Arzneimittel und Therapie

Paracetamol der Verschreibungspflicht unterstellen?

Wenn Patienten mit akutem Leberversagen in die Klinik eingewiesen werden, dann ist zunehmend häufig eine Paracetamol-Überdosierung dafür verantwortlich. Die Diskussion um das hepatotoxische Risiko hat dazu geführt, dass Packungen mit mehr als 10 g Paracetamol der Verschreibungspflicht unterliegen werden. Als Stichtag wurde bislang der 1. Juli 2008 genannt, aber auch der 1. April 2009 ist in der Diskussion. Doch vielen geht das nicht weit genug. Sie fordern die Verschreibungspflicht für alle Paracetamol-haltigen Arzneimittel.

Von Seiten der pharmazeutischen Industrie, aber auch von Apothekerseite regt sich Widerstand gegen diese Forderung. Im Folgenden finden Sie die Standpunkte von

  • Prof. Dr. Dr. Kay Brune, Erlangen, der einer Selbstmedikation mit Paracetamol sehr skeptisch gegenüber steht,

  • Prof. Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel der ABDA, der eine weitere Einschränkung der Selbstmedikation mit Paracetamol weder für zielführend noch für gerechtfertigt hält und

  • Dr. Bernd Eberwein vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der ein positives Nutzen/Risiko-Verhältnis sieht und auf die Informationsverantwortung der Apotheker setzt.


Paracetamol in der Selbstmedikation – noch zeitgemäß?

Prof. Dr. Dr. Kay Brune

In den vergangenen Wochen erschienen mehrere Arbeiten in internationalen und nationalen Zeitschriften, die unisono darauf hinweisen, dass der Glaube an die Harmlosigkeit und Wirksamkeit des "Analgetikums" Paracetamol nicht mehr gerechtfertigt ist. Zahlreiche Forscher haben sich daher dafür ausgesprochen, Paracetamol entweder ganz aus der rezeptfreien Schmerztherapie zu entfernen oder aber die Beschränkung der Packungsgröße über das vom BfArM kürzlich beschlossene Maß hinaus zu reduzieren.

Ich habe mich öffentlich und im entsprechenden Ausschuss des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dafür ausgesprochen, die frei verkäufliche Packungsgröße von Paracetamol auf 5 g zu reduzieren oder aber Paracetamol aus dem Freiverkauf zu eliminieren.

Diese Bewertung fußt auf folgenden, zum Teil neuen Erkenntnissen:

Paracetamol ist, wie alle anderen frei verkäuflichen Schmerzmittel auch, ein (schwacher) Hemmer der Cyclooxygenasen. Deutliche entzündungshemmende Wirkungen sind nur in hepatotoxischen Dosierungen zu erzielen. Eine Sonderstellung kommt dem Paracetamol nicht zu [2].

Die Überdosierung von Paracetamol ist zuverlässig letal – ganz im Gegensatz zu einer Reihe anderer Wirkstoffe, wie Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen, die zwar keineswegs absolut harmlos sind, aber nicht akut letal [4].

Im langfristigen Gebrauch ist Paracetamol nicht harmlos. Neuere Arbeiten zeigen, dass das den Cyclooxygenasehemmern zugeschriebene Potenzial, kardiovaskuläre Schäden (Infarkte, zerebrale Durchblutungsstörungen etc.) zu verursachen, auch für Paracetamol gilt [1].

Auch bei gesunden, jungen Probanden führt Paracetamol häufig auch in zugelassener Dosierung (bis zu 4 g/Tag) zum Anstieg von hepatischen Transaminasen, einem anerkannten Hinweis auf hepatotoxische Wirkungen [5].

Paracetamol ist auch in Kombinationspräparaten nicht harmlos. So zeigte sich, dass die gastrointestinale Toxizität von anderen Cyclooxygenasehemmern durch die Zugabe von Paracetamol erhöht wird [6]. Außerdem ergibt sich, dass die erheblichen, für die Schmerzlinderung unnötigerweise in Kauf zu nehmenden Blutungsrisiken der Acetylsalicylsäure durch Paracetamol nicht reduziert werden.

Paracetamol wird unter zahlreichen Namen in unterschiedlichen Kombinationen und Zubereitungsformen (Tabletten, Zäpfchen, Heißgetränke) angeboten. Neben gewollten Überdosierungen kommt es häufig zu ungewollten Dosisüberschreitungen mit letalem Ausgang [4].

Die Dosisreduktion im Freiverkauf auf 10 g Paracetamol erscheint zynisch, da diese Dosis, in suizidaler Absicht genommen, in etwa letal ist.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die postulierte besondere Harmlosigkeit von Paracetamol einer genauen Überprüfung nicht standhält. Es handelt sich vielmehr um einen schwach wirksamen und dadurch zur Überdosierung verleitenden Cyclooxygenase-2-Hemmer, der bei chronischer Anwendung zu kardiovaskulären Schäden und in akut hoher Dosierung zum Tod durch Leberversagen führt. In kombinierter Anwendung mit Acetylsalicylsäure kommt es zu einem vermehrten gastrointestinalen Blutungsrisiko. Da eine vergleichbare analgetische Wirkung auch durch niedrig dosiertes Ibuprofen oder Diclofenac erreichbar ist, erscheint Paracetamol allein oder in Kombination mit Acetylsalicylsäure für den Freiverkauf obsolet, zumal Diclofenac und Ibuprofen bei analgetischer Anwendung in rezeptfreien Dosierungen bei im übrigen gesunden Patienten sehr selten zu Magen-Darm-Blutungen führen [3].

 

Quellen

[1] Chan AT et al: Nonsteroidal antiinflammatory drugs, acetaminophen, and the risk of cardiovascular events. Circulation. 2006;113(12):1578-87. 

[2] Hinz B, Cheremina O, Brune K:Acetaminophen is a selective cyclooxygenase-2 inhibitor in man. FASEB J. 2008;22(2):383-90. 

[3] Kaufman DW et al.: Nonsteroidal anti-inflammatory drug use in relation to major upper gastrointestinal bleeding. Clin Pharmacol Ther. 1993;53(4):485-94. 

[4] Lee WM: Acetaminophen toxicity: changing perceptions on a social/medical issue. Hepatology. 2007;46(4):966-70.

[5] Watkins PB et al.:Aminotransferase elevations in healthy adults receiving 4 grams of acetaminophen daily: a randomized controlled trial. JAMA. 2006;296(1):87-93.

[6] Rahme E et al.: Hospitalizations for Upper and Lower GI Events Associated With Traditional NSAIDs and Acetaminophen Among the Elderly in Quebec, Canada. Am J Gastroenterol. 2008;103(4):872-82. 

 


Prof. Dr. med. Dr. h.c. Kay Brune, 

Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
und Toxikologie FAU Erlangen-Nürnberg 
Fahrstr. 17 
91054 Erlangen

 




 

Prof. Dr. Martin Schulz, ABDA, Berlin

Weder zielführend nochgerechtfertigt!

 

Prof. Dr. Martin Schulz

Zur letzten Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht am 15. Januar 2008 wurde vom BfArM der Antrag gestellt, Paracetamol – ausgenommen zur symptomatischen Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und/oder von Fieber in einer Gesamtmenge von bis zu 10 g je Packung – unter die Verschreibungspflicht zu stellen.

Dieser Antrag wurde nach intensiver Diskussion mehrheitlich angenommen.

Im Rahmen der Tagung des Nationalen Suizidpräventionsprogramms der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention wurde eine Reduzierung der Packungsgrößen für Paracetamol als sinnvoll dargestellt. In diesem Zusammenhang wurde auf positive Erfahrungen mit der Packungsgrößenbegrenzung in Großbritannien hingewiesen. Da dort Paracetamol-haltige Arzneimittel die häufigste Ursache für akutes Leberversagen sowie die am häufigsten an Arzneimittelvergiftungen beteiligten verschreibungsfreien Arzneimittel waren, sind dort seit 1998 die

Packungsgrößen für Paracetamol (und Acetylsalicylsäure) gesetzlich auf 16 Einzeldosen je Packung (8 g) zum freien Verkauf außerhalb von Apotheken beschränkt. In Apotheken dürfen 32 Einzeldosen je Packung (16 g) verkauft werden. Das Protokoll der Sitzung ist auf der BfArM-Homepage unter "Pharmakovigilanz" (www.bfarm.de/cln_030/nn_917226/DE/Pharmakovigilanz/Verschreibungspflicht/Protokolle/60Sitzung/ergebnisprotokoll.html) einsehbar. In Deutschland enthalten die allermeisten verkauften Packungen 30 Tabletten (zu 500 mg = 15 g) oder weniger.

Die therapeutische Breite von Paracetamol ist unbestritten gering, auch im Vergleich zu anderen nicht verschreibungspflichtigen Analgetika/Antipyretika.

Üblicherweise wird bei gesunden Erwachsenen davon ausgegangen, dass bei einer einmaligen Einnahme von insgesamt mindestens 10 bis 12 g oder 150 bis 200 mg/kg Körpergewicht mit einer relevanten Leberschädigung zu rechnen ist. Als Grenzdosis bei länger dauernder Einnahme wird schon eine Menge von 7,5 g Paracetamol pro Tag beschrieben. Bei vorgeschädigter Leber oder Einnahme weiterer lebertoxischer Substanzen (z. B. chronischer Alkoholmissbrauch) muss zudem mit niedrigeren Grenzen gerechnet werden.

Paracetamol hat als Analgetikum und noch mehr als Antipyretikum einen wichtigen und etablierten Platz in der Selbstmedikation, auch in der Pädiatrie.

Bei korrekter Anwendung ist das Nutzen/Risiko-Verhältnis positiv, das gilt auch im Verhältnis zu den Alternativen wie ASS oder den NSAR wie Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen [1 bis 4].

Alle Analgetika/Antipyretika sind in Deutschland zu Recht apothekenpflichtig. Deshalb hat die Apotheke die zentrale Informationsverantwortung in der Selbstmedikation. In der Beratung liegt neben dem Hinterfragen der Eigendiagnose das besondere Augenmerk auf der Information zur zeitlich und in der Dosis (maximale Einzel- und Tagesdosis) befristeten Anwendung als Tablette, Kapsel, Suppositorium oder Saft [5].

Der Zusammenfassung des BfArM – "Angesichts des Anwendungsgebiets, der empfohlenen maximalen Tagesdosis, der empfohlenen Einnahmedauer von maximal drei Tagen und der kritischen Paracetamoldosis von 10 bis 12 g scheint eine Begrenzung der verschreibungsfrei erhältlichen Packungsgröße auf maximal 10 g Paracetamol sinnvoll ... Auf diese Weise würden Packungsgrößen zur Verfügung stehen, die dem Anwendungsgebiet und der vorgesehenen Dauer der Anwendung entsprechen" – kann ich mich anschließen. Eine weitergehende, generelle Unterstellung von Paracetamol unter die Verschreibungspflicht wäre weder zielführend noch gerechtfertigt.

 

Quelle

[1] Autret-Leca, E et al.: Curr. Med. Res. Opin. 2007;23(9):2205-11.

[2] Bachert, C. et al. Clin. Ther. 2005;27(7):993-1003.

[3] Kauffman, R.E. et al. Am. J. Dis. Child. 1992;146(5):622-5

[4] Walson, P.D. et al. Am. J. Dis. Child. 1992;146(5):626-32).

[5] Braun, R., Schulz, M.: Selbstbehandlung. 8. Erg.-Lfg. 2007. Govi-Verlag, Eschborn.

 


Prof. Dr. Martin Schulz

Geschäftsführer Arzneimittel der ABDA, der BAK und des DAV e.V.

Jägerstr. 49/50

10117 Berlin

 

 

Dr. Bernd Eberwein, BAH, Bonn

Apotheken werden der Verantwortung gerecht!

Dr. Bernd Eberwein

Das Thema Paracetamol war Gegenstand der letzten Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht am 15. Januar 2008. Dort wurde nach intensiver Diskussion die Empfehlung beschlossen, Paracetamol in Packungsgrößen über 10 g der Verschreibungspflicht zu unterstellen.

Diese Entscheidung entspricht dem Vorschlag/Antrag des BfArM. Begründung hierfür sind Erfahrungen aus Großbritannien, wo man vor einigen Jahren die Packungsgröße auf 16 g für die rezeptfreie Abgabe festgelegt hatte. Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern haben wir in Deutschland jedoch schon seit Langem eine de facto Packungsbegrenzung. Weit über 90% der in Deutschland verkauften Packungen fester Paracetamolformen enthalten 30 Tabletten (15 g) oder weniger. Dies ist Ergebnis der Zulassungspraxis des BfArM, welches unter Anwendung der Auflagenbefugnis des § 28 Abs 2 Nr. 4 des Arzneimittelgesetzes keine größeren Packungen für das Anwendungsgebiet "leichte bis mäßig starke Schmerzen ... und Fieber" erlaubt. Über das tatsächliche Einnahmeverhalten schreibt das BfArM:

"Entsprechend den aktuellen Mustertexten beträgt die maximale empfohlene Tagesdosis für Erwachsene ja nach Körpergewicht 2 bis 4 g Paracetamol (60 mg/kg Körpergewicht). Die üblicherweise eingenommene Tagesdosis dürfte jedoch niedriger liegen.

Die empfohlene Einnahmedauer beträgt drei Tage ("Bei Beschwerden, die länger als drei Tage anhalten, sollte ein Arzt aufgesucht werden.")

Das Risiko von Leberschäden bei Überdosierung soll hier nicht wegdiskutiert werden, auch nicht vor dem Hintergrund neuerer Publikationen. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch und insbesondere in der laut BfArM üblicherweise eingenommenen niedrigeren Tagesdosis ist das Risiko jedoch gering. Ich meine, Paracetamol hat als Analgetikum / Antipyretikum einen wichtigen und etablierten Platz in der Selbstmedikation. Bei korrekter Anwendung ist das Nutzen/Risiko-Verhältnis positiv, das gilt auch im Verhältnis zu den Alternativen.

Seine weltweite Akzeptanz als eines der meistverwendeten Analgetika in der Selbstmedikation und sein Einsatz auch als postoperatives Analgetikum unterstreichen Wirksamkeit und Nutzen eindrucksvoll.

Wichtig ist die richtige Information der Verwender. Die Packungsbeilage ist eindeutig. Auch das Internet-Verbraucherportal des BAH, der Arzneimittel-Scout, weist bei Paracetamol mit folgendem Text auf die richtige Einnahme hin:

"Bei Paracetamol ist besonders auf die korrekte Dosierung zu achten. Überdosierungen können nämlich die Leber schädigen oder das Blutbild verändern. Personen mit Lebererkrankungen sollten deshalb vorher den Arzt befragen."

Schmerzmittel sind apothekenpflichtig. Deshalb hat die Apotheke eine erhebliche Informationsverantwortung bei den verschiedenen Schmerzmitteln. Ich bin überzeugt, unsere Apotheken werden dieser Verantwortung gerecht.

 

 

Dr. Bernd Eberwein

Mitglied im Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht

Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)

Ubierstr. 71 - 73

53173 Bonn

 

 

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.