Arzneimittel und Therapie

Erhöhtes Brustkrebsrisiko bei längerer Substitution

"Hormontherapie und Brustkrebs – keine Entwarnung" so oder ähnlich titelten viele Publikationen ihre Berichte zu den Ergebnissen der bevölkerungsbasierten deutschen Fall-Kontrollstudie MARIE, nach der auch in Deutschland eine Hormonsubstitution über mehr als fünf Jahre das Brustkrebsrisiko erhöht. Wir haben Prof. Dr. med. Peyman Hadji, den Leiter des Schwerpunktes gynäkologische Endokrinologie, Reproduktionsmedizin und Osteologie der Philipps-Universität Marburg gebeten, diese Studie näher zu beleuchten und Konsequenzen für die Praxis aufzuzeigen.

Eine große Anzahl von Untersuchungen hat in den letzten Jahrzehnten die Frage nach dem Zusammenhang an Mammakarzinomen unter Hormontherapie eingehend untersucht.

1997 wurde bereits eine große Metaanalyse der Oxfordstudiengruppe unter Einschluss von ca. 50.000 Frauen mit Mammakarzinom sowie ca. 100.000 nicht betroffenen Kontrollen veröffentlicht. Bereits diese Analyse wies ein erhöhtes Auftreten von Mammakarzinomen bei Frauen unter Hormontherapie nach. Dies bestätigte sich ebenfalls in der Women’s Health Initiative Study (WHI-Studie). Im Rahmen dieser randomisiert kontrollierten Studie wurde nach einem Beobachtungszeitraum von 5,2 Jahren eine Erhöhung der Inzidenz des Mammakarzinoms festgestellt. Im zweiten Arm der WHI-Studie, in der Frauen nach Gebärmutterentfernung lediglich mit reinen Östrogenen behandelt wurden, zeigte sich jedoch nach 7,4 Jahren eine deutlich erniedrigte Inzidenz des Mammakarzinoms.

Induzieren ÖstrogeneTumoren?

Betrachtet man Ergebnisse der tumorbiologischen Forschung, so ist seit Längerem bekannt, dass Östrogene zwar Tumorpromotoren sind, da sie das Wachstum von bestehenden Tumoren beeinflussen, jedoch am Brustgewebe keinen Tumor auslösen. Basierend auf diesen Tatsachen wird seit Langem diskutiert, ob unter einer Hormonbehandlung lediglich bereits vorhandene Mammakarzinome schneller zum Wachstum kommen, oder ob – was bislang noch nicht bewiesen werden konnte – Hormone entsprechende Karzinome induzieren.

Die MARIE-Studie

MARIE steht für Mammakarzinom-Risikofaktoren-Erhebung, bei der die Daten von 3464 deutschen Frauen mit histologisch gesichertem Mammakarzinom und 6657 Kontrollen im Alter zwischen 50 und 74 Jahren verglichen wurden. Die Erhebung fand im Jahre 2002 bis 2005 in Hamburg und in der Region Rhein-Neckar unter der Leitung von Professor Wilhelm Braendle und Jenny Chang-Claude statt. Hierbei wurden alle neu erkrankten Patientinnen mit invasiven und In-situ-Mammakarzinomen in strukturierten Interviews befragt.

Die Ergebnisse der MARIE-Studie zeigen nach einer mehrjährigen Hormontherapie nach der Menopause ein ansteigendes Brustkrebsrisiko. Bei der differenzierten Auswertung scheint das Brustkrebsrisiko bei kontinuierlicher kombinierter Gabe stärker anzusteigen als bei zyklischer Einnahme. Das Brustkrebsrisiko ist am niedrigsten bei reiner Östrogentherapie. Fünf Jahre nach Absetzen der Hormontherapie besteht kein erhöhtes Risiko mehr für Brustkrebs.

In der Untersuchung hatten knapp 3800 Frauen nie Hormone eingenommen, rund 6300 gaben an, eine Hormontherapie überwiegend mit Tabletten durchgeführt zu haben (68% der Fälle, 60% der Kontrollen). 3800 wandten aktuell eine Hormontherapie an (47, bzw. 33%). In dieser Gruppe war das Brustkrebsrisiko am stärksten erhöht: Die Wahrscheinlichkeit für ein Mammakarzinom lag mit einer Odds Ratio (OR) von 1,73 deutlich höher als bei Frauen nach Absetzen einer HT (OR 0,98) oder "hormonnaiven" Frauen (OR 1,37). Die Inzidenz stieg mit der Dauer der Therapie bis zu einem Intervall von 15 Jahren und fiel dann wieder ab. Fünf Jahre nach Absetzen war das Risiko nicht mehr erhöht, auch bei Frauen mit über zehnjähriger Hormoneinnahme.

Professor Braendle, Leiter der Untersuchungen, interpretierte die Ergebnisse dahingehend, dass eine Hormontherapie die Proliferation bestehender Mammakarzinome beeinflusst, sie aber nicht initiiert. Deshalb erwartet er nach dem Rückgang der Inzidenz in den Krebsregistern aufgrund der gefallenen Verordnungszahlen für die Zukunft – mit einer gewissen Latenzzeit – auch wieder einen Anstieg.

Konsequenzen für dietägliche Praxis

Dass eine Hormontherapie mit einer erhöhten Detektionsrate des Mammakarzinoms in Verbindung steht, ist seit mehr als 15 Jahren gut dokumentiert. Die WHI-Studie hat dies ebenfalls bestätigt. Einer der Kritikpunkte an der WHI-Studie lag darin begründet, dass die Daten in den Vereinigten Staaten und nicht in Europa bzw. Deutschland erhoben wurden. Dieses hat sich nun durch die MARIE-Studie verändert. Die Untersuchung, die in Deutschland durchgeführt wurde, hat eine Assoziation von Hormontherapie und Mammakarzinom in vergleichbarer Größenordnung aufgewiesen wie die WHI-Studie. So gesehen handelt es sich hier um eine konformatorische Untersuchung, allerdings erstmalig an deutschen Frauen. Ob eine Hormontherapie auch Mammakarzinome induzieren kann, belegt diese Studie weiterhin nicht. Diese Frage liegt jedoch im Fokus der Anwenderinnen, der beratenden Apothekerinnen und Apotheker sowie Ärztinnen und Ärzte. Wie aus vielen zellbiologischen Untersuchungen bekannt ist, fördern Östrogene die Proliferation von bereits vorhandenen Tumorzellen. Eine höhere Detektionshäufigkeit von Mammakarzinomen unter einer Hormontherapie führt zwangsläufig zu einer erhöhten Rate an Mammakarzinomen, da bestehende kleinere Karzinome in ihrer Proliferation angeregt werden und bei entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen frühzeitig entdeckt werden können. Eindeutige Belege, dass Östrogene am Brustdrüsengewebe Karzinome hervorrufen, liegen bislang nicht vor. Es bleibt jedoch nach wie vor offen, ob die unter Hormontherapie proliferierenden Karzinome ohne eine entsprechende Hormontherapie nicht in einer Ruhephase verblieben wären und vielleicht klinisch niemals in Erscheinung getreten wären. Aus diesem Grunde sollte vor jeder Therapieeinleitung eine von der Frauenärztin oder dem Frauenarzt durchgeführte individuelle Nutzen-Risiko-Analyse und eine entsprechende Beratung durchgeführt werden.

Bei Vorliegen von starken Hitzewallungen und klimakterischen Beschwerden gibt es nach Evidenz-basierten Untersuchungen zur Hormontherapie zur Zeit keine wirksamen Alternativen. Auch die Primärprävention der Osteoporose, welche durch den Östrogenmangel erst entsteht, scheint mit einer Hormontherapie wirkungsvoll möglich. Zu beachten ist weiterhin, dass unter einer reinen Östrogentherapie, welche bei hysterektomierten Frauen indiziert ist, das Brustkrebsrisiko in der WHI-Studie nicht angestiegen, sondern gar gefallen ist, was ebenfalls gegen eine tumorauslösende Wirkung des Östrogens auf das Brustdrüsengewebe spricht.

Zusammenfassend hat die MARIE-Studie die Ergebnisse der zuvor publizierten Untersuchungen, einschließlich der WHI-Studie, weitestgehend bestätigt. Die MARIE-Studie belegt erstmalig an deutschen Frauen eine entsprechende Assoziation zwischen Brustkrebs und Hormontherapie. Aus diesem Grunde sollte eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung durch die behandelnde Frauenärztin/Frauenarzt erfolgen, um bei gegebener Indikation eine fachgerechte Therapie zu ermöglichen.

 

Quelle 

Flesch-Janys D et al: Int J Cancer, DOI 10.1002/ijc.23655

 

 


Prof. Dr. med. P. Hadji
Philipps-Universität Marburg
Leiter des Schwerpunktes gynäkologische Endokrinologie,
Reproduktionsmedizin und Osteologie
Baldingerstraße, 35033 Marburg

 

 

 

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