaube nicht verkünden. Nicht von ungefähr gingen wichtige Entdeckungen und Erfindungen der Chemie auf Geistliche zurück.

Chemie – die "Sünde des 20. Jahrhunderts"

Es verwundert also nicht, dass der promovierte Chemiker eine Lanze für sein Fach bricht. In systematischem Denken geschult, teilt er gleich zu Beginn die Sünden der Welt taxonomisch in die sieben Todsünden, die himmelschreienden Sünden, die neun fremden Sünden und die Sünde wider den heiligen Geist. Über allen thront als die Mutter aller Sünden die Erbsünde.

Er belässt es aber nicht bei der Aufzählung, die er aus historischen Quellen geschürft hat, sondern gesellt die Chemie als Sünde des 20. Jahrhunderts hinzu. Denn weite Teile der Gesellschaft fassten seiner Ansicht nach diese Disziplin als Sünde wider die Natur auf. Das kann ein Chemiker natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Er lässt deshalb den Leser ungehindert Teil haben an seinen Erkundungen.

Speiseverbotrational erklärt

Der Autor klopft die Bibelverse auf ihren Gehalt an naturwissenschaftlich nachvollziehbaren Aussagen ab und spekuliert über ihren rationalen Kern. Klotz belässt es nicht bei der Interpretation nach biblischer Exegese, sondern zieht auch andere historische Quellen zu Rate, wie das folgende Beispiel zeigt. "Und alles, was auf Tatzen geht, soll euch unrein sein." (3. Buch Moses 11,5) Er stellt fest, dass die Leber von Tieren mit Tatzen, die gleichzeitig Fleischfresser sind, das Vierzigfache an Vitamin A enthält als die von Pflanzenfressern.

Der Tod einer Frau, deren 1,6 Mio. Jahre altes Skelett in Kenia gefunden worden ist, wird mit einer Vitamin-A-Vergiftung in Zusammenhang gebracht. Das ist dem Autor Hinweis genug, um zu vermuten, dass das Speiseverbot mit zu viel genossener Katzenleber zusammenhängt.

Erstaunliche Kenntnisse

Neben solchen eher spekulativen Erklärungen stehen auch überraschend einleuchtende, wie die Geschichte über die Wasser der Oase Marah. "Und der Herr zeigte ihm ein Stück Holz, Mose warf es in das Wasser, da wurde es trinkbar." (2. Buch Mose 15,25) Der sonderbare Vorgang beschreibt nach Klotz eine schlichte Wasserenthärtung mit Holz als Ionentauscher. Der Autor wäre kein Chemiker, wenn er nicht sofort die Reaktionsgleichungen der Cellulose-Polymere mit den Magnesium- und Sulfationen aufgeschrieben hätte.

Das Buch beschäftigt sich mit allerlei Themen, die man in der Bibel nicht unbedingt vermutet. Dass Wasser, Knoblauch oder die Destillation und Wein Themen der Heiligen Schrift sind, wird auch den weniger bibelfesten Leser nicht verwundern; dagegen Parfum, Seife, Spinnenfasern und Sexualaufklärung wohl schon eher.

Das letzte Kapitel gehört dem Chaos. Hier geht der Autor den Posaunen der Offenbarung nach und beschreibt den kommenden Weltuntergang als Folge militärischen Wahns. Er bezieht sich mit dieser Darstellung allerdings auf eine nicht mehr ganz taufrische Warnung aus den Hochzeiten des Kalten Krieges.

Helmut Klotz erzählt seine Geschichten amüsant und mit zahlreichen Querverweisen auf andere Quellen. Seine Erkenntnisse sind mitunter recht überraschend. Insgesamt ein lesenswertes Büchlein für all diejenigen, die gern darüber staunen, was die Alten schon alles wussten (unverständig und technisch antiquiert scheinen die Menschen damals nicht gewesen zu sein), und natürlich für alle, denen die Chemie des Alltags Spaß macht. Auch unbelastet von chemischen Kenntnissen liest sich das Büchlein mit Gewinn.

Narkose in der Bibel?

Wie es sich für einen Naturwissenschaftler gehört, hat Klotz Register und Literaturverzeichnis angefügt. Das Buch ist liebevoll gestaltet und handlich. Wer wieder einmal beim Arzt sitzt, kann nachschlagen, was es mit der Narkose in der Bibel auf sich hat.

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