Arzneimittel und Therapie

Baclofen bei Patienten mit Leberzirrhose

Das zentral wirksame Muskelrelaxans Baclofen wurde im Rahmen einer klinischen Studie als Therapiemöglichkeit für Alkoholabhängige mit Leberschädigungen untersucht. Innerhalb des recht kleinen Patientenkollektivs zeigten sich sehr gute Ergebnisse in Bezug auf die Abstinenzrate sowie die Linderung der Entzugssymptomatik. Auch die Sicherheit und Verträglichkeit der Behandlung wurde positiv bewertet.

In den Industrienationen ist Alkohol der häufigste Auslöser einer Leberzirrhose. Die effektivste Behandlung eines Alkoholmissbrauchs besteht in der absoluten Alkoholabstinenz, da jedes alkoholische Getränk die erkrankte Leber weiter belastet. In der Vergangenheit wurden viele Arzneistoffe zur Therapie der Alkoholabhängigkeit entwickelt. Da diese jedoch häufig über die Leber metabolisiert werden, gilt eine Leberzirrhose als Kontraindikation, diese Präparate können bei Alkoholikern nicht eingesetzt werden.

Muskelrelaxans dämpft die Erregungsübertragung

Baclofen, das um 1920 ursprünglich als Antiepileptikum entwickelt wurde und sich chemisch vom Diazepam ableitet, wird seit Jahrzehnten erfolgreich als Spasmolytikum bei Patienten mit multipler Sklerose eingesetzt. Als selektiver Agonist am γ-Amino-Buttersäure-B-Rezeptor (GABA-B-Rezeptor) ahmt es die natürliche GABA-Wirkung nach und führt so zu einer Entspannung der Nervenbahnen im Rückenmark und im ZNS. Es kommt es zu einer Abnahme des spastischen Muskeltonus. Die myotonolytische Wirkung von Baclofen beruht auf einer im Rückenmark ansetzenden Verstärkung der präsynaptischen Hemmung, die zu einer Dämpfung der Erregungsübertragung führt. An der Katholischen Universität in Rom untersuchten Ärzte nun den Einfluss von Baclofen auf die Alkoholeinnahmehäufigkeit, die Länge der Abstinenzphasen sowie das Craving (Entzugssymptomatik) bei Alkoholabhängigen. Von Oktober 2003 bis November 2006 wurden 84 von 148 gescreenten Patienten in die Studie aufgenommen. Einschlusskriterien war unter anderem die Diagnose Leberzirrhose in Verbindung mit einer Alkoholabhängigkeit. Außerdem musste der Alkoholkonsum bei mindestens fünf Drinks (Männer) bzw. vier Drinks (Frauen) an mehr als zwei Tagen pro Woche und durchschnittlich mindestens 21 Drinks (Männer) bzw. 14 Drinks (Frauen) pro Woche liegen. Ein Drink entspricht hierbei 12 g reinem Ethanol. Außerdem musste ein Familienmitglied zur Überwachung der Compliance und des Verhaltens der Patienten verfügbar sein. Ausgeschlossen wurden zum Beispiel Patienten mit Herz-/Lungenerkrankungen, abnormaler Nierenfunktion, Psychopharmakatherapie oder weiteren Suchterkrankungen (außer Nicotin). Die 84 Teilnehmer wurden doppelblind in zwei gleichgroße Gruppen randomisiert, von denen die eine Hälfte für zwölf Wochen oral mit 30 mg Baclofen, die andere mit Placebo behandelt wurde. Nach einigen Tagen Klinikaufenthalt wurden die Patienten nach Hause entlassen und mussten sich im ersten Monat wöchentlich wieder vorstellen, dann bis zur zwölften Woche im zweiwöchentlichen Rhythmus. Nach zwölf Wochen wurde die Medikation beendet und es folgte noch eine Follow-up-Phase für vier Wochen. Als primäre Endpunkte wurden das Erreichen einer Alkoholabstinenz sowie deren kumulierte Dauer definiert. Abstinenz galt hier als maximal vier Drinks pro Tag und 14 pro Woche. Um das Abstinenzverhalten zu dokumentieren wurden die Patienten und deren Angehörige befragt sowie in Kontrolluntersuchungen klinische Marker für Leberschädigung im Blut und Urin der Patienten bestimmt.

Hohe Abstinenzrate unter Baclofen

In der Verumgruppe wurden 30 von 36 Teilnehmern (71% nach Intention-to-treat-Anaylse), die die Studie abschlossen, abstinent; in der Kontrollgruppe nur zwölf von 29 (29%). Daraus ergab sich eine odds ratio von 6,3. Die durchschnittliche kumulative Abstinenzdauer, definiert als die Gesamtanzahl an Tagen, an der ein Patient abstinent war, lag unter Baclofen mit 62,8 Tagen etwa doppelt so hoch wie unter Placebo (30,8 Tage). Studienabbrecher gab es wegen mangelhafter Compliance, fehlender Follow-up-Daten, sowie drei Todesfällen (zwei unter Placebo, einem unter Baclofen), die zwar in Zusammenhang mit der Leberzirrhose, aber nicht mit der Medikation gebracht wurden. Sekundärer Endpunkt war das Verlangen nach Alkohol in den beiden Gruppen. Dieses sogenannte Craving wurde mit der obsessive compulsive drinking scale (OCDS) bestimmt, einem Messinstrument, mit dem durch Fragen vorrangig die kognitiven Aspekte des Alkoholverlangens erfasst werden können. Hier reduzierte Baclofen das Verlangen nach Alkohol signifikant im Vergleich zur Placebogruppe. Alter, Geschlecht, Dauer des Alkoholabusus, Schweregrad der Lebererkrankung, durchschnittlicher täglicher Alkoholkonsum und Leberfunktion der Patienten spielten in keinem der Endpunkte eine signifikante Rolle.

Die Angaben der Patienten zur Abstinenz konnten durch die Bestimmung klinischen Marker für eine Leberschädigung, wie Bilirubin, Alaninaminotransferase oder γ-Glutamyltransferase, in den Blutproben bestätigt werden: Das gemessene Absinken dieser klinischen Parameter gilt als Zeichen einer Abstinenz.

Keine Hepatotoxizität unter Baclofen

Baclofen wird nach oraler Gabe rasch und nahezu vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert. Es wird nur in geringem Umfang durch enzymatische Hydroxylierung metabolisiert: Da Baclofen nur zu ca. 15% über die Leber metabolisiert wird, der überwiegende Anteil hingegen unverändert renal eliminiert wird, zeigte sich in der Studie erwartungsgemäß eine gute Verträglichkeit. Es waren keine die Leber betreffenden Nebenwirkungen festzustellen, insbesondere keine hepatischen Enzephalopathien. Vereinzelt traten Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schwindel auf, jedoch stets auf Placeboniveau.

Längerfristige Studien sind erforderlich

In einem Begleitkommentar amerikanischer Wissenschaftler wird die relativ kurze Dauer der Behandlung und insbesondere des Follow-up kritisiert. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass größere Patientenzahlen notwendig seien, um die guten Ergebnisse der Studie bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit zu belegen. Weiterhin sei durch den Ausschluss von Alkoholabhängigen mit psychischen Störungen und komorbiden Missbrauchsproblemen die Validität in der realen Welt begrenzt.

Insgesamt bewerten die Kommentatoren diese klinische Studie aber als positiv und sind der Meinung, dass die Ergebnisse solch einer Behandlung durch Implementierung in den Klinikalltag der öffentlichen Gesundheit zugute kommen sollten.

 

Quelle

Addolorato, G.; et al.: Effectiveness and safety of baclofen for maintenance of alcohol abstinence in alcohol-dependent patients with liver cirrhosis: randomised, double-blind controlled study. Lancet 2007; 370: 1915-1922.

Garbutt, J. C.; Flannery, B.: Baclofen for alcoholism. Lancet 2007; 370: 1884-1885

 


Apotheker Christian Widua

 

 

1 Kommentar

Leberzirrhose

von Rafil Yunusov am 22.03.2019 um 16:57 Uhr

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