Selbstmedikation

Ch. Weber: Hyperhidrosis – wenn der Schweiß ausbricht

Schwitzen ist zur Thermoregulation des Körpers lebensnotwendig. Bei hochsommerlichen Temperaturen, körperlicher Aktivität oder psychischem Stress sind feuchte Hände und Schweißperlen auf der Stirn also ganz normal. Öffnen die Schweißdrüsen dagegen schon beim kleinsten Anlass ihre Schleusen, liegt ein pathologisches Geschehen vor. Für die Betroffenen ist der Leidensdruck dann oft groß, das Schweigen darüber meist ebenso. Auch wenn die Anti-Schwitz-Wunderpille noch nicht erfunden ist, können in der individuellen Beratung dennoch einige Erfolg versprechende Präparate bzw. Kosmetika empfohlen und nützliche Tipps gegeben werden.

Sie sind das Kernstück der körpereigenen Klimaanlage: Zwei bis drei Millionen Schweißdrüsen, die mehr oder weniger über das gesamte Integumentum verteilt sind (Ausnahme z. B. Lippenrot, Glans penis). Dabei lassen sich zwei Drüsenarten unterscheiden: Die ekkrinen Schweißdrüsen entspringen der Lederhaut und münden frei in einer Schweißpore an der Hautoberfläche. Sie sind vor allem an Axillen, Leisten, Stirn, Handflächen und Fußsohlen lokalisiert. Ihre wesentliche physiologische Funktion besteht in der Erzeugung von Verdunstungskälte, um die Körpertemperatur konstant zu halten. Ekkrine Schweißdrüsen werden vorwiegend durch thermische und emotionale Reize aktiviert. Ihre Innervierung erfolgt durch postganglionäre sympathische Fasern, wobei Acetylcholin als Überträgersubstanz fungiert.

Apokrine Schweißdrüsen kommen beim Menschen dagegen nur in den Axillen, im Anogenitalbereich, am Nabel und in der Perimammillarregion vor. Sie sind ca. zehnmal dicker als die ekkrinen Drüsen und münden in einen Haarfollikel. Ihre Sekretion ist hormonell gesteuert und setzt erst mit der Pubertät ein. Das apokrine Sekret ist für die individuelle "Duftnote" eines Menschen verantwortlich. Apokriner Schweiß ist in seiner Zusammensetzung dem ekkrinen zwar sehr ähnlich, enthält jedoch eine größere organische Fraktion.

Per se geruchlos Schweiß ist leicht sauer (pH 5 bis 6) und besteht zu 99% aus Wasser. Darin liegen gelöst Mineralsalze und organische Verbindungen vor. Frisch sezernierter Schweiß ist farb- und geruchlos. Der typische Schweißgeruch entsteht erst nach bakterieller Zersetzung (vor allem durch grampositive Keime) darin enthaltener organischer Substanzen wie Proteinen, Triglyceriden und Steroiden. Bei den übel riechenden Abbauprodukten handelt es sich vor allem um kurzkettige Fettsäuren und Mercaptane. Im feuchtwarmen Milieu des behaarten Achsel- oder Anogenitalbereichs sowie an schuhverpackten Füßen finden Mikroorganismen ideale Lebensbedingungen vor. Bei starker Schweißsekretion nehmen ihre Stoffwechselaktivität und Population rasch zu. Körpergeruch ist daher in der Regel ein Indikator für verstärktes Keimwachstum.

Verschiedene Schwitzvarianten Übermäßiges Schwitzen (Hyperhidrose, lat. Hyperhidrosis) findet meist an Axillen, Händen, Füßen oder Gesicht bzw. Kopf statt. Es gibt aber auch generalisierte Formen, wobei mehr oder weniger der ganze Körper betroffen ist. Laut Untersuchungen leiden in Deutschland rund eine Million Menschen unter Hyperhidrose. Geringste emotionale oder thermische Reize führen bei diesen Personen bereits zu Schweißausbrüchen.

Allen Hyperhidrotikern ist gemeinsam: ie übermäßige Schweißproduktion ist nicht nur mit einem unangenehmen Körpergefühl verbunden, sondern beeinträchtigt auch ihr Sozial- bzw. Alltagsleben. An der Haut selbst hinterlässt Dauerschwitzen ebenfalls Spuren: Die Haut mazeriert, was bakteriellen oder mykotischen Infekten den Weg ebnet. Hyperhidrotiker sind überdurchschnittlich oft von entzündlichen, allergischen Ekzemen betroffen. Kurzum: Hyperhidrose ist keineswegs nur ein kosmetischer Schönheitsfehler, sondern muss als belastende, behandlungsbedürftige Krankheit ernst genommen werden.

Danach im HV fragen Bevor Empfehlungen im Handverkauf für Hyperhidrotiker ausgesprochen werden dürfen, gilt es diejenigen Fälle herauszufiltern, die einer medizinischen Abklärung bedürfen. Dabei handelt es sich um Fälle von sekundärer Hyperhidrosis, also Schwitzattacken, hinter denen eine andere Krankheit steckt wie zum Beispiel Hyperthyreose, Hypoglykämie, Morbus Parkinson, psychiatrische Erkrankungen, multiple Sklerose, neurologische Traumen oder ein Phäochromozytom. Handelt es sich eindeutig um klimakterisches Schwitzen, ist ein Selbstmedikationsversuch dagegen erlaubt.

Arzneimittel wie Parasympathomimetika, Gonadorelin-Analoga, Schilddrüsenhormone, tri- und tetrazyklische Antidepressiva, zentral wirksame Analgetika, Baclofen, Cinnarizin, Methylphenidat, Fluvoxamin, Omeprazol, Prazosin, Sulpirid oder Vitamin B1 können – insbesondere zu Therapiebeginn oder bei Überdosierung – ebenfalls für übermäßiges Schwitzen verantwortlich sein. Daher sollten Sie ruhig einmal den Betroffenen nach seiner aktuellen (vielleicht neuen?) Medikation fragen! Außerdem sollte ein Hyperhydrotiker gezielt nach alarmierenden Schwitz-Begleitsymptomen abgeklopft werden: Bei Tachykardie, erhöhter Körpertemperatur, Nachtschweiß, orthostatischen Krisen, Tremor, Vertigo, Infektionen oder psychiatrischen Erscheinungen sollten Sie den Betroffenen zum Arzt zu schicken!

Was Deodoranzien können Bei starker Hyperhidrose haben sie allenfalls adjuvanten Nutzen, bei leichtem bis mäßigem Schwitzen sind sie dagegen oft schon ausreichend wirksam: Pflegeprodukte zur äußeren Anwendung gegen Schwitzen bzw. gegen Körpergeruch. Je nach Wirkprinzip unterscheidet man dabei zwei Produktgruppen: Antitranspiranzien, welche die Schweißsekretion reduzieren, und Deodoranzien, die das Wachstum geruchsbildender Bakterien hemmen und unangenehme Gerüche verhindern sollen. Hierzu enthalten Deodoranzien keimhemmende Substanzen wie Phenoxyethanol oder Triclosan. Sie verhindern die bakterielle Zersetzung des frischen, noch geruchlosen Schweißes. Enzyminhibitoren wie z. B. Triethylcitrat drosseln den enzymatischen Abbau von Schweißbestandteilen zu übelriechenden Verbindungen. Geruchsabsorber wie z. B. Zinkricinolat sollen bereits entstandene Geruchsstoffe binden. Vielen Deodoranzien werden außerdem Duftstoffe zugesetzt, die bis zu einem gewissen Grad Körpergeruch überdecken können. Personen mit empfindlicher, zu Allergien neigender Haut oder mit allergischer Diathese sollten jedoch parfüm- und alkoholfreie Produkte bevorzugen.

Die Schweißdrüsen abdichten Im Gegensatz zu Deodoranzien stoppen Antitranspiranzien den Schweißfluss: Sie verengen durch Komplexreaktion zwischen Metallionen und Epithelzellen die Schweißdrüsenkanäle und drosseln so die Schweißsekretion um bis zu 80%. Da stets nur kleine Körperflächen behandelt werden, ist die Transpira–tion des Gesamtorganismus dadurch nicht beeinträchtigt.

Wichtiger Abgabehinweis: Das Antitranspirans abends vor dem Zubettgehen auf die gewaschene, trockene Haut auftragen. Dann können die Wirkstoffe gut in die Ausführungsgänge eindringen und werden nicht gleich wieder rausgeschwitzt. Duschen am darauf folgenden Morgen tut der Wirkung dagegen keinen Abbruch. Anfangs werden die Produkte jeden oder jeden zweiten Tag, mit einsetzender Wirkung in größeren Zeitintervallen angewendet. Doch Vorsicht: Personen, die zu Schweißdrüsenabszessen neigen, sollten Sie lieber keine Antitranspiranzien empfehlen!

Kosmetische Antitranspiranzien enthalten meist Aluminiumsalze wie Aluminiumhydroxychlorid, Alaun, Aluminiumsulfat oder Aluminiumzirkoniumkomplexe (z. B. Hidrofugal® Anti-Transpirant, CD6® Pflegedeocreme, Xeronit® Anti-Perspirant Creme, Vichy Traitement Anti-Transpirant Deo-Creme, Eucerin® pH5 Deo Creme, Cristal Deo Stick). Aluminiumchlorid wird wegen seiner hautreizenden Eigenschaften immer seltener eingesetzt. Allerdings ist es nach wie vor häufiger Bestandteil antihydrotischer Rezepturen. Mit Wirkstoffkonzentrationen zwischen 10 und 25% lassen sich damit stärkere antihydrotische Effekte erzielen als mit den meisten handelsüblichen Produkten.

Gerbstoffe & Co. Einige synthetische Gerbstoffpräparate (z. B. Tannolact® Puder, Tannolact® Badezusatz, Tannosynt® flüssig, Tannosynt® Lotio) sind ebenfalls zur lokalen Hyperhidrosis-Behandlung zugelassen. Vorteilhaft in der Beratung: Die genannten Präparate dürfen auch in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden. Das adstringierende Phenol-Methanal-Harnstoff-Polykondensat verdichtet das kolloidale Gefüge der Haut–oberfläche und verengt auf diese Weise auch die Schweißdrüsen. Hinzu kommt ein gewisser antibakterieller Effekt.

Methenamin (= Hexamethylentetramin, z. B. in Antihydral® Salbe) setzt bei Kontakt mit saurem Schweiß kontrolliert Formaldehyd frei, das heißt die Schweißmenge bestimmt den Grad der Formaldehyd-Abspaltung. Dieser denaturiert Proteine und verschließt damit ebenfalls die Schweißdrüsen. Die Salbe wird zwei- bis dreimal täglich auf stark schwitzende Hände, Füße oder Achseln aufgetragen. Ein Behandlungserfolg soll sich innerhalb weniger Tage einstellen. Allerdings ist Methenamin für Personen mit Formaldehyd-Sensibilisierung ungeeignet. Aufgrund toxikologischer Überlegungen und wegen seines Allergiepotenzials wird Methenamin heute von vielen Dermatologen abgelehnt.

Guter alter Salbei Bei leichteren Schwitzattacken lohnt sich auch ein Versuch mit innerlich anzuwendenden Salbei-Zubereitungen. Als Wirksubstanzen werden heute Bestandteile der Gerbstofffraktion angesehen, die an den Nervenenden der Schweißdrüsen angreifen sollen. Der genaue Wirkmechanismus ist jedoch noch nicht bekannt. Dagegen ist der Beweis für die antihydrotische Wirkung des Salbeis sowohl im Tiermodell als auch klinisch am Menschen bereits erbracht: So lässt sich z. B. die Pilocarpin-induzierte Schweißbildung damit aufheben. Auch die Kommission E hat den Salbei Salvia officinalis in einer Aufbereitungsmonographie für diese Indikation positiv bewertet. Als Tagesdosis werden 4 bis 6 g Droge bzw. 0,1 bis 0,3 g ätherisches Öl oder 1,5 bis 3 g Fluidextrakt empfohlen.

Die HV-Erfahrung zeigt, dass man mit entsprechenden Phytopharmaka (z. B. Sweatosan® N, Salvysat® Bürger) bei einigen Hyperhidrosis-Geplagten durchaus eine Symptomverbesserung erreichen kann – ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Aufgrund des Thujon-Gehalts sollten alkoholische Salbeiblätterzubereitungen allerdings nur kurze Zeit eingenommen werden.

Kühlende Tipps Da die durchschlagende medikamentöse Wunderwaffe gegen Hyperhidrosis im HV leider nicht zur Verfügung steht, haben begleitende Verhaltensmaßnahmen im Beratungsgespräch einen hohen Stellenwert. Dazu abschließend einige Vorschläge:

  • Auf normnahes Körpergewicht achten! Wer zu viel wiegt, schwitzt auch schneller.
  • Entspannungstechniken wie autogenes Training, Yoga, progressive Muskelentspannung tragen dazu bei, Schwitzattacken besser unter Kontrolle zu halten.
  • Wer regelmäßig Ausdauersport treibt und dabei ins Schwitzen kommt, transpiriert im Ruhezustand weniger.
  • Auf schweißtreibende scharfe Gewürze, Kaffee und Alkohol verzichten.
  • Wechselduschen und kalte Güsse trainieren den Organismus, mit thermogenen Reizen besser umzugehen.
  • Achselhaare regelmäßig entfernen, um das Bakterienwachstum und unangeneh- men Schweißgeruch einzudämmen.
  • Bei Erfrischungen gilt: lieber kühl als eiskalt. Zum Beispiel Arme in ein kühles Wasserbecken tauchen, Beine abduschen, nasse Wachlappen einsetzen. Eiskaltes Duschen oder tiefgekühlte Gelkompressen führen dagegen zur reaktiven Übererwärmung und sind damit kontraproduktiv.
  • Atmungsaktive Textilien bevorzugen. Verschwitzte Kleidung möglichst schnell ablegen.
  • Für genügend Flüssigkeitsausgleich sorgen. Dass eine geringe Trinkmenge vor Schwitzen schützt, ist ein alter Irrglaube, der immer noch zu viele Anhänger hat!

Schwitzen ist lebensnotwendig zur Thermoregulation des Körpers. Bei hohen Temperaturen sind Schweißperlen auf der Stirn normal. Öffnen die Schweißdrüsen dagegen schon beim kleinsten Anlass ihre Schleusen, liegt ein pathologisches Geschehen vor. Für die Betroffenen ist der Leidensdruck dann oft groß. Zur äußeren Anwendung gegen Schwitzen bzw. gegen Körpergeruch können Pflegeprodukte – Antitranspiranzien oder Deodoranzien – helfen. Auch wenn die Anti-Schwitz-Wunderpille noch nicht erfunden ist, können in der Beratung nützliche Tipps gegeben werden. Auch Arzneimittel können, insbesondere zu Therapiebeginn, für übermäßiges Schwitzen verantwortlich sein.

Botox® stoppt Schweißsekretion

Eine noch relativ neue Therapieoption bei fokaler Hyperhidrosis stellt die intradermale Injektion von Botulinumtoxin A dar (Botox®, zugelassen zur Therapie der primären Hyperhidrosis axillaris, die durch topische Maßnahmen nicht ausreichend kontrollierbar ist).

Das Toxin inhibiert irreversibel die Freisetzung von Acetylcholin, weshalb die cholinerg bedingte Schweißbildung für einige Monate ausgeschaltet bleibt. Zunächst werden mit dem Minor-Schwitzversuch (Jod-Stärke-Test) die am stärksten betroffenen Hautareale identifiziert. Dort wird die Substanz mit bis zu 50 Injektionen intradermal verteilt. Die Behandlung kann schmerzhaft sein, gilt ansonsten aber als nebenwirkungsarm und ist bei nachlassender Wirkung wiederholbar.

Primär oder sekundär?

Die primäre Hyperhidrosis beginnt typischerweise im Kindes- oder Jugendalter und zeigt eine familiäre Häufung. Die genaue Ursache ist unbekannt. Manchmal legt sich die übermäßige Schweißabsonderung bei diesen Patienten im Erwachsenenalter spontan wieder.

Dagegen stellt die sekundäre Hyperhidrosis ein Symptom anderer Grunderkrankungen dar, die oft einer kausalen ärztlichen Therapie bedürfen.

Chirurgische Verfahren

Als ultima ratio bedient man sich bei extremer Hyperhidrosis chirurgischer Verfahren: Auf dem Weg der Schweißdrüsenexzision werden z. B. bei Hyperhidrosis axillares die betroffenen Hautareale mitsamt Schweißdrüsen entfernt. Um das Risiko von Wundheilungsstörungen zu reduzieren, wurde das Prinzip der Schweißdrüsen-Saugkürettage entwickelt. Dabei saugt der Chirurg die Schweißdrüsen einschließlich subkutanen Fettgewebes ab. Die Sympathektomie, bei der die sympathische Nervenversorgung der Schweißdrüsen an Axillen, Händen oder Füßen chirurgisch unterbrochen wird, gilt dagegen heute als obsolet.

Antitranspiranzien {te}Um eine überschießende Schweißsekretion zu reduzieren, können Antitranspiranzien eingesetzt werden. So verengen Aluminiumsalze die Ausführungsgänge der Schweißdrüsen und verhindern so, dass der Schweiß an die Hautoberfläche gelangt. Sie sollten abends vor dem Zubettgehen auf die gewaschene, trockene Haut aufgetragen werden. Dann können die Wirkstoffe gut in die Ausführungsgänge eindringen und werden nicht gleich wieder rausgeschwitzt.

Schweißfüße unter Strom

Bei der Leitungswasser-Iontophorese wird ein Gleichstrom (10 bis 15 mA) durch salzhaltiges Wasser geleitet, in das der Patient Hände oder Füße mehrmals pro Woche für einige Minuten eintaucht. Vermutlich lagern sich Ionen an die Schweißdrüsenausführungsgänge an, blockieren diese durch Proteinkoagulation und reduzieren so für einige Zeit die freigesetzte Schweißmenge. Dieses bereits 1968 eingeführte Verfahren setzen manche Ärzte noch heute erfolgreich bei starker Hand- und Fußhyperhidrose ein.

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