Arzneimittel und Therapie

Erhöhter Blutdruck: Ab welchen Werten den Notarzt rufen?

Wenn sich beim Blutdruckmessen massiv erhöhte Werte von beispielsweise 220 zu 120 mmHg finden, lautet die erste Frage, ob ein Notfall vorliegt und der Kunde aus der Apotheke sofort in die Klinik muss. Entscheidend ist immer, ob die hohen Blutdruckwerte alleine oder zusammen mit Beschwerden auftreten.

Massive Blutdruckanstiege, die innerhalb kurzer Zeit auftreten, können für einen Menschen fatale Folgen haben und sollten auf keinen Fall unterschätzt werden. Zum Beispiel besteht die Gefahr, dass einzelne Blutgefäße dem Druck nicht mehr standhalten und reißen. Ebenso ist das Herz bedroht, das gegen die hohen Drücke in der Hauptschlagader Blut auswerfen muss und schnell überfordert sein kann. Oft ist auch das Gehirn betroffen, das dem Druck irgendwann nicht mehr gewachsen ist.

Geschwindigkeit des Druckanstiegs beachten

Unsicherheit besteht allerdings häufig bei der Frage, ab welchen Blutdruckwerten denn überhaupt ein Notfall vorliegt und ein Notarzt erforderlich ist. Oft wird in diesem Zusammenhang ein systolischer Wert von 220 mmHg als Grenze genannt bzw. diastolisch von 120 mmHg. Solche Angaben können zwar hilfreich sein, sollten aber immer nur ein grober Anhaltspunkt sein, wie Prof. Dr. med. Kurt Lenz vom Konventhospital der Barmherzigen Brüder in Linz erläuterte. Denn "entscheidend ist nicht der absolute Blutdruck, sondern die Geschwindigkeit des Druckanstiegs, die letztendlich die Autoregulation der Blutgefäße überfordert." Zum Beispiel kann ein Mensch mit einem langjährigen Bluthochdruck so gut an seine hohen Werte adaptiert sein, dass systolische Drücke von über 240 mmHg kurzfristig ohne akute Beschwerden toleriert werden und dann auch kein Notfall vorliegt. Das klassische Gegenbeispiel ist die drohende Eklampsie in der Schwangerschaft, bei der bereits ein Blutdruckanstieg auf systolisch 170 mmHg gefährliche Auswirkungen haben kann, wenn zuvor normale Blutdruckwerte von 120 zu 80 mmHg vorlagen.

Ob erhöhte Blutdruckwerte nun eine notfallmäßige Klinikeinweisung erfordern oder nicht, wird deshalb in der Praxis davon abhängig gemacht, ob gleichzeitig Beschwerden vorhanden sind: Treten die hohen Blutdruckwerte ohne Symptome auf, spricht man von einer hypertensiven Dringlichkeit, die zwar eine rasche ärztliche Abklärung, aber keinen Notarzteinsatz erfordert.

Geht der Blutdruckanstieg dagegen mit Beschwerden einher, ist von einem hypertensiven Notfall auszugehen und auch der Notarzt anzufordern. Dabei muss es sich keinesfalls um dramatische Beschwerden wie etwa Angina-Pectoris-Symptome, Krampfanfälle, Lähmungserscheinungen oder Atemnot handeln, die auch alleine, ohne erhöhte Blutdruckwerte schon einen Notfall darstellen. "Auch vermeintlich harmlosere Krankheitszeichen wie etwa Kopfschmerzen, Übelkeit, verschwommenes Sehen, Nasenbluten oder Benommenheit sind bei einem massiven Blutdruckanstieg typische Warnsignale drohender Organschäden, so dass ein hypertensiver Notfall vorliegt", wie der Internist und Intensivmediziner betont.
 

Was ist zu tun?

hypertensive Dringlichkeit = hohe Blutdruckwerte ohne Symptome => Blutdruck langsam senken

hypertensiver Notfall = massive Blutdruckanstiege mit Symptomen => Blutdruck schnell senken

Welches Medikament muss der Notarzt geben?

Um Organschäden beim hypertensiven Notfall zu vermeiden, wird die medikamentöse Therapie möglichst noch vor dem Transport ins Krankenhaus begonnen. "Ziel ist es, den arteriellen Mitteldruck innerhalb von 30 bis 60 Minuten um 20 bis 30% zu senken", so Lenz. Zum Einsatz kommen dabei in erster Linie Medikamente, die sich sublingual oder intravenös verabreichen lassen, um einen möglichst schnellen Wirkeintritt zu gewährleisten. Mit welchen Antihypertensiva der Notarzt den Blutdruck im Einzelfall senkt, hängt vor allem von den jeweiligen Symptomen ab. Geht der hypertensive Notfall zum Beispiel mit Atemnot und einem Lungenödem aufgrund einer akuten Herzüberlastung einher, sollte vorrangig Nitroglycerin in Kombination mit einem Diuretikum zum Einsatz kommen. Zu empfehlen sind je nach Patient zwei Ampullen Furosemid i. v., also 40 mg, plus 1,2 mg Nitroglycerin sublingual. Statt Nitroglycerin kann als Alternative auch Urapidil verwendet werden, das in seiner Wirksamkeit und Sicherheit mindestens genauso gut einzustufen ist. Kontraindiziert sind dagegen Betablocker, die bei einer akuten Linksherzinsuffizienz zu einer gefährlichen Verminderung der linksventrikulären Auswurfleistung führen können.

Tab. 1: Definitionen und Klassifikation der Blutdruckstufen (mmHg)

Kategoriesystolischdiastolisch
optimal< 120< 80
normal120 – 12980 – 84
hoch normal130 – 13985 – 89
Stufe 1 Hypertone (leicht)140 – 15990 – 99
Stufe 2 Hypertonie (mittel)160 – 179100 – 109
Stufe 3 (stark)> 180> 110
isolierte systolische Hypertonie> 140< 90
Quelle: Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der arteriellen Hypertonie. Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL; Deutsche Hypertonie Gesellschaft (2005). www.paritaet.org/hochdruckliga/Hypertonie-Leitlinien05.pdf

Urapidil bei neurologischer Symptomatik

Anders sieht die Therapie aus, wenn die kritischen Blutdruckwerte mit einem akuten Koronarsyndrom, also zum Beispiel Herzinfarktsymptomen, einhergehen. In solchen Fällen sollte der Blutdruck primär mit Nitroglycerin gesenkt werden. Zudem ist die frühzeitige Gabe eines Betablockers zu empfehlen, vorausgesetzt es liegen keine bradykarden Rhythmusstörungen bzw. keine akute Herzinsuffizienz vor und es handelt sich nicht um einen Asthmapatienten. Sinnvoll ist zum Beispiel der Betablocker Esmolol, der eine kurze Wirkdauer von zehn bis 20 Minuten hat und daher bei zu starken Blutdruckabfällen oder anderen Komplikationen relativ schnell gestoppt werden kann. Lässt sich der Blutdruck damit nicht ausreichend senken, kann der alpha-Rezeptorenblocker Urapidil eine sinnvolle Ergänzung sein.

Grundsätzlich kommen auch Calciumantagonisten vom Verapamil- und Diltiazem-Typ in Frage, allerdings nur als zweite Wahl, da Betablocker im Vergleich eine viel bessere Wirkung auf den myokardialen Sauerstoffverbrauch haben und daher vorgezogen werden sollten. Kontraindiziert sind beim akuten Koronarsyndrom dagegen Calciumantagonisten vom Nifedipin-Typ, die in Studien teilweise eine mortalitätssteigernde Wirkung zeigten. Davon abweichend ist das Vorgehen bei hypertensiven Notfällen, die sich mit neurologischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder verschwommenem Sehen bemerkbar machen. Erste Wahl ist in diesen Fällen Urapidil, das sich hier als wirksamste Substanz erwiesen hat.

Vorsicht bei Schlaganfallzeichen

Eine Ausnahme besteht, wenn es sich bei den neurologischen Symptomen um Lähmungen, Sprachstörungen oder sonstige Zeichen eines Schlaganfalls handelt. Denn steckt tatsächlich ein Schlaganfall dahinter, darf der Blutdruck in der Akutphase entweder gar nicht oder nur bei sehr hohen Werten gesenkt werden, da es sonst zu Minderperfusionen im Ischämiegebiet kommen kann und eine Vergrößerung des Infarkts droht, betonte Lenz. Folglich muss mit der Gabe von Antihypertensiva gewartet werden, bis in der Klinik CT- oder MRT-Untersuchungen einen Infarkt ausgeschlossen haben und klar ist, dass die neurologischen Symptome nur eine Folge der momentan erhöhten Blutdruckwerte darstellen. Ausgenommen von dieser zurückhaltenden Blutdrucksenkung sind wiederum Patienten, die neben den Schlaganfallindizien zusätzlich kardialpulmonale Symptome aufweisen, also zum Beispiel eine Linksherzinsuffizienz oder ein akutes Koronarsyndrom. In diesen Fällen kann trotz der Schlaganfallproblematik eine antihypertensive Therapie sinnvoll sein, um das Herz vor schwerwiegenden Schäden zu schützen.

Dr. med. Karl Eberius

Quelle 
Prof. Dr. med. Kurt Lenz, Konventhospital der Barmherzigen Brüder, Linz.

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