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DAZ wissenswert
Zeitmessung: Silvester mit Schaltsekunde
Eine Sekunde ist der vierundachtzigtausendsechshundertste Teil eines Tages (1d = 24 x 60 x 60 s). Diese willkürliche Definition geht im Wesentlichen auf die Babylonier im Zweistromland zurück: Sie verwendeten zum Zählen das Sexagesimalsystem (60 als Basis, entsprechend der 10 im Dezimalsystem) und teilten die Stunde in 60 mal 60 gleiche Teile, also in Minuten und Sekunden.
Allerdings hatte ihr Tag (einschließlich der Nacht) nur sechs "Stunden", die folglich viermal so lang waren wie unsere heutige Stunde.
Wahre und mittlere Zeit
Die Ägypter teilten den lichten Tag und die Nacht in jeweils zwölf gleiche Teile, die Temporalstunden, die entsprechend der unterschiedlichen Tageslänge im Wechsel der Jahreszeiten unterschiedlich lang waren. Auf dem Weg über die alten Griechen und Römer wurde diese Zeiteinteilung auch im mittelalterlichen Abendland üblich. Als im 14. Jahrhundert die Räderuhren mit Schlagwerk aufkamen und die Stunden von den Kirchtürmen läuteten, traten an die Stelle der Temporalstunden allmählich die Äquinoktioalstunden, die der Stundenlänge an den Tagen der Tagundnachtgleiche (Äquinoktien) entsprechen und nun auf alle anderen Kalendertage übertragen wurden.
Doch bei genauer Beobachtung sind auch die Äquinoktioalstunden nicht genau gleich lang: Die Neigung der Erdachse (bzw. Schiefe der Ekliptik) und die Ellipsenform der Erdbahn bewirken, dass ein Kalendertag nicht genau 24 h lang, sondern um bis zu einer halben Minute länger oder kürzer ist. Seitdem unsere Uhren die "mittlere Zeit", eine über das Jahr gemittelte Tageslänge angeben, sind Sonnenaufgang, -höchststand und -untergang gegenüber der "wahren Zeit" um bis zu 16 Minuten verschoben. (Diese Abweichung, die sich auch auf die Zeitangabe der Sonnenuhren auswirkt, wird durch die Zeitgleichung ausgeglichen.)
Sekunde
Der Begriff entstand aus spätlateinisch "pars minuta secunda", was "zweiter verminderter Teil" bedeutet. Die Minute ist schlicht "der verminderte Teil".
Kleinere Störungen
Noch viel geringer sind andere Anomalitäten der Zeit. Die sich aus dem Wechsel von Ebbe und Flut ergebende Gezeitenreibung oder Tidenbeschleunigung bremst die Rotationsgeschwindigkeit der Erde; so hatte das Erdenjahr beispielsweise vor 400 Millionen Jahren noch 400 Tage. Ferner sorgt u. a. die Massenverlagerung im Erdinneren dafür, dass die Drehgeschwindigkeit der Erde geringfügig schwankt.
Hinzu kommen singuläre Störungen wie das Seebeben im Golf von Bengalen, dem vor einem Jahr so viele Menschen zum Opfer fielen; es hat die Erdachse um einige Zentimeter verschoben und die Rotation der Erde um wenige Mikrosekunden beschleunigt. Auch eine Beschleunigung der großen Windsysteme im Zuge der Erderwärmung könnte Einfluss nehmen. Da sie vorzugsweise von West nach Ost blasen, also in Richtung der Erdrotation, müssten sie nach dem Gesetz der Impulserhaltung die Erddrehgeschwindigkeit verlangsamen.
Ephemeriden
Die Ephemeriden waren die offiziellen minutiösen Aufzeichnungen des Tagesablaufes an hellenistischen und orientalischen Königshöfen. Später übertrugen die Astronomen den Begriff auf das Geschehen am Sternenhimmel.
Ephemeridenzeit
Als Adolf Scheibe und Udo Adelsberger 1934 an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin, dem Vorläufer der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB), die erste Quarzuhr konstruierten, konnten sie bereits eine jahreszeitliche Schwankung der Erdrotation nachweisen. Um bei der Zeitmessung von diesen Schwankungen unabhängig zu sein, führte man 1956 ein absolut gleichmäßiges Zeitmaß ein: die Ephemeridenzeit.
Im Jahr 1956 definierte das Internationale Komitee für Maß und Gewicht in Paris (BIPM) die Sekunde der Ephemeridenzeit als den 31.556.925,9747ten Teil des tropischen Jahres, das am 1. Januar 1900 um 12.00 Uhr begann. Das tropische Jahr ist die Zeitdauer zwischen zwei Durchgängen der Sonne durch den mittleren Frühlingspunkt (Frühlings-Äquinoktium) und etwa 365 Tagen, 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden lang. Da auch die Dauer des tropischen Jahres schwankt, musste man bei der Definition der Sekunde auf ein bestimmtes Jahr Bezug nehmen. Eine Formel zur Berechnung der Dauer einzelner tropischer Jahre hatte der Brite Simon Newcomb bereits 1895 aufgestellt.
In der Praxis sollte die genaue Zeit mit Hilfe der Mondposition ermittelt werden. Aufgrund langfristiger Beobachtungen verwendete man den Mondumlauf als "kalibriertes sekundäres Normal". Doch auch diese Messgrundlage erwies sich wegen Mängeln in der Theorie der Mondbewegung als ungenau. Zudem dauert der mittlere Sonnentag fast 3 Millisekunden länger als 86.400 Ephemeridensekunden.
Weltzeiten
Vor Einführung der Atomsekunde gab es drei Skalen der Weltzeit oder Universal Time (UT). Die UT0 ist die auf den Nullmeridian* bezogene Sonnenzeit. UT1 ist die von den Einflüssen der Polhöhenschwankungen befreite UT0. UT2 ist die hinsichtlich der quasiperiodischen jahreszeitlichen Rotationsschwankungen der Erde korrigierte UT1.
Die koordinierte Weltzeit (UTC), nach der wir uns heute richten, ist die durch die eingefügten Schaltsekunden korrigierte Internationale Atomzeit.
* Der Nullmeridian verläuft durch die Sternwarte von Greenwich in England.
Atomsekunde
Man entschloss sich deshalb, die genauere und einfacher zu handhabende Atomsekunde als Standard einzuführen. 1967 erhielt sie offizielle Weihen und trat im Internationalen Einheitensystems (SI) an die Stelle der Ephemeridensekunde. Mit der bereits 1949 entwickelten Ammoniakuhr konnte die Sekunde mit einer relativen Genauigkeit von 3 x 10-9 bestimmt werden. Den langzeitig genauesten Standard liefern derzeit die Cäsiumatomuhren oder Cäsiumatomstrahluhren. An noch genaueren Atomuhren wird gearbeitet.
Die von der 13. Generalkonferenz für Maß und Gewicht beschlossene und noch heute gültige Definition der SI-Sekunde lautet in der deutschen Übersetzung: "Die Sekunde ist das 9.192.631.770fache der Periodendauer, der dem Übergang zwischen zwei Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cäsium-133 entsprechenden Strahlung." Die Atomsekunde ist als gültige Weltzeitsekunde um rund
3 x 10-8 s länger als die Ephemeridensekunde.
Cäsiumatomstrahluhren liefern eine relative Genauigkeit von mindestens 10-12. Das heißt, dass die Atomuhren dieses Typs in 10.000 Jahren um 0,3 Sekunden falsch gehen. Die zurzeit genaueste Atomuhr steht in der PTB in Braunschweig; sie hat eine Ungenauigkeit von einer Sekunde in 3 Millionen Jahren.
Die Atomsekunde ist das Normmaß der Zeit, der Taktgeber des Alltags und eine der Grundlagen der hochtechnisierten Welt. Jede Bahnhofsuhr in Deutschland erhält ihr Sekundensignal von den Atomuhren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Die GPS-Satelliten benötigen die atomuhrgenaue Zeitgebung, um sich synchronisieren zu können und dem Autofahrer den Weg zu weisen.
Alle bisherigen Schaltsekunden*
30.06.1972
31.12.1972
31.12.1973
31.12.1974
31.12.1975
31.12.1976
31.12.1977
31.12.1978
31.12.1979
30.06.1981
30.06.1982
30.06.1983
30.06.1985
31.12.1987
1.12.1989
31.12.1990
30.06.1992
30.06.1993
30.06.1994
31.12.1995
30.06.1997
31.12.1998
* jeweils nach 23:59:59 Uhr eingefügt
Schaltsekunden abschaffen?
Um den Unterschied zwischen der koordinierten Weltzeit (UTC), die auf der Atomsekunde beruht, und der faktischen, schwankenden Jahreslänge auszugleichen, werden seit 1973 hin und wieder Schaltsekunden eingefügt. Sie werden jeweils vom Internationalen Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) verfügt, wenn der Unterschied zwischen der UTC und der korrigierten bürgerlichen Sonnenzeit UT1 größer als 0,9 Sekunden ist, und in Deutschland von der PTB übernommen. Ein solcher Zeiteinschub erfolgte bis 1998 meistens alle 12 oder 18 Monate und nach längerer Pause nun wieder zum Jahresende.
Die Schaltsekunde wird nicht gleichzeitig auf der ganzen Welt, sondern in jeder Zeitzone um Mitternacht eingefügt. Also verschiebt sich das Einfügen von Zone zu Zone um eine Stunde. Der deutsche Langwellensender DCF77 und das satellitengestützte Navigationssystem GPS geben das geänderte Zeitsignal der PTB problemlos weiter; die Funkuhren und GPS-Empfänger sind in der Lage, das ungewohnte Signal zu verarbeiten. Das Problem liegt bei den über mehrere Zeitzonen miteinander vernetzten elektronischen Rechnern, deren Betriebssysteme keine Unterstützung für einen solchen Zeiteinschub enthalten, sodass es zu Systemabstürzen kommen könnte. Deshalb wird darüber diskutiert, ab 2006 die Schaltsekunde abzuschaffen. Unsere Nachkommen könnten dann in einer sehr fernen Zukunft zur Koordinierung der Zeiten eine ganze Schaltstunde einfügen.
Dr. Uwe Schulte
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