Arzneimittel und Therapie

Johanniskrautextrakt: Auch gegen atypische Depressionen

Bei leichten und mittelschweren Depressionen sind standardisierte Johanniskrautextrakte eine der medikamentösen Optionen. Aktuelle Studien zeigen nun, dass sich auch atypische Depressionen und somatoforme Störungen erfolgreich phytotherapeutisch behandeln lassen.

Die atypische Depression wird in Deutschland kaum diagnostiziert, möglicherweise weil dieses Krankheitsbild in der ICD-10 (International Classification of Diseases, 10th edition) nicht als separate Diagnose aufgenommen ist. Im amerikanischen Klassifikationssystem dagegen, den DSM-IV-Kriterien, wird die atypische Depression als diagnostische Entität geführt und ist genau definiert (siehe Kasten): Der Patient leidet nicht dauerhaft unter einer depressiven Stimmung, sondern kann durch positive Ereignisse aufgehellt werden. Seine affektive Reagibilität bleibt also im Gegensatz zur typischen Depression erhalten. Hinzu kommen mindestens zwei der folgenden Symptome: Zunahme von Gewicht durch gesteigerten Appetit, Hypersomnie, bleierne Schwere von Armen und Beinen und eine Überempfindlichkeit gegen Zurückweisung. Der Anteil atypischer Depressionen innerhalb der depressiven Erkrankungen wird auf bis zu 20% angegeben. Epidemiologischen Studien zufolge erfüllen 16% der Patienten mit Major Depression die Kriterien für eine atypische Depression.

Mit Johanniskraut gegen atypische Beschwerden

Standardisierte Johanniskrautextrakte gehören zu den antidepressiv wirksamen Phytopharmaka. Für den hochdosierten Johanniskrautextrakt LI 160 (Jarsin® 300 mg) ist die antidepressive Wirkung bei leichter und mittelschwerer Depression in klinischen Untersuchungen belegt. Eine aktuelle Doppelblindstudie zeigte nun auch die Wirksamkeit bei atypischer Depression. Eingeschlossen wurden jeweils 100 Patienten mit leichter beziehungsweise mittelschwerer depressiver Episode, die zusätzlich mindestens ein atypisches Symptom, etwa eine Hypersomnie, aufwiesen. Die Symptomatik musste seit mindestens drei Monaten bestehen.

Behandelt wurde über einen Zeitraum von acht Wochen entweder täglich mit zweimal 300 mg LI 160 oder Placebo. Trotz eines ausgeprägten Placeboeffekts wurde mit LI 160 bei mittelschwerer Depression ein signifikanter Effekt auf der HAMD-17 (17-Item-Version der Hamilton-Depressions-Skala) erreicht. Im Gesamtkollektiv zeigte sich hier eine annähernd signifikante Überlegenheit.

Deutlich war dagegen der Vorteil von LI 160 auf die Angstsymptomatik, die mittels HAMA (Hamilton-Angstskala) erfasst wurde. Besonders verbesserte sich unter dem Johanniskrautextrakt die Hypersomnie. Entsprechend zeigten sich 80% der Patienten mit der LI160-Therapie sehr zufrieden oder zufrieden. Bestätigt wurde das Ergebnis in einer weiteren placebokontrollierten Doppelblindstudie, die LI160 bei leichter bis mittelschwerer Depression mit Fluoxetin verglich. In der Subgruppe der Patienten mit atypischer Symptomatik erwies sich das Johanniskrautpräparat nicht nur Placebo, sondern auch dem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer überlegen.

Somatoforme Störungen: schweres Erbe für die Kinder

Günstig beeinflusst der Johanniskrautextrakt auch somatoforme Störungen, deren Prävalenz auf immerhin 4% der Gesamtbevölkerung geschätzt wird. Dabei handelt es sich um körperliche Symptome, über die der Patient wiederholt klagt, obwohl eine körperliche Erkrankung ausgeschlossen ist. Trotz negativen Befunds beharren die Patienten häufig auf weiterer Abklärung. Beklagt werden vor allem Rückenschmerzen, deren Anteil bei 73% in psychosomatischen Kliniken, bei 30% im niedergelassenen Bereich liegt. Die Komorbidität ist hoch. Lediglich ein Fünftel der Patienten weist keine zusätzliche psychiatrische Diagnose auf. Zu den Risikofaktoren gehören ein niedriger sozialökonomischer Status und ein niedriger Bildungsgrad. Besonders gefährdet sind Kinder von Patienten mit somatoformen Störungen, die die Krankheit von ihren Eltern "übernehmen". Bislang gibt es weltweit nur drei randomisierte Studien zur medikamentösen Therapie somatoformer Störungen, davon zwei Studien mit LI 160, eine Studie mit Opipramol. Mit dem Johanniskrautpräparat konnte ein deutlicher Vorteil im Vergleich zu Placebo auf den herangezogenen Skalen zur Bewertung somatoformer Beschwerden gezeigt werden.

Kriterien für eine atypische Depression

  • Erhalt der affektiven Ansprechbarkeit auf von außen kommende positive Reize und
  • mindestens zwei der folgenden Symptome:
    • Gewichtszunahme durch gesteigerten Appetit
    • Hypersomnie
    • bleierne Schwere in Armen und Beinen
    • extreme Empfindlichkeit gegenüber vermeintlicher Kritik oder Ablehnung

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Hätten Sie's gewusst?

Johanniskraut und Kontrazeption Ist unter einer Johanniskrauttherapie auf die Pille noch Verlass? Eine berechtigte Frage, denn Johanniskraut erhöht die Aktivität bestimmter Cytochrom-P450-Enzyme, insbesondere des Isoenzyms CYP 3A4, über das zahlreiche Medikamente abgebaut werden. Unter anderem auch Kontrazeptiva. Das hat die Diskussion um klinisch relevante Interaktionen mit einer Reduktion des Verhütungsschutzes in Gang gebracht. Klinische Studien zeigen allerdings, dass sich unter Johanniskrautextrakten weder die Hormonplasmaspiegel noch die Zahl der Ovulationen signifikant erhöhen, der kontrazeptive Schutz also auch unter der antidepressiven Therapie erhalten bleibt. Allerdings steigt das Risiko von Zwischenblutungen. Darüber sollten die Patientinnen unbedingt aufgeklärt und darauf hingewiesen werden, die Pille auch bei Zwischenblutungen keinesfalls abzusetzen.

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