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- DAZ 33/2008
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Ernährung aktuell
Eine gute Wahl – die Vollwert-Ernährung
Die Vollwert-Ernährung ist eine Ernährungsweise, in der ernährungsphysiologisch wertvolle Lebensmittel schmackhaft und abwechslungsreich zubereitet werden. Sie besteht vornehmlich aus pflanzlichen Lebensmitteln – Vollgetreide, Gemüse und Obst – sowie Milch und Milchprodukten. Etwa die Hälfte der Lebensmittel wird als Frischkost verzehrt, Fleisch und Eier spielen eine untergeordnete Rolle. Vollwert-Ernährung unterscheidet sich von üblicher Mischkost durch das Vermeiden übertriebener Be- und Verarbeitung der Lebensmittel sowie durch das Vermeiden von Zusatzstoffen. Sie stellt eine Synthese altbewährter Erfahrungen mit sinnvollen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen dar.
Die Hauptmerkmale der Vollwert-Ernährung sind:
- Vorwiegend ovo-lacto-vegetabile Kostform.
- Möglichst geringer Verarbeitungsgrad der Lebensmittel.
- 50% der Kost wird nicht erhitzt.
Isolierte und raffinierte Produkte (z. B. Zucker oder Maisstärke) sind zu meiden, da sie "leere" Kalorienträger sind.
Die Zubereitung der Lebensmittel sollte möglichst schonend und mit wenig Fett geschehen.
Außerdem hat die Vollwert-Ernährung einen ökologisch-biologischen Anspruch. So werden Nahrungsmittel, die mithilfe bestimmter Technologien (Gentechnik, Lebensmittelbestrahlung, Food Design) hergestellt sind, gemieden. Auch sollten die verwendeten Lebensmittel aus anerkannt ökologischer Landwirtschaft aus der Region und entsprechend der Jahreszeit verwendet werden. Unverpackte und umweltschonend verpackte Lebensmittel werden bevorzugt. Außerdem sollten bevorzugt Lebensmittel, die unter sozialverträglichen Gesichtspunkten (z. B. kein Futtermittelimport aus Drittweltländern) erzeugt, verarbeitet und vermarktet wurden, verwendet werden. Die Schonung der Ressourcen steht im Vordergrund.
Ziel der Vollwert-Ernährung
Das Ziel der Vollwert-Ernährung ist die optimale Versorgung des Organismus mit allen essenziellen Nahrungsinhaltsstoffen, auch von (z. T. noch nicht identifizierten) möglicherweise essenziellen Substanzen. Die Aufrechterhaltung eines störungsfreien Stoffwechsels ist Voraussetzung für eine optimale körperliche und geistige Entwicklung und Leistungsfähigkeit sowie entsprechende Ausbildung von Abwehrkräften gegenüber Krankheiten. Weitere Ziele sind die Meidung von Veredelungsverlusten bei der Produktion tierischer Nahrungsmittel, Einsparung von Energie sowie Schonung natürlicher Ressourcen und der Umwelt.
Die Regeln der Vollwert-Ernährung
Die Vollwert-Ernährung wendet sich gegen die übertriebene Verarbeitung der Lebensmittel. Je weniger ein Lebensmittel verarbeitet werde, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass alle für die menschliche Gesundheit und für das Wohlbefinden notwendigen Bestandteile darin enthalten bleiben. Das bedeutet nach Ansicht ihrer Vertreter in der Regel, je naturbelassener ein Lebensmittel ist, desto vollwertiger ist es. Neben diesem "Vollwert" von Lebensmitteln ist für die Vollwert-Ernährung auch der "Reinwert" von Bedeutung, der sich an einem möglichst geringen Gehalt an Fremd- bzw. Schadstoffen in Lebensmitteln orientiert (Rückstände, Verunreinigungen, Zusatzstoffe, natürliche Gifte).
Zur Beurteilung von Lebensmitteln dient eine Einteilung in Wertstufen. Bei von Koerber, Männle und Leitzmann wird eine Einteilung in fünf Stufen von "besonders empfehlenswert" (Stufe I) bis "nicht empfehlenswert" (Stufe V) vorgenommen. Für diese Bewertung sind der ernährungsphysiologische Wert und der Verarbeitungsgrad ausschlaggebend; außerdem sind ökologische Aspekte und weltweite Auswirkungen berücksichtigt.
Getreide und Getreideprodukte aus Vollkorn stehen bei der Vollwert-Ernährung im Vordergrund. Pflanzliche Lebensmittel, z. T. als Rohkost und milchsaure Produkte, sollen bevorzugt werden. Besonders empfohlen werden Vorzugsmilch (Rohmilch) und daraus hergestellte Produkte sowie naturbelassene Fette und Öle. Weniger bzw. nicht empfehlenswert sind alle Produkte aus Auszugsmehlen, isolierte Zucker und damit hergestellte Erzeugnisse, extrahierte und raffinierte Fette, Öle und alle Genussgifte. Fleisch und Eier können als gelegentliche Zugabe verwendet werden.
Empfohlen werden alle Lebensmittel, die möglichst aus kontrolliert-ökologischer (kontrolliert-biologischer) Landwirtschaft stammen.
Beurteilung der Vollwert-Ernährung
Mit der Vollwert-Ernährung ist eine gesunde, bedarfsdeckende Ernährung zu erreichen. Positiv sind vor allem die Prinzipien
- Bevorzugung von Vollkornprodukten,
- erhöhter Konsum an Gemüse, Salaten und Obst,
- Reduzierung des Fleischkonsums,
- Herabsetzung von Zucker und Süßwaren u. a. m.
zu bewerten.
Richtig ist auch, dass die Umstellung von einer falschen, einseitigen Ernährung auf die Vollwert-Ernährung bei bestimmten Krankheiten günstige Auswirkungen haben kann. Auch die Bevorzugung von Lebensmitteln, die nach ökologischen, sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten produziert werden, ist zu begrüßen. Sicherlich ist somit auch eine unterschiedliche Bewertung von Lebensmitteln sinnvoll.
Die Einteilung der Lebensmittel nach fünf "Wertstufen" wird allerdings häufiger kritisiert, da aus ernährungsphysiologischer Sicht der Verarbeitungsgrad nicht ein derart ausschlaggebendes Bewertungskriterium für die Lebensmittelqualität darstellt. Die ernährungsphysiologische Qualität von Lebensmitteln ist für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) von größerer Bedeutung. Der Konsum von Vorzugsmilch bzw. Rohmilch bietet ihrer Meinung nach keine entscheidenden Vorteile gegenüber pasteurisierter Milch oder H-Milch. Frisches Gemüse ist aus ernährungsphysiologischen und geschmacklichen Gründen selbstverständlich am höchsten einzustufen. Sollte kein Frischgemüse verfügbar sein, können aber auch Gemüsekonserven und besonders Tiefgefrierkost verwendet werden. Bei der Vollwert-Ernährung werden auch wertvolle erhitzte Produkte, wie z. B. Kartoffeln, Vollkornbrot und Fisch, aber auch Gemüsegerichte weniger gut eingestuft als unverarbeitete Lebensmittel. Manchmal ist ein Erhitzungsprozess jedoch notwendig, um die Nahrungsmittel verträglich und verdaulich zu machen.
Die Verwendung von Zusatzstoffen wird von Vertretern der Vollwert-Ernährung in der Regel abgelehnt. Um gesundheitsgefährdendem Lebensmittelverderb vorzubeugen und eine sinnvolle und notwendige Vorratshaltung überhaupt erst möglich zu machen, ist der Einsatz von Konservierungsstoffen aber oft unumgänglich. Die DGE ist der Meinung, dass Zusatzstoffe wie unbedenkliche Konservierungsstoffe in bestimmten Bereichen notwendig sind, ihr Einsatz aber auf das Nötigste beschränkt werden sollte.
Für die Annahme, dass in unverarbeiteten Lebensmitteln noch weitere, z. T. noch nicht identifizierte und möglicherweise essenzielle, Substanzen enthalten sind, gibt es laut DGE keine wissenschaftlich gesicherten Hinweise. Die Erfahrungen mit Patienten, die z. T. mehrere Jahre eine künstliche Ernährung mit den bekannten Nährstoffen erhielten, sprechen gegen das Vorkommen von weiteren Vitaminen. Dem entgegenzusetzen ist jedoch, dass die Bedeutung einiger sekundärer Pflanzenstoffe für unsere Gesundheit erst in jüngerer Zeit wissenschaftlich belegt worden ist.
Fazit
Die Vollwert-Ernährung sorgt für eine ausreichende Zufuhr an lebensnotwendigen Nährstoffen, liefert reichlich Ballaststoffe und kann insgesamt empfohlen werden – auch als Dauerkost für Gesunde. Der hohe Rohkostanteil kann jedoch zu Verdauungsproblemen führen. Die ökologischen und sozialen Aspekte dieser Ernährungsform sind im Prinzip zu begrüßen, wobei allerdings eine übertriebene Auslegung der Regeln, beispielsweise auch hinsichtlich der Wertstufen, ernährungsphysiologisch nicht nötig ist.
Literatur
Koerber, K. von, Männle, T., Leitzmann, C.: Vollwert-Ernährung. Konzeption einer zeitgemäßen Ernährungsweise, Haug, Heidelberg & Stuttgart, div. Auflagen 1981 – 2004
Leitzmann, C., Koerber, K. von, Männle, T.: Die Gießener Formel – Definition der Vollwert-Ernährung, UGB-Forum 10 (2), 109, 1993
Dr. Eva-Maria Schröder
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