Meinung

Widerruf der Zulassung von Kava-Extrakten

Vor gut drei Jahren, am 14. Juni 2002, hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung von Kava-Extrakten mit sofortiger Wirkung widerrufen (§ 30 Abs. 3 Satz 2 AMG) und die im Markt befindlichen Präparate zurückgerufen (§ 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Satz 3 AMG). Begründung: schwerwiegende toxische Leberschäden und mangelnder Nachweis der klinischen Wirksamkeit. Von heute auf morgen wurde ein bewährtes pflanzliches Anxiolytikum in Deutschland vom Markt genommen.

Einsprüche von namhaften, mit der Materie vertrauten Fachleuten, eine Stellungnahme der Mitglieder und Stellvertreter der Kommission E [1] und Äußerungen von internationalen Experten und Behörden [2] änderten damals an der apodiktischen Entscheidung nichts, obwohl arzneimittelrechtlich trotz der schwerwiegenden Begründung auch andere Maßnahmen möglich gewesen wären, nämlich strenge Auflagen im Hinblick auf Rezeptpflicht und Indikation, Begrenzung von Dosis und Dauer der Anwendung, Kontrolluntersuchungen oder Ruhen der Zulassung bis zur Abklärung offener Fragen. Inzwischen erlauben neuere Daten eine abschließende Beurteilung.

Hepatotoxizität von Kava-Extrakten

Zum Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung lagen publizierte [3] und firmeninterne Daten [4] zur Toxikologie von acetonischen [3] und ethanolischen Kava-Extrakten [4] bei Maus, Ratte und Hunden vor. Nach wiederholter Applikation über 26 Wochen von 20, 80 und 320 mg/kg KG bei der Ratte und 8, 24 und 60 mg/kg KG beim Hund traten nach dem acetonischen Kava-Extrakt keine Todesfälle und geringfügige Veränderungen im Lebergewebe erst nach hohen Dosen auf. Von der Ratte wurden 20 mg/kg KG und vom Hund 24 mg/kg KG symptomlos vertragen (no effect level). Ähnlich negative Ergebnisse wurden von einem ethanolischen Kava-Extrakt nach 3- bzw. 6-monatiger Applikation von 7,3 und 73 mg/kg KG bei Ratten ermittelt.

Inzwischen liegen weitere experimentelle Daten zum Einfluss von Kava-Extrakten auf Leberfunktionen vor:

  • Ratten, denen 200 und 500 mg eines wässrigen Kava-Extraktes über zwei und vier Wochen verabreicht wurde, zeigten weder Symptome noch eine Beeinflussung der leberspezifischen Enzyme ALT, AST, ALP und LDH sowie von Malondialdehyd als Indikator für die Lipid-Peroxidation [5].
  • Ein ethanolischer Kava-Extrakt sowie die sechs Kavalactone verursachten weder an Rattenhepatozyten noch an HepG2-Zellen (humane Hepatoblastom-Zelllinie) Anzeichen einer Hepatotoxizität (MTT-Test). Bei Ratten lag die EC50 (Konzentration einer Substanz, bei der die Viabilität zum Zeitpunkt der Auswertung 50% beträgt) weit über 500 µg/ml, an HepG2 Zellen konnte sie nicht ermittelt werden [6].
  • Um zu klären, ob bestimmte Cytochrom-P450-Enzyme die Kavalactone zu hepatotoxischen Metaboliten abbauen, wurden Methysticin, Yangonin, Desmethoxyyangonin und ein ethanolischer Kava-Extrakt in MCL-5-Zellen mit CYP1A1, CYP1A2, CYP2A6, CYP2E1, CYP3A4 und Epoxidhydrolase inkubiert. Sämtliche Tests verliefen negativ [7].

Spontane Verdachtsfälle von damals

Das BfArM hatte den Widerruf der Zulassung von Kava-Extrakten auf spontan gemeldete Fälle von Leberfunktionsstörungen bis hin zu Leberkoma, notwendiger Lebertransplantation und Tod in drei Fällen begründet. Die jeweiligen Kasuistiken sind bezüglich Anamnese, Vor- und Begleiterkrankung, Dosis und Dauer der Medikation, Verwendung von chemisch definiertem Kavain, Komedikation, Laborwerten und Histologie unterschiedlich gut und vielfach nur mangelhaft dokumentiert bzw. publiziert, sodass nur in wenigen Fällen die Hepatotoxizität des Kava-Extraktes beurteilt werden konnte. Diese Auffassung wurde von mehreren Autoren [2, 8 bis 13] sowie von der Medicines Control Agency [14] und der EMEA [15] geteilt. Es hätte also, wie mehrfach vorgeschlagen, einer fachspezifischen Einzelprüfung des hepatotoxischen Risikos bedurft. Der Verweis auf Fälle im Ausland wie Kanada, USA und Großbritannien war nicht erlaubt, da die jeweiligen Präparate dort nicht den Status eines Arzneimittels hatten und über ihre Qualität nichts bekannt war; nur der Verweis auf Fälle in der Schweiz war berechtigt, weil dort gleiche Kava-Extrakte wie in Deutschland verwendet wurden.

Nach wie vor ist unverständlich, warum das BfArM voreilig entschieden und nicht einen Konsens mit der Kommission E gesucht hat, die in ihrer Stellungnahme [1] u. a. die Rezeptpflicht, klare Indikation, Dosis und Einnahmedauer der Präparate sowie bei den Patienten die Kontrolle der Leberfunktionswerte und die Beachtung von Komedikationen gefordert hatte.

Humanpharmakologische Studien

Der therapeutische Nutzen eines Arzneimittels kann ausschließlich aufgrund seiner klinischen Anwendung beurteilt werden. Die in experimentellen Versuchen festgestellten pharmakologischen Wirkungen sind lediglich Surrogate, die der humanpharmakologischen und klinischen Überprüfung bedürfen. Zur humanpharmakologischen Wirkung von normierten acetonischen und ethanolischen Kava-Extrakten liegen sieben randomisierte kontrollierte Studien gegen Plazebo, Oxazepam und Diazepam vor [2, 16]. Sie belegen die für Anxiolytika typischen EEG-Veränderungen, jedoch mit einem typischen neurophysiologischen Unterschied zu Benzodiazepinen.

Klinische Studien

Zum Nachweis der klinischen Wirksamkeit sind kontrollierte klinische Studien nach europäischem Standard (CPMP Guidelines) erforderlich. Von acetonischen und ethanolischen Kava-Extrakten liegen ältere Erfahrungsberichte und kontrollierte Studien vor, die bezüglich Studiendesign und statistische Auswertung nicht dem aktuellen Standard genügen. Dennoch ist eine generelle Missachtung dieser älteren Studien nicht gerechtfertigt.

Inzwischen wurden auch die Ergebnisse von Studien mit Kava-Extrakten publiziert, die qualitativ den methodischen Grundsätzen der klinischen Prüfung im Hinblick auf Prüfprotokoll, Einschlusskriterien, Fallzahlschätzung, Zielgrößen, Behandlungsdauer, Festlegung der statistischen Auswertung und Einbeziehung von Kontrollgruppen entsprechen. In diesen randomisierten kontrollierten Doppelblindstudien mit definierter Indikation nach DSM-III-R und international geforderten Prüfkriterien konnte bei Patienten mit Angst, Spannung und Unruhe nicht psychotischer Genese eine signifikant bessere Wirksamkeit der Prüfpräparate gegenüber Plazebo belegt werden.

In einer Meta-Analyse wurden die Daten von vier älteren Studien (1991, 1997, 2001) und zwei jüngeren Studien (2004) mit einem acetonischen Kava-Extrakt auf Publikationsbias, Heterogenität und klinische Wirksamkeit überprüft [17]; dabei wurden die Stufen I (systematischer Review, Basis: randomisierte, kontrollierte Studien) und II (mindestens eine genügend große randomisierte kontrollierte Interventionsstudie) der evidenzbasierten Anforderungen erfüllt und die klinische Wirksamkeit des Kava-Extraktes zweifelsohne bestätigt (Abb. 1). Dies widerlegt die Auffassung des BfArM, dass dessen klinische Wirksamkeit bei Angst, Spannung und Unruhe nicht psychotischer Genese nicht belegt sei.

Schaden für die Phytotherapie

Wer auf Risiken hinweist, erwirbt sich schnell den Ruf eines kritischen Sachverwalters. Dagegen brauchen Überprüfungen und Widerlegungen der Kritik meist längerer Zeit, sind unpopulär und werden deshalb häufig nicht beachtet und verdrängt. Ähnlich verhält es sich mit der wohl einmaligen Entscheidung des BfArM beim Widerruf der Zulassung von Kava-Extrakten mit sofortigem Rückruf der Präparate, ohne dass zuvor die einzelnen Verdachtsfälle bzgl. der hepatotoxischen Befunde überprüft worden waren und die als Beratungsgremium zuständige Kommission E mit ihrer Stellungnahme Gehör gefunden hatte. Die Auffassung des BfArM, dass Kava-Extrakte ein überhöhtes Risiko bei klinischer Unwirksamkeit besitzen, lässt sich nicht nachvollziehen, weil

  • Bewohner von Inseln des Pazifiks seit Jahrhunderten wässrige Kava-Auszüge, die die gleiche interne Zusammensetzung wie industriell hergestellte acetonische und ethanolische Kava-Extrakte aufweisen [18, 19], getrunken haben, ohne dass schwerwiegende Leberschäden bekannt geworden sind,
  • in pharmakologischen Studien keine Hepatotoxizität nachgewiesen wurde und
  • in humanpharmakologischen und klinischen Studien sowie durch eine Meta-Analyse die klinische Wirksamkeit von Kava-Extrakten bei Angst, Spannung und Unruhezuständen nicht psychotischer Genese bestätigt wurde.

In der experimentellen und klinischen Pharmakologie ist es üblich, Daten offen zu legen, zu überprüfen und zu diskutieren, um zu einer fundierten Nutzen-Risiko-Abwägung zu kommen. Nach persönlicher Einschätzung haben die voreilige Entscheidung des BfArM und die populistischen Mitteilungen in der Laienpresse nicht nur Patienten und Ärzte verunsichert, sondern auch der Phytotherapie und damit der therapeutischen Vielfalt geschadet.

 

Literatur
[1]   Kommission E: Erklärung zu Kava-Kava. Z. Phytother. 23,158 (2002).
[2]  Loew D., Gaus W.: Kava-Kava, Tragödie einer Fehlbeurtei- lung. Z. Phytother. 23, 267-281 (2002).
[3] Hölzl J., et al.: Kava-Kava rhizoma (Kavakavawurzelstock). In: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis, 5. Aufl., Band 6. Berlin 1994, S. 201 –221.
[4]  Sorrentino L.: Toxicology Report, Kavapyron Complex (Ka- vasedon). Dept. Exp. Pharmacology, Univ. Neapel. Interner Bericht Fa. Harras Curarina, 1990.
[5]   Singh Y., Devkota A.K.: Aqueous Kava-extracts do not affect liver function tests in rats. Planta Med. 69, 496 –499 (2003).
[6]  Gebhardt R.: Präklinische Untersuchungen zum Nachweis des günstigen Risikoverhältnisses von Kavasedon Kapseln gem. Auflage der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) vom 18.7.00/IKS-Nr. 53269. Interner Bericht Fa. Harras Curarina, 2001.
[7]   Zou L., et al.: Kava does not display metabolic toxicity in a homogeneous cellular assay. Planta Med. 70, 289 –292 (2004).
[8]   Teschke R.: Hepatotoxizität durch Kava-Kava: Risikofaktoren und Prävention. Dtsch. Ärztbl. 99, A 3411 –3418 (2002).
[9]    Teschke R.: Kava-Kava-Pyrone und toxische Leberschäden. Z. Gastroenterol. 41, 395 –404 (2003).
[10]   Teschke R.: Kava-induzierte Leberschäden. Dtsch. Apoth. Ztg. 143, 4011 –4021 (2003).
[11]     Teschke R., Gaus W., Loew D.: Kava extracts: safety and risks including rare hepatotoxicity. Phytomedicine 10, 440 –446 (2003).
[12]    Schmidt M., Nahrstedt A.: Ist Kava lebertoxisch?. Dtsch. Apoth. Ztg. 142, 1006 –1020 (2002).
[13]     Ernst E.: Marktrücknahme des pflanzlichen Anxiolytikums Kava. Nutzen unter-, Risiken überschätzt?. MMW Fortschr. Med. 40, 41 (2002).
[14]    MCA (Medicines Control Agency, London): Assessment Re- port 8. 7. 2002.
[15]     EMEA: Assessment Report 10. 7. 2002.
[16]    Loew D.: Zum Widerruf von Kava-Extrakten. Politikum oder fachliche Fehlbeurteilung?. Ärztez. Naturheilverf. 44, 884 –896 (2003).
[17]     Witte S., Loew D., Gaus W.: Meta-Analysis of the efficacy of the acetonic Kava-Kava extract WS1490 in patients with non- psychotic anxiety disorders. Phytother. Res. 19, 183 –188 (2005).
[18]   Hänsel R., Lazar J.: Kavapyrone. Dtsch Apoth. Ztg. 125,
2056 –2058 (1985).
[19]    Loew D., Franz G.: Quality aspects of traditional and indus- trial Kava-extracts. Phytomedicine 10, 610 –612 (2003).

 

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Dr. med. Dieter Loew Arzt für Pharmakologie

Klin. Pharmakologie Am Allersberg 7

65191 Wiesbaden

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